3407/AB XXI.GP
Eingelangt am: 12.04.2002
BM für Finanzen
Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der
Abgeordneten Dr. Caspar Einem und
Kollegen vom 13. Februar 2002, Nr. 3407/J, betreffend die Kosten der
EU-Erweiterung,
beehre ich mich Folgendes
mitzuteilen:
Zu 1.:
Da ich Zeitungsartikel
grundsätzlich nicht kommentiere, ersuche ich um Verständnis, dass
ich diese Frage nicht beantworte, möchte in diesem Zusammenhang aber auf
meine
folgenden Ausführungen verweisen.
Zu 2.:
Der wichtigste Aspekt der EU-Erweiterung
ist, dass sie ein historisches gesamteuropäisches
Friedensprojekt ist. Damit wird sie für alle europäischen
Länder, also auch Österreich, ein
Vorteil sein. Darüber hinaus bringt die EU-Erweiterung wirtschaftliche
Chancen und
Herausforderungen, welche für Österreich als ein Land mit
traditionell engen Wirtschaftsbe-
ziehungen zu einem Teil dieser Staaten von besonderer Bedeutung sind.
Zu 3.:
Die internationalen Rahmenbedingungen
für die österreichische Wirtschaft verändern sich
auf Grund einer Fülle von Faktoren rasch und nachhaltig. Diese umfassen
die Vertiefung der
Integration in der derzeitigen Europäischen Union, die Entwicklungen im
globalen Handels-
und Finanzsystem und nicht
zuletzt auch den Erweiterungsprozess der EU.
Die Antwort der Bundesregierung auf diese Herausforderungen
und neuen Chancen, welche
alle in eine gemeinsame Richtung weisen, ist ein umfassendes und tief gehendes
Modernisierungs- und Liberalisierungsprogramm, dessen Ziel es ist, die
österreichischen
Unternehmen in die Lage zu versetzen, die sich ergebenden Chancen optimal zu
nutzen und
den Risken optimal gegenzusteuern.
Spezifische Initiativen für vom
erforderlichen Wandel besonders betroffene Personen-
gruppen oder Regionen werden im Rahmen der (aktiven) Arbeitsmarktpolitik und
der
Regionalpolitik gesetzt.
Zu 4. und 5.:
Ja, eine derartige Entwicklung ist für
Österreich von Vorteil, da wachsender Wohlstand
einerseits die Vergrößerung von schon heute wichtigen
Absatzmöglichkeiten für öster-
reichische Produkte bringt und andererseits der beste Garant für die (für
uns als Nachbar
ebenfalls wichtige) gesellschaftliche und politische Stabilität dieser
Länder ist.
Zu 6.:
Österreich hat den Übergangsprozess der mittel-
und osteuropäischen Länder (MOEL) zur
Marktwirtschaft von Anfang an mit einer breiten Palette von Instrumenten
großzügig (auch
im internationalen Vergleich) unterstützt. Ein informativer
Gesamtüberblick über diese
Maßnahmen findet sich in den jährlichen Berichten des
Bundesministeriums für auswärtige
Angelegenheiten über die österreichische Ostunterstützung.
Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen geht es
vor allem darum, die Einbeziehung der der-
zeitigen Kandidaten und dann neuen Mitglieder
in den Rechtsbestand und die Institutionen
der EU so zu vollziehen, dass einerseits deren
wirtschaftliche und gesellschaftliche Ent-
wicklung möglichst gut gefördert wird und andererseits auch die
Übergangsprobleme für die
derzeitigen EU-Mitgliedstaaten minimiert werden.
Erfolgslatte ist dabei nicht die Verausgabung
möglichst großer Summen aus den öffent-
lichen Haushalten der EU und ihrer Mitgliedstaaten, sondern
wirtschaftspolitisch möglichst
sinnvolle Regelungen, für die wir uns primär einsetzen. Gleichzeitig
halte ich es für legitim
und erforderlich danach zu trachten, gegebene wirtschaftspolitische
Zielsetzungen mit so
geringem wie möglichen Einsatz an öffentlichen Steuermittel zu
erreichen. Dies gilt vor allem
auch für eine erfolgreiche EU-Osterweiterung.
