3857/AB XXI.GP

Eingelangt am: 12.07.2002

DER BUNDESMINISTER
FÜR JUSTIZ

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend “Gewissensge-
fangene in österreichischen Haftanstalten (§ 209 StGB)" gerichtet. Ich beantworte
diese Anfrage wie folgt:

Zu 1, a und b:

A) (Landesgericht für Strafsachen Wien): Nach der Festnahme am 20. Jänner 2001

wurde am 22. Jänner 2001 die Untersuchungshaft wegen §§ 15, 207 Abs. 1, 209;
207 a Abs. 1 StGB aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr
verhängt und mit Beschluss vom 5. Februar 2001 aus dem Haftgrund der Tatbege-
hungsgefahr verlängert. Ab 5. März 2001 wurde die Untersuchungshaft nur noch
wegen des Tatbestandes des § 209 StGB aus dem Haftgrund der Tatbegehungsge-
fahr fortgesetzt. Schließlich erging in der Hauptverhandlung vom 6. April 2001 ein
Schuldspruch wegen §§ 15, 209 StGB, der sofort in Rechtskraft erwuchs. Der Verur-
teilte wies insgesamt zehn Vorstrafen auf:

1) April 1978 (Rechtskraft) wegen unzüchtiger Handlungen mit Jugendlichen; zwei
Wochen Gefängnis bedingt auf 2 Jahre, Geldstrafe 250 holländische Gulden;

2) Oktober 1981 (Rechtskraft) wegen § 88 Abs. 1 und 3 (§ 81 Abs. 2) StGB; Geld-
strafe 50 Tagessätze á 150 S;

3) April 1983 (Rechtskraft) wegen § 146 StGB; Geldstrafe 40 Tagessätze á 100 S
bedingt auf zwei Jahre;


4) August 1983 (Rechtskraft) wegen § 209 StGB; sieben Monate Freiheitsstrafe;

5) September 1989 (Rechtskraft) wegen § 287 Abs. 1 (§ 207 Abs. 1, 15) StGB;
Geldstrafe 200 Tagessätze á 200 S;

6) Oktober 1990 (Rechtskraft) wegen §§ 207 Abs. 1, 208 StGB; neun Monate Frei-
heitsstrafe, davon sechs Monate bedingt auf drei Jahre;

7) März 1993 (Rechtskraft) wegen §§ 175, 176 Abs. 1 (deutsches) StGB (sexueller
Missbrauch von Kindern); sechs Monate Freiheitsstrafe bedingt auf drei Jahre;

8) November 1995 (Rechtskraft) wegen § 176 Abs. 1 (deutsches) StGB (sexueller
Missbrauch von Kindern); ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe bedingt auf
vier Jahre;

9) Jänner 1997 (Rechtskraft) wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen (Un-
garn); drei Jahre Freiheitsstrafe; und

10) März 2000 (Rechtskraft) wegen §§ 15, 209 StGB; ein Jahr Freiheitsstrafe.

B) (Landesgericht für Strafsachen Wien): Zu diesem Fall kann nur eingeschränkt
Stellung genommen werden, weil der bezughabende Gerichtsakt derzeit vom Ober-
landesgericht Wien benötigt wird und daher nicht zur Verfügung steht.

Am 14. Februar 2001 erfolgte die Festnahme auf Grund eines Haftbefehles des
Landesgerichtes für Strafsachen Wien und wurde die Untersuchungshaft wegen
§ 209 StGB aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr verhängt. Am 27. Februar
2001 erfolgte die Aufhebung der Untersuchungshaft gegen gelindere Mittel gemäß
§ 180 Abs. 5 Z. 4a StPO. Nach den mir vorliegenden Informationen war der Be-
schuldigte gerichtlich nicht vorbestraft.

