922/AB XXI.GP
Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Haftungsrecht“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Die Kommission hat zur Vorbereitung eines (zweiten) Berichts über die
Auswirkungen der Produkthaftungsrichtlinie ein Grünbuch versandt, in dem sie
verschiedene Problembereiche dargestellt und auch Lösungsvorschläge erstattet
hat. In diesem Grünbuch wird u.a. der - den Mitgliedstaaten freigestellte -
Haftungsausschluss für das so genannte „Entwicklungsrisiko“ zur Diskussion
gestellt. Die verschiedenen Stellungnahmen zum Grünbuch werden von der
Kommission derzeit ausgewertet, sie sollen in einen Bericht über die Auswirkungen
der Produkthaftungsrichtlinie und allenfalls auch in einen Vorschlag zur Änderung
dieser Richtlinie einfließen. Die österreichische, vom Bundesministerium für Justiz
vorbereitete und koordinierte Stellungnahme ist angeschlossen.
Beim derzeitigen Stand der Dinge erscheint es sinnvoll, die Ergebnisse der weiteren
Arbeiten auf europäischer Ebene vorerst abzuwarten. Das gilt auch für den
Haftungsausschluss des Entwicklungsrisikos (§ 8 Z 2 Produkthaftungsgesetz), der
von den Mitgliedstaaten unterschiedlich gehandhabt wird. Besonderes Interesse
verdienen dabei die Berichte derjenigen Mitgliedstaaten, die diesen
Haftungsausschluss nicht in ihr
Produkthaftungsrecht übernommen haben.
Zu 2:
Nach § 13 Produkthaftungsgesetz erlöschen Ersatzansprüche nach diesem
Bundesgesetz spätestens in zehn Jahre nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens
des fraglichen Produkts. Diese Verjährungsfrist ist in der Richtlinie vorgezeichnet.
Sie soll einen Ausgleich für die mit der verschuldensunabhängigen Produkthaftung
verbundenen Belastungen des Unternehmers bilden. Weitergehende Ansprüche
(etwa die Haftung des Herstellers aufgrund eines Verschuldens) bleiben freilich
unberührt.
In Einzelfällen kann die verhältnismäßig kurze Verjährungsfrist des § 13
Produkthaftungsgesetz in der Tat zu Härten führen. Das gilt insbesondere für die in
der Anfrage erwähnten gesundheitlichen Spätfolgen eines Arzneimittels oder
anderer Stoffe, die am Menschen angewendet werden. Diese Fälle sollten bei den
weiteren Erwägungen zur Reform des Produkthaftungsrecht bedacht werden.
Zu 3:
Aus konsumentenpolitischer Sicht erscheint der ebenfalls in der
Produkthaftungsrichtlinie vorgezeichnete „Selbstbehalt“ von 7.900 S unbefriedigend.
Auch diese Frage wird daher bei den weiteren Beratungen auf europäischer Ebene
zu verfolgen sein.
Zu 4:
Nach der Rechtsprechung zum Produkthaftungsgesetz wird zwar für Sachschäden,
nicht aber für weitere Vermögensschäden gehaftet. In diesem Bereich stimmt das
Produkthaftungsgesetz mit anderen Gefährdungshaftungsgesetzen überein, nach
denen zwar die Beschädigung von Sachen, nicht aber die Zufügung weiterer
Vermögensnachteile ersatzpflichtig macht. Dieser Zusammenhang sollte beachtet
werden. Darüber hinaus sollte auch darauf geachtet werden, dass die
entsprechenden Deckungsmittel zur Verfügung stehen und nicht zugunsten von
reinen Vermögensschäden andere Ersatzansprüche (beispielsweise aus
Personenschäden) gekürzt werden.
Zu 5:
Derzeit ist die Kommission damit beschäftigt, die Stellungnahmen zum Grünbuch
auszuwerten. Das Bundesministerium für Justiz wird auch in den von der
Kommission veranstalteten Arbeitssitzungen auf Verbesserungen der Richtlinie
hinwirken.
BEILAGE
Grünbuch "Die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Produkte“
KOM(1999) 396 endg.
Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz
I. Allgemeine Bemerkungen
1. Einleitend sei bemerkt, dass die Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom
25. Juli 1995 zur Angleichung der Rechts - und Verwaltungsvorschriften der Mitglied -
staaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte in der Fassung der Änderungs -
richtlinie 99/34/EG in weiten Bereichen ein ausgewogenes Instrument bildet, das die
Interessen der Wirtschaftsunternehmen einerseits und die Anliegen des Verbrau -
cherschutzes andererseits in gleicher Weise berücksichtigt. Die Richtlinie und das
auf ihrer Grundlage erlassene und geänderte österreichische Produkthaftungsgesetz
haben sich in der Praxis vielfach bewährt und einen sicheren Rechtsrahmen für Un -
ternehmen und Verbraucher geschaffen. Besonders hervorzuheben ist dabei auch
der klare und übersichtliche Aufbau der Richtlinie, von dem auch das österreichische
Produkthaftungsgesetz profitiert hat. Die Überlegungen zur Weiterentwicklung des
Produkthaftungsrechts sollten vor dem Hintergrund der erwiesenen Qualitäten der
Richtlinie angestellt werden: In diesem Sinn ist darauf zu achten, dass das durch die
Richtlinie erzielte Gleichgewicht zwischen den Interessen der Hersteller und den In -
teressen der Verbraucher nicht gestört wird. Gleichzeitig sollte aber im Auge behal -
ten werden, dass auch die Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes in man -
chen Bereichen auf Grund der wirtschaftlichen, technischen und auch gesellschaftli -
chen Entwicklung seit dem Inkrafttreten der Richtlinie zur Störung dieses Gleichge -
wichts führen kann, weil die Belange der Geschädigten nicht mehr ausreichend be -
rücksichtigt werden. Die Weiterentwicklung des Produkthaftungsrechts sollte vor
diesem Hintergrund mit Vorsicht und Behutsamkeit angegangen werden. Änderun -
gen sollten nur in solchen Bereichen vorgeschlagen und vorgenommen werden, in
denen nachweislich konkrete Defizite oder
Verbesserungsmöglichkeiten bestehen.
Diesem Ansatz und diesem Zugang wird das vorliegende Grünbuch der Kom -
mission weitgehend gerecht.
2. Eine gewisse Schwäche des Grünbuchs liegt darin, dass es die rechtlichen
und sozialen Realitäten in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht ausreichend berück -
sichtigt: So wird insbesondere der Frage, inwieweit die Nachteile aus der Verletzung
oder Tötung von Menschen durch Systeme der sozialen Sicherheit gleichsam „auf -
gefangen" werden, zu wenig Raum gewidmet. Nach dem österreichischen Recht
wird ein beträchtlicher Teil der aus einem Körperschaden resultierenden Nachteile
(z.B. Heilungs - und Krankenhauskosten sowie der Verdienstentgang) vorläufig von
Sozialversicherungsträgern gedeckt. Die der Richtlinie und dem Grünbuch zugrunde
liegende Gegenüberstellung der Interessen des Herstellers einerseits und des Ver -
brauchers andererseits entspricht in diesem Sinn nicht den realen Gegebenheiten.
Im Hinblick auf die beinahe lückenlose Sozialversicherungspflicht müsste statt des -
sen - aus österreichischer Sicht - bei der unerlässlichen Interessenabwägung das
„Dreieck“ Hersteller - Geschädigter - Sozialversicherungsträger im Vordergrund ste -
hen. Bei den Vorschlägen zur Reform der Produkthaftung sollten in diesem Sinn die
Finanzierungsprobleme der Sozialversicherungsträger und der öffentlichen Haushal -
te Berücksichtigung finden. Auch wäre es problematisch, wenn Produkthaftungsrisi -
ken auf die Sozialversicherungsträger verlagert und damit gleichsam „sozialisiert“
werden.
Weiters vernachlässigt das Grünbuch die Wechselwirkungen zwischen der öf -
fentlich - rechtlichen Produktsicherheit einerseits und der zivilrechtlichen Produkthaf -
tung andererseits. Beide Bereiche stehen in einem engen und in Wahrheit untrenn -
baren Zusammenhang. Ein einigermaßen effizientes Produktsicherheitsmanagement
trägt entscheidend dazu bei, dass es nicht zu (weiteren) Produkthaftungsfällen
kommt. Umgekehrt wird eine Lockerung der Anforderungen an die Produktsicherheit
zu einer Häufung von Schadensfällen und auch zu einem erhöhten Bedarf nach ei -
ner Änderung des Haftungsrechts führen. Diese gegenseitigen Interpendenzen soll -
ten auf alle Fälle Beachtung finden. Eine bloß isolierte Betrachtung nur eines
Rechtsbereichs wäre in diesem Sinn
verfehlt.
Allgemein ist weiters festzuhalten, dass die im Grünbuch aufgeworfenen Fra -
gen wenigstens zum Teil politischer Natur sind. Es ist zwar ohne jeden Zweifel legi -
tim und auch richtig, dass die Kommission statt einfacher Grundsatzentscheidungen
vor allem „Fakten“ erfahren will. Solche „Fakten“ werden die politische Entscheidung
aber nicht allein prägen können, zumal sie Dinge vielfach nur aus der Sicht einer
Seite darstellen. Das lässt sich nicht zuletzt mit den Kostenfolgen einer Änderung
des Produkthaftungsrecht belegen: Die für die Hersteller, Importeure und Lieferanten
mit möglichen Verschärfungen des Produkthaftungsrechts verbundenen Mehrkosten
(aus österreichischer Sicht werden dies vor allem Versicherungskosten sein) be -
leuchten die eine Seite des Problems. Aus volkswirtschaftlicher Sicht reichen diese
Zahlen freilich nicht aus, weil sie die beim Geschädigten verbleibenden Nachteile
(die sich ebenfalls in Geld bemessen lassen) und die mit einem Haftungsfall für den
Sozialversicherungsträger verbundenen Kosten nicht wiedergeben. Auch diese Ko -
sten und Nachteile müssen bei der erforderlichen Interessenabwägung berücksich -
tigt werden. Die Kenntnis mancher „Fakten“ ist für die Änderung des Produkthaf -
tungsrechts gewiss unerlässlich; die politische Entscheidung können diese Daten
aber nicht vorwegnehmen. In diesem Sinn erlaubt sich das Bundesministerium für
Justiz, in seiner Stellungnahme auch auf solche rechts - , verbraucher - und wirt -
schaftspolitische Belange einzugehen.
Schließlich sei zum Grünbuch noch kritisch vermerkt, dass die Produkthaf -
tungsrichtlinie zwar einen wichtigen Beitrag zur Harmonisierung des Haftungsrechts
bildet. Die Auswirkungen der Richtlinie sind freilich wieder beschränkt, weil ihre Be -
stimmungen in die nationalen Haftungs - und Versicherungsrechte mit all deren Un -
terschieden und Besonderheiten eingebettet ist. Gerade dieser Umstand sollte nach
Ansicht des Bundesministeriums für Justiz bei der Weiterentwicklung der Richtlinie
berücksichtigt werden. Vor allem in der Frage der Höhe des zu ersetzenden Scha -
dens (beispielsweise bei der Frage des Schmerzengeldes) wäre eine weitere
Rechtsangleichung wünschenswert und im Hinblick auf möglichst einheitliche Wett -
bewerbsbedingungen im Binnenmarkt wohl auch geboten.
Die Diskussion über die Änderung der Richtlinie sollte darüber hinaus auch
vor dem Hintergrund einer weitergehenden Harmonisierung des europäischen Haf -
tungs - und Versicherungsrechts gesehen
werden. Hier kann übrigens das jüngst in
Wien gegründete European Centre of Tort and Insurance Law wertvolle Anstösse
beitragen.
3. Die Produkthaftungsrichtlinie weist einen sehr weiten Anwendungsbereich
auf. Sie deckt grundsätzlich die Haftung für jegliche Art von Produkt ab, da sie in ih -
rem Art. 2 als Produkt „jede bewegliche Sache“ definiert, auch wenn diese den Teil
einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. Dieser
weite Anwendungsbereich bildet einerseits eine der Stärken der Richtlinie, er birgt
andererseits aber die Gefahr in sich, dass die Vorschriften der Richtlinie nicht allen
denkbaren Problemstellungen gleichermaßen gerecht werden können. In der Tat
lassen sich Produktbereiche identifizieren, in denen die Rechtsinstrumente der
Richtlinie an ihre Grenzen stoßen, etwa in den Fragen der Beweislast, des Entwick -
lungsrisikos oder der Verjährungsfrist. Als Beispiele seien hiefür gentechnisch verän -
derte Produkte, chemische Stoffe sowie Arzneimittel bzw. Medizinprodukte ange -
führt. Während etwa der Kausalzusammenhang zwischen einem Produktfehler und
einem bestimmten Körperschaden bei mechanischen Produkten (etwa Haushaltsge -
räten oder Kraftfahrzeugen) in aller Regel sicher erbracht werden kann, ist dies bei -
spielsweise bei bestimmten Nahrungs - oder Arzneimitteln nicht ohne weiteres der
Fall. Auch reichen die im Allgemeinen zulänglichen Fristen der Art. 10 und 11 bei
durch solche Produkte verursachten Spätschäden nicht immer aus. In Teilbereichen
und bei bestimmten Produktarten erscheinen die ansonsten durchaus praktikablen
allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie also nicht angemessen. Das spricht dafür,
für diese Bereiche Sonderregeln zu überlegen, die den besonderen Anforderungen
entsprechen und wiederum zu einem angemessenen Interessenausgleich beitragen
können. keineswegs vernachlässigt werden darf dabei die politische Komponente:
Wenn es beispielsweise richtig sein sollte, dass ein Großteil der europäischen Ver -
braucher gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln gegenüber eine profunde
Skepsis hegt, kann das Haftungsrecht an diesen Zweifeln nicht vorbeigehen. Auch
sollte danach getrachtet werden, rechtzeitig ein angemessenes Haftungsinstrument
zur Verfügung zu stellen und nicht erst dann zu agieren, wenn bereits „etwas pas -
siert“ ist. Im Einzelnen wird auf die
angesprochenen sensiblen Produktbereiche bei
der Beantwortung der vom Grünbuch konkret gestellten Fragen Bedacht genommen
werden.
4. Letztlich sei festgehalten, dass - wie auch im Grünbuch erwähnt - bestimm -
te Produkthaftungsfälle in der Vergangenheit nicht auf zivilrechtlicher Grundlage und
auch nicht sozialversicherungsrechtlich gelöst worden sind, sondern im Rahmen
spezifischer Ausgleichs - und Entschädigungsfonds. Dabei hat es den Anschein,
dass solche Konstruktionen derzeit auf die einzelnen Mitgliedstaaten beschränkt
sind, sei es, dass nur die Unternehmen in einem Mitgliedstaat (gemeinsam mit der
öffentlichen Hand) zu den anfallenden Kosten beitragen, sei es, dass nur die in ei -
nem Mitgliedstaat ansässigen Geschädigten an einem solchen Fonds teilhaben.
Diese Beschränkungen könnten auf Dauer im Binnenmarkt zu gewissen Problemen
führen, zumal die Unternehmen, die sich an einem solchen Fonds beteiligen, im Ver -
gleich zu den Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat bestimmte Wettbewerbs -
nachteile haben. Nach Auffassung des Bundesministeriums für Justiz sind solche
Fondslösungen im Prinzip zu begrüßen, weil sie den betroffenen Geschädigten die
Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtern, weil sie die Nachteile für die beteiligten
Unternehmen vermindern und weil sie auch im Interesse der öffentlichen Hand lie -
gen. Allerdings sollte überlegt werden, die erwähnten Verzerrungen in den Wettbe -
werbsbedingungen im Binnenmarkt durch einen einheitlichen Mindeststandard und
durch Regelungen zur Partizipation der auf dem Binnenmarkt agierenden Untern -
nehmen zu begleiten. Für solche Überlegungen bietet die allenfalls anstehende Re -
vision der Produkthaftungsrichtlinie Gelegenheit.
