4154/AB XXI.GP

Eingelangt am: 09.09.2002

BM für Justiz:

 

 

zur Zahl 4249/J-NR/2002

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend “Kaprunprozess - Beweismittel
durch BMI unterdrückt?" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 7, 16 bis 21:

Laut den dem Bundesministerium für Justiz vorliegenden Informationen haben Be-
amte der Kriminaltechnischen Zentralstelle im Bundesministerium für Inneres (KTZ)
anlässlich ihrer Zeugeneinvernahme in der Hauptverhandlung vom 11. Juli 2002 im
Strafverfahren wegen der Seilbahnkatastrophe in Kaprun dem Gericht eine Schach-
tel und 11 Aktenordner mit diversen Unterlagen bzw. Gegenständen, die aus ihrer
Ermittlungstätigkeit stammen, vorgelegt. Wegen des Verdachtes, dass dieses Be-
weismaterial zumindest zum Teil bis dato nicht an das Gericht abgeliefert wurde, hat
ein Verteidiger gegen die Beamten der KTZ eine Anzeige wegen § 295 StGB zu Pro-
tokoll gegeben.

Auf Grund dieser Anzeige hat die Staatsanwaltschaft Salzburg ein Strafverfahren
gegen den Leiter sowie weitere Beamte der KTZ wegen § 302 bzw. § 295 StGB ein-
geleitet und beim Landesgericht Salzburg die Durchführung gerichtlicher Vorerhe-
bungen beantragt, die der Sichtung des vorgelegten Beweismaterials und der Klä-
rung der maßgeblichen Umstände, die zu dessen Vorlage in der Hauptverhandlung
geführt haben, dienen.

Ich habe diese Angelegenheit mit Bundesminister Dr. Strasser nicht besprochen.


Im Übrigen ersuche ich um Verständnis dafür, dass ich im Hinblick auf das anhängi-
ge Strafverfahren derzeit keine weitergehenden Auskünfte erteilen kann. In welcher
Form die Öffentlichkeit von den Verfahrensergebnissen Kenntnis erlangen wird, lässt
sich derzeit nicht vorhersagen.

Zu 8 und 9:

Die Frage nach möglichen Einflüssen des - die Vorlage von Beweismitteln betreffen-
den - Vorfalles im Kaprunprozess auf allfällige Gerichtsverfahren in Amerika ist wie
folgt zu beurteilen:

Die internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte besteht grundsätzlich nur
dann, wenn ein ausreichender Inlandsbezug (minimum contacts) vorliegt. In Sach-
verhalten mit Auslandsberührung sind in der Regel die gesetzlichen Anordnungen
(long arm statutes) der Einzelstaaten maßgeblich. Gewöhnlich wird zwischen zwei
Fallgruppen unterschieden:

-            General jurisdiction besteht, wenn der Beklagte in substantieller Weise auf
dem Markt des Einzelstaates tätig wurde und er daher - so die rechtspoliti-
sche Begründung - damit rechnen muss, in diesem Staat geklagt zu werden.
Liegt solches doing business vor, bedarf es keinen Zusammenhangs zwi-
schen der Geschäftstätigkeit und dem geltend gemachten Anspruch. Aus dem
Seilbahnunglück beklagte Unternehmen, die in substantieller Weise auf dem
amerikanischen Markt tätig wurden, müssen daher grundsätzlich mit einer
Klagsführung rechnen. Die Zuständigkeit stünde grundsätzlich auch Personen
zur Verfügung, die nicht in den USA ansässig sind.

-            Demgegenüber liegt special jurisdiction vor, wenn der Rechtsstreit selbst ei-
nen Inlandsbezug aufweist. Das gilt in Schadenersatzfällen etwa dann, wenn
der Schaden im Gerichtsstaat eingetreten ist und dies für den Schädiger vor-
hersehbar war. Der materielle oder immaterielle Schaden von Angehörigen        der Opfer könnte in diesem Zusammenhang einen relevanten Schaden dar-
stellen, die Vorhersehbarkeit könnte aufgrund von Werbemaßnahmen in den
USA gegeben sein.

Eine genaue Prüfung der Präjudizien zum jeweils anwendbaren long arm sta-
tute
wäre hier jedenfalls erforderlich. Es könnte nämlich durchaus fraglich


sein, ob der bloß mittelbare Schaden der Angehörigen tatsächlich einen rele-
vanten minimum contact zur Rechtsordnung des Einzelstaates darstellt.

Ist nach diesen Erwägungen die internationale Zuständigkeit grundsätzlich gegeben,
so prüfen die amerikanischen Gerichte in einem zweiten Schritt, ob nicht Gerichte
anderer Staaten für die Behandlung der Klage besser geeignet wären. Wird dies be-
jaht, so weist das Gericht die in den USA erhobene Klage wegen forum non conve-
niens
zurück (vgl dazu und zum Folgenden Posch, Ambulance chasing im Dienst
amerikanischer Rechtshegemonie, Zeitschrift für Rechtsvergleichung 2001, im
Druck).

