3528/AB XXI.GP
Eingelangt am: 26.04.2002
BM für soziale Sicherheit und Generationen
Ich beantworte die an mich gerichtete
schriftliche parlamentarische Anfrage
Nr.
3556/J der Abgeordneten Miedl und Kollegen wie folgt:
Fragen 1 und 2:
Die Zahl der Suchtgiftabhängigen bzw.
der problematischen Drogenkonsumenten
(häufigerer Gebrauch von so genannten “harten Drogen", vor
allem Heroin) lässt sich
auf Basis wissenschaftlicher Prävalenzschätzungen lediglich
annäherungsweise er-
mitteln. Im Jahr 2000 lagen erstmals Ergebnisse einer
gesamtösterreichischen wis-
senschaftlichen Prävalenzschätzung für den Untersuchungszeitraum
1994/1995 vor
(Bericht zur Drogensituation 2000, OBIG). Die aktualisierte Berechnung für
die Jahre
1996 bis 2000 ergab für Gesamtösterreich geschätzte 16.000 bis
19.000 Heroinab-
hängige bzw. problematische Opiatkonsumenten, davon etwa die Hälfte
in Wien. Die
diesbezügliche Situation wird auf diesem Niveau als stabil
eingeschätzt. Diese An-
nahme bestätigt sich auch durch den Jahresbericht der Europäischen
Beobach-
tungsstelle für Drogen und Drogensucht.
Frage 3:
Die Durchschnittsdosierung liegt in der
Substitutionsbehandlung zwischen 80 und
120 mg bei Methadon und wird eher selten überschritten. Niedrigere
Einstellungen
kommen vor. Es ist jedoch
darauf zu achten, dass in der Substitutionsbehandlung
nicht unterdosiert und dadurch illegaler Beikonsum gefördert wird. Es ist
- wie bei
allen anderen medizinisch
indizierten medikamentösen Behandlungen - die im kon-
kreten Fall adäquate Dosierung zu finden. Es kann daher kein
gesundheitspoliti-
sches Ziel sein, möglichst geringe Dosen zu verordnen.
Frage 4:
Die Zahl der meinem Ressort
jährlich gemeldeten Substitutionspatientinnen ist von
1.538 Personen im Jahr 1991 auf 4.893 im Jahr 2001 gestiegen. Seit etwa Mitte
der
90er Jahre gibt es einen Trend zur Diversifikation, sodass seither zunehmend
auch
andere Substanzen als Methadon zur Substitution eingesetzt werden. Ziel ist es,
das
jeweils optimale Mittel für eine bestimmte Person zu finden.
Verfügbare Daten aus
den Bundesländern zeigen, dass in den letzten Jahren etwa 20 bis 40 % der
Substi-
tutionspatientinnen mit anderen Substanzen (retardierte Morphine, Buprenorphin
etc.) als Methadon behandelt wurden. Hinsichtlich des Verhältnisses
zwischen Me-
thadon vs. Retard-Morphin besteht ein West-Ost-Gefälle. Hohe Anteile Morphinsub-
stituierter befinden sich in Vorarlberg und Tirol, auch in Oberösterreich,
während
Wien in dieser Hinsicht eher einen traditionellen Weg geht.
Frage 5:
Diese Frage ist aufgrund der
Komplexität der Verhältnisse nicht generell zu beant-
worten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die meisten Suchtkranken
nicht
nur eine Droge nehmen. Vielmehr wird das Problem dadurch verschärft, dass
der
überwiegende Anteil der Suchtkranken polytoxikomane
Abhängigkeitsmuster auf-
weist. In den meisten Fällen gibt es aber eine "Leitdroge".
Bei Morphinabhängigkeit
(z.B. Heroin) kann die Indikation zur Substitution gegeben
sein. Der Gebrauch illegal erworbener Morphinpräparate geht bei aufrechter
Substi-
tution und fallgerechter Dosierung eindeutig zurück. Die Wirkung von
Substanzen,
die vorher parallel zu Morphin (Heroin) eingenommen wurden, wird von der
Substitu-
tion aber nicht beeinflusst; ebenso wenig dementsprechend das Bedürfnis,
diese
weiterhin zu nehmen. Ganz zu beseitigen ist das Bedürfnis nach Beigebrauch
oft
auch im Rahmen der Substitutionsbehandlung nicht, wobei jedoch weniger die Gier
nach der Substanz selbst als nach der Applikationsform (Injizieren) die
Hauptmotiva-
tion repräsentiert. Daher ist es wichtig zu betonen, dass die
Substitutionsbehandlung
sich nicht allein auf das Verschreiben des Ersatzmittels beschränken darf,
sondern
eine entsprechende psychosoziale Begleitbetreuung unbedingt integraler
Bestandteil
der Substitutionsbehandlung sein muss, in deren Rahmen u.a. auch auf diese
Prob-
lematik eingegangen wird.
