437/AB XXI.GP

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Anna Huber und Genossen haben an mich eine

schriftliche Anfrage betreffend „Umsetzung der e - commerce Richtlinie“ gerichtet.

 

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1:

 

Mit dieser Frage werden Mindeststandardrichtlinien angesprochen, die es den Mit -

gliedstaaten ermöglichen, im Vergleich zu den in der jeweiligen Richtlinie enthalte -

nen Vorschriften strengere Bestimmungen vorzusehen. Derartige Mindeststandard -

klauseln finden sich in zahlreichen Verbraucherschutzrichtlinien, wie etwa auch in

Art. 14 der Fernabsatzrichtlinie. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Mit -

gliedstaaten schon nach dem primären Gemeinschaftsrecht strengere Schutzmaß -

nahmen im Interesse des Verbraucherschutzes beibehalten oder ergreifen.

Der Gemeinsame Standpunkt für eine Richtlinie über den elektronischen Geschäfts -

verkehr wurde vom Rat am 28. Februar 2000 angenommen und wird derzeit vom

Europäischen Parlament in zweiter Lesung behandelt. Artikel 1 Abs. 3 bestimmt,

dass die Richtlinie das auf Dienste der Informationsgesellschaft anwendbare Ge -

meinschaftsrecht ergänzt und das Schutzniveau insbesondere für die öffentliche

Gesundheit und den Verbraucherschutz grundsätzlich unberührt lässt. Auf Drängen

insbesondere der österreichischen Delegation stellt diese Bestimmung entgegen

dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission nicht mehr ausschließlich auf das

gemeinschaftsrechtliche Schutzniveau ab. Vielmehr soll das Schutzniveau maßgeb -

lich sein, wie es sich aus dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen

Rechtsvorschriften zur deren Umsetzung ergibt. Dadurch darf allerdings „die Dienst -

leistungsfreiheit nicht eingeschränkt werden". Im Erwägungsgrund 11 wird in diesem

Zusammenhang nur von dem durch Gemeinschaftsrechtsakte eingeführten Schutz -

niveau gesprochen.

 

Es wird nun die Ansicht vertreten, dass stets das gemeinschaftsrechtliche Schutzni -

veau maßgeblich sein soll. Dies bedeutet, dass einem ausländischen Diensteanbie -

ter von den Behörden und Gerichten eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit

Online - Aktivitäten nur der Mindeststandard einer Richtlinie entgegengehalten wer -

den kann. Ein höherer Schutzstandard soll nach dieser Auffassung für einen auslän -

dischen Diensteanbieter nicht maßgeblich sein.

 

Diese Auslegung wird vom Bundesministerium für Justiz nicht geteilt. Sie würde

letztlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinie führen. Aus diesem Grund

muss das nationale Schutzniveau, das mit dem primären Gemeinschaftsrecht im

Einklang steht, maßgeblich sein. Dies wird durch den Zwischensatz in Art. 1 Abs. 3

des Gemeinsamen Standpunkts („wie es (das Schutzniveau) sich aus Gemein -

schaftsrechtsakten und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu deren Umsetzung

ergibt“) ausgedrückt.

 

Zu  2:

 

Das Versandhandelsverbot für Arzneimittel bleibt - ebenfalls auf Grund einer Initiati -

ve der österreichischen Delegation - vom Gemeinsamen Standpunkt unberührt.

Zwar ist es trotz vielfältiger Bemühungen nicht gelungen, dieses Versandhandels -

verbot in den Anhang der Richtlinie (Ausnahmen vom Binnenmarktprinzip nach

Art. 3) aufzunehmen. Allerdings führen die Erwägungsgründe 18 und 21 aus, dass

sich der Anwendungsbereich der Richtlinie nur auf Rechtsvorschriften für kommer -

zielle Online - Aktivitäten, wie Online - Informationen, Online - Werbung, Online - Shop -

ping oder Online - Vertragsabschlüsse, erstreckt. Rechtliche Anforderungen an kör -

perliche Güter, wie Sicherheitsstandards oder Kennzeichnungspflichten, oder Anfor -

derungen für ihren Vertrieb, wie die Auslieferung oder Vertragserfüllung, fallen da -

gegen nicht unter den Anwendungsbereich der Richtlinie. In Erwägungsgrund 21

wird dazu auf Grund einer Forderung der österreichischen Delegation ausdrücklich

ausgeführt, dass der koordinierte Bereich der Richtlinie keine rechtlichen Anforde -

rungen der Mitgliedstaaten bezüglich Waren, beispielsweise Sicherheitsnormen,

Kennzeichnungspflichten oder Haftung für Waren, und auch keine Anforderungen

der Mitgliedstaaten bezüglich der Lieferung oder Beförderung von Waren, ein -

schließlich der Lieferung von Humanarzneimitteln, betrifft.