C) (Landesgericht für Strafsachen Wien): In diesem Fall erfolgte die Festnahme am
2. Juli 2001 auf Grund eines Haftbefehles des Landesgerichtes für Strafsachen
Wien. Mit Beschluss vom 5. Juli 2001 wurde die Untersuchungshaft wegen §§ 206
Abs. 1, 207 Abs. 1, 209 und 212 Abs. 1 StGB aus den Haftgründen der Verdunke-
lungs- und der Tatbegehungsgefahr verhängt und mit Beschluss vom 16. Juli 2001
fortgesetzt. Am 26. Juli 2001 wurde die Untersuchungshaft gegen gelindere Mittel


gemäß § 180 Abs. 5 Z. 3 StPO aufgehoben. Der Beschuldigte wies insgesamt 10
Vorstrafen auf:

1) September 1969 (Rechtskraft) wegen § 335 StG; drei Monate strenger Arrest be-
dingt auf drei Jahre;

2) Februar 1972 (Rechtskraft) wegen § 160 StG; eine Woche strenger Arrest be-
dingt auf drei Jahre;

3) April 1973 (Rechtskraft) wegen §§ 431, 432 (337b) StG; Geldstrafe 4.000 S;

4) Februar 1976 (Rechtskraft) wegen § 162 Abs. 1 StGB; Geldstrafe 18 Tagessätze
á
50S;

5) April 1977 (Rechtskraft) wegen §§ 206 Abs. 1, 207 Abs. 1, 12, 212 Abs. 1 StGB;
zwei Jahre Freiheitsstrafe;

6) April 1982 (Rechtskraft) wegen §§ 207 Abs. 1, 208, 212 Abs. 1 StGB; vier Jahre
Freiheitsstrafe;

7) November 1985 (Rechtskraft) wegen § 107 Abs. 1 und 2 StGB; drei Monate Frei-
heitsstrafe;

8) März 1989 (Rechtskraft) wegen §§ 207 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB; drei Jahre Frei-
heitsstrafe;

9) Dezember 1993 (Rechtskraft) wegen §§ 218, 208 StGB; acht Monate Freiheits-
strafe; und

10) August 1999 (Rechtskraft) wegen §§ 15, 127 StGB; Geldstrafe 90 Tagessätze
á
30S.

D) (Landesgericht für Strafsachen Wien): In diesem Fall können die gestellten Fra-
gen nur eingeschränkt beantwortet werden, weil sich der Gerichtsakt derzeit beim
Sachverständigen befindet und daher nicht zur Verfügung steht.

Die Festnahme erfolgte am 23. Juli 2001. Am 25. Juli 2001 beantragte die Staats-
anwaltschaft Wien ursprünglich wegen §§ 207 Abs. 1 StGB, 27 Abs. 2 Z. 1 SMG die
Einleitung der Voruntersuchung und die Verhängung der Untersuchungshaft aus den
Haftgründen der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr. Am 6. August 2001


wurde die Untersuchungshaft aus den genannten Haftgründen fortgesetzt. In der
Haftverhandlung vom 6. September 2001 wurde die Untersuchungshaft gegen gelin-
dere Mittel gemäß § 180 Abs. 5 Z. 3 StPO aufgehoben. Der Beschuldigte wies ins-
gesamt 14 Vorstrafen, überwiegend wegen zwischen 1979 und 1999 begangener
Eigentumsdelikte, auf. Darüber hinaus wurde er in den Jahren 1987, 1988 und 1995
wegen (teilweise versuchten) Widerstandes gegen die Staatsgewalt und in den Jah-
ren 1982 und 1992 wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt.

E) (Landesgericht Wiener Neustadt): Die aus dem Haftgrund der Tatbegehungsge-
fahr verhängte Untersuchungshaft, der außer § 209 StGB kein weiteres Delikt
zugrunde lag, dauerte insgesamt einen Monat. Der Beschuldigte wies eine Vorstrafe
vom Februar 1999 wegen §§ 202 Abs. 1, 207 Abs. 1 StGB (ein Jahr Freiheitsstrafe
bedingt auf drei Jahre) auf.

