3761/AB XXI.GP

Eingelangt am: 18.06.2002

BM für Wirtschaft und Arbeit

 

In Beantwortung der schriftlichen parlamentarischen Anfrage Nr. 3796/J betreffend
Rückzug des Staates aus Wirtschaft und Gesellschaft durch Deregulierung von
Dienstleistungen, welche die Abgeordneten Heidrun Silhavy, Kolleginnen und Kolle-
gen am 18. April 2002 an mich richteten, stelle ich fest:

Antwort zu Punkt 1 der Anfrage:

Im GATS findet sich keine Definition des Begriffes “Dienstleistungen". Es wird ledig-
lich bestimmt, was unter Dienstleistungshandel zu verstehen ist. Dabei wird zwi-
schen vier Dienstleistungserbringungsarten (modes) unterschieden.

Bezogen auf die Dienstleistungsaktivitäten ist das GATS umfassend angelegt. Es
umfasst grundsätzlich alle kommerziell handelbaren Dienstleistungen mit Ausnahme
der öffentlichen Dienstleistungen und bestimmter Luftverkehrsdienstleistungen (Ver-
kehrsrechte und mit der Ausübung dieser im Zusammenhang stehende Dienstleis-
tungen).

Eine gute Orientierung bietet die sektorielle Dienstleistungsklassifikationsliste (MTN.
GNS/W/120 vom 10. Juli 1991 - abrufbar unter
www.wto.org). Jedem Mitglied steht
es jedoch frei, jene Aktivitäten auszuwählen oder zu definieren für die es ausländi-
schen Dienstleistungserbringern freien oder bedingten Marktzugang gewährt.


Antwort zu Punkt 2 der Anfrage:

Zunächst ist anzumerken, dass der Begriff “Deregulierung" in seiner gesamten
Tragweite in Bezug auf das GATS zu weit greift. Das GATS ist kein Abkommen, das
sich die Deregulierung im herkömmlichen Sinn zum Ziel gesetzt hat. Es ist auch nicht
darauf ausgerichtet, das Recht des Staates zur Regulierung einzuschränken. Entge-
gen einer weitverbreiteten Vorstellung wird dieses Recht im GATS sogar ausdrück-
lich garantiert.

Das Hauptaugenmerk des GATS liegt in der Verringerung von Marktzugangshinder-
nissen und Diskriminierungen von ausländischen Dienstleistungsanbietern. Spezifi-
sche Verpflichtungen bzw. Bindungen werden von den Mitgliedern folglich nur im
Hinblick auf den Marktzugang und die Inländerbehandlung ausländischer Anbieter
eingegangen. Das Konzept des Marktzuganges, wie es im GATS verankert ist, um-
fasst ausschließlich quantitative Barrieren und Beschränkungen der Rechtsform, die
in der Regel für In- und Ausländer in gleicher Weise gelten sowie Schranken hin-
sichtlich der Beteiligung von Ausländern an Unternehmen. Nichtdiskriminierung ist
grundsätzlich dann gewährleistet, wenn die Anforderungen an Ausländer nicht stren-
ger sind als an Inländer. Sämtliche staatliche Vorschriften, welche auf die Qualität
der Dienstleistung, auf den Schutz der Konsumenten, der Umwelt oder der sozialen
Sicherheit abzielen - um nur einige zu nennen - können selbstverständlich aufrecht
erhalten werden und unterliegen im GATS keiner, wie immer gearteten, Deregulie-
rungspflicht.

Folglich kann im GATS-Kontext daher von Deregulierung bestenfalls insofern ge-
sprochen werden, als es um den Abbau von spezifischen Marktzugangsschranken
oder von Verletzungen der Inländerbehandlungspflicht gegenüber Ausländern geht.
Genau dies und nicht mehr ist mit Dienstleistungsliberalisierung gemeint. Selbst in
diesem eingeschränkten Wirkungsbereich sind die Vorgaben des GATS sehr flexi-
bel. Eine Automatik ist nicht vorgesehen. Jedes Mitglied entscheidet letztendlich
selbständig, welche Sektoren zu welchen Bedingungen für den internationalen Wett-
bewerb geöffnet werden sollen.


Die Frage nach der Betroffenheit österreichischer Gesetze lässt sich auf Grund des
sehr frühen Stadiums, in dem sich die Verhandlungen momentan befinden, zum jet-
zigen Zeitpunkt nicht beantworten. Das GATS bietet jedenfalls die Möglichkeit, die
Verpflichtungen so zu gestalten, dass die nationalen Interessen gewahrt bleiben
bzw. entsprechend abgesichert werden können.