Zu 7.:
Österreich gehört
zu jenen Ländern, welche in den EU-Haushalt mehr einzahlen als sie an
Rückflüssen zurück erhalten. Der Bruttobeitrag orientiert sich
im Wesentlichen am wirt-
schaftlichen Wohlstand des Landes (die Beteiligung an der Finanzierung des
EU-Haushaltes
entspricht in etwa dem Anteil am EU-15-BIP), die Rückflüsse spiegeln
das Ergebnis des
europäischen Umverteilungsprozesses (und Aufrechthaltung tradierter
Ansprüche aus dem
Landwirtschaftsbereich) wider. Ab dem Haushaltsjahr 2002 wird sich der
Bruttobeitrag und
damit auch die bisherige
Nettoposition der bisher besonders belasteten Nettozahler
Deutschland, Schweden, die Niederlande und Österreich bessern, da diese
Länder mit In-
krafttreten des neuen Eigenmittelbeschlusses per 1. März 2002 ihren
bisherigen Anteil an
der Mitfinanzierung des britischen Beitragsrabattes auf ein Viertel reduzieren
werden
können.
Zu 8. und 9.:
Ja, ich halte dies für
gerechtfertigt. Österreich ist seit Beginn der EU-Mitgliedschaft Netto-
zahler und wird dies mit Sicherheit auch bleiben, da der Abbau des
unterschiedlichen Wohl-
stands innerhalb der Union ein wesentliches Ziel der EU ist. Österreich
lehnt jedoch - wie
alle übrigen Nettozahler - weitere zusätzliche
übermäßige Belastungen ab. Daher ist es ent-
scheidend, durch entsprechende Reformen im Agrar- und Strukturbereich die
Dynamik des
Ausgabenwachstums zu bremsen, um damit eine Entlastung des Bruttobeitrags zu
be-
wirken.
Zu 10.:
Gemeinsame europäische Beschlüsse werden von mir vollinhaltlich mitgetragen.
Zu 11.:
Ja, dies gilt auch für
diesen Bereich. Die finanzielle Vorausschau ist die mittelfristige Finanz-
planung der EU und ein wesentlicher Bestandteil der interinstitutionellen
Vereinbarung
zwischen der Kommission, dem Rat und dem Europäischem Parlament.
Zu 12.:
Sofern darunter die Abrechnung des (in den
vergangenen Jahren positiven) jährlichen
Haushaltssaldos, insbesondere
auf Grund nicht vollständiger Ausschöpfung der EU-Aus-
gabenmittel, zu verstehen ist, wurden an Österreich folgende Beträge
rücküberwiesen:
1998: rd. 50 Mio. Euro
1999: rd. 198 Mio. Euro
2000: rd. 142 Mio. Euro
2001 :rd. 361 Mio. Euro*
*) Dieser Betrag inkludiert
jedoch auch jene Änderungen der österreichischen Beitrags-
leistung iHv etwa 145 Mio. €, welche auf das Inkrafttreten des neuen
Eigenmittelbeschlusses
zurückzuführen
sind.
Zu 13.:
Alle verfügbaren
Quantifizierungsversuche der gesamtwirtschaftlichen Effekte der EU-Er-
weiterung kommen zum
Ergebnis, dass diese zwar positiv, aber insgesamt nur klein sein
werden. Die Ergebnisse liegen jeweils in der Größenordnung von einem
Prozent des
Bruttoinlandsprodukts, wobei sich dieser Effekt über einen
mehrjährigen Zeitraum verteilt.
Die zwei Hauptgründe
dafür sind, dass erstens ein großer Teil der möglichen
Integrations-
gewinne, sowohl für die Beitrittskandidaten selbst als auch für
Österreich, schon im bis-
herigen Integrationsprozess seit der Ostöffnung 1989 realisiert worden ist,
und zweitens die
österreichische Wirtschaftsverflechtung mit den Beitrittskandidaten zwar
im EU-Vergleich
sehr hoch, absolut, mit einem Anteil am österreichischen Außenhandel
von deutlich unter
15%, aber relativ klein ist.
Zu 14.:
Es gibt Studien, welche versucht haben, die
gesamtwirtschaftlichen Effekte der Ostöffnung
abzuschätzen. Eine gesonderte Abschätzung der volkswirtschaftlichen
Effekte der Beitritts-
vorbereitungen wurde in
keinem Fall vorgenommen.
Das WIFO schätzt, dass
die Ostöffnung zwischen 1989 und 1997 zu einer zusätzlichen Er-
höhung der Gesamtwirtschaftsleistung um knapp 3,5% oder rund 0,4% im
Jahresdurch-
schnitt geführt hat. Mit
dieser Wachstumsbeschleunigung ist ein Beschäftigungswachstum
um knapp 60.000 Personen einhergegangen.
