4335/AB XXI.GP
Eingelangt am: 18.11.2002
BM für soziale Sicherheit und Generationen:
Ich beantworte die an mich gerichtete
schriftliche parlamentarische Anfrage
Nr.
4383/J der Abgeordneten Haidlmayr, Freundinnen und Freunde wie folgt:
Frage 1:
In meinen Zuständigkeitsbereich
fallen folgende Punkte des Gesamtberichtes der
.Arbeitsgruppe zur Durchforstung der
Bundesrechtsordnung hinsichtlich behinder-
tenbenachteiligender Bestimmungen", die unter Punkt C im Bericht
der Untergruppe
“Berufsausbildung-Beschäftigung-Erwerbstätigkeit-Altersvorsorge
Gesundheit"
aufgelistet sind:
1. Behinderteneinstellungsgesetz (BeinstG).
1.1. § 1 Abs. 1 BEinstG:
,Alle Dienstgeber, die im
Bundesgebiet 25 oder mehr Dienstnehmer (§ 4 Abs. 1)
beschäftigen, sind verpflichtet, auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen
be-
günstigten Behinderten (§ 2) einzustellen."
1.2. § 1 Abs. 2 BEinstG (idF BGBI. Nr. 757/1996):
“Der Bundesminister
für Arbeit und Soziales kann nach Anhörung des Beirates
(§ 10 Abs. 2) die Zahl der nach Abs. 1 zu beschäftigenden
Dienstnehmer (Pflicht-
zahl) für bestimmte Gebiete oder Wirtschaftszweige durch Verordnung derart
abändern, dass, wenn nicht genügend für Behinderte geeignete
Arbeitsplätze zur
Verfügung stehen, schon auf je 20 Dienstnehmer oder, wenn bestimmte
Wirtschaftszweige aus technischen Gründen der Beschäftigungspflicht
nicht
nachkommen können, nur auf je höchstens 50 Dienstnehmer mindestens
ein
Behinderter zu beschäftigen ist."
1.3. § 2 Abs. 1 und 2 BEinstG:
Abs. 1:
“Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind
österrei-
chische Staatsbürger mit
einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH.
..."
Abs. 2: “Nicht als
begünstigte Behinderte im Sinne des Abs. 1 gelten behinderte
Personen, die ...
d) infolge des Ausmaßes
ihrer Gebrechen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit
auch auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb
(§
11) nicht geeignet sind."
2. Allgemeines Sozialversicherunqsqesetz (ASVG):
2.1. §§ 175ff ASVG: Freizeitunfall/Arbeitsunfall.
Die Behindertenverbände sehen eine Benachteiligung
darin, dass nach Frei-
zeit- bzw.
Arbeitsunfällen von verschiedenen Sozialversicherungsträgem un-
terschiedliche Leistungen erbracht werden.
2.2. § 18a
Abs. 1 und 3 ASVG: Selbstversicherung in der Pensionsversicherung
für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes.
Nach Ansicht der
Behindertenverbände liegt eine Benachteiligung darin, dass
eine begünstigte Selbstversicherung nur bei gänzlicher, nicht
jedoch bei bloß
überwiegender Beanspruchung der
Arbeitskraft der Pflegeperson des behin-
derten Kindes
möglich ist.
2.3. § 254 ASVG: Invaliditätspension.
War ein Behinderter
überwiegend im erlernten oder angelernten Beruf tätig, so
genießt er den Berufsschutz, was die
Gewährung einer Invaliditätspension er-
leichtert. Behinderte Arbeitnehmer, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes
ihren erlernten Beruf
nicht mehr ausüben können und daher umgeschult wer-
den, können dadurch später dann einen Nachteil erleiden, wenn sie
nicht ü-
berwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig waren.
Weiters sehen die
Behindertenverbände eine Benachteiligung behinderter
Menschen darin, dass die Invalidität im Laufe des Berufslebens eingetreten
sein muss. Die Invaliditätspension werde manchmal mit dem Hinweis abge-
lehnt, dass sich der Gesundheitszustand nicht während der
Berufstätigkeit
verschlechtert, sondern schon vor Aufnahme der Berufstätigkeit bestanden
habe.
