Vorblatt

Problem:

Österreich ist Vertragspartei des am 7. November 1991 unterzeichneten Übereinkommens zum Schutz der Alpen (Alpenkonvention), BGBl. Nr. 477/1995 idF BGBl. III Nr. 18/1999. Dieses als Rahmenvertrag konzipierte internationale Übereinkommen hat zum Ziel, unter Beachtung des Vorsorge-, Verursacher- und des Kooperationsprinzips eine ganzheitliche Politik zur Erhaltung und zum Schutz der Alpen unter ausgewogener Berücksichtigung der berechtigten Interessen aller Alpenstaaten und ihrer alpinen Regionen sowie einer umsichtigen und nachhaltigen Nutzung der Ressourcen sicherzustellen. Dabei soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Alpenraum auf Basis entsprechender Durchführungsprotokolle zur Umsetzung der in der Alpenkonvention enthaltenen Zielvorgaben noch weiter verstärkt werden.

Ziel:

Anlässlich der letzten, 6. Tagung der Alpenkonferenz vom 30./31. Oktober 2000 in Luzern wurden das Protokoll „Verkehr“ sowie das „Protokoll zur Durchführung der Alpenkonvention von 1991 über die Beilegung von Streitigkeiten“ angenommen und vom Großteil der Vertragsparteien unterzeichnet; Österreich hat ebenso diese Protokolle im Rahmen der letzten, 6. Ministerkonferenz, 30./31. Oktober 2000 in Luzern unterzeichnet. Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten stellt seit jeher eines der Hauptanliegen des Völkerrechts dar, sodass eine Fülle von Instrumentarien, Techniken und Methoden zur Konfliktbeilegung und mit zunehmenderem Maße auch zur Konfliktverhütung entwickelt worden sind. Mit dem vorliegenden Streitbelegungsprotokoll wurde eine seit Jahren existierende Lücke der Alpenkonvention geschlossen.

Alternativen:

Keine.

Verhältnis zu Rechtsvorschriften der EU:

EU-Konformität ist gegeben. Im Falle einer Streitigkeit über die Auslegung oder Anwendung der Alpenkonvention oder eines ihrer Protokolle, die allenfalls anzuwendendes Gemeinschaftsrecht berührt und die zwischen Vertragsparteien der Alpenkonvention besteht, die auch Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind, wären jedoch, soweit dies gemeinschaftsrechtlich geboten ist, die Streitbeilegungsverfahren der Europäischen Gemeinschaft anzuwenden.

Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Keine.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

Finanzielle Auswirkungen:

Keine.

Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Ausgangslage:

Das Streitbeilegungsprotokoll hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Es hat nicht politischen Charakter und ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich zugänglich, sodass eine Erlassung von Gesetzen gemäß Artikel 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Das Protokoll enthält keine verfassungsändernden Bestimmungen. Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 letzter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbstständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Streitbeilegung im Rahmen der Alpenkonvention und ihrer Protokolle:

Das Streitbeilegungsprotokoll geht zurück auf eine ausführliche Diskussion zum Verkehrsprotokoll und den sich daraus ergebenden Ansatz, die komplexe Problematik des Alpentransits im Wege des neu zu verhandelnden Verkehrsprotokolls auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsdurchsetzung und Streitschlichtung zu betrachten. Letztlich führte dies dazu, dass anlässlich der 5. Internationalen Alpenkonferenz vom 16. Oktober 1998 in Bled/Slowenien neben der Neueinrichtung der Arbeitsgruppe Verkehr auch eine unter österreichischem Vorsitz stehende ad hoc Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Konsultations- und Streitbeilegungsverfahrens im Rahmen der Alpenkonvention eingesetzt wurde.