Zu 15.:
Der Anteil dieser 5 Länder an den österreichischen Gesamteinfuhren ist zwischen 1990 und
2000 um 5,1 Prozentpunkte auf 9,4 % angestiegen.
Der Anteil dieser 5
Länder an den österreichischen Gesamtausfuhren ist zwischen 1990 und
2000 um 5,6 Prozentpunkte auf 12,3 %
angestiegen.
Zu 16.:
Im Hinblick darauf, dass der
größte Teil des Handels bereits mehrere Jahre voll liberalisiert
ist, liegt die Annahme nahe, dass die weitere Entwicklung deutlich weniger
dynamisch ver-
laufen wird als in der Zeit seit der Ostöffnung. Neue Impulse könnten
vor allem von der Teil-
nahme der MOEL am Euro (derzeit in jedem Fall aber erst eine mittelfristige
Option)
kommen.
Zu 17.:
Die bereits bei Punkt 14
zitierte Studie zu den gesamtwirtschaftlichen Effekten der Ost-
öffnung kommt zum Ergebnis, dass die österreichischen
öffentlichen Haushalte im Zeitraum
1989 bis 1997 durch Mehreinnahmen und Minderausgaben um insgesamt knapp 1% des
BIP entlastet worden sind. Aus der Erhöhung der Handelsbilanzströme
mit den Er-
weiterungsländern ergeben sich aber keine nennenswerten direkten Effekte
auf die Steuer-
einnahmen.
Zu 18.:
Im Hinblick darauf, dass der zu erwartende
Wachstumsimpuls durch die EU-Erweiterung
zwar positiv aber (wie bereits bei Punkt 13 dargelegt) voraussichtlich sehr
klein sein wird,
müssen auch die sich aus der zusätzlichen wirtschaftlichen
Aktivität ergebenden Steuer-
einnahmen gering bleiben. Die Größenordnung könnte bei einem
Wert zwischen 0,2% und
0,4% des BIP liegen (wobei darauf hinzuweisen ist, dass eine Schätzung der
künftigen Ein-
nahmeneffekte durch die EU-Erweiterung problematisch ist) und würde sich
erst über einige
Jahre aufbauen. In den ersten Jahren wären sie daher deutlich geringer.
Den - unsicheren -
Budgetentlastungen sind die direkten budgetären Belastungen im Zuge
höherer Bei-
träge/geringerer
Rückflüsse aus dem EU-Haushalt gegenüber zu stellen.
Zu 19.:
Eine Schätzung der auf Österreich entfallenden
zusätzlichen Kosten der Erweiterung im
Rahmen des EU-Budgets bis 2006 ergibt im Durchschnitt einen Betrag von maximal
rd.
220 Mio.
€ jährlich.
Zu 20. und 21.:
Die EU-Struktur- und
Kohäsionspolitik ist ein Instrument der Umverteilung zum Ausgleich
regionaler und nationaler Wohlstandsunterschiede. Im Zuge der Erweiterung kommt
ihr eine
Schlüsselrolle zu, denn die Wohlstandsunterschiede zwischen den
Mitgliedstaaten werden
anfänglich größer denn je
sein.
Die meisten Beitrittskandidaten weisen ein Pro-Kopf-BIP
auf, das weit unter dem EU-Durch-
schnitt, ja sogar wesentlich unter jenem der ärmsten EU-Mitgliedstaaten
liegt. Die Aufgabe
der Struktur- und Kohäsionspolitik wird es sein, den Aufholprozess der
neuen Mitglied-
staaten bestmöglich zu unterstützen.
Allerdings ist die geltende EU-Struktur- und
Kohäsionspolitik auf derart große nationale
Wohlstandsunterschiede, wie sie nach der Erweiterung bestehen werden, nicht
wirklich aus-
gerichtet. Daher muss sie grundlegend reformiert werden. Die Instrumente der
EU-Struktur-
und Kohäsionspolitik müssen so gestaltet werden, dass das
Wohlstandsgefälle an den
neuen Binnengrenzen möglichst rasch
verringert werden kann.
Österreich ist in der Struktur- und
Kohäsionspolitik Nettozahler und wird - als relativ wohl-
habendes Land - in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Solidarität
und Umverteilung
auch weiterhin Nettozahler bleiben.
Da im Zuge der Erweiterung nur Mitgliedstaaten
mit zum Teil deutlich geringerem Wohl-
standsniveau beitreten, wäre bei Beibehaltung des derzeitigen Regimes der
Struktur-
politiken eine erhebliche Verschlechterung der
österreichischen Nettoposition zu erwarten.
Anzustreben ist jedoch, dass diese Verschlechterung möglichst gering
ausfällt. Daher muss
in der Strukturpolitik der Mitteleinsatz geographisch und thematisch neu
fokussiert werden
und es muss zu einer Konzentration der Mittel auf die ärmsten neuen
Mitgliedstaaten
kommen. Dies bedeutet auch eine gewisse Umverteilung von den derzeitigen zu den
zu-
künftigen Kohäsionsländern. In Summe können dadurch
erhebliche Mittel mobilisiert werden.
Zu 22.:
Die Position der Bundesregierung beruht auf der Solidarität mit den beitretenden Staaten bei
gleichzeitiger Berücksichtigung der inhaltlichen und finanziellen Interessen Österreichs.
Österreichs Interesse an einem schnellen
Aufholprozess seiner östlichen Nachbarländer
liegt auf der Hand, da nur ein dynamisches
Wachstum jenseits der Grenzen auch diesseits
eine dynamische Entwicklung garantiert. Da der Anpassungsdruck besonders in den
Grenz-
regionen hoch sein wird, müssen auch hier geeignete
Unterstützungsmaßnahmen gesetzt
werden. Österreich ist diesbezüglich auf EU-Ebene bereits erfolgreich
initiativ geworden.
Zu 23.:
Vorerst ist darauf hinzuweisen, dass die
Beantwortung dieser Frage die Festlegung gewisser
Annahmen erfordert, wobei dies für den Agrarbereich weniger problematisch
ist als bei der
Strukturpolitik. Die Regeln für die Strukturpolitik gelten nur bis
einschließlich 2006 und
müssen daher für die Zeit danach neu festgelegt werden, wobei bei
diesen Entscheidungen
die neuen Mitgliedstaaten schon mitwirken werden. Die nachfolgenden
Schätzungen gehen
von der Hypothese aus, dass im Bereich der EU Struktur- und
Kohäsionspolitik die er-
weiterungsbedingt notwendigen Strukturreformen nicht in Angriff genommen werden
und im
Wesentlichen die Besitzstände gewahrt bleiben.
Unter der weiteren Annahme,
dass in der Agrarpolitik eine einschleifende Gewährung von
Direktzahlungen für Landwirte in den zehn neuen Mitgliedstaaten erfolgt,
wird der öster-
reichische Bruttobeitrag im Jahr 2006 (Ende der derzeitigen finanziellen
Vorausschau) nach
einer ersten Grobschätzung rd. 3 Mrd. € zu laufenden Preisen
betragen. Danach ist mit
einem Anstieg bis 2013 auf 3,5 Mrd. € zu rechnen.
Zu 24. und 25.:
Ja, diese Vorschläge gibt es. Höhere Effizienz könnte aus der Sicht des Bundesministeriums
für Finanzen durch eine Degression der Direktzahlungen erreicht werden, welche die Fix-
kosten-Degression widerspiegelt. Eine zeitliche Degression der Direktzahlungen wäre zu
prüfen, weil es meines Erachtens dem Kriterium des effizienten Mitteleinsatzes widerspricht,
auf alle Zeiten für historische Preissenkungen einen Ausgleich zu gewähren.
Besonders förderlich für die Effizienz des Mitteleinsatzes wäre eine Kofinanzierung, wie sie
bereits im Rahmen der ländlichen Entwicklung erfolgt:
•
Einerseits würde die Verantwortung für die inhaltliche Gestaltung der
Gemeinsamen
Agrarpolitik und für deren Kosten wieder zusammengeführt. Dies
würde zu höherem
Kostenbewusstsein bei den einzelnen Mitgliedstaaten führen und aller
Voraussicht nach
die Ausgabenentwicklung bremsen.
•
Andererseits ist zu bedenken, dass die nationale Kofinanzierung angesichts der
Netto-
zahlerposition Österreichs im Rahmen der Markteingriffe und
Direktzahlungen der GAP
per Saldo zu einer Entlastung der österreichischen öffentlichen
Haushalte führen und die
vorrangige Zielsetzung der
Bundesregierung unterstützen würde, den Bundeshaushalt
zu sanieren.
Außerdem müssen die vielfältigen
Maßnahmen im Bereich der ländlichen Entwicklung
laufend evaluiert werden.