F) (Landesgericht Komeuburg): Der unbescholtene Beschuldigte befand sich von 26.
Juli 2001 bis 7. Dezember 2001 wegen §§ 201, 206, 207 und 209 StGB aus den
Haftgründen der Verdunkelungs- und der Tatbegehungsgefahr in Untersuchungs-
haft.

G) (Landesgericht Linz): Der unbescholtene Beschuldigte befand sich aus dem Haft-
grund der Tatbegehungsgefahr von 21. Jänner 2001 bis 6. April 2001 ausschließlich
wegen § 209 StGB in Untersuchungshaft.

H) (Landesgericht Innsbruck): Der Beschuldigte befand sich ab 4. September 2001
wegen §§ 202, 209 StGB aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr in Untersu-
chungshaft. Die Hauptverhandlung fand am 3. Dezember 2001 (Eintritt der Rechts-
kraft des Urteils am 6. Dezember 2001) statt. Der Verurteilte wies insgesamt sieben
Vorstrafen auf:

1) November 1987 (Rechtskraft) wegen § 207 Abs. 1 StGB; zehn Monate Freiheits-
strafe bedingt auf drei Jahre;

2) Juni 1989 (Rechtskraft) wegen § 209 StGB; acht Monate Freiheitsstrafe;


3) März 1992 (Rechtskraft) wegen § 105 Abs. 1 StGB; Geldstrafe 90 Tagessätze á
8
O S;

4) November 1992 (Rechtskraft) wegen § 208 StGB; sechs Monate Freiheitsstrafe
bedingt auf drei Jahre;

5) November 1994 (Rechtskraft) wegen §§ 15, 209 StGB; ein Jahr Freiheitsstrafe;

6) Dezember 1994 (Rechtskraft) wegen §§ 15, 269 Abs. 1 StGB; Geldstrafe 100 Ta-
gessätze á 160 S; und

7) September 1997 (Rechtskraft) wegen §§ 207 Abs. 1, 208 StGB; zwei Jahre und
sechs Monate Freiheitsstrafe sowie Einweisung in eine Anstalt für geistig abnor-
me Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 2 StGB.

Zu 2, a, b und aa:

In der Beantwortung der Frage 2 der Anfrage 3519 J XXI. GP wurden auf Grundlage

der Berichte der staatsanwaltschaftlichen Behörden vier Fälle genannt, in denen
(auch) wegen § 209 StGB über unbescholtene Ersttäter rechtskräftig eine unbeding-
te oder teilbedingte Freiheitsstrafe verhängt wurde. Tatsächlich traf dies nur in drei
Fällen (Landesgericht Wiener Neustadt, Landesgericht Komeuburg und Landesge-
richt Linz) zu. Im genannten Fall des Landesgerichtes Innsbruck handelte es sich um
eine mehrfach einschlägig vorbestrafte Person.

A) (Landesgericht Wiener Neustadt): Der Verurteilung lagen neben § 209 StGB auch
die Delikte der §§ 206 Abs. 1, 207 Abs. 1, 208 und 212 Abs. 1 StGB zugrunde. Der
Verurteilte befindet sich nicht mehr in Haft.

B) (Landesgericht Korneuburg): Der Verurteilung lag neben § 209 StGB auch das
Delikt des § 208 StGB zugrunde. Die Einweisung gemäß § 21 Abs. 2 StGB erfolgte
nur wegen § 209 StGB. Der Verurteilte befindet sich derzeit in der Justizanstalt
Wien-Mittersteig.

C) (Landesgericht Linz): Die Verurteilung erfolgte ausschließlich wegen § 209 StGB.
Der Verurteilte befindet sich nicht mehr in Haft.


