1161 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 10. 6. 2002

Volksbegehren

„Sozialstaat Österreich“


Die Unterstützer dieses Volksbegehrens haben die Einleitung eines Verfahrens für ein Volksbegehren mit folgendem Wortlaut beantragt:

„Sozialstaat Österreich“

Dem Art. 1 („Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“) wird ein Abs. 2 angefügt: „Österreich ist ein Sozialstaat. Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die soziale Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als eigenständige Ziele. Vor Beschluss eines Gesetzes wird geprüft, wie sich dieses auf die soziale Lage der Betroffenen, die Gleichstellung von Frauen und Männern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt (Sozialverträglichkeitsprüfung). Die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitlosigkeit und Armut erfolgt solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme. Die Finanzierung der Staatsausgaben orientiert sich am Grundsatz, dass die in Österreich lebenden Menschen einen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen Beitrag leisten.“


Begründung

Mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Zwänge läuft in Europa seit Jahren eine Offensive zur Schwächung des Sozialstaats. Politik kürzt Leistungen, schwächt Institutionen und untergräbt den Grundsatz der Solidarität.

Propagiert wird die Eigenvorsorge im Fall von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit oder Alter. Verbesserungen im Bildungswesen, in der Jugendwohlfahrt, bei der Kinderbetreuung und bei sozialen Diensten für Pflegebedürftige werden zu Gunsten privater Marktlösungen vernachlässigt. Armutsbekämpfung bleibt Lippenbekenntnis.

Neue Probleme wie die soziale Absicherung atypisch Beschäftigter, die Integration von ZuwanderInnen oder eine Grundsicherung im Notfall werden nicht als Herausforderungen an einen modernen Sozialstaat begriffen.

In Österreich wird zur Zeit diese Politik gegen den Sozialstaat verschärft: sie schwächt besonders seine vier Hauptsäulen: die Kranken- und Unfallversicherung, die Altersvorsorge, die Arbeitslosenversicherung und das öffentliche Bildungswesen. Gleichzeitig verstärkt sie ihren Einfluss auf die Sozialversicherung und schaltet die Selbstverwaltung weitgehend aus. Unter der Devise „Sozialstaat schlank“ wird die Spaltung der Gesellschaft vertieft, Ausgrenzung und Verarmung werden gefördert.

Diese unsoziale Politik richtet sich gegen die Mehrheit der BürgerInnen und begünstigt zugleich die Vermögenden. Denn mit den Sozialkürzungen erspart der Staat den besser Verdienenden einen höheren Beitrag, durch Selbstbehalte in der Krankenversicherung und Senkung von Pensionsansprüchen werden die Sozialbeiträge der Unternehmer vermindert.

Dies gilt in noch höherem Maß für die „Superreichen“: sie haben ihre Vermögen in Privatstiftungen untergebracht und leisten deshalb keine nennenswerten Beiträge für das Gemeinwesen.

Diese Entwicklungen unterminieren den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Denn individuelle Freiheit und Demokratie bedürfen der materiellen Absicherung durch den Sozialstaat. Der Sozialstaat trägt zu besseren sozialen Chancen der in Österreich lebenden Menschen bei. Er stellt ein dynamisches Element angesichts der großen sozialen Herausforderungen im 21. Jahrhundert – wie Alterung der Bevölkerung, Wandel der Erwerbsarbeit, Migration, Gleichstellung der Geschlechter – und auch einen produktiven Faktor für die Wirtschaft dar. Der Sozialstaat ist Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität. Sozialstaatliche Politik ist für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft unverzichtbar.

Dies gilt es in der Verfassung abzusichern. Deshalb initiieren wir eine Kampagne zur Verteidigung und Erneuerung des Sozialstaats. Die Bürgerinnen und Bürger sollen zur Unterstützung eines Volksbegehrens mobilisiert werden, mit dem das Prinzip der Sozialstaatlichkeit in der österreichischen Bundesverfassung verankert wird.

