76/AB XXI.GP
der Anfrage der Abgeordneten Mag. Haupt, Dolinschek und Kollegen
betreffend Armutsgefährdung durch ‚Atypische“ Arbeit,
(Nr. 611J)
Zur vorliegenden Anfrage führe ich Folgendes aus:
Zu Frage 1:
Im Rahmen des Arbeits - und Sozialrechts -Änderungsgesetzes 1997 (ASRÄG 1997),
BGBl. I Nr. 139, wurden ausgehend von der Entschließung des Nationalrates vom
2. Oktober 1996, E 24 - NR/XX.GP (Weiterentwicklung des österreichischen Sozial -
versicherungssystems mit dem Ziel einer breiten und fairen Einbeziehung aller
Erwerbseinkommen) bereits Maßnahmen zur sozialen Absicherung von „atypischen“
Beschäftigungsverhältnissen und Erwerbsformen gesetzt:
Geringfügig beschäftigte Personen unterliegen seit 1. Jänner 1998 zusätzlich zur
Unfallversicherung der Pflichtversicherung in der Kranken - und Pensionsversiche -
rung, wenn die Summe der Entgelte aus sämtlichen Beschäftigungsverhältnissen die
Geringfügigkeitsgrenze von S 3.977,-- (Wert für das Kalenderjahr 2000) übersteigt.
Übersteigt die Summe der Entgelte die Geringfügigkeitsgrenze nicht, so können sich
die betroffenen Personen in der Kranken - und Pensionsversicherung selbstversi -
chern, wobei hierfür ein monatlicher Beitrag in der Höhe von S 561,-- (Wert für das
Kalenderjahr 2000) zu entrichten ist.
Freie Dienstnehmer/Dienstnehmerinnen, die ihre Leistungen im Wesentlichen per -
sönlich erbringen und über keine eigenen wesentlichen Betriebsmittel verfügen, sind
grundsätzlich wie abhängige Dienstnehmer/Dienstnehmerinnen in den Schutzbe -
reich der Kranken -, Unfall - und Pensionsversicherung einbezogen.
Des Weiteren sind seit 1. Jänner 1998 Personen, die aus steuerrechtlicher Sicht
Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit beziehen („neue“ Selbstständige) und
nicht bereits anderweitig pflichtversichert sind, nach dem Gewerblichen Sozialversi -
cherungsgesetz pflichtversichert.
Eine über die bestehende Rechtslage hinausgehende arbeitsrechtliche Absicherung
von Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen mit geringfügiger Beschäftigung, Teilzeitar -
beit, befristeten Arbeitsverhältnissen oder Arbeit auf Abruf wird derzeit nicht für not -
wendig erachtet, da diese Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen durch bereits beste -
hende arbeitsrechtliche Normen vor Missbrauch geschützt werden:
Um Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen mit geringfügiger Beschäftigung besser
sozial abzusichern, wurde mit dem Arbeitsrechtlichen Begleitgesetz zur Pensions -
reform 1992, BGBl. Nr. 833/1992, die zeitliche Grenze, die für die Anwendung
bestimmter arbeitsrechtlicher Gesetze vorgesehen war, abgeschafft. Durch den
Entfall des zeitlichen Mindestausmaßes der Beschäftigung im Geltungsbereich,
wurde die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Angestelltengesetzes bzw.
Gutsangestelltengesetzes für alle Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen mit Angestellten -
tätigkeit sichergestellt, und zwar insbesondere hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im
krankheitsfall, der Dienstverhinderung aus wichtigen Gründen und der Abfertigung
(Art. VII und VIII des zitierten Bundesgesetzes). Ausgenommen blieben aber die Re -
gelungen über die Kündigung. Für geringfügig beschäftigte Angestellte gelten
daher weiterhin die Kündigungsbestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen
Gesetzbuches (ABGB).
Auch im Arbeiter - Abfertigungsgesetz ist die zeitliche Mindestgrenze entfallen
(Art. IX), so dass auch jenen dem Arbeiter - Abfertigungsgesetz unterliegenden
Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen, die weniger als 8 Stunden pro Woche beschäftigt
sind, Abfertigungen zustehen. Im Hausgehilfen - und Hausangestelltengesetz wurde
durch das Arbeitsrechtliche Begleitgesetz (Art. X) ebenfalls die zeitliche Grenze für
die Anwendbarkeit des Gesetzes eliminiert und damit die Gleichstellung der gering -
fügig Beschäftigten mit Vollzeitarbeitnehmern erreicht.
Gleichfalls wurden mit der durch das Arbeitsrechtliche Begleitgesetz (Art. Xl)
erfolgten Normierung des § 19d des Arbeitszeitgesetzes (AZG) arbeitsvertragliche
Bestimmungen für Teilzeitbeschäftigte eingeführt, die u.a. vorschreiben
- unter welchen Voraussetzungen Teilzeitbeschäftigte zu Mehrarbeiten herange -
zogen werden können,
- dass freiwillige Sozialleistungen zumindest im Verhältnis der regelmäßig gelei-
steten Arbeitszeit zur gesetzlichen bzw. kollektivvertraglichen Arbeitszeit zu
gewähren sind, sowie
- dass Teilzeitbeschäftigte wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftig-
ten Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen nicht benachteiligt werden dürfen
(Diskriminierungsverbot).
Die Bestimmungen des § 19d AZG gelten auch für geringfügig Beschäftigte, da die
gesetzliche Regelung der
Teilzeitbeschäftigung keine zeitlichen Untergrenzen kennt.
