3709/AB XXI.GP
Eingelangt am: 12.06.2002
BM für Justiz
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Dr. Maria Theresia
FEKTER, Kolleginnen
und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend
“Vorführung eines
16-jährigen
Schülers zur Zeugenaussage" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
§ 242 StPO regelt die möglichen Folgen, wenn
Zeugen - der an sie ergangenen
Vorladung ungeachtet - bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen (Der in der
An-
frage zitierte § 159 StPO betrifft Vorladungen im Vorverfahren). Demnach
kann das
Gericht die ,ungesäumte‘
Vorführung verfügen. Wenn das Gericht die Hauptverhand-
lung vertagt, kann - neben anderen Rechtsfolgen - ein Vorführungsbefehl
erlassen
werden, um das Erscheinen des Zeugen bei der neu angeordneten Verhandlung zu
sichern.
In
dem aus Anlass dieser Anfrage eingeholten Bericht führt der Präsident
des Lan-
desgerichtes für Strafsachen Wien aus, dass der zuständige
Einzelrichter im vorlie-
genden Verfahren - nachdem der jugendliche Zeuge (ebenso wie der Beschuldigte)
zur Hauptverhandlung nicht erschienen war - die Hauptverhandlung auf unbestimm-
te Zeit vertagt und polizeiliche Ermittlungen angeordnet hatte, um den
Zustellvor-
gang und damit die
Voraussetzungen für eine allfällige Vorführung zu prüfen.
Dem
Ersuchen des Richters um Überprüfung der Ortsanwesenheit folgend,
berichtete das
Bezirkspolizeikommissariat Penzing schriftlich, dass die Mutter des
Jugendlichen
angegeben habe, ihr Sohn sei zum Hinterlegungszeitraum ortsanwesend gewesen.
Daraufhin ordnete der Richter die Vorführung des Zeugen zur Hauptverhandlung
an.
In der Zwischenzeit hatte offenbar die Mutter des
jugendlichen Zeugen den zustän-
digen Einzelrichter telefonisch kontaktiert, um das Nichterscheinen ihres
Sohnes zu
entschuldigen. Das von ihr auf Aufforderung des Richters verfasste Schreiben,
wel-
ches der gegen den Richter erstatteten Strafanzeige in Kopie beiliegt, findet
sich
nicht
im Akt.
Zu 2:
Ich weise zunächst darauf hin, dass die Ladung von Zeugen eine Angelegenheit der
unabhängigen Rechtsprechung ist. Die
Strafprozessordnung sieht - im Gegensatz
zur Zivilprozessordnung - keine verhandlungsfreien Zeiten vor. Eine gesetzlich
an-
geordnete Rücksichtnahme auf Ferienzeiten würde dem im Artikel 6 der
Konvention
zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) festgelegten An-
spruch (etwa eines Beschuldigten) zuwiderlaufen, Gerichtsverfahren innerhalb
einer
angemessenen Frist abzuwickeln.
Zu 3:
Nach
dem mir vorliegenden Bericht befindet sich das von der Mutter des jugendli-
chen Zeugen verfasste (und deren Anzeige in Kopie beigelegte) Schreiben, mit
dem
das Nichterscheinen ihres Sohnes zur Hauptverhandlung entschuldigt wurde, nicht
im Akt. Der Verbleib dieses Schreibens konnte nicht geklärt werden. Der
Richter
kann sich zwar an ein Telefonat mit der Mutter des jugendlichen Zeugen, aber
nicht
mehr an dessen Inhalt erinnern. Er nimmt an, sie zu einer schriftlichen
Äußerung
aufgefordert zu haben, wie er das immer tue. Unverständlich ist, dass der
Richter
über das mit der Mutter des jugendlichen Zeugen geführte Telefonat
keinen Vermerk
aufgenommen hat. Die Gefahr des Vergessens ist einer derartigen Vorgangsweise
schon allein im Hinblick auf
die umfangreiche Tätigkeit eines Richters geradezu im-
manent. Meines Erachtens wurde hiedurch letztlich auch die Vorgangsweise veran-
lasst, über deren zumindest mangelnde Sensibilität, die im
Übrigen auch vom Rich-
ter selbst zugestanden wurde,
nicht zu diskutieren ist.
Zu 4, 6 bis 8:
Wegen der Vorführung des jugendlichen Zeugen im Verfahren 5 c EVr 8390/01,
Hv 5469/01, des Landesgerichtes für Strafsachen Wien
ist derzeit (auf Grund eines
Schreibens der Mutter des Schülers an die Oberstaatsanwaltschaft Wien vom
15. April 2002) bei der Staatsanwaltschaft Wien ein Strafverfahren gegen den
Ein-
zelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, der die
Vorführung angeordnet
hatte, wegen § 303 StGB anhängig. Die Ergebnisse
dieses Strafverfahrens sind zu-
nächst abzuwarten. Der nach § 1 Abs. 1 Z 22 der Dienstrechtsverfahrensverordnung
1981 für Feststellungen und Verfügungen in Disziplinarangelegenheiten
zuständige
Präsident des Oberlandesgerichtes Wien ist über die Angelegenheit
informiert. Die
Vorgangsweise des Richters, einen durch eine strafbare Handlung
geschädigten Ju-
gendlichen als Zeugen zur Hauptverhandlung vorführen zu lassen, stellt
zweifellos
einen - äußerst bedauerlichen - Einzelfall dar. Der Präsident
des Landesgerichtes für
Strafsachen Wien hat angekündigt, die Frage auch zum Gegenstand der
nächsten
Richterbesprechung zu machen.
Zu 5:
Der Vorfall und die Unbill, die der jugendliche Zeuge erdulden musste, sind sehr zu
bedauern. Der Präsident des Landesgerichtes für
Strafsachen Wien hat die Mutter
des Jugendlichen zu einer Aussprache eingeladen und dabei nicht nur sein Bedau-
ern über den Vorfall zum Ausdruck gebracht und sich hiefür
entschuldigt, sondern
auch angeboten, für ihren Sohn eine Führung durch das Landesgericht
für Strafsa-
chen Wien zu organisieren.