2.4. § 367 ASVG:
Bescheiderlassungspflicht bei Entscheidungen des Rehabilitati-
onsausschusses.
Rehabilitationsausschüsse
entscheiden nur in Form von Mitteilungen und nicht
mittels Bescheiden, obwohl nach Ansicht der Behindertenverbände bei
Vorlie-
gen der Voraussetzungen sehr wohl ein individueller Rechtsanspruch besteht.
Weiters wird kritisiert, dass die Entscheidungen der
Rehabilitationsausschüsse
oftmals ohne Begründung ergehen. Beide genannten Vorgangsweisen
benachteiligen nach Ansicht der Behindertenverbände behinderte Menschen,
da es keinen Rechtszug gegen bloße Mitteilungen gibt.
3. Ärztegesetz (ÄrzteG):
§ 56 ÄrzteG:
Die Behindertenverbände kritisieren, dass im Gesetz kein barrierefreier Zugang zu
Ordinationsstätten vorgesehen sei.
4. Verordnung über vordringliche Maßnahmen zur
Erhaltung der Volksgesund-
heit BGBl Nr. 274/1981
Einige Vertreter von
Behindertenverbänden kritisieren den Ausdruck “Volksgesund-
heit", da dieser ihrer Meinung nach aus der Zeit des Nationalsozialismus
stammt.
Sie wünschen daher eine entsprechende Änderung.
Weiters fordern die
Behindertenorganisationen die Aufnahme einer verpflichtenden
umfassenden Beratung anlässlich der pränatalen Diagnostik, so wie sie
im Gentech-
nikgesetz bereits vorgesehen ist.
5. Familienlastenausqleichsgesetz (FLAG):
§ 30j Abs. 2 FLAG:
Der Fahrpreisersatz darf nur für
Lehrlinge in einem gesetzlich anerkannten Lehrver-
hältnis geleistet werden, die eine betriebliche Ausbildungsstätte im
Bundesgebiet
oder im grenznahen Gebiet im Ausland besuchen und für die Familienbeihilfe
bezo-
gen wird.
Frage 2:
Zu Punkt 1.2.
Die seit 1976 in Form von Verordnungen
bestehenden Ausnahmeregelungen, die für
bestimmte Branchen höhere Pflichtzahlen vorsahen, wurden durch die Novelle
BGBI. l Nr. 17/1999 (§ 28 BEinstG) stufenweise beseitigt, sodass ab 2003
für alle
Betriebe einheitlich und ausnahmslos die Pflichtzahl 25 gilt. Damit ist dem
Bericht in
diesem Punkt entsprochen.
Zu Punkt 2.2.
Personen, die aus der Pflichtversicherung
bzw. aus einer Selbstversicherung nach
§ 18a ASVG ausgeschieden sind, um einen nahen Angehörigen zu pflegen,
der An-
spruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 (Stufe 3 wurde im Zuge
der
60. ASVG-Novelle normiert) des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestim-
mungen der Landespflegegeldgesetze hat, können sich in der Pensionsversicherung
insofern begünstigt weiterversichern, als der Bund den fiktiven
Dienstgeberbeitrag
trägt.
Zu Punkt 2.3.
Mit dem
Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000, BGBI. l Nr. 43, wurde der Be-
rufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und
durch 10 Jahre
während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte
Tätigkeit
ausgeübt haben, verbessert. Können diese Personen aufgrund einer
Krankheit oder
eines sonstigen Gebrechens die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben,
so gelten sie
unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid.
Es darf darauf hingewiesen werden, dass
schon derzeit im Bereich der Pensionsver-
sicherung der Grundsatz "Rehabilitation vor Pension" gilt, sodass
etwa eine In-
validitätspension nur befristet zugesprochen wird, solange die Chance auf
einen Re-
habilitationserfolg besteht. Im Übrigen wird im Rahmen der von Univ.-Prof.
Dr. Tomandl geleiteten Arbeitsgruppe "Prävention und Rehabilitation"
die Frage ei-
nes individuellen Rechtsanspruches auf Rehabilitation zu prüfen sein.