Zu 3:

Im Rahmen des Projektes “Redesign", mit dem die gesamte Verfahrensautomation

im Bereich der Justiz erneuert wird, wurde um den Jahreswechsel 2001/2002 die am
Landesgericht für Strafsachen Wien in Verwendung stehende Insellösung" aufgelöst
und der Großteil des Datenbestandes auf die neue, bundesweit einheitliche Platt-
form migriert. Durch diese notwendigen Maßnahmen waren personelle und techni-
sche Ressourcen in einem Ausmaß gebunden, das die Erhebung der Daten verhin-
dert hat.

Für den Bereich der Untersuchungshäftlinge wird darauf hingeweisen, dass das
Bundesministerium für Justiz mit Erlass vom 26. Juni 2002 den Oberstaatsanwalt-
schaften das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Juni 2002,
G 6/02 -11, übermittelt und empfohlen hat, in derzeit anhängigen Verfahren wegen
§ 209 StGB mit der Stellung von Verfolgungsanträgen innezuhalten, keine Anträge
auf Verhängung der Untersuchungshaft, die vorwiegend auf die genannte Strafbe-
stimmung gestützt werden müsste, zu stellen sowie in derartigen Fällen bestehender
Untersuchungshaft die Enthaftung zu beantragen.

Zu 4:

In der Beantwortung der Frage 3 der Anfrage 3519 J XXI.GP wurden auf Grundlage

der Berichte der Staatsanwaltschaften 4 Personen genannt, bei welchen der § 209
StGB als führendes und daher strafbestimmendes Delikt in der Verurteilung auf-
scheint. Tatsächlich trifft dieses nur bei 2 Personen zu. Bei 2 genannten Personen
wurde nachträglich festgestellt, dass diese auch wegen § 206 Abs. 1 StGB verurteilt
wurden und daher dieses Delikt als strafbestimmend anzusehen ist.

a)+b) 1) Jene Person, welche sich ausschließlich wegen einer Verurteilung nach
§ 209 StGB in Strafhaft befindet, wird derzeit in Strafhaft im Normalvollzug
in der Justizanstalt Garsten angehalten.

2)   Eine Person, bei der § 209 StGB neben anderen Straftatbeständen als
strafbestimmendes Delikt anzusehen ist, wurde in Strafhaft im Normalvoll-
zug der Justizanstalt Wien-Simmering angehalten und bereits am
04.03.2002 nach Verbüßung der Freiheitsstrafe enthaftet.


3)   Eine Person, bei der § 209 StGB neben anderen Straftatbeständen als
strafbestimmendes Delikt anzusehen ist, wird derzeit gemäß § 21 Abs. 2
StGB in der Justizanstalt Wien-Mittersteig angehalten.

Zu 5:

Grundsätzlich sind Strafgefangene berechtigt, Briefe, Karten und dergleichen ohne

Beschränkung und unter Wahrung des Briefgeheimnisses abzusenden und zu emp-
fangen. Eine briefliche Kontaktaufnahme mit Insassen von Justizanstalten ist daher
möglich.

Das Betreten einer Justizanstalt (auch zum Zwecke des Besuches von Insassen) ist
nur mit Genehmigung des Anstaltsleiters bzw. in weiterer Folge des Bundesministe-
riums für Justiz zulässig. Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn der Besuch
mit den Zwecken des Strafvollzuges vereinbar ist. Besucher, die nicht bekannt sind,
müssen sich ausweisen.

Nach Maßgabe der organisatorischen und sicherheitsrelevanten Möglichkeiten
steht - wie bei anderen Besuchern von Justizanstalten - einer unmittelbaren Kon-
taktaufnahme durch Mitglieder der angesprochenen Organisationen in Justizanstal-
ten mit Insassen grundsätzlich nichts entgegen.

Zu 6:

Die Worte “jugendlicher Partner" wurden unter Anführungszeichen gesetzt, weil die-
ser im StGB nicht verwendete Begriff wörtlich aus der Anfrage übernommen wurde.