Überdies ist festzuhalten, dass
der/die behandelnde Arzt/Ärztin regelmäßig Behand-
lungskontrollen wie Prüfung des Gesundheitszustandes und Harnkontrollen
durchzu-
führen hat, ein (regelmäßiger) polytoxikomaner Beikonsum bei
regulär durchgeführ-
ter Substitutionsbehandlung dürfte daher nicht die Regel sein.
Fragen 6 und 7:
Die für Österreich und auf
internationaler Ebene verfügbaren Ergebnisse von
Evaluationen und Begleitstudien zur Substitutionsbehandlung insgesamt - welches
geeignete Mittel auch immer eingesetzt wird - zeigen deutliche
Behandlungserfolge,
insbesondere Stabilisierung bezüglich des Lebensunterhalts,
ausgeprägte Verbesse-
rungen des Gesundheitszustands, Zunahme der Erwerbstätigkeit, Abnahme der
De-
linquenz, positive Einschätzung der seelischen und körperlichen
Befindlichkeit.
Beim Einsatz von
Buprenorphin bei schwangeren Drogenabhängigen zeigen öster-
reichische Studienergebnisse
deutliche Erfolge im Hinblick auf die Reduktion des
neonatalen Entzugssyndroms der Säuglinge.
Weiters gibt es diverse Vergleichsstudien
verschiedener Substitutionsmittel, die auf
eine Untersuchung der Nebenwirkungen, des Wohlbefindens und der
Lebensqualität
bei den behandelten Patientinnen abzielten und für alle Substanzen
Verbesserun-
gen im Zuge der Behandlung feststellten. Generell herrscht in der Fachwelt
Einigkeit,
dass es das “optimale" Substitutionsmittel für alle
Drogenabhängigen nicht gibt, son-
dern das jeweils “geeignetste" unter Berücksichtigung der individuellen
Situation der
Patientinnen angewendet werden soll.
Frage 8:
Diesbezügliche Zahlen
werden erst verfügbar sein, wenn ein österreichweites ein-
heitliches Patientlnnendokumentationssystem eingeführt ist. Ein
entsprechendes
Projekt, das auf die Entwicklung und Einführung eines österreichweit
standardisier-
ten Dokumentations- und Berichtssystems der Therapieeinrichtungen abzielt,
läuft
derzeit in meinem Ressort.
Frage 9:
Die jährlichen Kosten der
Krankenversicherungsträger für die Verordnung von Me-
thadon belaufen sich wie folgt, wobei darauf hingewiesen wird, dass ein
Vergleich
der genannten Daten nicht möglich ist, weil nicht alle Zahlen bloße
Methadon-
Drogensubstitutionen umfassen, sondern teilweise auch Schmerztherapien.
WGKK (reine Methadonsubstitution):
1990.............................166.172€
1991.............................213.666€
1992.............................270.667€
1993...............................348.499 €
1994.............................409.219€
1995.............................516.684€
1996.............................579,009€
1997.............................593.192€
1998.............................704.988€
1999.............................763.065€
2000.............................911.455€
2001.............................944.747€
NÖGKK (reine Methadonsubstitution):
2000...............................79.233€
2001...............................66.755€
OÖGKK (reine Methadonsubstitution):
1998...............................92.514€
1999.............................147.593€
2000..............................150.726€
2001...............................130.000 €
KGKK (alle Methadonfälle - nicht nur Drogensubstitution):
2000...............................34.207€
2001 ...................................46.551 €
SGKK:
2000...............................80.957€
2001 ..................................80.957 €
TGKK:
Seit 1997 sind keine Werte vorhanden, da
seit der vollelektronischen Rezept-
abrechnung für die Erfassung der Methadonrezepte keine eigene Pharmanummer
verwendet wird. Außerdem werden ab 1997 anstelle von Methadon auch andere
Er-
satzdrogen bewilligt, weshalb eine Auswertung der Methadonrezepte nicht mehr
aus-
sagekräftig ist.
1993...............................97.963€
1994.............................103.995€
1995...............................151.886€
1996..............................179.502€
Von den anderen Gebietskrankenkassen
(BGKK, StGKK und VGKK) liegen keine
Daten vor.
