3686/AB XXI.GP

Eingelangt am: 03.06.2002

BM für soziale Sicherheit und Generationen

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische Anfrage

Nr. 3715/J der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde,


wie folgt:

Vorweg weise ich Ihre Behauptung auf das Allerschärfste zurück. Meine Beantwor-
tung der Anfrage Nr. 3715/J richtet sich nach den in Österreich geltenden und vom
Nationalrat, dem Sie angehören, beschlossenen Rechtsgrundlagen. Eine weitere
Erklärung zur Einleitung der vorliegenden Anfrage erübrigt sich daher. Der Einlei-
tungstext ist ein Sinnbild dafür, wie die angeführte Abgeordnete des Hohen Hauses
ihre Funktion selbst bewertet.

Fragen 1 bis 4(1. Satz):

Bei diesen Fragen handelt es sich nicht um Angelegenheiten der Vollziehung. Um
Wiederholungen zu vermeiden, darf ich daher auf meine Ausführungen in der Be-
antwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 3359/J verweisen.

Im Übrigen findet sich die von den anfragestellenden Abgeordneten offensichtlich
kritisierte Bestimmung bereits in der Stammfassung des ASVG, BGBI. Nr. 189/1955.
Sollten konkrete Härtefälle bekannt sein, ersuche ich, mir diese bekannt zu geben.

Fragen 4 (2. Satz), 6 und 12 bis 16:

Wie bereits aus der Beantwortung der Anfrage Nr. 3359/J hervorgeht, sind Verurtei-
lungen aufgrund von Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung und den übrigen in der An-
frage angeführten militärischen Delikten dann Grundlage für einen Anspruch nach
dem Opferfürsorgegesetz, wenn es sich hiebei um einen Einsatz für ein freies, de-
mokratisches Österreich im Sinne des § 1 Abs. 1 OFG gehandelt hat.

Das Zutreffen der Voraussetzungen ist jeweils im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu
beurteilen.


Frage 5:

Die bereits in der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage Nr. 3359/J geschil-
derte Ersatzzeitenregelung ist - wie gesagt - seit der Stammfassung des ASVG,
also seit dem Jahr 1956, Rechtsbestand der österreichischen Sozialversicherungs-
gesetze. Bis dato ist an mich bzw. mein Ressort kein Fall herangetragen worden, der
zu einer Gesetzesänderung durch den Nationalrat Anlass gegeben hätte.

Frage 7:

Als Ersatzzeiten gemäß § 228 Abs. 1 ASVG aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956
gelten Zeiten, in denen ein Versicherter (der am Stichtag die österreichische Staats-
bürgerschaft besitzt) während des ersten oder zweiten Weltkrieges Kriegsdienst ge-
leistet oder sich in Kriegsgefangenschaft befunden hat.

Eine Unterscheidung zwischen Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft oder Kriegs-
verbrechen sieht das ASVG nicht vor.

Frage 8:

Hinsichtlich des Tatbestandes Kriegsverbrechen kommen andere Gesetze zur An-
wendung. Da die Waffen-SS ein Bestandteil der Wehrmacht war, wird ehemaligen
Angehörigen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Dienstzeit ab Kriegs-
beginn als Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z 1 lit. a ASVG angerechnet.

Nicht als Ersatzzeiten gelten die Dienstzeiten von Angehörigen der Totenkopf-
wachsturmbanne, des Sicherheitsdienstes (SD), der Geheimen Staatspolizei
(Gestapo), der Stäbe der allgemeinen SS, des SS-Rasse- und Siedlungshauptam-
tes, des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums (RKF), der
Leitstelle für Ein- und Rückwanderung, der Dienststelle (später Staatshauptamt) RKF
und der Volksdeutschen Mittelstelle (Vomi).

Die Zeit einer unerlaubten Entfernung von der Truppe bzw. die Zeit der Desertion
sind grundsätzlich bis zur Entlassung aus dem militärischen Dienst als Ersatzzeiten
der Wehr- bzw. Kriegsdienstleistung anzurechnen.

