512 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP
Ausgedruckt am 13. 3. 2001
Bericht
des Außenpolitischen Ausschusses
über die Regierungsvorlage (283 der Beilagen): Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Finnland, der Griechischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, dem Königreich Schweden, dem Königreich Spanien, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Absätze 1 und 4 des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen samt Anlagen
1. Das Zusatzprotokoll hat nicht politischen, aber gesetzändernden und gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Das Zusatzprotokoll enthält keine verfassungsändernden Bestimmungen. Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 letzter Satz B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.
Das Zusatzprotokoll ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich nicht zugänglich, sodass die Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG erforderlich ist.
Dem Nationalrat wird vorgeschlagen, anlässlich der Genehmigung des Staatsvertrages nach Art. 49 Abs. 2 B-VG zu beschließen, dass dieser hinsichtlich seiner authentischen Fassungen in dänischer, finnischer, französischer, griechischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer, schwedischer und spanischer Sprache dadurch kundgemacht wird, dass diese beim Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten zur öffentlichen Einsichtnahme aufgelegt werden.
2. Auf Grund des Vertrages über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (BGBl. Nr. 258/1970, im Folgenden „Atomwaffensperrvertrag“ genannt), hat Österreich im Jahre 1972 mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ein Abkommen über die Anwendung von Sicherheitskontrollen auf Kernmaterial abgeschlossen. Dieses Abkommen ist am 31. Juli 1972 in Kraft getreten (BGBl. Nr. 239/1972).
Nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (EU) wurde dieses Rechtsinstrument durch das Übereinkommen 78/164/EURATOM, ABl. Nr. L 51 vom 22. Februar 1978, S. 1, im Folgenden „Sicherungsübereinkommen“ genannt, ersetzt.
Die seit 1972 durchgeführte Sicherheitskontrolle besteht in der buchmäßigen Erfassung und Kontrolle von Kernmaterial (Thorium, Uran, Plutonium) und der Erstattung von Berichten an die IAEO. Auf dieser Grundlage übt die IAEO durch ihre Kontrollinspektoren Überprüfungen in den einzelnen Kernanlagen und Orten, wo Kernmaterial gelagert oder verwendet wird, aus.
3. Nach dem Golfkrieg 1991 wurde entdeckt, dass ein Mitglied des Atomwaffensperrvertrages entgegen seinen Verpflichtungen im Begriff war, ein heimliches Atomwaffenprogramm zu entwickeln, welches trotz seines relativ fortgeschrittenen Stadiums von der IAEO-Kontrolle nicht entdeckt worden war. Diese Offenbarung hat eine internationale Diskussion ausgelöst, welche Mängel im System zu solch einer Entwicklung führen konnten und mit welchen Maßnahmen dem entgegengetreten werden sollte. Die IAEO hat daher gemeinsam mit Experten einiger Mitgliedsstaaten seit dem Jahre 1993 ein Konzept erstellt, das die Möglichkeiten zur Aufdeckung solcher heimlicher Programme in einzelnen Staaten erfassen und geeignete Kontrollmaßnahmen entwickeln sollte.
Die österreichische Delegation bei der Generalkonferenz 1992 hat dazu gemeinsam mit der Tschechoslowakei einen ersten Konzeptvorschlag eingebracht und bei der Ausarbeitung des Modells fachlich wesentlich mitgewirkt.
Nach Fertigstellung dieser Arbeiten in der IAEO nahm der Gouverneursrat der IAEO am 16. Mai 1997 das Modell eines „Zusatzprotokolls“ zur Verbesserung des Sicherheitskontrollsystems der IAEO an. Nach der Vorgabe des Gouverneursrates müssen die mit den einzelnen Nichtatomwaffenstaaten zu verhandelnden und abzuschließenden „Zusatzprotokolle“ alle Maßnahmen des Modells enthalten.