Zu 3:

 

Auf Werbemaßnahmen über Online - Dienste ist grundsätzlich das Herkunftslandprin -

zip nach Art. 3 Abs. 2 des Gemeinsamen Standpunkts anzuwenden. Dies wird für

Angebote zur Verkaufsförderung, wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke so -

wie für Preisausschreiben oder Gewinnspiele, in Art. 6 des Gemeinsamen Stand -

punktes ausdrücklich bekräftigt. Die Mitgliedstaaten haben allerdings die Möglich -

keit, nach Art. 3 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts individuelle Maßnahmen in

Abweichung vom Herkunftslandprinzip, also in Anwendung ihrer eigenen innerstaat -

lichen Rechtsvorschriften, gegenüber ausländischen Diensteanbietern zu ergreifen.

Voraussetzung dafür ist, dass eines der in Art. 3 Abs. 4 lit. a genannten Schutzziele

beeinträchtigt wird. Zu diesen Schutzzielen zählt neben dem Schutz der Verbrau -

cher u. a. ausdrücklich auch der Jugendschutz sowie die Verletzung der Menschen -

würde einzelner Personen.

 

Im Einzelfall können gegen ausländische Diensteanbieter, die österreichische

Rechtsvorschriften im Interesse des Jugendschutzes verletzen, verwaltungsbehörd -

liche oder gerichtliche Maßnahmen ergriffen werden. Vorausgesetzt ist, dass diese

Maßnahmen verhältnismäßig sind. Bei verwaltungsbehördlichen Maßnahmen müs -

sen zudem vor deren Erlassung der betroffene Niederlassungsstaat sowie die Kom -

mission informiert und um Abhilfe ersucht werden.

 

Zu 4:

 

Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr soll die Entwicklung des

„electronic commerce“ in Europa fördern. Das wirtschaftliche Potenzial, das den mo -

dernen Informationstechnologien zugeschrieben wird, soll auch zur Sicherung und

Schaffung von Arbeitsplätzen ausgeschöpft werden. Es liegt nach meinem Dafürhal -

ten auch im österreichischen Interesse, diese Potenziale zum Vorteil der österreichi -

schen Wirtschaft und der österreichischen Arbeitnehmer zu nützen. Den modernen

Entwicklungen kann sich Österreich nicht verschließen.

 

Ziel des Gemeinsamen Standpunktes ist es, einen geeigneten rechtlichen Rahmen

zu schaffen, um Rechtssicherheit für elektronische Transaktionen sicherzustellen,

gleichzeitig aber auch für einen angemessenen Kunden - und Verbraucherschutz

Sorge zu tragen. Die Bedeutung des Verbraucherschutzes wird an mehreren Stellen

des Gemeinsamen Standpunkts, insbesondere in den Erwägungsgründen 10, 16

und 29, bekräftigt.

Das Herkunftslandprinzip (nach dem sich die rechtlichen Anforderungen nach dem

„Heimatrecht" des Anbieters richten) ist nicht von vornherein abzulehnen. In vielen

Fällen - besonders im geschäftlichen Verkehr - wird nur ein solches Konzept prakti -

kabel sein. Um eine ausgewogene Lösung insbesondere im Spannungsverhältnis

zwischen dem Herkunftslandprinzip einerseits und dem Verbraucherschutz anderer -

seits zu schaffen, wurden im Gemeinsamen Standpunkt eine Reihe von allgemeinen

und speziellen Ausnahmen von diesem Herkunftslandprinzip vorgesehen. Zudem

wurde - wiederum auf Vorschlag der österreichischen Delegation - im Erwägungs -

grund 21 ausdrücklich festgehalten, dass sowohl eine künftige gemeinschaftliche

Harmonisierung auf dem Gebiet der Dienste der Informationsgesellschaft als auch

künftige Rechtsvorschriften, die auf einzelstaatlicher Ebene in Einklang mit dem Ge -

meinschaftsrecht erlassen werden, unberührt bleiben. Dies bedeutet, dass das Her -

kunftslandprinzip keineswegs gegen weitere Harmonisierungen auf gemeinschafts -

rechtlicher Ebene, insbesondere auf dem Gebiet der Werbung und der so genann -

ten "kommerziellen Kommunikation“, spricht.

 

Zu 5:

 

Nach Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunktes schafft die Richtlinie keine zu -

sätzlichen Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts. Auch befasst sie sich

nicht mit der Zuständigkeit der Gerichte. Zudem wurde im Anhang der Richtlinie

(Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nach Art. 3) - wiederum über Vorschlag der

österreichischen Delegation - die Wendung "vertragliche Schuldverhältnisse in Be -

zug auf Verbraucherverträge“ aufgenommen. Dies bedeutet, dass Art. 5 des Römer

Schuldrechtsübereinkommens über das anzuwendende Recht bei Verbraucherver -

trägen unberührt bleibt. Nach Auffassung des Bundesministeriums für Justiz zählen

die vorvertraglichen Pflichten (culpa in contrahendo) zum Vertragsstatut. Sie sind

damit ebenfalls vom Herkunftslandprinzip ausgenommen.