3856/AB XXI.GP
Eingelangt am: 12.07.2002
DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ
Die Abgeordneten zum Nationalrat Gabriele Binder,
Kolleginnen und Kollegen haben
an mich eine schriftliche Anfrage betreffend “Strafe und psychologische
Betreuung
von
Sexualtätem" gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu1:
§
56 StVG ordnet an, dass Strafgefangene im Zuge des Strafvollzugs auch erziehe-
risch zu betreuen sind. Soweit dies zur Erreichung des erzieherischen Zweckes
der
Freiheitsstrafe zweckmäßig erscheint, hat diese Betreuung
gemäß § 56 Abs. 2 StVG
auch psychohygienische und psychotherapeutische Maßnahmen zu umfassen. Da
eine solche begleitende psychologische Betreuung im Fall eines Strafgefangenen,
der wegen der wiederholten Begehung von schweren Sexualdelikten verurteilt wor-
den ist, nicht nur als zweckmäßig, sondern geradezu als notwendig
anzusehen ist,
wären vom Leiter der zum Strafvollzug bestimmten Anstalt im Rahmen des
Voll-
zugsplans geeignete Betreuungsmaßnahmen festzulegen.
Seit
1998 werden Insassen, die wegen eines Sexualdeliktes zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt wurden, flächendeckend innerhalb sämtlicher
Justizanstalten erfasst und
ihnen nach Möglichkeit Beratung und Betreuung durch die Therapeutischen
Dienste
angeboten. Dies betrifft auch die Weiterführung von
Betreuungsmaßnahmen nach
Haftentlassung durch externe Beratungsstellen (zB Forensische Nachbetreuungs-
ambulanzen,
Verein "Neustart", "Männerberatungsstellen" etc.).
Mit 1.1.2002 wurde in der Außenstelle Floridsdorf der
Justizanstalt Wien-Mittersteig
eine Zentrale Dokumentations-, Koordinations- und Begutachtungsstelle für
Sexual-
delinquenten eingerichtet, in welcher von Sachverständigen sowohl die
individuelle
Gefährlichkeit von Sexualdelinquenten als auch das konkrete
Rückfallsrisiko einge-
schätzt wird. Auf dieser Grundlage werden sodann auf den einzelnen
Strafgefange-
nen zugeschnittene Behandlungspläne und Vollzugsempfehlungen
ausgearbeitet.
Durch diese vollzugsinterne Begutachtungsstation, die
zusätzlich zu der bereits in
der Justizanstalt Wien-Mittersteig seit über einem Jahrzehnt bestehenden
Begutach-
tungsstation für den Maßnahmenvollzug gem. § 21 Abs. 2 StGB
eingerichtet wurde,
werden innerhalb des österreichischen Strafvollzuges sämtliche
Sexualdelinquenten
erfasst und für mögliche therapeutische Maßnahmen - die jedoch
nur auf freiwilliger
Basis erfolgen können - vorbereitet.
Zusätzlich hat das Bundesministerium für Justiz
in den Bundesländern Wien (Foren-
sische Nachbetreuungsambulanz "FRANZ" in Wien), Steiermark
(Forensische
Nachbetreuungsambulanz "FONAST" in Graz), Oberösterreich
(Forensische Nach-
betreuungsambulanz "FORAM" in Linz) und Tirol
(forensisch-psychiatrische Ambu-
lanz in der Univ. Klinik Innsbruck) Nachbetreuungsambulanzen für
entlassene Sexu-
alstraftäter und Maßnahmenuntergebrachte (§ 21 StGB)
eingerichtet, die auch für
ambulante Maßnahmen innerhalb des Vollzuges zur Verfügung stehen.
Die Leistungen dieser Ambulanzen werden direkt mit dem
Bundesministerium für
Justiz
verrechnet.
Im Zuge dieser vollzugsintemen und externen Betreuungs- und
Behandlungsmaß-
nahmen werden die hiefür notwendigen Dienste unter Hinzukauf externer
Therapie-
leistungen sukzessive ausgebaut und erweitert.