Bereits bei dieser Gelegenheit wurde klargestellt, dass ein solches Streitbeilegungsverfahren nicht exklusiv für das Verkehrsprotokoll geschaffen werden würde, sondern seine Wirkung auf das gesamte Übereinkommen erstreckt werden sollte. Ein Beweggrund dafür war das Bestreben der Parteien, unter Zuhilfenahme international gebräuchlicher Mechanismen, flankierende Maßnahmen für die noch offenen Arbeiten zum Verkehrsprotokoll zu setzen. 

Damit wurde das Übereinkommen zum Schutz der Alpen im Wege eines spezifischen Protokolls über die Beilegung von Streitigkeiten ergänzt. So stellt dieses Protokoll nicht ein Durchführungsprotokoll im klassischen Sinne dar.

Besonderer Teil

Aus der Konzeption des Protokolls zur Durchführung der Alpenkonvention von 1991 über die Beilegung von Streitigkeiten ergibt sich folgender Aufbau:

Zu Artikel 1 – Konsultationen:

Art. 1 legt fest, dass eine Streitigkeit zwischen Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung der Alpenkonvention oder eines ihrer Protokolle von den Vertragsparteien vorrangig im Konsultationsweg bei zu legen ist.

Zu Artikel 2 – Streiteintritt:

Ist eine Streitigkeit innerhalb von sechs Monaten nach schriftlichem Antrag einer der beteiligten Vertragsparteien zu Konsultationen nicht beigelegt, kann eine beteiligte Partei durch schriftliche Mitteilung an die andere Partei und den Vorsitz der Alpenkonferenz ein Schiedsverfahren zur Streitbeilegung einleiten. Der Vorsitz hat unverzüglich alle Vertragsparteien darüber zu informieren.

Zu Artikel 3 – Zusammensetzung des Schiedsgerichtes:

Auf Grund der in Art. 2 angesprochenen Mitteilung ist die Einrichtung eines Schiedsgerichtes vorgesehen. Ein solches Schiedsgericht besteht aus drei Mitgliedern. Zwei davon werden von den jeweiligen Streitparteien bestimmt, wobei die Möglichkeit einer Ersatzbestellung auf Ersuchen der anderen Streitpartei durch den Generalsekretär des Ständigen Schiedshofes in Den Haag innerhalb einer gesetzten Frist besteht. Das Frist auslösende Ereignis ist der Eingang der in Art. 2 genannten Mitteilung beim Vorsitz, wodurch versucht wird, den Fristenlauf an möglichst objektive Voraussetzungen zu knüpfen. Das dritte Mitglied des Schiedsgerichtes, der Präsident, wird einvernehmlich von den beiden ursprünglich von den Streitparteien bestimmten Mitgliedern ernannt. Auch hier kann ersatzweise die Bestellung auf Ersuchen einer der Streitparteien durch den Generalsekretär des Ständigen Schiedshofes in Den Haag vorgenommen werden.

Zu Artikel 4 – Mithilfe und Nebenintervention:

Art. 4 beschreibt zunächst die Möglichkeit der Mithilfe und Mitarbeit an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts. So ist jede Vertragspartei, dh. jede Partei, welche die Alpenkonvention unterzeichnet und ratifiziert hat, dazu berechtigt, dem Schiedsgericht ihre Auffassung über die Streitigkeit zur Kenntnis zu bringen. Ist eine Vertragspartei der Meinung, dass sie ein Interesse rechtlicher Natur hat, das durch die Entscheidung in diesem Streitfall berührt werden könnte, so kann sie einen Antrag an das Schiedsgericht stellen, zur Intervention ermächtigt zu werden (Nebenintervention).

Zu Artikel 5 – Verfahrensordnung:

Sofern die Streitparteien nicht Anderes vereinbaren, gibt sich das Schiedsgericht gemäß Art. 5 eine Verfahrensordnung.

Zu Artikel 6 – Einstweilige Verfügungen:

Die Streitparteien haben sich gemäß Art. 6 jeglicher Maßnahmen zu enthalten, die der Entscheidung des Schiedsgerichts vorgreifen oder diese präjudizieren würden. Das Schiedsgericht kann auf Ersuchen einer Streitpartei einstweilige Maßnahmen zum Schutz der Rechte jeder Streitpartei erlassen.