Zu Punkt 3:
In der 58. ASVG-Novelle wurde mittels
einer Regelung über die Gesamtverträge der
barrierefreie Zugang zu Gruppenpraxen normiert. Weiters wurde durch das BGBI. l
Nr. 158/2002 im Behinderteneinstellungsgesetz die Gewährung von
Zuschüssen und
Darlehen für bis 31. Dezember 2003 durchgeführte investive
Maßnahmen in Betrie-
ben, die der Betreuung/Gesundheitsvorsorge für Menschen mit Behinderung
dienen,
vorgesehen. Dadurch sollen Menschen mit Behinderung ausreichend behindertenge-
rechte Einrichtungen zur Verfügung stehen, um ihren therapeutischen
Bedürfnissen
ohne zusätzliche Schwierigkeiten nachkommen zu können. Im
Übrigen verweise ich
auf die Beantwortung der Frage 3 zu diesem Punkt.
Zu Punkt 5:
Mit den im Bericht der "Arbeitsgruppe
zur Durchforstung der Bundesrechtsordnung
hinsichtlich behindertenbenachteiligender Bestimmungen" angeführten
Maßnahmen
des Bundesministeriums
für Umwelt, Jugend und Familie (Seite 88) wurde den An-
liegen
der Behindertenverbände entsprochen.
Frage 3:
Zu Punkt 1.1.
Die Zahl der begünstigten Behinderten
entspricht derzeit ziemlich genau der Zahl der
Pflichtstellen
(83.408 begünstigte Behinderte per 1.1.2002, zuletzt 84.869 Pflichtstel-
len). Dieses ausgewogene
Verhältnis wird den Intentionen des BEinstG gerecht,
weshalb eine Änderung des § 1 Abs. 1 BEinstG nicht als erforderlich
anzusehen ist.
Im Übrigen darf darauf hingewiesen werden, dass mit Wirkung vom 1.7.2001
die
Ausgleichstaxe um rund 30 % angehoben wurde. Damit wurde der Anreiz, behinder-
te Menschen einzustellen, deutlich verstärkt. Die Mittel des
Ausgleichstaxfonds die-
nen ausschließlich dazu, die Integration behinderter Menschen zu
fördern.
Zu Punkt 1.3.
Erklärtes Ziel
der österreichischen Behindertenpolitik ist es, die Integration von Men-
schen mit Behinderungen in den offenen Arbeitsmarkt zu verbessern. In diesem
Zu-
sammenhang hat die Bundesregierung 2001 eine Beschäftigungsoffensive
(“Behin-
dertenmilliarde") zur
beruflichen Integration behinderter Menschen gestartet.
Zentrales Instrument für
die Unterstützung der beruflichen Eingliederung behinderter
Menschen auf der Bundesebene ist das
Behinderteneinstellungsgesetz. Ziel des Ge-
setzes ist es, durch
eine Reihe von Förder- und Schutzmaßnahmen Arbeitsplätze
für
Menschen mit besonderen Bedürfnissen nachhaltig zu schaffen bzw.
abzusichern.
Dem Kreis der begünstigten Behinderten können daher alle Personen
angehören,
deren Grad der Behinderung mindestens 50
vH beträgt und die nicht unter einen der
Ausschlusstatbestände
des § 2 Abs. 2 BEinstG fallen.
Für die berufliche Integration am
ersten Arbeitsmarkt erscheint es erforderlich, dass
der behinderte Mensch - allenfalls nach entsprechender Vorbereitung
(Arbeitstrai-
ning, Arbeitserprobung) und Ausbildung - über eine wirtschaftlich
verwertbare Leis-
tungsfähigkeit verfügt, die voraussichtlich der Hälfte der
durchschnittlichen Produkti-
vität eines nichtbehinderten Arbeitnehmers in gleicher Beschäftigung
entspricht. Die-
se Minderleistung stellt nach den geltenden
Richtlinien auch ein Aufnahmeerforder-
nis für die
Beschäftigung in einem Integrativen Betrieb dar.
Die
Aufrechterhaltung der im § 2 Abs. 2 BEinstG angeführten
Ausschlussbestim-
mungen ist daher auf Grund
der Zielsetzung des BEinstG und auch unter dem As-
pekt der Vermeidung von - wegen realen Gegebenheiten auf dem offenen Arbeits-
markt - letztlich nicht erfüllbaren Erwartungshaltungen als sachlich
gerechtfertigt an-
zusehen.