Zu 2:
Eine "österreichische" Rückfallsstatistik bezüglich dieses Personenkreises wird nicht
geführt. Internationale Statistiken zeigen, dass bei
Vergewaltigern die Rückfallrate in
etwa zwischen 10 und 20 % liegt. Je häufiger jemand bereits wegen eines
Sexualde-
liktes verurteilt wurde, desto wahrscheinlicher ist ein Rückfall nach
Beendigung der
Haftstrafe. Bei sexuellem Kindesmissbrauch ist die Rückfallgefahr
höher. Sie liegt -
je nach Vorliegen verschiedener psychiatrischer Störungen - etwa bei 20
bis 40 %.
Eine Sonderauswertung österreichischer
Strafregisterdaten zur Legalbewährung
nach Entlassung aus dem
Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 2 StGB (zurech-
nungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher) einerseits und aus dem
Strafvollzug
(Normalvollzug) nach verbüßten Freiheitsstrafen von mehr als einem
Jahr anderer-
seits hat folgende
Wiederverurteilungsraten (innerhalb von fünf Jahren) der in den
Jahren 1988 bis 1992 entlassenen Sexualstraftäter ergeben:

Diese Daten zeigen, dass zwar die allgemeine
Wiederverurteilungsrate (wegen
strafbarer Handlungen jeder Art) beträchtlich, die Wiederverurteilung
wegen ein-
schlägiger Straftaten (Sexualdelikte) jedoch geringer war als erwartet,
nämlich unter
10 % lag. (Eine genaue wissenschaftliche Darstellung der Ergebnisse dieser
Daten-
auswertung wird demnächst im “Jahrbuch für Rechts- und
Kriminalsoziologie 2001"
erscheinen.)
Zu 3:
Die Einrichtung der zu 1. erwähnte Zentralen Dokumentations-, Koordinations- und
Begutachtungsstation für Sexualdelinquenten soll dazu
beitragen, die Rückfallsquote
von Sexualdelinquenten zu verringern.
Darüber hinaus wurde mit dem am 1.1.2002 in Kraft
getretenen Strafrechtsände-
rungsgesetz 2001, BGBI. l Nr. 130, die Möglichkeit geschaffen, die im Fall
einer be-
dingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung festgesetzte Probezeit zu
verlän-
gern, wenn der Rechtsbrecher Weisungen (etwa die, sich einer psychotherapeuti-
schen Behandlung zu
unterziehen) nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluss
seines Bewährungshelfers entzieht. Im Fall der bedingten Entlassung aus
einer le-
benslangen Freiheitsstrafe
oder aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher
(§ 21 StGB) kann die
Probezeit bei Vorliegen besonderer Gründe auch wiederholt
verlängert werden. Diese Maßnahmen stellen Druckmittel dar, mit
welchen als be-
handlungsbedürftig und rückfallsgefährdet
erkannte Straftäter zur Einhaltung ihrer
Therapieweisungen angehalten werden sollen.
Zu 4:
Grundsätzlich
ist davon auszugehen, dass sich die Gewährung von Vollzugslocke-
rungen im Strafvollzug und die (gerichtlichen) Entscheidungen über die
bedingte
Entlassung nach einer individuellen Beurteilung insbesondere der Gefährlichkeit
des
Verurteilten und des
Rückfallsrisikos richten, wobei in schweren Fällen wie dem in
der Anfrage erwähnten ein besonders strenger Maßstab angelegt zu
werden pflegt.
Ein Unterschied in der Strafdauer zwischen 14 und 15 Jahren fällt
demgegenüber in
der Praxis kaum ins Gewicht.
Allgemein und ohne Bezug auf den Anlassfall - den ich als
Entscheidung unabhän-
giger Richter nicht kommentiere - stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:
§ 46 StGB normiert die Voraussetzungen für die
bedingte Entlassung aus einer Frei-
heitsstrafe: Ist anzunehmen, dass es nicht der Vollstreckung des Strafrestes
bedarf,
um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, so ist ihm
der Rest der Strafe grundsätzlich nach der Hälfte der
verbüßten Strafzeit bedingt
nachzusehen. Nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafzeit ist ein
Rechtsbrecher
bedingt zu entlassen, es sei denn, dass besondere Gründe befürchten
lassen, dass
er in der Freiheit weitere strafbare Handlungen begehen werde. Bei der
Entschei-
dung über eine bedingte Entlassung ist u.a. auch zu berücksichtigen,
ob es aus be-
sonderen Gründen der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um der Begehung
strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.
