1250 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Nachdruck vom 24. 7. 2002

Bericht

des Besonderen Ausschusses zur Vorberatung des Volksbegehrens „Veto gegen Temelin“
(1065 der Beilagen)


Das gegenständliche Volksbegehren ist dem Nationalrat auf Grund des von der Bundeswahlbehörde in ihrer Sitzung am 14. Februar 2002 festgestellten Ermittlungsergebnisses gemäß Art. 41 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes zur Behandlung vorgelegt und vom Präsidenten des Nationalrates am 21. März 2002 dem oben genannten Besonderen Ausschuss zur Vorberatung zugewiesen worden.

Die Unterzeichner des Volksbegehrens fordern, durch Bundesverfassungsgesetz Folgendes sicherzustellen:

„Die bundesverfassungsmäßig zuständigen Organe werden ermächtigt, den Staatsvertrag über den Beitritt Tschechiens zur Europäischen Union abzuschließen, sobald eine völkerrechtlich bindende Erklärung der Republik Tschechien vorliegt, das AKW-Temelin auf Dauer stillzulegen und diese Stilllegung auch tatsächlich erfolgt ist.“

Begründet wird diese Forderung wie folgt:

„Zahllose Pannen im AKW-Temelin sowie vernichtende Risikostudien und damit verbundene Horror­szenarien erfüllen viele Menschen in unserem Land mit Sorge um ihre eigene Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder.

Ein Reaktorunfall in Temelin kann nicht ausgeschlossen werden. Das belegen Studien vom Physiker Helmut Hirsch aus Hannover und von Bernd Franke vom Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg.

,Angesichts der nuklearen Teile im AKW könnten die Folgen eines Unfalls die Größenordnung der Tschernobyl-Katastrophe erreichen‘, meint Hirsch (Kurier vom 11. Mai 2001).

Der Melker Prozess hat diese Sorge nicht gemindert.

Vielmehr besteht der begründete Verdacht, dass das UVP-Verfahren von vornherein nichts anderes sein sollte als ein großangelegtes, bilaterales Täuschungsmanöver.

Hauptzweck: Österreichern wie Tschechen durch diplomatische Spiegelfechtereien Sand in die Augen zu streuen.

Vetodrohung soll Temelin stoppen.

Österreich muss daher mit aller Vehemenz und allem Nachdruck seine Bedenken gegen das grenznahe AKW-Temelin zum Ausdruck bringen. Mittels Bundesverfassungsgesetz soll Tschechien signalisiert werden, dass Österreich auf der Stilllegung Temelins besteht.

Die Vetodrohung ist in Europa durchaus üblich, um nationale Interessen durchzusetzen. Ein Gutachten des Instituts für Umweltrecht an der Linzer Universität bestätigt, dass diese sowohl völkerrechtlich zulässig als auch innerstaatlich geboten ist.

Tschechische Bevölkerung ist Partner.

Dieses Bundesverfassungsgesetz richtet sich nicht gegen die tschechische Bevölkerung, sondern allein gegen den staatlich-industriellen Atomkomplex in Tschechien.

Die tschechische Bevölkerung wird vielmehr als Schicksalsgefährte in der Bedrohung gesehen. Es geht um eine grenzenlose Todesgefahr und um die gemeinsamen Lebensinteressen beider Völker.“

Die Konstituierung des Besonderen Ausschusses erfolgte am 21. März 2002.

Dem Ausschuss gehörten von der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion die Abgeordneten Dipl.-Kfm. Dr. Hannes Bauer, Dr. Josef Cap, Mag. Kurt Gaßner, Anton Heinzl, Mag. Christine Lapp, Georg   Oberhaidinger, Stefan Prähauser, Mag. Barbara Prammer und Mag. Ulrike Sima, vom Klub der Freiheitlichen Partei Österreichs die Abgeordneten Ilse Burket, Ing. Gerhard Fallent, Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann, Mag. Rüdiger Schender, Mag. Karl Schweitzer, Ing. Wilhelm Weinmeier und Ing. Peter Westenthaler, vom Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei die Abgeordneten Dr. Ulrike Baumgartner-Gabitzer, Mag. Heribert Donnerbauer, Erwin Hornek, Dr. Andreas Khol, Karlheinz Kopf, Mag. Helmut Kukacka und Dr. Michael Spindelegger sowie vom Klub der Grünen die Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig und Dr. Gabriela Moser an.