Hingegen können Zeiten einer wegen Desertion verhängten Haft in Gefängnissen,
Wehrmachtsstraf- und Konzentrationslagern nach der Entlassung aus dem militäri-
schen Dienst grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in der österreichischen Pensions-
versicherung angerechnet werden, da Voraussetzung für die Anrechnung einer Er-
satzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z 4 ASVG ist, dass die Freiheitsbeschränkung nicht auf
Grund einer Tat erfolgt, die nach österreichischen Gesetzen im Zeitpunkt der Bege-
hung strafbar war oder strafbar gewesen wäre.

Fragen 9 und 10:

Für Zeiten der Haft auf Grund einer Verurteilung nach § 5 Kriegssonderstrafrechts-
verordnung sieht das ASVG keine Möglichkeit der Anrechnung einer Ersatzzeit vor.


Frage 11:

Bei Zeugen Jehovas ist zu prüfen, ob die Verurteilung auf Grund der Wehrdienst-
verweigerung (keine Anrechnung von Ersatzzeiten möglich) oder ihres Glaubens
erfolgte.

Im Falle einer Verurteilung aus religiösen Gründen ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine
Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z 4 ASVG anerkannt werden kann bzw. ob allenfalls
nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 500 ff ASVG eine begünstigte Anrechnung
von Beitragszeiten in der Pensionsversicherung vorzunehmen ist; d.h., dass für Per-
sonen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 (neben den Gründen der
Abstammung bzw. der politischen Überzeugung) aus religiösen Gründen eine Frei-
heitsstrafe verbüßt haben, diese Zeiten in der Pensionsversicherung als Beitragszei-
ten gemäß §§ 500 ff ASVG angerechnet werden.

Frage 17:

In der Anfragebeantwortung wurde deshalb auf die Opfer des Kampfes im Sinne des
§ 1 Abs. 1 OFG Bezug genommen, da sich die Anfrage Nr. 3359/J durchgehend auf
Aktivitäten (vor allem Desertion und Wehrdienstverweigerung) bezog, die im Falle
einer (durch vorhergehende bzw. nachfolgende antinationalsozialistische Tätigkeit)
nachgewiesenen politischen Motivierung in der Regel als rückhaltloser Einsatz in
Wort und Tat im Sinne des § 1 Abs. 1 OFG zu werten wären.

Eine Verfolgung aus politischen Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 OFG setzt voraus,
dass dem Täter ein (sonstiges) Verhalten zur Last gelegt wurde, das sich als Aus-
fluss seiner politischen Gesinnung darstellt.

Frage 18:

Ja. Das Zitat in der Anfrage ist jedoch aus dem Zusammenhang gerissen, erlauben
Sie mir daher, die angesprochene Passage in ihrem Zusammenhang wieder-
zugeben:

“Wolf Armin (ORF)

1999 hat das Parlament gegen die Stimmen der FPÖ beschlossen, das Schicksal
der Wehrmachtsdeserteure aufarbeiten zu lassen. Passiert ist seitdem außer ei-
nem Forschungsprojekt nicht viel. Die Grüne Abgeordnete Terezija Stoisits hat bei
Sozialminister Haupt angefragt, ob ehemalige Deserteure für die Zeit ihrer Haft-
strafen Pensionszeiten angerechnet bekommen können, wie Wehrmacht- oder
Gestapooffiziere für ihre Dienstzeit. Die Antwort des Sozialministers: Nein, das sei
nicht möglich. Ein Interview wollte Sozialminister Haupt der ZiB 2 nicht geben. Ein
Beamter muss uns die Rechtslage erklären.

Sommer Reinhard (Sozialministerium)

Die geltende Rechtslage stellt darauf ab, ob diese Tat nach damaligen fiktiven
Recht strafbar war, oder nicht. Die unerlaubte Entfernung von der Truppe war da-
mals strafbar, ist auch heute strafbar, ist wahrscheinlich in jeder anderen Armee
auch strafbar. Und damit kann das nicht Ersatzzeit sein.


Wolf Armin (ORF)

Ist das nicht ein bisschen eine zynische Argumentation, zu sagen, eine Desertion
aus der deutschen Wehrmacht, die wie man weiß auch viele Verbrechen verübt
hat, ist gleichzusetzen mit einer Desertion, wie zum Beispiel aus dem österreichi-
schen Bundesheer?

Sommer Reinhard (Sozialministerium)

Das ist eine nachträgliche moralische Beurteilung, die nicht relevant ist für die Be-
urteilung."