3978/AB XXI.GP

Eingelangt am: 08.08.2002

BM für Justiz

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Elisabeth HLAVAC, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend “die Sonderzuständigkeit des Be-
zirksgerichtes Linz-Land für Jugendstrafsachen'' gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 4:

Derzeit sind die Jugendstrafsachen einschließlich der Strafsachen gegen junge Er-
wachsene, die Jugendschutzsachen und die Pflegschaftssachen aus Anlass einer
Entwicklungsgefährdung für die in der Stadt Linz situierten Bezirksgerichte Linz,
Linz-Land und Urfahr-Umgebung beim Bezirksgericht Linz-Land konzentriert. Aus
der Sicht des Bundesministeriums für Justiz sprechen nun - bei völliger Aufrechter-
haltung des materiellen und formellen Jugend straf rechts - folgende Gründe, von de-
nen vor allem jene im Zusammenhang mit der Verlegung des Sitzes des Bezirksge-
richts Linz-Land nach Traun von erhöhter Bedeutung sind, für eine Aufhebung dieser
Sonderzuständigkeit:

•   Eine übergreifende Zuständigkeit für die Angelegenheiten der Jugendgerichts-
barkeit über einen Gerichtssprengel hinaus gibt es - von der Situation in der Stadt
Wien abgesehen - im gesamten sonstigen Bundesgebiet nicht, ohne dass daran
von irgendeiner Seite Kritik geäußert worden wäre.

•   Trotz der Zuständigkeitskonzentration beim Bezirksgericht Linz-Land sind bei
diesem Gericht nicht alle genannten Angelegenheiten bei einem Richter zusam-
mengefasst, sondern die Strafsachen gegen junge Erwachsene auf zwei und die
Jugendschutzsachen auf drei verschiedene Richter aufgeteilt. Es sind daher
schon jetzt für Strafsachen gegen junge Erwachsene und für Jugendschutzsa-


chen zum Teil andere Richter zuständig als für die im § 24 Abs. 3 Z 1 JGG ange-
führten Pflegschaftssachen.

•   Das Bezirksgericht Linz-Land hat seinen Sitz nördlich der Donau in Linz, der Ge-
richtssprengel umfasst jedoch ausschließlich Gemeinden, die außerhalb der
Landeshauptstadt Linz südlich der Donau gelegen sind. Weite Kreise der Bevöl-
kerung sowie Landespolitiker haben wiederholt auf den Umstand hingewiesen,
dass die Anreise aus den vom Sprengel des Bezirksgerichts Linz-Land umfass-
ten Gemeinden zum Sitz des Bezirksgerichts im Norden von Linz - insbesondere
mit öffentlichen Verkehrsmitteln - längere Zeit in Anspruch nimmt, und haben da-
her die Forderung erhoben, das Bezirksgericht Linz-Land nach Traun zu verle-
gen.

•   Zur Verbesserung der Rechtsversorgung der Bevölkerung sowie generell zur
Verkürzung der Anreisewege soll der Sitz des Bezirksgerichts Linz-Land mit
Wirksamkeit vom 1. Jänner 2005 nach Traun verlegt werden.

•   Der Standort Traun kommt für eine konzentrierte Behandlung der in den §§ 24
Abs. 3 und 25 JGG angeführten Verfahren nicht in Betracht, weil Traun zwar für
die im Sprengel des Bezirksgerichts Linz-Land wohnende Bevölkerung deutlich
leichter als derzeit erreichbar ist, sich für den Großteil der Bevölkerung aus dem
Sprengel der Bezirksgerichte Linz und Urfahr-Umgebung die Anfahrtswege bei
Behaltung der Zuständigkeitskonzentration jedoch markant verlängert würden.

•   Im Sprengel der drei angeführten Bezirksgerichte wohnen etwa 330.000 Einwoh-
ner, davon etwa 60% in Linz. Bezogen auf den Geschäftsanfall betreffen etwa
zwei Drittel der Verfahren Personen, die im Sprengel des Bezirksgerichts Linz ih-
ren Wohnsitz bzw. Aufenthalt haben. Bei einer Aufhebung der Sonderzuständig-
keit des Bezirksgerichts Linz-Land wird der Großteil der Jugendgerichtssachen
bei einem Bezirksgericht, nämlich dem Bezirksgericht Linz, konzentriert werden.

•   Wie Befragungen der oberösterreichischen Bevölkerung ergeben haben, reisen
fast 90% der Bevölkerung mit dem (eigenen oder von Ehegatten, Verwandten
oder Bekannten zur Verfügung gestellten) Kfz zum Gericht an. Die im § 24 Abs. 3
JGG genannten Verfahren werden aber gegen Jugendliche bzw. mit Jugendli-
chen als Verfahrensbeteiligte geführt. Gerade diese Bevölkerungsgruppe ist aber
fast ausschließlich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.

•   Einen beträchtlichen Teil der Jugendgerichtssachen bilden die Jugendschutzsa-
chen nach § 25 JGG. Das sind Strafsachen gegen Erwachsene wegen der §§
198 (Verletzung der Unterhaltspflicht) und 199 StGB (Vernachlässigung eines
Minderjährigen). Beim Jugendgerichtshof Wien entfallen rund 44% der bezirksge-
richtlichen Strafsachen auf den § 198 StGB, also auf Erwachsene und nicht auf
Jugendliche oder junge Erwachsene. Diese Verfahren laufen relativ schematisch
ab und können ohne Weiteres von einem Richter ohne die besondere Eignung
nach § 30 JGG abgewickelt werden.


•   Durch eine Änderung des § 26 Abs. 7 GOG wird die zwingende Zuweisung der
Jugendstraf- und Jugendschutzsachen zu der für Pflegschaftssachen Minderjäh-
riger zuständigen Gerichtsabteilung insofern gelockert, als eine Konzentration
dieser Angelegenheiten in derselben Gerichtsabteilung nur mehr nach Tunlichkeit
erfolgen soll. Es wird daher zulässig sein, bei jedem der drei Gerichte die Ju-
gendstraf- und Jugendschutzsachen in einer eigenen Gerichtsabteilung zu kon-
zentrieren, sodass - so wie bisher - nur insgesamt drei Richter für derartige Ver-
fahren zuständig sein müssen.

•   Derzeit sind die Bezirksgerichte Linz, Linz-Land und Urfahr-Umgebung für alle
Pflegschaftssachen Minderjähriger zuständig, solange keine Entwicklungsge-
fährdung zu besorgen ist. Da auch in einer familienrechtlichen Abteilung immer
wieder tiefgreifende Entscheidungen zu treffen sind, wird den damit befassten
Richtern ohne weiteres auch die nötige Sensibilisierung für die Problematik
schwieriger Jugendlicher, für die sie nach einer Streichung des § 24 Abs. 3 JGG
zuständig wären, zuzugestehen sein.

•   Gerade die bei Bezirksgerichten tätigen Familienrichter haben diese Karriere oft
auch aus sozialem Engagement eingeschlagen und sich mitunter schon viele
Jahre mit familiären Problemen, Sorgerechtsstreitigkeiten und problematischen
Jugendlichen auseinandergesetzt. Es kann nun kein Zweifel darüber bestehen,
dass diese Spezialisten auch über die Hilfestellung, die entwicklungsgefährdeten
Minderjährigen zuteil werden soll, und die familiären Weichenstellungen, die zur
Bewältigung von Problemsituationen nötig sind, kompetent und mit dem erforder-
lichen Einfühlungsvermögen entscheiden werden. Keinesfalls kann gerade die-
sen mit der Problemlage vertrauten Richtern die nötige Kompetenz zur Entschei-
dung in Fällen, in denen eine Gefährdung der Entwicklung Minderjähriger zu be-
fürchten ist, abgesprochen werden.

•   In vielen Fällen, in denen es zu einer Entwicklungsgefährdung kommt, ist beim
Außerstreit- bzw. Familienrichter bereits ein Aktenvorgang anhängig. Trotz
Kenntnis der Sachlage muss der Richter derzeit den Akt - und zwar nur hinsicht-
lich des entwicklungsgefährdeten Minderjährigen - an das gemäß § 24 Abs. 3
JGG zuständige Gericht bzw. die zuständige Gerichtsabteilung abtreten. Die Zu-
ständigkeit hinsichtlich der Geschwister des entwicklungsgefährdeten Minderjäh-
rigen und die Zuständigkeit in Ehesachen verbleiben jedoch beim Familienrichter,
wodurch die durch § 26 Abs. 3 GOG angestrebte Einheitlichkeit in der Beurtei-
lung familienrechtlicher Angelegenheiten nicht mehr gegeben ist.

•   Die bestehende Zuständigkeitsregelung führt, wie auch die Praxis in Wien zeigt,
wiederholt zu positiven und negativen Kompetenzkonflikten, weil die Auslegung
des Begriffs "Gefährdung der persönlichen Entwicklung" im Vergleich zu sonst
meist klaren Zuständigkeitstatbeständen einen großen Ermessensspielraum zu-
lässt.


•   Der Jugendrichter beim Bezirksgericht Linz-Land, der den Akt nach dem Eintre-
ten einer Gefährdung der persönlichen Entwicklung übertragen bekommt, kennt
den Minderjährigen und die näheren Umstände des Anlassfalls in der Regel
nicht. Ihm fehlt auch das Hintergrundwissen, das sich der bis dahin zuständige
Familienrichter durch die Bearbeitung der anderen dieselbe Familie betreffenden
Rechtssachen schon angeeignet hat.

•   Nicht nur der Jugendrichter des Bezirksgerichts Linz-Land, sondern alle Außer-
streit- und Familienrichter im Linzer Raum pflegen einen engen Kontakt zu den
Jugendämtern und anderen in der Jugendwohlfahrt tätigen Organisationen. Die-
ser Kontakt wird in Hinkunft besser für ein abgestimmtes Handeln im Fall einer
Entwicklungsgefährdung bei einem Minderjährigen genutzt werden können, denn
alle Beteiligten können unmittelbar auf die über den in seiner Entwicklung ge-
fährdeten Minderjährigen und seine Familienangehörigen geführten Akten zu-
rückgreifen. Da damit zugleich der Aktenweg und die Zeit zur Einarbeitung in die
spezifische Problemgeschichte verkürzt werden, trägt dies auch zu einer be-
schleunigten Abwicklung bei.

•   Es wird kein "soziales Netzwerk" zerschlagen, sondern das (aus mehreren Rich-
tern bestehende) Familiennetzwerk wird mit dem Jugendnetzwerk verknüpft. Die-
ses Gesamtnetzwerk wird künftig effizienter arbeiten, weil einige auf dem Gebiet
der Jugendwohlfahrt tätige Organisationen und Institutionen auf Bezirksebene
eingerichtet sind. Bisher mussten diese Stellen außer mit dem für den "Normal-
fall" örtlich zuständigen Außersteit- bzw. Familienrichter auch mit dem Richter,
der im Fall einer Entwicklungsgefährdung zuständig wird, Kontakt halten.

•   In Zukunft müssen die betreffenden Sozialarbeiter und Mitarbeiter der Jugendäm-
ter, Bezirksschulbehörden und anderen Stellen bezüglich eines Minderjährigen
nur noch mit einem Richter zusammenarbeiten. Es kann mit Sicherheit davon
ausgegangen werden, dass die mit allgemeinen Pflegschaftssachen vertrauten
Richter, die es auch gewohnt sind, mit Minderjährigen und problematischen Er-
wachsenen umzugehen, binnen kürzester Zeit auch das im Fall des Eintretens
einer Entwicklungsgefährdung erforderliche Vorgehen bestens beherrschen wer-
den.

