229 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Bericht

des Umweltausschusses


über den Entschließungsantrag 149/A(E) der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig und Genossen betreffend Umweltanlagengesetz


Die Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig und Genossen haben den gegenständlichen Antrag am 10. Mai 2000 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

“A. Die Klagen über die lange Dauer der Genehmigungsverfahren für umweltrelevante Betriebsan­lagen sind überzogen und unberechtigt.

Im internationalen Vergleich der UVP-Verfahren kann sich Österreich durchaus sehen lassen. Die per Jahresende 1998 abgeschlossenen UVP-Verfahren hatten zwischen Antragstellung und Bescheiderlassung 1. Instanz eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 16 Monaten (siehe Bericht des BMUJF über die Vollziehung des UVP-G vom Dezember 1998, III-171 der Beilagen). Amtliche Schätzungen weisen demgegenüber für Deutschland eine Dauer zwischen neun bis 24 Monate, für die Niederlande von 30 Monaten, für Frankreich zwischen fünf und 18 Monaten und für Großbritannien eine Dauer von 36 Wochen aus, wobei ein Viertel der UVP-Verfahren länger als ein Jahr dauert (siehe Baum­gartner/Madner/Meyer/Merl, Die Projekt-UVP in Europa – Eine Gegenüber­stellung, Recht der Umwelt 1998/3, S 107 ff).

In Bezug auf die Verfahren nach der GewO ergab eine Stichprobenuntersuchung, dass im Erhebungs­zeitraum 1993 bis 1996 die durchschnittliche Verfahrensdauer bei rund sieben Monaten lag. Nur in 3% der Fälle wurde Berufung erhoben (Berufungen des/der Antragsteller/innen eingerechnet). Ab Mitte 1994 zeigten die zwischenzeitlich von den Behörden eingeleiteten Verbesserungsmaßnahmen dergestalt Wirkung, dass 55% der Verfahren ab Vollständigkeit des Projektantrags in 90 Tagen abgewickelt werden konnten (Grün/Michl/Haller/Eder, Genehmigungsverfahren bei Betriebsanlagen, Informationen zur Umweltpolitik Nr. 129, S 29 f).

Die Fokussierung auf die Dauer des Genehmigungsverfahrens greift zu kurz. Berücksichtigung müssen auch das verwaltungsrechtliche Rechtsschutz- und Kontrollregime sowie die zivilrechtlichen Möglich­keiten der Nachbarn und Nachbarinnen, gegen erteilte Genehmigungen vorzugehen. So können in Frankreich UVP-Genehmigungen – unter anderem von Umweltschutzorganisationen – bis zu vier Jahre nach der Entscheidung beim Verwaltungsgericht bekämpft werden. Eine Art Verbandsklage gibt es auch in Großbritannien und den Niederlanden. In Großbritannien werden Genehmigungen weitgehend befristet erteilt und sind die Anlagen dynamisch zu verbessern. Eine dem deutschen und österreichischen Modell vergleichbare Immunität einer Genehmigung gegen zivilrechtliche Unterlassungsklagen wird man im ganzen übrigen EU-Raum kaum finden. Das heißt: Selbst wenn das Genehmigungsverfahren vielleicht länger dauert, der/die Investor/in in Österreich erhält damit auch vergleichsweise hohe Rechtssicherheit (siehe Baumgarnter/Madner/Merl/Meyer, aaO. und Steinberg/de Miquel/Scharroth/Fertsch/Mangold: Ge­nehmigungsverfahren für gewerbliche Investitionsvorhaben in Deutschland und ausgewählten Ländern Europas).

Zu beachten ist auch, dass zwischenzeitig die AVG-Novelle 1998 in Kraft getreten ist und ihre ver­fahrensbeschleunigende Wirkung noch entfalten wird. In Verfahren ab 100 Beteiligten können demnach seit 1. Jänner 1999 individuelle Ladungen zu Augenscheinsverhandlungen und die Zustellungen von Gutachten und Bescheiden unterbleiben und durch Kundmachung an der Gemeindetafel, in Zeitungen und anderen Medien ersetzt werden. Der Aufwand und die Zeitersparnis wird durch die Möglichkeiten des Großverfahrens gewaltig sein. So teilte das Umweltministerium auf Anfrage mit, dass die individuelle Zustellung der Bescheide im abfallrechtlichen Genehmigungsverfahren für die Verbrennungsanlage für Autoschredder-Rückstände sechseinhalb Monate in Anspruch nahm (siehe BMU zu 807/J vom 13. 8. 1996). Die Grünen stimmten dieser Novelle zu, weil die Abweichung vom individuellen Service der klassischen Parteien durch einen Ausbau der Öffentlichkeitsbeteiligung (Auf­lage der Antragsunterlagen, fakultative Erörterung und Auflage des Bescheids) ansatzweise kompensiert wurde. Insbesondere wurde den Forderungen der Grünen, das Internet als neues Medium stärker einzubinden (sodass nunmehr Verhandlungen auf der Homepage der Wiener Zeitung zu finden sind oder Bescheide auf der Homepage der jeweiligen Behörde) und auch im Verwaltungsverfahren quasi Gerichts­ferien einzuführen (sodass die Bevölkerung nicht in der üblichen Urlaubszeit mit der Anberaumung von Verhandlungen oder Verkündung von Bescheiden rechnen muss), entsprochen.

B.  Schwachstellen des geltenden Anlagenrechts aus der Sicht der Grünen

Die Kontrolle hinkt. In einer Felduntersuchung gaben die Wasserrechtsreferenten erster Instanz an, dass sie die Dunkelziffer konsensloser oder konsenswidriger Anlagen mit durchschnittlich über 50% einschätzen würden. Das heißt auf 100 ordnungsgemäße Anlagen kämen 50 ohne Genehmigung oder mit Konsensüberschreitungen. Eine systematische Überwachung der Anlagen erfolge so gut wie nicht (siehe Helmut Simlinger, Der staatliche Schutz der Gewässer vor Immissionen, Diss. an der Universität Wien 1991). In der öffentlichen Diskussion bis dato unterbelichtet wurde auch die lange Dauer der Kontroll­verfahren. Wie lange dauert es, bis Maßnahmen der Missstandsbehebung greifen? Die Räumung der Fischer-Deponie in der Mitterndorfer Senke ist neun Jahre nach dem erstinstanzlichen verpflichtenden Bescheid an den Deponiebetreiber noch immer nicht durchgesetzt. Der Räumungsbescheid musste auf Grund der wiederholten Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof viermal erlassen werden (siehe Wasser- und Abfallwirtschaft, Mitteilungen des ÖWAV, Folge 02/1999, S 7). Laut einer APA-Meldung vom 29. Juni 1999 wurde Herrn Fischer nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz abermals eine Nachfrist von einem halben Jahr gesetzt.

Strittige Grundsatzfragen blockieren die Projektgenehmigung. Die Genehmigungsvoraussetzungen bieten in seltenen Fällen die Möglichkeit, die grundsätzlichen Einwände gegen ein Projekt vorzubringen. Behörde und BürgerInnen reden aneinander vorbei. Das Verfahren läuft ineffizient ab.

Bedarf und optimale Standorte bei Anlagen der Daseinsvorsorge (Abfallwirtschaft, Energiewirtschaft usw.) werden von der öffentlichen Hand nicht systematisch erhoben und ausgewiesen. ProjektantInnen setzen sich daher selbst bei Projekten mit hohem Planungsaufwand einem hohen Risiko aus.

Das Anlagenrecht ist zersplittert, die Nachbarn und Nachbarinnen als auch die ProjektantInnen sehen sich einem Zuständigkeitsdschungel und sachlich nicht gerechtfertigten unterschiedlichen Regelungen gegenüber. Personal- und Finanzressourcen werden ohne nennenswerten Effekt für die Umwelt eingesetzt.

Das UVP-G wird systematisch umgangen. Während bis Ende 1998 fünf Genehmigungsverfahren (Bescheidverfahren) nach dem UVP-G abgeschlossen wurden, wurden über 50 Feststellungsverfahren geführt, dh. es wurde über die Frage der UVP-Pflicht eines Projektes gestritten. In 75% der Fälle mußte entschieden werden, dass keine UVP-Pflicht besteht. Von den 49 an das BMU übermittelten Fest­stellungsbescheiden betrafen 18 Schotterabbauten, ein Projekttypus dessen Schwelle mit 10 ha offener Fläche besonders leicht umgangen werden kann (siehe Bericht des BMU über die Vollziehung des UVP-G, aaO.). Andere Fälle sind Massentierhaltungen. So wurden in der Gemeinde Herrnleis zwei Schweine­ställe mit je knapp unter 1 500 Schweinen von Mutter und Sohn eingereicht. Die ÖBB reicht ihr Hochleistungsstreckenprojekt im Gasteinertal stückweise ein, sodass die Schwelle von 10 km unter­schritten wird. Die EU-Kommission übte in diesem Zusammenhang auch Kritik am geltenden UVP-G: “Die Einführung eines Schwellenwertes ist richtlinienwidrig, sofern nicht gleichzeitig sichergestellt ist, dass eine (willkürliche) Zerlegung eines einheitlichen Gesamtprojekts in eine Mehrzahl von Teilpro­jekten, von denen jedes einzelne den Schwellenwert nicht erreicht, ausgeschlossen ist.” (Schreiben der Umweltkommissarin an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 28. April 1999).

C.  Einheitliches Anlagenrecht

Die Grünen treten daher schon lange für ein einheitliches Anlagenrecht ein. Ein diesbezüglicher Ent­schließungsantrag wurde bereits im Jahre 1993 einstimmig vom Parlament angenommen. Entsprechend der jetzigen Schwachstellen sollte auf die Notwendigkeit einer Fachplanung mit Ausweisung von Standorten und Trassen und dem Ausbau der Kontrolle besonderes Augenmerk geschenkt werden. Ein gemeinsamer Bestand an materiellem und formellem Recht ist zu schaffen, der von einer Behörde anzuwenden ist. Subsidiär sollen die Materiengesetze des Bundes und der Länder zur Anwendung kommen. Eine Entscheidungskonzentration bedingt auch eine Stärkung der Kontrolle, um Willkür zu verhindern. Deshalb müssen die weichenden Behörden wie zB Gemeinden für das Bauverfahren oder das Denkmalamt für das DMSG eine Parteistellung im Verfahren erhalten. Die BürgerInnen sind frühestmöglich einzubinden, sie sind als PartnerInnen zu begreifen und nicht als QuerulantInnen abzustempeln. Nur eine offene Diskussion kann zu langfristigen Lösungen führen und den Pro­jektantInnen jene Rechtssicherheit bieten, die sie für ihre Investitionen brauchen.”


Der Umweltausschuss hat den Entschließungsantrag in seinen Sitzungen am 23. Mai und am 28. Juni 2000 in Verhandlung genommen.

Berichterstatter im Ausschuss war die Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig.

An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Otmar Brix, Ing. Gerhard Fallent, Dr. Eva Glawischnig, Mag. Ulrike Sima, Anton Heinzl, Karlheinz Kopf, Mag. Karl Schweitzer, Dr. Evelin Lichtenberger, Mag. Kurt Gaßner sowie der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Mag. Wilhelm Molterer.

Die Abgeordneten Karlheinz Kopf, Mag. Karl Schweitzer brachten einen Entschließungsantrag ein, der wie folgt begründet war:

“Das Arbeitsprogramm der Bundesregierung sieht vor, dass der Weg zum einheitlichen Anlagenrecht mit dem Ziel der Verkürzung der Verfahrensdauer fortgesetzt wird. Die weiteren Reformen müssten jeden­falls die Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich, die Vereinfachung der Verwaltungsabläufe für alle Beteiligten sowie die Sicherung der hohen Umweltschutzstandards im Einklang mit den EU-rechtlichen Bestimmungen garantieren. Es sind drei Stufen zur Weiterentwicklung des Anlagenrechts vorgesehen.

Nachdem für Stufe 1, die Umsetzung der IPPC-, Seveso II- und der UVP-Änderungsrichtlinie in den Materiengesetzen, die parlamentarische Beschlussfassung im Sommer 2000 erfolgen wird, im Jahre 2001 als zweiter Schritt ein allgemeines Anlagenverfahrensgesetz und spätestens 2002 ein einheitliches Materiengesetz für die in die Bundeskompetenz fallenden Materien vorliegen soll, ist es erforderlich, mit den notwendigen Vorarbeiten rasch zu beginnen.”

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Abgeordneten Karlheinz Kopf, Mag. Karl Schweitzer mit Stimmenmehrheit angenommen.

Der Entschließungsantrag 149/A(E) fand nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

Zum Berichterstatter für das Haus wurde Abgeordneter Hermann Gahr gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle

        1.   die beigedruckte Entschließung annehmen und

        2.   den Bericht hinsichtlich des Antrages 149/A(E) zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2000 06 28

                                  Hermann Gahr                                                             Mag. Karl Schweitzer

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann

Anlage

Entschließung

Die Bundesregierung wird ersucht, unter Einbeziehung der Länder Bundesgesetze für die Stufen 2 und 3 der Anlagenrechtsreform möglichst rasch zu erarbeiten und dem Nationalrat entsprechende Gesetzesvor­schläge vorzulegen. Das für die Stufe 3 vorgesehene Bundesgesetz soll ein einheitliches Anlagengesetz für zumindest die in die Bundeskompetenz fallenden Materien und folgende wesentliche Elemente enthalten:

1. Geltungsbereich:

Dessen Festlegung hat nach den Kriterien der Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu erfolgen.

2. Planung:

Im Sinne einer beschleunigten Abwicklung der eigentlichen Genehmigungsverfahren ist eine effiziente Planung Grundvoraussetzung. Daher ist die Koordination zwischen Fachplanung des Bundes und Planung im Zuständigkeitsbereich der Länder zu verbessern.

3. Arten von Verfahren:

Je nach Größe und Umweltrelevanz sind Anlagen in einem abgestuften System mittels allgemeiner Kriterien oder Anlagenlisten (nach Möglichkeit im Gesetz) folgenden Verfahrenstypen zuzuordnen bzw. genehmigungsfrei zu stellen:

–   genehmigungsfreie Anlagen,

–   anzeigepflichtige Anlagen (mit der Möglichkeit einer Untersagung durch die Behörde),

–   Anlagen, die dem vereinfachten Genehmigungsverfahren unterliegen,

–   Anlagen, die dem ordentlichen Genehmigungsverfahren unterliegen (+ jeweils EU-rechtlich erforder­liche zusätzliche Anforderungen für IPPC-Anlagen und UVP-Vorhaben).

4. Öffentlichkeitsbeteiligung und Parteistellungen:

Eine Vereinheitlichung des Systems der Parteistellung ist anzustreben, wobei auch hier die Einräumung einer Parteistellung im Verhältnis zu Größe und Umweltrelevanz der jeweiligen Anlagenkategorie zu sehen sein wird. Auf die Besonderheiten der jeweiligen Materien ist jedoch Rücksicht zu nehmen.

5. Kontrolle:

Genehmigungs- und Kontrollbehörde sollen im Sinne eines effizienten Kontrollregimes zusammenfallen. Der Behörde sind wirksame Instrumente bei konsenslosem bzw. konsenswidrigem Betrieb zur Verfügung zu stellen (Herstellung des rechtmäßigen Zustandes, gänzliche oder teilweise Untersagung des Betriebes). Die Nachbarn sollten darüber hinaus über ein Antragsrecht zur Einleitung eines Verfahrens zur Erteilung nachträglicher Auflagen verfügen.

6. Behörde:

Eine gemeinsame Anlagenbehörde, nämlich die Bezirksverwaltungsbehörde, soll für die Genehmigung und Kontrolle einer Anlage zuständig sein (one-stop-shop). Eine gemeinsame Abwicklung mit den im Landesbereich durchzuführenden Verfahren ist sicherzustellen. In UVP-Angelegenheiten soll wie bisher in erster Instanz die Landesregierung zuständig sein.