Als Bevollmächtigte wurden gemäß § 3 Abs. 3 des Volksbegehrengesetzes 1973 namhaft gemacht:

 

Vor- und Familienname

Beruf

Adresse

Bevollmächtigte(r)

Dr. Werner VOGT

Arzt

Zum Teich 44
2000 Oberolberndorf

1. Stellvertreter(in)

Dr. Stefan SCHULMEISTER

Wirtschafts­forscher

Spengergasse 61/18
1050 Wien

2. Stellvertreter(in)

Dr. Emmerich TALOS

Univ.-Prof.

Lerchenfelder Straße 48/23
1080 Wien

3. Stellvertreter(in)

Dr. Ernst BERGER

Arzt

Loudonstraße 40 A
1140 Wien

4. Stellvertreter(in)

Elisabeth PASCHINGER

Rechtsfürsorgerin

Anzengruberstraße 71/B/4
1140 Wien

Im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 83 vom 29. April 2002 ist folgende Kundmachung über das Ergebnis der Eintragungen erschienen:

Bundeswahlbehörde

Zl. 48.637/43-V/6/02

Volksbegehren „Sozialstaat Österreich“

Gemäß § 16 Abs. 1 des Volksbegehrengesetzes 1973, BGBl. Nr. 344, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 98/2001, hat die Bundeswahlbehörde in ihrer Sitzung vom 26. April 2002 auf Grund der Berichte der Bezirkswahlbehörden folgendes Ergebnis der Eintragungen für das Volksbegehren „Sozialstaat Österreich“ ermittelt:

 


Gebiet


Stimm-
berechtigte

Anzahl der gültigen
Eintragungen (inkl. Unterstützungs-
erklärungen)

Stimm-
beteiligung
in %

 

 

Burgenland

216 430

40 740

18,82

 

 

Kärnten

420 869

46 964

11,16

 

 

Niederösterreich

1 157 706

144 311

12,47

 

 

Oberösterreich

1 002 861

158 260

15,78

 

 

Salzburg

358 382

37 310

10,41

 

 

Steiermark

915 307

92 198

10,07

 

 

Tirol

475 315

33 232

6,99

 

 

Vorarlberg

234 097

13 500

5,77

 

 

Wien

1 097 924

150 587

13,72

 

 

Summe Österreich

5 878 891

717 102

12,20

 

Da somit mehr als 100 000 gültige Eintragungen von Stimmberechtigten ermittelt worden sind, hat die Bundeswahlbehörde festgestellt, dass ein Volksbegehren im Sinne des Art. 41 Abs. 2 B-VG vorliegt.

Wien, am 26. April 2002

Der Stellvertreter des Bundeswahlleiters:

Sektionschef Mag. Prantl

Ergebnis inklusive Unterstützungserklärungen



Gebiet


Stimm-
berechtigte

Unterstützungs-
erklärungen
und gültige
Eintragungen

Stimm-
beteiligung
inkl. Unter-
stützungs-
erklärungen


gültige
Unterstützungs-
erklärungen


gültige
Eintragungen


ungültige
Eintragungen

Burgenland

216 430

40 740

18,82%

1 879

38 861

68

Kärnten

420 869

46 964

11,16%

2 377

44 587

53

Niederösterreich

1 157 706

144 311

12,47%

7 775

136 536

293

Oberösterreich

1 002 861

158 260

15,78%

6 462

151 798

302

Salzburg

358 382

37 310

10,41%

2 150

35 160

34

Steiermark

915 307

92 198

10,07%

3 077

89 121

142

Tirol

475 315

33 232

6,99%

1 480

31 752

50

Vorarlberg

234 097

13 500

5,77%

456

13 044

55

Wien

1 097 924

150 587

13,72%

12 556

138 031

8

Summe Österreich

5 878 891

717 102

12,20%

38 212

678 890

1 005