Um den sozialen Missbrauch von befristeten Arbeitsverhältnissen - die in Österreich
grundsätzlich zulässig sind - zu verhindern, hat sich in der Judikatur ein Verbot der
so genannten ,,Ketten(arbeits) verträge“ entwickelt, wonach eine mehrmalige Anein -
anderreihung befristeter Arbeitsverhältnisse dann zu einem unbefristeten Arbeitsver -
hältnis führt, wenn für diese mehrmaligen Befristungen keine sachliche Rechfferti -
gung gegeben werden kann. Liegt ein ,,Kettenarbeitsverhältnis“ vor, ist eine Beendi-
gung nur nach denselben Regeln wie für unbefristete Arbeitsverhältnisse zulässig.
Das bedeutet, dass eine Kündigung nur unter Einhaltung der vorgeschriebenen
Kündigungsfristen und Kündigungstermine, die vorzeitige Beendigung des Arbeits -
verhältnisses mit sofortiger Wirkung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, der
einen Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses auch während der Kündigungsfrist
unzumutbar macht, zulässig ist.
Vertragsverhältnisse, die Arbeit auf Abruf vorsehen, wobei sich der Arbeitgeber/die
Arbeitgeberin vorbehält, die Arbeitskraft des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin je
nach Auslastung des Betriebes in Anspruch zu nehmen und der Arbeitnehmer/die
Arbeitnehmerin verpflichtet wird, sich zu bestimmten Zeiten für einen Arbeitseinsatz
bereit zu halten, aber nur die Zeit der tatsächlichen Arbeitsleistung abgegolten erhält,
sind nach österreichischem Rechtsverständnis sittenwidrig und gemäß § 879 ABGB
nichtig, da dadurch das wirtschaftliche Risiko auf den Arbeitnehmer/die Arbeitneh -
merin abgewälzt wird.
Der in letzter Zeit in Österreich auftretende Trend zur Beschäftigung von schein -
selbstständigen Personen und die damit zusammenhängende Frage, inwieweit
arbeitsrechtliche Bestimmungen auf die Gruppe der Schein-Selbstständigen auszu -
dehnen sind, um für sie adäquate arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen zu schaf -
fen, zählen zu den wichtigsten sozialpolitischen Herausforderungen der nächsten
Jahre. Bei der Beurteilung, ob im Einzelfall ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist auf Grund
der ständigen Judikatur des OGH davon auszugehen, dass es weder auf die Be -
zeichnung des Vertrages noch auf eine vorliegende schriftliche Vertragsgestaltung,
sondern auf den tatsächlichen Ablauf des Vertragsverhältnisses ankommt. Dieser
durch die Judikatur entwickelte und durch die Lehre gestützte Grundsatz ist bisher
nicht im gesatzten Arbeitsrecht verankert.
Zur Wahrung ihrer Rechte steht Schein - Selbstständigen nach der derzeitigen
Rechtslage der Weg eines Feststellungsverfahrens offen, im Zuge dessen gerichtlich
entschieden wird, ob es sich beim gegenständlichen Vertragsverhältnis um ein
Arbeitsverhältnis handelt.
Zu den Fragen 23 (Harmonisierung der Versorgungstöpfe) und 4:
Die Problematik der österreichweiten Harmonisierung der Armutsbekämpfung wird
schon seit einiger Zeit mit den
Landessozialreferenten diskutiert. Dabei wurde wie -
derholt zum Ausdruck gebracht, dass die Länder an einer Weiterentwicklung der
Sozialhilfegesetzgebung unter Maßgabe des Konsultationsmechanismus interessiert
sind und auch bereit sind, daran mitzuarbeiten. Die Landessozialreferentenkonferenz
hat diesbezüglich zuletzt angeregt, einen Arbeitskreis einzurichten, in dem die
Schwerpunkte einer Vereinheitlichung von Qualitätsstandards in der Sozialhilfe
diskutiert werden sollten.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass die neun Landes - Sozialhilfegesetze der Existenz -
sicherung einer großen Anzahl von armutsgefährdeten bzw. von Armut betroffenen
Menschen in Österreich dienen. Im Sinne einer Weiterentwicklung der Sozialhilfege -
setzgebung und einer effizienten Bekämpfung von Armut wurde in der Folge der
Zweiten Armutskonferenz die Arbeitsgruppe ,,Bedarfsorientierte Mindestsicherung“
gebildet, deren Expertenbericht „Einbinden statt ausgrenzen - Neue Strategien
gegen die Armut“ in der Zwischenzeit fertig gestellt wurde.
Dieser Bericht, der u.a. den Ländern, dem Gemeindebund, gemeinnützigen Organi-
sationen und den Sozialpartnern zur Stellungnahme übermittelt wurde, soll eine der
Grundlagen für die weitere Beschäftigung mit dem Thema Armut sein.
Zu Frage 3 (aktive Arbeitsmarktpolitik):
Zielsetzung von aktiven arbeitsmarktpolitischen Instrumenten, wie z.B. der Besonde -
ren Eingliederungsbeihilfe oder der Betrieblichen Eingliederungsbeihilfe ist es, den
geförderten Personen mit der Integration in den Regelarbeitsmarkt ein angemesse -
nes Erwerbseinkommen zu gewährleisten. Nicht existenzsichernde Beschäftigungs -
verhältnisse zählen daher nicht zu förderbaren Dienstverhältnissen.
Innovative arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Maßnahmen im Leistungsrecht
wie im Rahmen des Paktes für Ältere oder der Aktion New Start sollen dazu beitra -
gen einerseits Arbeit umzuverteilen und derzeit nicht marktfähige Arbeit zu fördern
und andererseits die Geförderten entsprechend materiell und sozialversicherungs -
rechtlich abzusichern.