Frage 10:
An durchschnittlichen, jährlichen
Kosten für einen Methadonpatienten konnten fol-
gende Beträge ermittelt werden:
OÖGKK.................................485 €
TGKK...............................1.560€
Die übrigen
Gebietskrankenkassen können darüber keine Aussage treffen, weil
bloß
eine Kostenzuteilung pro Verordnung möglich ist. Es ist aber nicht
feststellbar, wie
viele Verordnungen auf einen Patienten/eine Patientin jährlich entfallen.
Um zu einer realistischen ökonomischen
Kosteneinschätzung zu gelangen, ist je-
doch auch zu berücksichtigen, dass durch die Substitutionsbehandlung
Kosten, die
ansonsten durch Begleitkriminalität oder verminderte bzw. nicht gegebene
Erwerbs-
fähigkeit entstünden, wesentlich reduziert werden können.
Frage 11:
Substituierende
Maßnahmen sind in Österreich inzwischen ein
selbstverständlicher
Teil des Angebotsspektrums der Drogenhilfe und stellen eine wichtige
Behandlungs-
form/-alternative für Opiatabhängige dar. Die verfügbaren
Evaluationsergebnisse
sowie die Erfahrungen aus der Praxis zeigen viele aus
gesundheitsbehördlicher
Sicht positive Effekte dieser Behandlungsform. So wird durch die
Substitutionsbe-
handlung auch ein indirekter Effekt erzielt, da sie dazu beiträgt,
Infektionskrankheiten
wie Hepatitis A, B und C und die Übertragung von HIV zu vermindern.
Die Substitutionsbehandlung ist ein wichtiges Element eines differenzierten
Behand-
lungs- und Betreuungssystems, ist aber - im Sinne der Zielgruppenorientierung -
nicht auf Methadon beschränkt, sondern erlaubt auch die Substitution mit
anderen
Ersatzmitteln.
Frage 12:
Neben Methadon werden in Österreich
vor allem retardierte Morphine und Bupre-
norphin (Subutex) eingesetzt.
Frage 13:
Eine derartige Initiative ist derzeit für Österreich nicht in Aussicht genommen.
Fragen 14 und 15:
“Detox 5" ist ein Angebot im
Rahmen des Rapidentzuges und der Substitution mit
Opiatantagonisten und wird auch in Österreich angeboten. Die Methode ist
geeignet
für Opiatabhängige mit guter Motivation und dem festen Willen,
Abstinenz zu erzie-
len, die sich in einem relativ guten körperlichen Zustand befinden, auf
gute Unter-
stützung durch Freundinnen oder Familienangehörige zählen
können und deren so-
ziale und berufliche Rehabilitation realistisch ist. Nicht geeignet ist sie
jedoch für
psychosozial instabile Patientinnen, psychiatrisch höhergradig komorbide
Patientin-
nen, leberkranke Patientinnen, Patientinnen, deren Hirnfunktion geschädigt
ist sowie
für Patientinnen mit Herz-Kreislaufproblemen und schwangere Frauen.
Folgende Nebenwirkungen sind bekannt:
Schwere Magen-Darmkrämpfe, Gelbfär-
bung der Augen und der Haut, Verfärbung des Urins, Verstopfung oder
Durchfall,
Kopfschmerzen, Gelenks- und Muskelschmerzen, Erbrechen oder Übelkeit,
Gereizt-
heit,
Antriebslosigkeit, Angst, Schlafstörungen, Depression.
Der bedeutsamste problematische Effekt
besteht darin, dass die Opiattoleranz stark
absinkt und dass bei einem
Rückfall bereits eine kleine Dosis eines Opiats eine
eventuell tödlich verlaufende Überdosierung bedeuten kann. Eine
weitere Beein-
trächtigung besteht
darin, dass Gebraucherinnen von Naltrexon und ähnlichen Anta-
gonisten nicht mit Opiaten behandelt werden können, wenn sie unter akuten
Schmerzzuständen leiden und dass auch bei Narkose entsprechende Vorsichts-
maßnahmen getroffen werden müssen. Patientinnen unter Naltrexon
müssen daher
mit einem entsprechenden Ausweis ausgestattet werden.
Festzuhalten ist weiters, dass die
Langzeitauswirkungen einer chronischen Blockade
der Opiatrezeptoren noch nicht ausreichend erforscht sind.
International wird die
Methode kontroversiell beurteilt. Alle Autorinnen stimmen aber
darin überein, dass sie nur für entsprechend gut motivierte
Patientinnen geeignet ist,
einige sind der Ansicht, dass von ihr nur 10-20 % der Abhängigen
profitieren können.
Die Methode ist dementsprechend nicht als flächendeckende Behandlungsform
ge-
eignet, ist aber in der Hand des Arztes/der Ärztin ein gutes Instrument
für entspre-
chend ausgewählte Patientinnen.