Zum Obmann wurde der Abgeordnete Georg Oberhaidinger, zu Obmannstellvertretern die Abgeordneten Mag. Karl Schweitzer und Dr. Ulrike Baumgartner-Gabitzer, zu Schriftführern Mag. Heribert Donnerbauer und Ing. Gerhard Fallent gewählt.

Der Ausschuss nahm das gegenständliche Volksbegehren in seinen öffentlichen Sitzungen am 12. April 2002 in einer Generaldebatte erster Teil, am 8. Mai 2002 in einer Generaldebatte zweiter Teil und in der Spezialdebatte zum Thema „Temelin und nukleare Sicherheit in Europa“, am 6. Juni 2002 in der Spezialdebatte zum Thema „Ausstiegsszenarien im europäischen Kontext“ und am 4. Juli in Verhandlung.

Im Zuge der Beratungen wurden als Sachverständige und Auskunftspersonen gehört: SC Dr. Ernst   Streeruwitz (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), Mag. Herbert Lechner (Energieverwertungsagentur), Radko Pavlovec (Amt der Oberösterreichischen Landesregierung), Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Kromp (Institut für Risikoforschung), Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb (Institut für Meteorologie), Patricia Lorenz (Global 2000), Dr. Karl Kienzl (Umweltbundesamt, Gruppe 3, Abteilung Allgemeine Ökologie/Naturschutz), Dipl.-Ing. Geert Weimann (Seibersdorf Research), Univ.-Prof. Dr. Ing. Helmut Karwat (Technische Universität München), Bundesrat o. Univ.-Prof. Dr. Peter Böhm (Universität Wien), Antony Patrick Froggatt/London, Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Kerschner (Institut für Umweltrecht der Johannes-Kepler-Universität Linz), Vorstands­direktor Dipl.-Ing. Dr. Josef Heizinger (Linz AG) und Rechtsanwalt Dr. Christoph Herbst (Haus­maninger-Herbst Rechtsanwälte – GesmbH).

In den Beratungen ergriffen die Abgeordneten Dr. Josef Cap, Ing. Peter Westenthaler, Stefan Prähauser, Dr. Eva Glawischnig, Dr. Michael Spindelegger, Mag. Ulrike Sima, Mag. Karl Schweitzer, Dr. Gabriela Moser, Dipl.-Kfm. Mag. Josef Mühlbachler, Mag. Kurt Gaßner, Erwin Hornek, Ing. Gerhard Fallent, Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann, Dr. Ulrike Baumgartner-Gabitzer, Dr. Gertrude Brinek, Matthias Ellmauer, Dipl.-Kfm. Dr. Hannes Bauer, der Ausschussvorsitzende Georg Oberhaidinger, der Bevollmächtigte des Volksbegehrens Landesrat Dr. Hans Achatz, sein Stellvertreter Bundesrat Dr. Klaus Nittmann sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Mag. Wilhelm Molterer, der Bundesminister für Landesverteidigung Herbert Scheibner und die Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer das Wort.

Der Ausschuss traf mit Stimmenmehrheit folgende Feststellung:

„In der Sitzung vom 8. Mai 2002 wurde vom Besonderen Ausschuss zur Vorberatung des Volksbegehrens ,Veto gegen Temelin‘ eine auszugsweise Protokollierung beschlossen und die entsprechenden auszugsweisen Darstellungen können über die Parlamentsdirektion angefordert werden.

Im Zuge der Sitzung am 8. Mai 2002 hat Bundesminister Mag. Wilhelm Molterer dem Ausschuss angekündigt, bis zum 22. Mai 2002 seitens des Bundesministeriums einen schriftlichen Bericht zu liefern, der sich erstens mit der Weiterentwicklung und Aktualisierung jenes Berichtes befasst, der allen vier Parlamentsparteien im November vergangenen Jahres übermittelt wurde, der zweitens die Ergebnisse der ökonomischen Vergleichsstudie, das heißt der Nullvariante, aktualisiert zusammenfasst und der drittens den aktuellen Informationsstand über die Fragestellung und über die kritische Situation am 7. Februar darstellen wird.

Der Bericht (abrufbar auf der Homepage des Umweltbundesamtes: http://www.ubavie.gv.at) wurde fristgerecht übermittelt und enthält eine aktuelle Analyse zum Thema ,Nullvariante für Temelin‘, die mit den diesbezüglichen Expertisen des Landes Oberösterreich im Einklang steht. Die Kernaussagen dieser    Analyse können wie folgt zusammengefasst werden:

      Eine Inbetriebnahme Temelins weist bei gegenwärtigen Marktverhältnissen keine ökonomischen Vorteile auf.