Ob forum non conveniens vorliegt, ist eine Ermessensentscheidung, bei der mehrere
Faktoren - u.a. Parteiinteressen, Beweisnähe, Vollstreckung des Urteils - zu berück-
sichtigen sind. In der Praxis werden ausländische Kläger, die amerikanische Unter-
nehmen wegen eines im Ausland erlittenen Schadens klagen, regelmäßig an den
Ort des Schadenseintritts verwiesen. Der Zugang zum amerikanischen Gerichtssys-
tem wird ihnen somit verweigert. Demgegenüber wird die Zuständigkeit bei amerika-
nischen Klägern, die im Ausland einen Schaden erlitten haben, eher akzeptiert. Die-
se diskriminierend anmutende Vorgangsweise ist durch die Entscheidung des US
Supreme Court in Piper Aircraft CO v. Reyno (454 U.S. 235 [1981]) gedeckt.

Der Schutzgedanke gegenüber eigenen Staatsbürgern ist auf Grund der bestehen-
den Praxis der amerikanischen Gerichte bereits jetzt überschießend verwirklicht.
Demgegenüber bestehen für nicht in den USA ansässige Geschädigte kaum realisti-
sche Chancen, vor amerikanischen Gerichten Klagen einzubringen. Schon der aus
US-amerikanischer Sicht mindere Standard des österreichischen Haftungsrechts ist
nach der bereits zitierten Entscheidung Piper Aircraft CO v. Reyno nicht dazu ange-
tan, die zwischen US-Bürgern und Ausländern klar differenzierende Ausübung des
Ermessens im Rahmen der Prüfung eines Forum-non-conveniens-Einwandes zu
durchbrechen. Es ist nicht zu erwarten, dass ein allfälliger - im Übrigen reversibler -
Verfahrensfehler im Kaprun-Prozess zu einer Änderung der diesbezüglichen Praxis
der amerikanischen Gerichte führt und verstärkt Klagen von nicht in den USA
ansässigen Angehörigen von Geschädigten zugelassen werden.


Zu 10 bis 13:

Zwischen der KTZ und den vom Landesgericht Salzburg bestellten gerichtlichen Sachverständigen bestand zunächst Konsens dahingehend, dass beide Gruppen an
der Auswertung des vorhandenen Beweismaterials arbeiten und die jeweiligen Er-
hebungsergebnisse untereinander austauschen. Diese Zusammenarbeit erfuhr je-
doch im März 2001 eine Störung dadurch, dass die gerichtlichen Sachverständigen
in der Annahme, ihnen würden von der KTZ nicht sämtliche Unterlagen zur Verfü-
gung gestellt, den Beamten der KTZ den Zutritt zu den in Linz gelagerten Zügen
verwehrten. Hierauf traf die zuständige Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes
Salzburg die Entscheidung, dass die KTZ vorerst weitere Untersuchungen der Un-
fallsgarnitur zu unterlassen hätte. Die in der Folge von der Staatsanwaltschaft Salz-
burg beantragte Besichtigung der Zuggamituren durch die KTZ scheiterte am Wider-
stand der gerichtlich bestellten Sachverständigen, die durch die in Aussicht genom-
mene Untersuchung eine Veränderung bzw. Zerstörung der Spurenbilder befürchte-
ten.

Zu 14:

Es wird von den Ergebnissen des erwähnten Strafverfahrens abhängen, ob die zu-
tage getretenen Unzulänglichkeiten auf Mängel zurückzuführen sind, die einer inter-
ministeriellen Besprechung bedürfen. Kommunikationsprobleme mit dem Bundesmi-
nisterium für Inneres bestehen nicht.

Zu 15. 22 und 23:

Die Bewertung des am 11. Juli 2002 vorgelegten Beweismaterials ist Gegenstand

derzeit laufender Untersuchungen. Ob letztendlich ein Mehraufwand an Kosten oder
eine Verzögerung des Prozessablaufes eintreten wird, kann derzeit noch nicht beur-
teilt werden. Eine Einflussnahme auf den Prozessablauf mittels Weisungen ist mir
aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich.

Die Verpflichtung zur Kostentragung in einem Strafverfahren ist grundsätzlich vom
Prozessausgang abhängig. Demnach trägt im Falle eines Freispruches der Bund die
Kosten, im Falle eines Schuldspruches der bzw. die Verurteilte(n). Sollte durch ein
schuldhaftes Fehlverhalten eine Erhöhung der Kosten eingetreten sein, so wäre ein
allfälliger Anspruch bzw. Regress im Amts- bzw. Organhaftungsweg zu klären.