Antwort zu Punkt 3 der Anfrage:

Die Bedeutung des Begriffes “Deregulierungsbeschlüsse" ist unklar und wird für die
Beantwortung im Sinne allenfalls notwendiger Gesetzesanpassungen als Folge der
Marktzugangsverhandlungen verstanden. Da, wie schon bei Punkt 2 ausgeführt, das
GATS weder einen Automatismus zur Liberalisierung des Handels, noch zur Dere-
gulierung sonstiger Vorschriften vorsieht und jedes Mitglied Marktzugang und Inlän-
derbehandlung in einzelnen Sektoren nach seinen Vorstellungen und in Abhängig-
keit der bestehenden Gesetzeslage sowie der politischen Zielsetzungen gewähren
kann, ist momentan nicht vorhersehbar, wo und ob allenfalls Gesetzesanpassungs-
beschlüsse notwendig werden. Erfahrungen aus der Uruguay-Runde haben gezeigt,
dass in Österreich auf Grund der Ergebnisse dieser Runde keine Gesetzesanpas-
sungen notwendig waren.

Antwort zu Punkt 4 der Anfrage:

Deregulierung erhöht die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes, indem sie wirt-
schaftliche Aktivitäten von bürokratischen Hürden befreit. Letztendlich profitieren da-
von die Konsumenten durch größere Wahlmöglichkeiten und niedrigere Preise.
Deregulierung auf nationaler Ebene kann natürlich nicht bedeuten, dass darunter die
Qualität der Dienstleistungen leidet. Qualitätsstandards und der Zugang zu Dienst-
leistungsberufen sind an den technischen und wirtschaftlichen Fortschritt anzupas-
sen. Des weiteren ist bei Deregulierungsbestrebungen auf gesamtgesellschaftliche
Zielsetzungen, wie beispielsweise die soziale Ausgewogenheit, Bedacht zu nehmen.
Wie jedoch bereits ausgeführt, ist Deregulierung an sich keine Aufgabe des GATS.


Antwort zu Punkt 5 der Anfrage:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Doha eine neue umfassende Welthandels-
runde eingeleitet wurde, die auf eine Dauer von drei Jahren konzipiert ist und nicht
wie die Fragestellung vorgibt, eine neue Runde abgeschlossen worden ist. Ferner
wird angemerkt, dass nicht alle angeführten Punkte der Schlussfolgerungen unmit-
telbare Relevanz für die WTO-“Doha Development Round" besitzen.

Die vom Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten getroffenen
Schlussfolgerungen sind mit der in Doha verabschiedeten Ministererklärung und den
darin enthaltenen Verhandlungsaufträgen grundsätzlich vereinbar. In der Erklärung
wird auf die meisten der in den Schlussfolgerungen enthaltenen Punkte in der einen
oder anderen Form Bezug genommen. Von den Ministern wurden in vielen der an-
geführten Punkte konkrete Verhandlungsmandate erteilt.

Bei der WTO-Ministerkonferenz in Doha wurde die in Singapur verabschiedete Mi-
nistererklärung hinsichtlich der ILO-Kernarbeitsnormen bekräftigt. Darin wird fest-
gehalten, dass die ILO die kompetente Organisation für die Schaffung und Behand-
lung der Kernarbeitsnormen ist. Weiters wird darin auf eine Zusammenarbeit der ILO
und WTO Sekretariate hingewiesen. Zusätzlich wurde in Doha festgehalten, dass die
WTO die Arbeit der ILO über die soziale Dimension der Globalisierung zur Kenntnis
nimmt. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die ILO eine
Weltkommission bestehend aus herausragenden Persönlichkeiten eingerichtet hat,
die bis März 2003 einen Gesamtbericht über die soziale Dimension der Globalisie-
rung erarbeiten soll. Ziel ist, eine Weltgesamtsicht über diese Problematik zu erhal-
ten.

Antwort zu Punkt 6 der Anfrage:

Die österreichische Strategie war und ist stets darauf ausgerichtet, gerade bei sen-
siblen Themen, die in der WTO, etwa auf Grund der Haltung der Entwicklungsländer,
kontroversiell diskutiert werden, den Diskussionsprozess am Laufen zu halten. Bei


vielen der in den besagten Schlussfolgerungen angeführten Punkte ist dies gelun-
gen. Beispielhaft seien die Bereiche Verarbeitungs- und Produktionsmethoden, Vor-
sorgeprinzip oder Arbeitsnormen erwähnt, die in diversen Gremien in- und außerhalb
der WTO weiterbehandelt werden.

Antwort zu Punkt 7 der Anfrage:

Die Dienstleistungsverhandlungen bringen keinen Zwang zur Liberalisierung der öf-
fentlichen Dienstleistungen bzw. Daseinsvorsorge mit sich. Wie schon erwähnt, ist
das GATS flexibel konzipiert. Eine automatische Liberalisierung ist im Rahmen des
GATS nicht denkbar, da letztendlich jedes Mitglied die Bedingungen, zu denen aus-
ländischen Anbietern Marktzugang gewährt wird, selbst bestimmen kann.

Das GATS stipuliert auch keinen Zwang zur Privatisierung von Dienstleistungen der
öffentlichen Daseinsvorsorge. Es ist in dieser Hinsicht vollkommen neutral. Ob eine
Dienstleistung privat, öffentlich oder gemischt angeboten wird, hat jedes Mitglied für
sich selbst zu entscheiden. Das GATS nimmt auf die Gestaltungsmöglichkeiten kei-
nen Einfluss.

Antwort zu den Punkten 8,10 und 11 der Anfrage:

Das (österreichische) Arbeitsrecht ist vom GATS in keiner Weise berührt. Aus diver-
sen GATS-Bestimmungen ergibt sich schlüssig, dass Personen, denen in den natio-
nalen GATS-Listen Zugang eingeräumt wird, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen
des Gastlandes einzuhalten haben. Österreichische Forderungen, die an diesem
Grundsatz rütteln, bestehen nicht und sind auch nicht geplant. Auch sind keine dies-
bezüglichen Forderungen anderer WTO-Mitglieder bekannt.


Antwort zu Punkt 9 der Anfrage:

Die Liberalisierung des Dienstleistungshandels hat nur indirekte Auswirkungen auf
den österreichischen Arbeitsmarkt. Dies deshalb, da Konzessionen hinsichtlich der
Freizügigkeit zum Zwecke der Dienstleistungserbringung grundsätzlich nur den tem-
porären Zugang bzw. den Zugang für die Dauer der Erfüllung eines Dienstleistungs-
auftrages betreffen, nicht jedoch den dauerhaften Zugang zum Arbeitsmarkt. Die
Bewegung von Personen zum Zwecke der Dienstleistungserbringung ist im GATS im
Rahmen der nationalen gesetzlichen Vorgaben (Ausländerbeschäftigungsgesetz)
grundsätzlich frei gestaltbar.

Österreich ist heute ein bedeutender Auslandsinvestor. Um zu gewährleisten, dass
getätigte Auslandsinvestitionen auch von Österreichern verwaltet werden können,
tritt Österreich für ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit und Rechtssicherheit für
Schlüsselkräfte ein.

Antwort zu Punkt 12 der Anfrage:

Die Haltung der EU-Kommission betreffend den in den Fragen 7 bis 11 erwähnten
Bereichen deckt sich mit jener der Mitgliedstaaten. Der Kommission ist bewusst,
dass die Personenfreizügigkeit im Zusammenhang mit dem Dienstleistungshandel
sehr sensibel zu handhaben ist und eine Abwägung zwischen den Interessen der
Wirtschaft und jener der europäischen Arbeitnehmer stattzufinden hat. Wie die Er-
fahrung gezeigt hat, respektiert die Kommission bei der Formulierung der EU-
Positionen in diesem Bereich stets die besonderen Anliegen der Mitgliedstaaten.

Antwort zu Punkt 13 der Anfrage:

Die meisten Staaten sind Mitglieder regionaler Handelsvereinbarungen (Zollunionen,
Freihandelsabkommen oder anderer präferentieller Vereinbarungen). Die Abkom-
men sind an die WTO zu notifizieren. Im Rahmen der WTO werden die Abkommen


auf Basis der einschlägigen WTO-Bestimmungen über regionale Handelsabkommen
geprüft.

Der WTO wurden über die Zeit ca. 200 derartige Abkommen notifiziert. Allein seit
1995 wurden der WTO 100 Vereinbarungen, die den Handel mit Waren der Dienst-
leistungen oder beides betreffen, mitgeteilt. Von den notifizierten Abkommen entfal-
len rund 60% auf Abkommen, die zwischen europäischen Staaten geschlossen wur-
den.