II. Zu den einzelnen Fragen des Grünbuchs:
Zu Punkt 1: Wie einleitend schon ausgeführt, hat die Richtlinie einen ausge -
wogenen rechtlichen Rahmen für die Haftung für fehlerhafte Produkte geschaffen
und sich in der Praxis durchaus bewährt. Nach den dem Bundesministerium für Ju -
stiz vorliegenden Informationen werden Produkthaftungsfälle in Österreich nahezu
ausschließlich auf der Basis des
Produkthaftungsgesetzes gelöst. Nur in seltenen
Ausnahmefällen wird auf das Regime der allgemeinen Verschuldenshaftung nach
dem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch zurückgegriffen. Dennoch sollte Art. 13
der Richtlinie beibehalten werden, weil diese Bestimmung die Lücken der verschul -
densunabhängigen Produkthaftung schließen hilft. Es ist auch nichts Ungewöhnli -
ches, dass dem Betroffenen mehrere Ansprüche in Konkurrenz zueinander zur Ver -
fügung stehen.
Die Einführung einer "Mindestklausel" in die Richtlinie erscheint aus der Sicht
des Bundesministeriums für Justiz nicht angezeigt. Die damit möglicherweise ver -
bundenen Verzerrungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt liegen weder im Interes -
se der Unternehmer noch im Interesse der Verbraucher.
Zu Punkt 2: Dem Bundesministerium für Justiz liegen keine negativen Erfah -
rungsberichte der Exportwirtschaft vor.
Zu Punkt 3: Konkretes Datenmaterial liegt dem Bundesministerium für Justiz
nicht vor. Generell ist aber zu bemerken, dass die Anzahl der gerichtsanhängigen
Fälle nach dem österreichischen Produkthaftungsgesetz verhältnismäßig gering ist.
Das deutet darauf hin, dass sich die Produkthaftungsfälle im allgemeinen in Grenzen
halten und dass solche Schadensfälle - wenn sie denn auftreten - im Hinblick auf die
klare rechtliche Situation ohne gerichtliche Auseinandersetzung bereinigt werden.
Zur Frage 4 ist festzuhalten, dass die Rechtsstellung der Geschädigten durch
die Richtlinie beträchtlich verbessert wurde. Die Frage, inwieweit ein stärkerer Inter -
essensschutz für die Opfer wünschenswert ist, kann nicht auf Grund konkreten Da -
tenmaterials beantwortet werden, sondern ist letztlich rechts - , verbraucher - und wirt -
schaftspolitisch zu entscheiden. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass die
Beibehaltung des bisherigen Rechtszustandes auf Grund der wirtschaftlichen, wis -
senschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu gewissen Defiziten und
Lücken im Schutzbereich der Richtlinie führen kann. Diesbezüglich gibt es innerhalb
Österreichs naturgemäß Auffassungsunterschiede zwischen der Wirtschaft einer -
seits und den Vertretern der Verbraucherseite andererseits. Ein möglicher Ände -
rungsbedarf hat sich in Österreich bei der politischen Debatte im Anschluss an das
so genannte "Gentechnik -
Volksbegehren“ gezeigt. Konkrete Anlassfälle, die eine
Änderung nahelegen würden, sind dem Bundesministerium für Justiz jedoch nicht
bekannt.
Das Verhältnis zwischen den Entschädigungsmöglichkeiten der Richtlinie und
jenen der Sozialversicherung (Frage 5) kann für den österreichischen Bereich als
ausgewogen bezeichnet werden. Fälle, in denen Sozialversicherungen gegen den
Hersteller eines Produkts, das einen Körperschaden verursacht hat, Regress neh -
men, sind bekannt. Derzeit ist jedoch noch zu beobachten, dass bei weitem nicht in
allen Fällen, in denen dies nach der Rechtslage möglich wäre, der Sozialversicherer
im Regresswege tätig wird. Es besteht aber Grund zu der Annahme, dass die Sozial -
versicherer hier in Zukunft deutlich aktiver werden.
Zu Frage 6: Wie bereits ausgeführt, ist die Anzahl der gerichtsanhängigen
Fälle nach dem Produkthaftungsgesetz relativ gering. Über die Anzahl der außerge -
richtlich bereinigten Fälle kann ebenfalls kein genaues Datenmaterial zur Verfügung
gestellt werden. Nach Angaben des Verbandes der Versicherungsunternehmen
Österreichs verfügt die Versicherungswirtschaft auch nicht über Datenmaterial im
Sinn der Frage 7. Relativ eindeutig abschätzbar ist aber die Verteilung der Scha -
densmeldungen auf Konstruktions - oder Herstellungsfehler einerseits und auf die
Kategorie mangelnde Aufklärung/Gebrauchsanweisung andererseits. Mindestens 80
% der Meldungen entfallen auf die erste Kategorie.
Zur Frage 8 darf wiederum auf die einleitende Darstellung hingewiesen wer -
den, wonach die Produkthaftungsrichtlinie für die weit überwiegende Zahl aller Fälle
einen ausgewogenen Rechtsrahmen bildet. Die in der Frage genannten sechs
Grundsätze bieten einen angemessenen Interessenausgleich. Diese Ausgewogen -
heit ergibt sich aber nicht nur aus dem Verhältnis dieser Grundsätze zueinander,
sondern auch aus dem Verhältnis des Produkthaftungsrechts insgesamt zu seinen
rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere zum Produktsicherheitsrecht. Soll -
ten sich diese Rahmenbedingungen ändern (etwa durch Abschaffung oder Zurück -
drängung von Genehmigungs - oder Meldepflichten für besonders gefährliche Pro -
dukte), so wäre das Haftungsrecht gefordert. Allfällige Liberalisierungsschritte im Be -
reich öffentlich - rechtlicher Vorschriften können nicht zu Lasten der Verbraucher ge -
hen.
Wie schon ausgeführt, wären zudem in besonders sensiblen Produktberei -
chen (genannt seien hier wiederum der Bereich der Gentechnik, chemische Stoffe
und Arneimittel sowie Medizinprodukte) die Fragen der Beweislast, des Entwick -
lungsrisikos und der Verjährung zu überdenken.
Zur Frage 9: In manchen Bereichen erscheinen Beweiserleichterungen
durchaus überlegenswert. So kann etwa der sichere Beweis für einen Kausalzusam -
menhang zwischen dem Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel und einer
bestimmten Gesundheitsstörung äußerst schwierig zu führen sein. In diesen be -
stimmten (noch zu definierenden) Bereichen sind nach Ansicht des Bundesministeri -
ums für Justiz Beweiserleichterungen möglich und denkbar, die einerseits die Be -
weisnot des Geschädigten lindern und andererseits nicht zu einer unzumutbaren Be -
lastung des Herstellers führen.
Der Einführung einer Marktanteilshaftung (Frage 10) steht das Bundesmini -
sterium für Justiz eher skeptisch gegenüber. Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer
solchen Regelung ist wohl insbesondere auch Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie zu berück -
sichtigen, wonach jeder Lieferant eines Produktes haftungsrechtlich als dessen Her -
steller behandelt wird, wenn er dem Geschädigten nicht innerhalb angemessener
Frist den Hersteller oder seinen Zulieferer nennt. Das Bundesministerium für Justiz
geht davon aus, dass diese Regelung vom Lieferanten die eindeutige Benennung
des Zulieferers fordert und dass es nicht ausreicht, dem Geschädigten (in Ermange -
lung eigener sicherer Aufzeichnungen) bloß mitzuteilen, das Produkt stamme von ei -
nem von mehreren möglichen Vorlieferanten. Wenn aber im Falle ungeklärter Her -
kunft eines Produktes dem Geschädigten ohnedies der Letztverkäufer verschuldens -
unabhängig haften muss, besteht für eine Marktanteilshaftung möglicherweise keine
zwingende Notwendigkeit.