Zu Punkt 2.1.
Hinsichtlich der Differenzierung zwischen
Freizeit- und Arbeitsunfällen ist eine Ände-
rung nicht geplant, zumal die im Bericht der Arbeitsgruppe enthaltene
Begründung
für die gegebene Situation nach wie vor gültig ist. Es kann in diesem
Zusammenhang
auch keine Rede von einer Diskriminierung im Sinne des Art. 7 B-VG sein.
Zu Punkt 2.3.
Zu der im Bericht unter der
Überschrift "Invaliditätspension" festgehaltenen Kritik der
Behindertenverbände betreffend
Berufsschutz bzw. Verschlechterung des Gesund-
heitszustandes während der Berufstätigkeit wird darauf hingewiesen,
dass die Neu-
regelung der Invaliditätspension derzeit im Rahmen einer
Arbeitsgruppe unter dem
Vorsitz von Univ.-Prof. Dr. Tomandl vorbereitet wird. In diesem Zusammenhang
wird
auch die Frage einer Erweiterung des
Berufsschutzes (Modifikation der Anspruchs-
voraussetzungen) entsprechend geprüft.
Zu Punkt 2.4.
Es darf darauf hingewiesen werden, dass
schon derzeit im Bereich der Pensionsver-
sicherung der Grundsatz “Rehabilitation vor Pension" gilt, sodass
etwa eine Invalidi-
tätspension nur befristet zugesprochen wird, solange die Chance auf einen
Rehabili-
tationserfolg besteht. Im Übrigen wird im Rahmen der von Univ.-Prof. Dr.
Tomandl
geleiteten Arbeitsgruppe “Prävention und Rehabilitation" die
Frage eines individuel-
len Rechtsanspruches auf Rehabilitation zu prüfen sein.
Zu Punkt 3.
Im Zusammenhang mit dem Ärztegesetz
ist festzuhalten, dass eine Änderung des
Ärztegesetzes 1998 in diesem Zusammenhang aus kompetenz- bzw. verfassungs-
rechtlichen Vorgaben nicht in Frage kommt.
Dies hängt vor allem damit zusammen,
dass seitens des Bundeskanzleramtes-
Verfassungsdienst in einem Gutachten vom 19. Februar 1999 festgehalten worden
ist, dass Regelungen über den barrierefreien, behindertengerechten Zugang
in den
Bereich der ausschließlichen Länderzuständigkeit für den
Kompetenztatbestand
“Baurecht"
fällt.
Soweit bekannt, hat das Land Kärnten in baurechtlichen
Vorschriften bereits ent-
sprechende Bestimmungen für den barrierefreien, behindertengerechten
Zugang
vorgesehen.
Im übrigen ist die Problematik auch
an die Österreichische Ärztekammer und den
Hauptverband
der österreichischen Sozialversicherungsträger herangetragen wor-
den, wobei es insbesondere um
die Frage geht, inwiefern bei der Vergabe neuer
Kasseverträge die Vertragspartner auf das Anliegen der
Behindertenverbände Be-
dacht nehmen könnten. So wurde bereits durch die 58. ASVG-Novelle festgelegt,
dass Gesamtverträge betreffend, Vertragsgruppenpraxen Regelungen über
die Si-
cherstellung eines behindertengerechten Zugangs zu enthalten haben.
Zu Punkt 4.
Im Zusammenhang mit der oben genannten
Verordnung teile ich die im Bericht ge-
troffenen Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Inhalt des Begriffes
Volksge-
sundheit.
Hinsichtlich der Aufnahme einer
verpflichtenden umfassenden Beratung vor pränata-
ler Diagnostik ist auf die Ausführungen im Bericht zu verweisen, die
darlegen, dass
Ärzte ganz allgemein verpflichtet sind, vor Vornahme einer Untersuchung
die betrof-
fene Person umfassend über die Art der vorzunehmenden Untersuchung, deren
Ris-
ken und die Folgen eines bestimmten Untersuchungsergebnisses aufzuklären.