Einen guten Überblick über die regionalen Abkommen bietet eine Studie des WTO-
Sekretariates “Mapping of Regional Trade Agreements (WT/Reg/W/41)", die über die
Homepage der WTO (www.wto.org) abrufbar ist.

Antwort zu Punkt 14 der Anfrage:

Ein unmittelbarer Bezugspunkt zu den öffentlichen Dienstleistungen besteht im um-
fangreichen WTO-Vertragswerk nur im GATS. Für rein öffentliche Dienstleistungen,
die weder mit Gewinnerzielungsabsicht, noch im Wettbewerb mit anderen (privaten)
Anbietern erbracht werden, existiert im GATS eine generelle Ausnahme.

Antwort zu Punkt 15 der Anfrage:

Da die WTO über einen funktionierenden Rechtsdurchsetzungsmechanismus ver-
fügt, ist es durchaus verständlich, dass man versucht, dieses Instrument auch für
andere Bereiche nutzbar zu machen. Die Forderung der Gewerkschaften setzt aber
voraus, dass die WTO Kompetenzen im Bereich der ILO besitzt. Bei der ersten
WTO-Ministerkonferenz in Singapur (1996) wurde aber bereits eindeutig festgelegt,
dass die Kompetenz hinsichtlich der ILO-Kernarbeitsnormen ausschließlich bei der
ILO liegt. Diese Aussage wurde bei der vierten WTO-Ministerkonferenz in Doha

(2001) bestätigt.


Österreich tritt aber in einer langfristigen Perspektive dafür ein, dass die ILO-
Kernübereinkommen in die WTO einzubeziehen wären. Dafür muss aber im Vorfeld
eindeutig geklärt sein, wie dies bewerkstelligt werden kann, ohne den Grundsatz des
Anreizsystems zur Förderung der Arbeitsstandards zu gefährden.

Antwort zu Punkt 16 der Anfrage:

Es kann keine Rede davon sein, dass im Zuge der neuen Dienstleistungsliberalisie-
rungsrunde die Rolle des Staates als Regulator in Frage gestellt wird. Der Staat hat
weiterhin, mit oder ohne GATS, Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen, wo
dies in seine Zuständigkeit fällt. Der Schutz der Interessen der Arbeitnehmer bleibt
eine Kernaufgabe der einzelnen WTO-Mitglieder und deren Regierungen. Die Frage
steht in keinem Zusammenhang mit der WTO.

Antwort zu Punkt 17 der Anfrage:

Im GATS existiert, wie bereits zu Punkt 14 ausgeführt, eine weitgehende, generelle
Ausnahme für öffentliche Dienstleistungen. Diese Ausnahmeklausel sowie der indi-
viduelle Gestaltungsspielraum, welchen das GATS seinen Mitgliedern einräumt, soll
die Gefahr bannen, dass öffentliche Dienstleistungen durch die Handelsliberalisie-
rungen im Rahmen des GATS ausgehöhlt werden.

Antwort zu Punkt 18 der Anfrage:

Die Auswirkungen der in Doha eingeleiteten neuen Verhandlungsrunde auf Öster-
reich sind, da die Verhandlungen, erst am Anfang stehen, noch nicht abschätzbar.
Generell ist jedoch festzuhalten, dass ein stabiles und zugleich anpassungsfähiges
multilaterales Handelssystem für ein stark außenhandelsorientiertes Land wie Öster-
reich von großer Bedeutung ist. Nur durch ein offenes Welthandelssystem können
diese Chancen für Österreich weiterhin gewahrt bzw. ausgebaut werden.


Angesichts der Bedeutung des Dienstleistungshandels ist ein stabiles und vorher-
sehbares rechtliches Umfeld für diesen Bereich für Österreich und die EU von größ-
ter Bedeutung. Das GATS ist dafür das geeignete Instrument. Es ist weder zu rigid,
um wichtige nationale Interessen und Besonderheiten außer Acht zu lassen, noch ist
es so unverbindlich, dass die Rechtssicherheit im internationalen Handel dadurch
unterminiert würde.

Antwort zu Punkt 19 der Anfrage:

Der GATS-Fahrplan sieht vor, dass bis Ende Juni 2002 konkrete Länderforderungen
zu erstellen bzw. auszutauschen sind. Erste Angebote sollen bis März 2003 vorge-
legt werden. Wie die gesamte Welthandelsrunde, sollen die Verhandlungen im
Dienstleistungsbereich mit 1. Jänner 2005 abgeschlossen sein.