Beobachtungen über
mangelhafte Adherence bei nicht ausreichend sorgfältig aus-
gewählten Patientinnen und das hohe
Morbididäts-Mortalitäts-Risiko bei Rückfällen
sowie die beschriebenen Nebenwirkungen lassen es nicht zu, die Methode als
medi-
zinische Methode erster Wahl und als gesundheitspolitisch vorrangig zu
definieren.
Frage 16:
In der stationären Behandlung von
Abhängigen von illegalen Drogen ist zwi-
schen dem körperlichen Entzug (bis zum Abklingen der körperlichen
Entzugs-
erscheinungen) und der Entwöhnungsbehandlung zu unterscheiden. Bei der
Entwöhnungsbehandlung wird mit psychologischer, sozialer und medizinischer
Unterstützung die individuelle Bindung an das Suchtmittel gelöst und
durch
biographisch sinnvolle Ziele und Bindungen ersetzt. Während der
körperliche
Entzug nur wenige Tage bzw. Wochen dauert und an den meisten psychiatri-
schen Abteilungen der Krankenanstalten bzw. auch an einzelnen spezialisier-
ten Einrichtungen durchgeführt wird, existieren für die
Entwöhnungs-
behandlung -je nach Dauer- Kurz- bzw. Langzeittherapieprogramme.
Auf Basis der verfügbaren Daten gibt
es in Österreich zehn Einrichtungen, die statio-
näre Langzeittherapie für Abhängige von illegalen Drogen
anbieten, sieben Einrich-
tungen verfügen über Programme zur stationären Kurzzeittherapie
für die genannte
Zielgruppe. Dabei ist zu beachten, dass die einzelnen
(Träger)-Einrichtungen ihre
Programme zum Teil an verschiedenen Orten anbieten.
Nach Bundesländern differenziert
stellt sich folgendes Bild dar:
Bei der stationären Langzeittherapie ist die Nähe der Einrichtung zum
Wohnort der
Patientin/des Patienten keine wesentliche Voraussetzung. Daher versorgen die
meisten Einrichtungen Patientinnen aus mehreren Bundesländern. So betreut
bei-
spielsweise die in Niederösterreich angesiedelte Einrichtung
“Grüner Kreis" Patien-
tInnen aus allen Bundesländern. Bezogen auf den Standort der Einrichtung
existie-
ren diesbezügliche Angebote in allen Bundesländern - außer im
Burgenland, in
Salzburg und in der Steiermark.
Bei der
Kurzzeittherapie spielt die regionale Verfügbarkeit eine große
Rolle, da sich
diese Therapieform insbesondere auch an Personen mit vorhandener sozialer
Integ-
ration richtet. Derzeit gibt es Angebote in Niederösterreich, in der
Steiermark, in Tirol,
Vorarlberg und Wien. Der
Bereich ist allerdings in Entwicklung - so plant beispiels-
weise die Oberösterreichische Einrichtung “Erlenhof ein flexibleres
Programmange-
bot mit unterschiedlichen Laufzeiten.
Im Auftrag meines Ressorts wurde vom
österreichischen Institut für Gesundheitswe-
sen (OBIG) im Jahr 2000 eine Erhebung durchgeführt, an der sich die
meisten rele-
vanten Einrichtungen, die auf die Behandlung von Abhängigen von illegalen
Drogen
spezialisiert sind, beteiligten. Demnach stehen in Österreich im Bereich
der Langzeit-
therapie mindestens 320 und im Bereich der Kurzzeittherapie mindestens 60
Therapieplätze zur Verfügung. Die genauen Zahlen liegen allerdings
etwas höher, da
sich nicht alle Einrichtungen an der Erhebung beteiligt haben.
Es ist aus meiner Sicht daher
davon auszugehen, dass der Bedarf größer ist als das
derzeitige Angebot im Bereich
der Langzeittherapie. Es wird daher verstärkt darauf
zu achten sein, dass
insbesondere auf Länderebene Einrichtungen und Angebote zu
einer vermehrt in Anspruch genommenen Entwöhnung auf Basis praxisbezogener
qualitätsgerichteter Kriterien geschaffen werden. Ich habe mein Ressort in
diesem
Zusammenhang beauftragt, noch ausstehende Daten über die tatsächlich
bestehen-
den und genützten Angebote einzufordern und auszuwerten, um daraus die
notwen-
digen Strukturverbesserungen ableiten und umsetzen zu können. Erst durch
eine
lückenlose Dokumentation der in diesem Bereich erbrachten Leistungen ist
eine
bundesweite auf Standards ausgerichtete Qualitätsbeurteilung sinnvoll.