Zu Artikel 7 – Sprachen:

Angesichts der sprachlichen Vielfalt im Rahmen der Alpenkonvention wird in Art. 7 festgelegt, dass, sofern die Streitparteien nicht Anderes vereinbaren, das Schiedsgericht festlegt, welche der authentischen Sprachen der Alpenkonvention für die Verfahren verwendet werden.

Zu Artikel 8 – Mitwirkungspflicht:

Die Streitparteien haben gemäß Art. 8 die Tätigkeit des Schiedsgerichtes zu erleichtern. Sie sind verpflichtet, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln alle sachdienlichen Schriftstücke vorzulegen, Auskünfte zu erteilen und dem Schiedsgericht die Möglichkeit zu geben, soweit nötig, Zeugen oder Sachverständige zu laden und ihre Aussagen einzuholen. Abs. 2 des Art. 8 enthält die gegenseitige Informations- und Vorlagepflicht der Streitparteien bezüglich aller Dokumente.

Zu Artikel 9 – Anzuwendendes Recht:

Gemäß Art. 9  trifft das Schiedsgericht seine Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und der Alpenkonvention samt ihren Protokollen.

Zu Artikel 10 – Versäumnisurteil:

Abwesenheit oder Versäumnis einer Streitpartei, sich zur Sache zu äußern, stellt gemäß Art. 10 kein Hindernis für das Verfahren dar. Bevor das Schiedsgericht seine endgültige Entscheidung fällt, muss es sich aber vergewissern, dass das Begehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet ist.

Zu Artikel 11 – Verfahrensdauer:

Das Schiedsgericht hat gemäß Art. 11 einen Schiedsspruch innerhalb von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt zu erlassen, zu dem es vollständig gebildet wurde. Es kann eine einmalige Verlängerung dieser Frist bis höchstens sechs Monate anordnen.

Zu Artikel 12 – Schiedsspruch:

Art. 12 behandelt die rechtliche Qualität des Entscheides des Schiedsgerichts. Er legt fest, dass das Schiedsgericht sowohl in verfahrensrechtlichen als auch in materiellen Fragen mit der Mehrheit seiner Mitglieder entscheidet. Der Schiedsspruch ist für die Streitparteien endgültig und bindend, wobei das Schiedsgericht die Gründe anzugeben hat, auf welchen der Spruch basiert. Die Streitparteien verpflichten sich, den Schiedsspruch unverzüglich umzusetzen.

Zu Artikel 13 – Kosten:

In Art. 13 wird festgelegt, dass, sofern das Schiedsgericht nicht wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles etwas anderes beschließt, die Kosten des Schiedsgerichtes einschließlich der Vergütung seiner Mitglieder von den Streitparteien zu gleichen Teilen getragen werden.

Zu Artikel 14 – Informationspflicht:

Art. 14 betrifft die Informationspflicht gegenüber den Streitparteien und dem Vorsitz der Alpenkonferenz sowie jene des Vorsitzes der Alpenkonvention. Der Präsident des Schiedsgerichtes teilt demnach den Schiedsspruch den Streitparteien und dem Vorsitz der Alpenkonferenz mit, welcher dann diesen den Vertragsparteien und Beobachtern übermittelt.

Zu Artikel 15 – Kündigung:

Die Kündigung dieses Zusatzprotokolls ist gemäß Art. 15 nur gleichzeitig mit der Kündigung der Alpenkonvention zulässig. Abs. 2 dieses Artikels legt überdies fest, dass bei anhängigen Verfahren die Möglichkeit der Kündigung ausgeschlossen ist. So wird festgelegt, dass dieses Zusatzprotokoll für die kündigende Streitpartei im Hinblick auf die im Zeitpunkt der Wirksamkeit der Kündigung laufenden Schiedsverfahren gültig bleibt und diese Verfahren zu Ende geführt werden.