Die
Herabsetzung einer Freiheitsstrafe von 15 auf 14 Jahre bedeutet, dass ein
Rechtsbrecher bei positiver Prognose frühestens nach Verbüßung
von sieben Jah-
ren statt nach siebeneinhalb Jahren bedingt entlassen werden kann. Ist die
Progno-
se nicht ausreichend günstig, kommt die bedingte Entlassung - abgesehen
vom Vor-
liegen besonderer Gründe
- nach neun Jahren und vier Monaten statt nach zehn
Jahren in Betracht.
Die
§§ 99 und 99a StVG stellen für die Zulässigkeit einer
Unterbrechung der Frei-
heitsstrafe bzw. eines Ausgangs von nicht besonders gefährlichen
Straftätern zur
Regelung wichtiger persönlicher Angelegenheiten und zur Aufrechterhaltung
familiä-
rer Bindungen darauf ab, ob die noch zu verbüßende Strafzeit drei
Jahre nicht über-
steigt. Die Herabsetzung einer Freiheitsstrafe von 15 auf
14 Jahre bedeutet, dass
einem Rechtsbrecher diese Formen des Kontakts mit der Außenwelt unter
Umstän-
den um ein Jahr früher gewährt werden können, wenn auch die
übrigen Vorausset-
zungen
vorliegen.
Die
nach § 126 StVG für den Strafvollzug in gelockerter Form bestehenden
Möglich-
keiten der Gewährung eines vorübergehenden Verlassens der Anstalt
sind von der
Höhe der verhängten zeitlichen Freiheitsstrafe unabhängig und
dürfen vom Anstalts-
leiter nur dann gestattet werden, wenn zu erwarten ist, dass der Strafgefangene
die
Lockerungen nicht missbrauchen werde. Die Herabsetzung einer Freiheitsstrafe
von
15 auf 14 Jahre hat darauf somit keinen Einfluss.
Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Herabsetzung einer
Freiheitsstrafe von 15
auf 14 Jahre auf allfällige Amnestiegesetze von nennenswertem Einfluss
ist.
Auch die jährlich durchgeführten Gnadenaktionen
aus Anlass des Weihnachtsfestes
(sog. “Weihnachtsamnestie") sehen in der Regel nur eine Begnadigung
von Verur-
teilten vor, die wesentlich kürzere Freiheitsstrafen bzw. Strafreste
verbüßen. Im Üb-
rigen sind gemäß langjähriger Praxis all jene Personen von
diesen Gnadenaktionen
ausgeschlossen, die (u.a.) Strafen
wegen Verbrechen oder Vergehen nach den
§§ 201 bis 208 und
210 bis 217 StGB verbüßen.
Zu 5:
Die für Eigentumsdelikte einerseits und Delikte gegen Leib und Leben andererseits
verhängten konkreten Strafen berücksichtigen die
nach den allgemeinen gesetzli-
chen Kriterien für die Strafzumessung zu beachtenden Umstände des
Einzelfalls. Im
allgemeinen werden Delikte
gegen Leib und Leben und Sexualdelikte in den letzten
Jahren strenger bestraft als
früher. Die konkrete Strafhöhe ergibt sich bei vielen Ver-
urteilungen wegen Eigentumsdelikten insbesondere auch aus der
Berücksichtigung
einschlägiger Vorstrafen, die in anderen Deliktsbereichen weniger
häufig sind.
Die parlamentarische Enquetekommission “Die
Reaktionen auf strafbares Verhalten
in Österreich, ihre Angemessenheit, ihre Effizienz, ihre
Ausgewogenheit" ist in die-
sem Punkt zu folgender Schlussfolgerung gelangt:
“In Übereinstimmung mit
dem Wertewandel in der Gesellschaft könnte die Entwick-
lung
der letzten Jahre in Gesetzgebung und Judikatur, Vermögensdelikte weniger
streng und Gewalt-
sowie Sexualdelikte strenger zu bestrafen, der Grundtendenz
nach
behutsam fortgesetzt werden."