      Die Inbetriebnahme Temelins wird voraussichtlich zu keiner Reduktion von Luftschadstoff- und Treibhausgasemissionen führen.

      In jedem Fall bewirkt die Inbetriebnahme Temelins eine Erhöhung des nuklearen Risikos.

Der Bericht vom 22. Mai enthält ferner eine Darstellung des Standes des WPNS-Prozesses zu diesem Zeitpunkt. Zwischenzeitlich liegt der ,Lagebericht zur Evaluierung durch Gutachter (,Peer Review‘)‘ vor, der neuerlich wesentliche österreichische Sicherheitsfragen bezüglich Temelin bestätigt hat und deren Lösung einem Monitoring sowie einer besonderen Review unterziehen wird.

Diese Ergebnisse des Berichtes und die im Auschuss geäußerten Meinungen der Experten bestärken das österreichische Parlament in seiner kritischen Auffassung bezüglich der Sicherheit des KKW Temelin und in seinem Wunsch, weitere Schritte in Richtung ,Nullvariante‘ für das KKW Temelin einzuleiten.

Im Zuge der Generaldebatten wurde von den anwesenden Regierungsmitgliedern die ,Drei-Stufen-Strategie‘ der Bundesregierung zum Ausstieg aus der Kernenergie erläutert:

1.      Schließung von nicht nachrüstbaren Kernkraftwerken, wie zB der Reaktoren der ersten Generation sowjetischer Bauart in Ignalina, Bohunice und Kosloduj;

2.      Schaffung einheitlicher und hoher Sicherheitsstandards für noch in Betrieb befindliche Kernkraftwerke;

3.      konsequente Verfolgung eines europaweiten Ausstiegs aus der Nutzung der Kernkraft.

Im Ausschuss wurde die Absicht bekundet, zur Unterstützung konkreter Schritte zum Ausstieg aus der Kernenergie auf parlamentarischer Ebene durch die Entsendung einer Delegation zu Gesprächen mit Vertretern des neu gewählten tschechischen Parlaments aktiv zu werden.

Der Ausschuss war sich einig, dass die energetische Nutzung der Kernenergie weder als kompatibel mit den Prinzipien nachhaltiger Entwicklung noch als geeignete Maßnahme zur Erreichung von Klimaschutzzielen anzusehen ist.

Mit Nachdruck wurde im Zuge der Beratungen auf die belegten ökonomischen Nachteile durch eine Inbetriebnahme des KKW Temelin verwiesen und im Sinne einer Realisierung der ,Nullvariante‘ für das KKW Temelin vorgeschlagen, der neuen tschechischen Regierung Gespräche über Alternativen zur kommerziellen Inbetriebnahme der Anlage seitens der Österreichischen Bundesregierung vorzuschlagen.“

Im Hinblick auf den Umstand, dass auf Grund des § 24 Abs. 2 des Geschäftsordnungsgesetzes dem   Nationalrat spätestens vier Monate nach Aufnahme der Beratungen ein Bericht des Besonderen Ausschusses über das gegenständliche Volksbegehren vorzulegen ist, die endgültige Beantwortung aller aufgeworfenen Fragen jedoch bis dahin nicht möglich erscheint, hat der Ausschuss einstimmig beschlossen, dem Nationalrat den vorliegenden Bericht über den Stand der Verhandlungen vorzulegen. Die Mitglieder des Ausschusses gehen davon aus, dass eine Rückverweisung des Volksbegehrens den Besonderen Ausschuss in die Lage versetzen wird, einen abschließenden Standpunkt zum Gegenstand zu erarbeiten.

Der Bevollmächtigte des Volksbegehrens im Sinne des § 3 Abs. 3 des Volksbegehrengesetzes 1973 hat eine abweichende persönliche Stellungnahme vorgelegt, die dem Ausschussbericht angeschlossen ist.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Besondere Ausschuss zur Vorberatung des Volksbegehrens „Veto gegen Temelin“ somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen im Sinne des § 24 Abs. 2 des Geschäftsordnungsgesetzes erstatteten Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2002 07 04

                   Dipl.-Ing. Maximilian Hofmann                                               Georg Oberhaidinger

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann