1254 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 9. 7. 2002

Bericht

des Umweltausschusses


über den Entschließungsantrag 596/A(E) der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig, Kolleginnen und Kollegen betreffend Vorschläge zur Umsetzung des Temelin Volks­begehrens

Die Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 30. Jänner 2002 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Die Unterzeichnung des Temelin-Volksbegehrens von 915.220 Wahlberechtigten ist ein klarer Auftrag für einen umfassenden Neuanfang in der österreichischen Antiatom- und Energiepolitik auf nationaler und europäischer Ebene. Die überwiegende Mehrheit der Unterzeichnerinnen haben nicht gegen Tschechien oder für ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens unterschrieben, sondern für konkrete österreichische Initiativen gegen Temelin und in der Anti-Atom- und Energiepolitik. Das belegen auch aktuelle Meinungsumfragen. Ein überparteiliches Volksbegehren mit einem klaren Maßnahmenkatalog für einen europaweiten Atomausstieg und ohne Veto-Drohung hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weit höhere Zustimmung der österreichischen Bevölkerung erhalten. Um dem breiten Anti-AKW-Konsens in der österreichischen Bevölkerung Rechnung zu tragen, soll von der Bundesregierung ein umfassendes Aktionspaket umgesetzt werden, dass neben einer neuen Temelin-Stilllegungsinitiative auch Maßnahmen für einen europaweiten Atomausstieg und eine europäische Energiewende beinhaltet.

Neue Initiative gegen Temelin

Neuverhandlungen können in erster Linie nur auf bilateraler Ebene und nur mit einer neuen tschechischen Regierung geführt werden. Denn der von Österreich beim vorläufigen Abschluss des Energiekapitels im Dezember 2001 geäußerte Vorbehalt, auf das Energiekapitel jederzeit wieder zurückkommen zu können, entbehrt jeder realpolitischen Grundlage. Die Bundesregierung soll in bilateralen Verhandlungen mit einer neuen tschechischen Regierung über den Ausstieg verhandeln und dabei auf Veto-Drohungen als Verhandlungsinstrument verzichten. Österreich muss ein entsprechendes finanzielles Ausstiegsangebot unterbreiten und sich auf EU-Ebene für eine Ausstiegskonferenz einsetzen. Österreich soll der neuen tschechischen Regierung die volle Unterstützung für einen raschen EU-Beitritt zusichern. Denn nur wenn Tschechien EU-Mitglied ist, können weitere konkrete Maßnahmen gegen Temelin greifen (Stichwort: fehlende Wirtschaftlichkeit, Dumping-Exporte, Wettbewerbsverletzungen).

Initiative für einen europaweiten Atomausstieg

Auf Europäischer Ebene müssen die Weichen für einen Atomausstieg auf verschiedenen Ebenen gestellt werden. Denn obwohl in der EU seit Jahren kein neues AKW gebaut wird – abgesehen von Plänen in Finnland – begünstigen die entsprechenden EU-Institutionen die Atomenergie immer noch massiv. Studien belegen, dass ein Atomausstieg in Europa technisch und energiewirtschaftlich innerhalb von zehn Jahren machbar ist, entscheidend ist der politische Wille.

EURATOM-Vertrag auflösen

Langfristig ist eine Auflösung des EURATOM-Vertrages anzustreben, stattdessen die Verankerung einer nachhaltigen Energiepolitik im EU-Vertrag. Die Sonderwirtschaftszonen für Kohle und Atomenergie, die durch die Verträge für Kohle und Stahl (EGKS) und den Euratom-Vertrag entstanden sind, müssen auch aus Wettbewerbsgründen aufgehoben werden. Entsprechend dem Auslaufen des EGKS-Vertrages sollte der EURATOM-Vertrag nach 50 Jahren, also spätestens 2007, beendet werden. Ein diesbezüglicher Beschluss soll auf der EU-Regierungskonferenz 2004 fallen. Förderungen sollten nur noch für effiziente Energienutzung und Erneuerbare Energien gewährt werden.