Besonders hervorzuheben ist, dass die Atomwaffenstaaten, ohne vom Atomwaffensperrvertrag dazu verpflichtet zu sein, diese Zusatzprotokolle in unterschiedlichem Umfang, aber dennoch, annehmen. Ihre Verpflichtungen erfolgen allerdings auf freiwilliger Basis.
4. Mit dem Zusatzprotokoll werden zwei Arten von wesentlichen neuen Verpflichtungen eingeführt:
– Durch eine Erweiterung der Informationspflichten auch auf Forschung und Industrie soll der IAEO ein ausreichender Einblick in die Nuklearprogramme der einzelnen Staaten ermöglicht werden, und
– mit Hilfe erweiterter Zutrittsrechte für IAEO-Inspektoren („complementary access“) können die Informationen wirksamer nachgeprüft werden.
5. Zweck des neuen Systems ist es, die missbräuchliche Verwendung ziviler Nuklearprogramme für militärische Zwecke noch wirksamer zu verhindern, indem heimliche Aktivitäten in diesem Bereich so rechtzeitig aufgedeckt werden, dass wirksame Gegenmaßnahmen möglichst früh gesetzt werden können.
6. Die bisherige IAEO-Sicherheitskontrolle hat sich gemäß dem seit 1970 bestehenden System auf die Erfassung und Überprüfung des Kernmaterialbestandes im jeweiligen Land und die Erstellung einer Kernmaterialbilanz beschränkt. Hingegen wird das neue ergänzende System weitere wesentliche Informationen über staatliche Nuklearprogramme enthalten, wie Forschung und Entwicklung im „sensitiven“ Bereich des Kernbrennstoffkreislaufs, Aktivitäten zur Behandlung und Beseitigung radioaktiver Abfälle mit Kernmaterial, relevante Industrieproduktionen, relevante Export- und Importaktivitäten strategischer Güter im Nuklearbereich (laut einvernehmlich festgesetzter Warenliste), sowie Planungen für zukünftige Nuklearprogramme. In diesen Bereichen sind entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen, deren Richtigkeit und Vollständigkeit im Einzelfall von der IAEO mittels Inspektionen überprüft werden kann. Vertragsstaaten der Sicherungsübereinkommen sind verpflichtet, staatliche Sicherheitskontrollsysteme zu betreiben, auf deren Kontrollergebnissen die IAEO Überprüfungsinspektionen durchführt.
7. In der EU ist gemäß Kapitel VII des EURATOM-Vertrages die Europäische Kommission (EK) anstelle der staatlichen Behörden für die Kontrolle von Kernmaterial zuständig, wobei aber schon bisher Mitwirkungsrechte der nationalen Behörden bei den EURATOM-Kontrollen wie auch bei jenen der IAEO bestanden haben.
Die durch das „Zusatzprotokoll“ eingeführten weiteren Meldepflichten betreffen einerseits (in einem geringen Umfang) Kernmaterial, das von der bisherigen Kontrolle der IAEO nicht erfasst war. Es handelt sich dabei vor allem um Kernmaterial, das noch nicht den für den Brennstoffkreislauf erforderlichen Reinheitsgrad erreicht hat (von der Erzaufbereitung bis zum Ende der Raffinerie). Da die EURATOM-Sicherheitskontrolle dieses Kernmaterial auf Grund des EURATOM-Vertrages ohnehin schon erfasst, hat das Zusatzprotokoll für den Umfang der EURATOM-Kontrolle keine Auswirkung.
8. Demgegenüber enthält das Zusatzprotokoll eine Vielzahl von Meldepflichten, die nicht Kernmaterial betreffen, sondern Tätigkeiten im Rahmen der Forschung und Entwicklung, Erzeugungsfähigkeiten besonders sensitiver Waren sowie Transfers einschlägiger Ausrüstungen und Materialien, wie sie von der Exportkontrolle des Atomwaffensperrvertrages erfasst sind. Diese Meldepflichten, ebenso wie Fragen der Zugangsrechte von IAEO-Inspektoren, Visaerteilung, Kommunikation mit dem IAEO-Sicherheitskontrollsekretariat usw., liegen in der ausschließlichen Kompetenz der EU-Mitgliedsstaaten. Für Österreich bedeutet dies eine Erweiterung des Sicherheitskontrollsystems und damit weitere Aufgaben für die staatliche Sicherheitskontrollbehörde.
9. Die Erfassung von Transfers von Waren, die der Exportkontrolle des Atomwaffensperrvertrags unterliegen, betrifft auch den innergemeinschaftlichen Handel, für den ansonsten das Prinzip des freien Warenverkehrs gilt. Dementsprechend wird in der am 22. Juni 2000 angenommenen EU-Verordnung [„Verordnung des Rates (EG) über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck“] eine staatliche Genehmigungspflicht auch im Binnenhandel eingeführt.
10. Die Erfassung der meldepflichtigen Informationen soll neben den Exportbewilligungen für einschlägige Waren vor allem durch einen Ausbau der Marktbeobachtung erfolgen, mit welcher einschlägige Firmen der Metall verarbeitenden Branchen systematisch erfasst und durch periodische Rundschreiben von der Relevanz ihrer Tätigkeit in Bezug auf die Sicherheitskontrolle und die diesbezüglichen Meldepflichten in Kenntnis gesetzt werden sollen.
11. Das Zusatzprotokoll enthält in seinen Artikeln 2 und 3 die Modalitäten für die Meldepflichten, wie Art der Information, Fristen usw. Die technischen Details sind eigenen Zusatzvereinbarungen („ergänzenden Abmachungen“, Art. 13) überlassen, die zwischen der IAEO und Österreich festzulegen sein werden.
Weiters sieht das Zusatzprotokoll über die bisherigen Regeln der Sicherheitskontrolle hinaus neue Formen der Inspektion vor, die als „erweiterter Zugang“ („complementary access“) in den Artikeln 4 bis 10 geregelt sind.
12. Der Ansatz des Zusatzprotokolls ist nicht der quantitative Ansatz einer genauen buchhalterischen Rechnung, sondern ein wertend-qualitativer. Das Zusatzprotokoll verlangt für die Meldungen an die IAEO häufig nur ungefähre Angaben und allgemeine Beschreibungen, die ausreichen, um der IAEO einen Eindruck von den nuklearen Aktivitäten eines Landes zu geben.
Die Häufigkeit der auf Grundlage des Zusatzprotokolls durchgeführten Inspektionen soll sich nicht, wie im Sicherungsübereinkommen für die Kernmaterialinspektionen vorgesehen, „mechanisch oder systematisch“ nach der Art und Größe einer Anlage oder der Menge des dort befindlichen Kernmaterials richten, sondern nach dem Grad der Gewissheit, mit dem die IAEO auf Grund der ihr zur Verfügung stehenden Informationen annehmen kann, dass die nuklearen Aktivitäten eines Staates ausschließlich friedlicher Natur sind. Die Schlussfolgerungen, die die IAEO aus ihrer Überprüfungstätigkeit zieht, beziehen sich nicht wie im bisherigen System nur auf die Nichtabzweigung von Kernmaterial aus einer bestimmten inspizierten Anlage, sondern auf das Nichtvorhandensein nichtdeklarierter nuklearer Aktivitäten in einem Staat („state level approach“).
13. Da der Atomwaffensperrvertrag als Basisvertrag der IAEO-Sicherheitskontrolle zwischen Atomwaffenstaaten (AWS) und Nichtatomwaffenstaaten (NAWS) unterscheidet und die beiden Atomwaffenstaaten in der EU (Frankreich und Großbritannien) die IAEO-Kontrollen auf freiwilliger Basis in leicht reduziertem Umfang angenommen haben, wurden für die EU drei getrennte Abkommen für das Zusatzprotokoll (IAEO-NAWS-EURATOM, IAEO-F-EURATOM sowie IAEO-GB-EURATOM) abgeschlossen.
Am 9. Juni 1998 wurden diese drei Zusatzprotokolle vom Rat der EU für den die Gemeinschaft (EURATOM) betreffenden Teil genehmigt und am 22. September 1998 im Rahmen der Generalkonferenz der IAEO von der EK und den EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet.
Die österreichische Bundesregierung hat das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen im authentischen deutschen Wortlaut in seiner vorläufigen Fassung am 10. September 1998 genehmigt (Punkt 10 des Beschl. Prot. 68).
Das für Österreich maßgebliche Abkommen ist ein trilaterales Abkommen der IAEO, der Gemeinschaft, vertreten durch die EK, und der 13 NAWS von EURATOM.
14. Die EURATOM-Länder hatten sich ursprünglich das Ziel gesetzt, die Ratifizierung noch vor der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages vom 24. April bis 19. Mai 2000 durchgeführt zu haben. Dieses Ziel konnte zwar nicht erreicht werden, doch ist der Ratifikationsprozess in vielen EU-Staaten bereits weit fortgeschritten bzw. konnte in einigen bereits abgeschlossen werden. Österreich sollte daher als Sitzstaat der IAEO das Zusatzprotokoll zumindest zeitgleich mit den meisten EU-Staaten ratifizieren.
15. Die Durchführung des Übereinkommens auf nationaler Ebene erfolgt durch die österreichische Nonproliferationsbehörde im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit auf Grund der §§ 13 und 14 Sicherheitskontrollgesetz 1991. Die erweiterte Berichtspflicht an die IAEO, die Durchführung notwendiger Klärungen bei offenen Fragen oder Ungereimtheiten sowie fallweise Inspektionen der IAEO, an denen die Sicherheitskontrollbehörde im Rahmen ihres schon bisher bestehenden Begleitrechtes teilnimmt, finden im vorhandenen Budget ihre Deckung.
16. Mit der Novellierung des SKG 1991 soll das bestehende Inspektionsrecht der IAEO erweitert werden. Zusätzlich ist in Aussicht genommen, aus Gründen der Rechtsklarheit die einzelnen Bestimmungen des Zusatzprotokolls, soweit tunlich, in das SKG aufzunehmen.
17. Das Zusatzprotokoll umfasst eine Präambel, 18 Artikel und drei Anlagen.
Es enthält zwei Arten von wesentlichen neuen Verpflichtungen, nämlich
– vermehrte Informationspflichten an die IAEO und
– erweiterte Zutrittsrechte für IAEO-Inspektoren.
Darüber hinaus sind vereinfachte Bestellungsverfahren und verbesserte Visaerteilungen für IAEO-Inspektoren sowie die ungehinderte Benützung von Kommunikationseinrichtungen durch IAEO-Inspektoren vorgesehen, wobei die Visaerteilung für Österreich als Sitzstaat der IAEO nicht relevant ist.
Der Außenpolitische Ausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 6. März 2001 in Verhandlung genommen.
Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellte der Außenpolitische Ausschuss den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:
1. Der Abschluss des Staatsvertrages: Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Finnland, der Griechischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, dem Königreich Schweden, dem Königreich Spanien, der Europäischen Atomgemeinschaft und der Internationalen Atomenergie-Organisation in Ausführung von Artikel III Absätze 1 und 4 des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen samt Anlagen (283 der Beilagen) wird genehmigt.
2. Dieser Staatsvertrag ist im Sinne des Art. 50 Abs. 2 B-VG durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen.
3. Gemäß Art. 49 Abs. 2 ist das Zusatzprotokoll hinsichtlich der authentischen Texte in dänischer, finnischer, französischer, griechischer, italienischer, niederländischer, portugiesischer, schwedischer und spanischer Sprache dadurch kundzumachen, dass diese zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten aufgelegt werden.
Wien, 2001 03 06
Edeltraud Gatterer Peter Schieder
Berichterstatterin Obmann