•   Das Justizressort strebt mit den erfolgten Auflösungen von Bezirksgerichten mit
Sonderzuständigkeiten, etwa dem Strafbezirksgericht und dem Exekutionsgericht
in Wien, und mit der Abschaffung von Schwerpunkt-Bezirksgerichten in familien-
rechtlichen Angelegenheiten eine Gerichtsorganisation an, die auf der untersten
Ebene einheitlich Vollgerichte vorsieht, die für alle Angelegenheiten, die ihren ört-
lichen Anknüpfungspunkt im Sprengel haben, zuständig sind. Durch diese Maß-
nahmen zur besseren Rechtsversorgung sollen - möglichst dezentral und mög-
lichst "nah" am Bürger - einheitliche und durch ihre Zuständigkeit für alle Rechts-
angelegenheiten transparente Gerichtseinheiten geschaffen werden. Eine Zu-
ständigkeitskonzentration bei einem Gericht für mehrere Gerichtssprengel, für ei-


ne bestimmte Region oder sogar für ein ganzes Bundesland würde diesem Ziel
konträr zuwiderlaufen.

•   Um weiterhin eine Spezialisierung der Richter auf einzelne Geschäftssparten zu
ermöglichen, werden derzeit Kleinstgerichte zusammengelegt. Die damit ge-
schaffenen Gerichtsein heften werden nicht nur eine betriebswirtschaftlich vorteil-
haftere Größe aufweisen, sondern es wird bei ihnen auch in einem weiteren Um-
fang als bisher die Möglichkeit bestehen, eigene Außerstreit- und Familienrichter
einzusetzen, die für alle im Sprengel anfallenden Rechtssachen dieser Ge-
schäftssparte zuständig sind. Gepaart mit dem durch die Bearbeitung aller die-
selbe Familie betreffenden Akten erworbenen Hintergrundwissen wird diese Spe-
zialisierung ein kompetentes und rasches Einschreiten ermöglichen und auf die-
se Weise helfen, die hohe Qualität der Leistungserstellung der Gerichte, die eine
groß angelegten Kundenzufriedenheitsstudie im Jahr 1998 ergeben hat, für die
Bevölkerung nicht nur zu halten, sondern weiter zu steigern.

Aus den dargelegten Gründen ist in Aussicht genommen, spätestens mit der Verle-
gung des Sitzes des Bezirksgerichts Linz-Land nach Traun die in den §§ 24 Abs. 3
bzw. 25 JGG normierte Sonderzuständigkeit des Bezirksgerichts Linz-Land auf-
zugeben und in die Allgemeinzuständigkeit der Bezirksgerichte im Raum Linz über-
zuführen.

Trotz der Aufteilung der Jugendstraf- und Pflegschaftsgerichtsbarkeit auf mehrere
Gerichte wird die Zahl der damit befassten Richter so gering bleiben, dass die erfor-
derliche Spezialisierung gewährleistet ist. Die künftig dafür zuständigen Richter wer-
den in kürzester Zeit mit den Jugendgerichtssachen vertraut sein und alle notwendi-
gen Kontakte zu den im Jugendbereich tätigen Institutionen hergestellt haben.

Insgesamt wird mit dem beabsichtigten Reformschritt die Qualität der Jugendge-
richtsbarkeit mit ihrem Betreuungsumfeld im Raum Linz nicht nur erhalten, sondern
deutlich verbessert. Die vorgesehene Strukturreform wird vor allem für die betroffe-
nen Jugendlichen positive Auswirkungen bringen und für die in der Jugendarbeit tä-
tigen Institutionen noch mehr Möglichkeiten als bisher für eine erfolgreiche Zusam-
menarbeit mit der Justiz bieten.