Zu Frage 11: Es ist letztlich eine rechts - , verbraucher - und wirtschaftspoliti -
sche Frage, ob das Entwicklungsrisiko in einzelnen Produktbereichen vom Hersteller
getragen werden soll. Wiederum sind hier die Bereiche Gentechnik, Chemie und
Pharmaindustrie zu nennen, wo an eine Übertragung des Entwicklungsrisikos auf die
Hersteller, allenfalls auch an Versicherungs - oder Fondslösungen gedacht werden
könnte. Generell sollte bei
Änderungen an diesem Ausschlusstatbestand aber mit
Vorsicht und Augenmaß vorgegangen werden, um die Innovations - und Entwick -
lungsfähigkeit der Industrie, die auch dem Verbraucher zum Vorteil gereichen kön -
nen, nicht über Gebühr zu beeinträchtigen. Die derzeitige Situation bereitet aber
auch einiges Unbehagen, weil sie den im Gefährdungshaftungsrecht anerkannten
Grundsatz nicht berücksichtigt, dass derjenige, der den Vorteil aus einer gefährlichen
Tätigkeit hat, auch den Nachteil anderer zu ersetzen hat. Von besonderem Interesse
wären die Erfahrungen derjenigen Mitgliedstaaten, die auf den Auschluss der Haf -
tung für das Entwicklungsrisiko verzichtet haben. Insbesondere wenn es sich erwei -
sen sollte, dass diese Entscheidung zu keinen negativen Auswirkungen auf die je -
weiligen Unternehmen und ihr Risiko geführt hat, so müsste wohl der Ausschluss
des Entwicklungsrisikos in der Richtlinie „berdacht werden.
Zu Frage 12: Über Datenmaterial zu dieser Frage verfügt das Bundesministe -
rium für Justiz nicht. In der Frage des Selbstbehalts sind die Meinungen in Öster -
reich naturgemäß geteilt: Während die Wirtschaft für eine Beibehaltung des Art. 9 lit.
b der Richtlinie plädiert, sollte aus der Sicht der Verbraucher entweder diese Schwel -
le überhaupt gestrichen oder eine niedrigere Untergrenze für Bagatellschäden (etwa
im Bereich von 100 Euro), bei deren Überschreiten der Schaden zur Gänze ersetzt
wird, eingezogen werden.
Die Möglichkeit zur Haftungsbegrenzung nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie
wurde von Österreich nicht genützt. Bislang hat der Grundsatz der unbegrenzten
Haftung nach den dem Bundesministerium für Justiz vorliegenden Informationen zu
keinen negativen Ergebnissen geführt. Allenfalls könnte in denjenigen Bereichen, in
denen das Entwicklungsrisiko die Hersteller treffen könnte, im Gegenzug eine (zwin -
gende) Haftungsbegrenzung überlegt werden.
Die zehnjährige Verjährungsfrist (Frage 13) ist im Allgemeinen praktikabel.
Wie oben ausgeführt, könnte eine Fristverlängerung für denjenigen Bereiche über -
legt werden, in denen besonders mit Spätschäden zu rechnen ist. Die Verbraucher -
seite wünscht in Österreich generell eine Verdoppelung der Frist.
Zu Frage 14: Österreich weist eine sehr hohe Versicherungsdichte auf. Aus
der Sicht der potenziell Geschädigten ist das Eingehen einer Haftpflichtversicherung
eine besonders sichere Art der
Deckungsvorsorge. Es erscheint durchaus angezeigt,
den Abschluss der Produkthaftpflichtversicherung möglichst zu fördern. Dem Ver -
braucherschutzgedanken folgend wäre auch eine - gesetzliche - Versicherungspflicht
mit obligatorischer Nachdeckung über einen angemessenen Zeitraum nach Beendi -
gung des Versicherungsverhältnisses angezeigt.
Nach dem österreichischen Produkthaftungsgesetz kann der Unternehmer
auch andere Modelle der „Deckungsvorsorge“ wählen. Hier haben sich in der Praxis
gewisse Probleme aufgetan, die dafür sprechen, gegebenenfalls eine Haftpflichtver -
sicherung oder eine - im Insolvenzfall - gleichwertige Sicherheit zu verlangen.
Frage 15: Angesichts des Umstandes, dass sich in Österreich eine Reihe
von Institutionen teils auf freiwilliger, teils auf gesetzlicher Basis um Belange der Pro -
duktsicherheit kümmert, scheint eine solche gesetzliche Regelung nicht erforderlich
zu sein.
Zu Frage 16: Nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz sollte die ge -
richtliche Geltendmachung der Ansprüche des Geschädigten nicht unnötig erschwert
werden.
Die im zweiten Absatz gestellte Frage scheint darauf abzuzielen, mögliche
Lücken der Richtlinie zu schließen und insbesondere den Fall abzudecken, dass ein
Produkt im Zeitpunkt des Inverkehrbringens noch fehlerlos war und erst auf dem
„Vertriebsweg“ fehlerhaft wird, etwa durch eine unsachgemäße Lagerung oder durch
Einwirkungen auf dem Transport. Gegen eine solche (auf Ausnahmefälle beschränk -
te) Lückenschließung bestehen keine Bedenken.
Unabhängig davon sollte nach Auffassung des Bundesministeriums für Justiz
überlegt werden, ob es im Hinblick auf die Vertiefung des Binnenmarkts auch in Hin -
kunft ausreicht, den Rückgriff bzw. Regress aus einem Produkthaftungsfall den Mit -
gliedstaaten zu überlassen. In diesem Zusammenhang sei auf Art. 4 der Richtlinie
1999/44/EG über bestimmte Aspekte des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien
für Verbrauchsgüter verwiesen, wo ein Rücksgriffsanspruch des Letztverkäufers sta -
tuiert wird (dessen nähere Ausgestaltung des Mitgliedstaaten obliegt). Auch wenn
die Sach - und Rechtslage im
Gewährleistungsrecht mit jener im Produkthaftungsge -
setz nicht unbedingt ident ist, sollte eine solche „grenzüberschreitende“ Rückgriffsre -
gelung in der Richtlinie doch zumindest überlegt werden.
Zu Frage 17 (Ausdehnung der Richtlinie auf unbewegliche Sachen) sind dem
Bundesministerium für Justiz keine Fälle bekannt, die eine derartige Ausdehnung er -
forderlich erscheinen ließen. Auch können solche Fälle wohl nach nationalem Recht,
unter Umständen auch durch eine europaweite "Dienstleistungshaftung“, einigerma -
ßen befriedigend gelöst werden.
Zu Frage 18: Das österreichische Produkthaftungsgesetz verweist be -
züglich des Umfangs der zu ersetzenden Schäden auf das allgemeine bürgerliche
Recht, demzufolge auch ideelle Schäden (insbesondere Schmerzengeld) zu erset -
zen sind. Wie eingangs dargelegt, erscheint gerade hier eine weitere Rechtsverein -
heitlichung geboten. Die österreichischen Erfahrungen zeigen, dass dabei durchaus
ein großzügiger Maßstab angelegt werden kann. Allerdings sollte es beim System
des zivilrechtlichen Schadenersatzes bleiben, die Einführung von Ersatzvorschriften
mit Strafcharakter (punitive damages nach amerikanischem Vorbild) wäre strikt ab -
zulehnen.
Bezüglich der Einbeziehung von Schäden an gewerblich genutzten Sachen
herrscht innerhalb Österreichs keine einheitliche Meinung.
Zu Frage 19: Aus österreichischer Sicht, also aus der Sicht eines Landes mit
einem gut funktionierenden System der Zivilgerichtsbarkeit, erscheint die Einführung
besonderer Mechanismen zur außergerichtlichen Streitbeilegung im vorliegenden
Bereich nicht erforderlich. Die geringe Anzahl gerichtsanhängiger Fälle in Österreich
legt zudem die Vermutung nahe, dass die außergerichtliche Streitbeilegung im Kor -
respondenzweg zwischen (allenfalls anwaltlich vertretenen) Geschädigten und den
Produkthaftpflichtversicherern in aller Regel gut funktioniert.
Das Rechtsinstitut der Unterlassungsklage im Sinne der Richtlinie 98/27/EG
könnte auch für die Produkthaftung nutzbar gemacht werden. Vorbeugende Maß -
nahmen zur Fernhaltung unsicherer Produkte vom Markt sollten aber primär den Be -
hörden auf der Grundlage des
Produktsicherheitsrechts überlassen bleiben.
Die Durchsetzung von Gruppeninteressen wird im österreichischen Zivilpro -
zessrecht schon derzeit - durch die Möglichkeit der Zedierung von Produkthaftungs -
ansprüchen an Verbraucherverbände - erleichtert. Weitergehende Mechanismen er -
scheinen in diesem eingeschränkten Bereich derzeit nicht erforderlich.