EURATOM-Forschungsprogramm radikal umorientieren

Die Forschungen im Bereich Kernfusion und der Entwicklung neuer Reaktorkonzepte sollen eingestellt werden. Das Forschungsprogramm soll an das Ziel eines europaweiten Atomausstieges angepasst werden. Die Bereiche ,Lagerung radioaktiver Abfälle‘, ,Sicherheitsstandards als Ausstiegsinstrument‘ und ,Strahlenschutz‘ sollen im Vordergrund stehen. Forschungen im Bereich erneuerbare Energien sollen intensiviert werden.

Keine neuen EURATOM-Kredite für AKW

Das bisher mit 4 Milliarden Euro begrenzte EURATOM-Kreditvolumen darf nicht, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, auf sechs Milliarden Euro erhöht werden. Es sollen keine weiteren Kredite für Fertigstellung oder Laufzeitverlängerungen von AKW gewährt werden.

EBRD, EIB: Reform der Banken

Die an der Finanzierung von AKW in Osteuropa hauptbeteiligten Banken (Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung/EBRD und European Investment Bank/EIB) dürfen keine neuen Finanzierungen oder Kredite für Atomprojekte vergeben. Im Rahmen einer grundlegenden Reform der Banken sollen mehr Transparenz (öffentlicher Zugang zu Projektinformationen), hohe Umweltstandards, Bürgerbeteiligungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen und eine starke Kontrolle durch Europaparlament und EU-Rechnungshof erreicht werden.

Europäischer Ausstiegsfonds

Finanzielle Ressourcen, die derzeit auf EU-Ebene zur Förderung der Atomenergie zur Verfügung stehen, sollen in einen europäischen Ausstiegsfonds umgeleitet werden, der einerseits zur Modernisierung der Energiesysteme (Energieeffizienz, Erneuerbare Energieträger), andererseits in Form von Zuschüssen für die Stilllegung von AKW eingesetzt werden soll. Vordringlich sollte dabei ein Ausstiegsangebot für das AKW Temelin sein.

Sicherheitsstandards als Ausstiegsinstrument

Sicherheitsstandards sollen als Kriterien dienen, um verbindliche Abschaltefristen für europäische AKW festzuschreiben. Sie sollen unter Einbeziehung der atomfreien EU-Staaten und unter Beteiligung von Experten aus NGOs in transparenter Art und Weise entwickelt werden. Die von der IAEO und der WENRA bisher veröffentlichten Standards werden in diesem Zusammenhang als unzureichend angesehen. Die Sicherheitsstandards sollen sich am höchsten Stand der Technik in der EU orientieren.

Rasche Stilllegung der Hochrisikoreaktoren

Die Bundesregierung muss auf europäischer Ebene für eine Vorverlegung der derzeit vereinbarten Schließungsdaten für Bohunice, Kosloduj und Ignalina eintreten.

Koalition atomkraftfreier Staaten

Um diese Ziele zu erreichen, soll sich die Bundesregierung um Bündnispartner innerhalb der EU bemühen und eine koordinierte Vorgangsweise vereinbaren.

Initiative für eine Energiewende

Die Europäische Union muss – auch im Hinblick auf die Erweiterung – auf eine gemeinsame Politik für eine umweltfreundliche Energieversorgung verpflichtet werden. Langfristiges Ziel (2050) muss die hundertprozentige Versorgung durch Erneuerbare Energien sein. Die zweite Säule soll maximale Energieeffizienz bei Erzeugung und Nutzung sein. Österreich hat besonders gute Voraussetzungen, mittelfristig die gesamte Energieversorgung auf eine erneuerbare Basis zu stellen. Mittelfristig könnten 50% des EU-Strombedarfs bis 2020 aus erneuerbaren Energieträgern bezogen werden.“

Der Umweltausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 4. Juli 2002 in Verhandlung genommen.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Ulrike Sima und Ing. Gerhard Fallent.

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2002 07 04

                              Dr. Gabriela Moser                                                         Mag. Karl Schweitzer

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann