53 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Ausgedruckt am 6. 4. 2000

Regierungsvorlage


Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und dem Schweizerischen Bundesrat über den frühzeitigen Austausch von Informationen aus dem Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes (“Nuklearinformationsabkommen” Öster­reich – Schweiz) samt Anhang und Gemeinsamer Erklärung

ABKOMMEN

ZWISCHEN DER REGIERUNG DER REPUBLIK ÖSTERREICH UND DEM SCHWEIZERISCHEN BUNDESRAT ÜBER DEN FRÜHZEITIGEN AUSTAUSCH VON INFORMATIONEN AUS DEM BEREICH DER NUKLEAREN SICHERHEIT UND DES STRAHLENSCHUTZES

(“NUKLEARINFORMATIONSABKOMMEN” ÖSTERREICH – SCHWEIZ)

Die Regierung der Republik Österreich und der Schweizerische Bundesrat (im folgenden “Vertrags­parteien” genannt),

geleitet von dem Wunsche, die gutnachbarlichen Beziehungen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft weiterzuentwickeln,

in dem Bestreben, die anerkannten Grundsätze der Zusammenarbeit im Rahmen der Organi­sation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu erfüllen,

in der Überzeugung, daß zwischen den beiden Vertragsparteien der Austausch von wichtigen Informationen über radiologische Gefahren gewährleistet werden soll, um die allfälligen grenzüber­schreitenden Folgen gering zu halten,

in der Überzeugung, daß ein frühzeitiger Austausch von wichtigen Informationen und Erfahrungen über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz in bedeutendem Maße zur Sicherheit der Bevölkerung beider Vertragsparteien beitragen kann,

in Betracht ziehend das Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen vom 26. September 1986 sowie die anerkannten Grundsätze der Zusammenarbeit im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation,

unter Verweis auf das Abkommen in Form eines Schriftwechsels zwischen der Schweiz und der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom über den Anschluß der Schweiz an das ECURIE-System (European Community Urgent Radiological Information System) vom 21. Juni/2. Oktober 1995, welches durch die Ratsentscheidung 87/600/Euratom über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Fall einer radiologischen Notstandssituation errichtet wurde,

sind wie folgt übereingekommen:

Artikel 1

Begriffsbestimmungen

(1) Vorkommnisse im Sinne dieses Abkommens sind:

           a) Ereignisse, die mit den in Absatz 2 genannten Anlagen oder Tätigkeiten zusammenhängen, in deren Folge es zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umwelt kommt oder kommen kann;

          b) die Registrierung abnormaler Radioaktivitätswerte auf dem Hoheitsgebiet oder außerhalb des Hoheitsgebietes einer Vertragspartei, die für die Gesundheit der Bevölkerung einer Vertragspartei schädliche Folgen haben könnten;

           c) Ereignisse, die Auswirkungen auf die Sicherheit von Anlagen oder Tätigkeiten gemäß Absatz 2 haben können, sofern die Öffentlichkeit von zuständigen Organen der Vertragspartei, auf deren Gebiet sie eintreten, informiert wird.

(2) Anlagen oder Tätigkeiten im Sinne des Abkommens sind:

           a) Kernreaktoren,

          b) Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufes,

           c) Anlagen zur Behandlung und Beseitigung radioaktiver Abfälle,

          d) die Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen,

           e) die Herstellung, Verwendung und Lagerung, Endlagerung und Beförderung von Radioisotopen für landwirtschaftliche, industrielle, medizinische sowie damit zusammenhängende wissenschaft­liche und Forschungszwecke,

           f) die Verwendung von Radioisotopen zur Erzeugung elektrischer Energie in Weltraumanlagen.

Artikel 2

Erstinformationen

(1) Bei Eintritt eines Vorkommnisses hat die Vertragspartei, auf deren Gebiet das Vorkommnis ein­getreten ist, sobald als möglich folgende Informationen zu übermitteln:

            – Datum, Zeitpunkt und Ort des Vorkommnisses,

            – Art des Vorkommnisses,

            – mögliche Konsequenzen und Maßnahmen.

(2) Auf Ersuchen einer Vertragspartei wird die andere Vertragspartei nach Möglichkeit Informatio­nen von dritter Seite erläutern, die sich tatsächlich oder vermeintlich auf Vorkommnisse, Anlagen oder Tätigkeiten im Sinne des Artikels 1 beziehen.

Artikel 3

Ergänzende Informationen

(1) Informationen gemäß Artikel 2 sind ständig mit allen späteren verfügbaren Informationen zu ergänzen, damit die Sachlage beurteilt und die Risiken abgeschätzt werden können, insbesondere:

            – vermutete oder festgestellte Ursachen und voraussichtliche Entwicklung des Vorkommnisses,

            – Merkmale einer allfälligen Emission (Art, physikalische und chemische Form und, soweit mög­lich, Menge der abgegebenen radioaktiven Stoffe),

            – voraussichtliche zeitliche Entwicklung der Emission,

            – Art des Verfrachtungsmediums (Luft, Wasser),

            – meteorologische und hydrologische Angaben, die die Voraussage der Verfrachtung erlauben,

            – Angaben über die Radioaktivität in der Umwelt, einschließlich der Nahrungs- und Futtermittel,

            – die ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen,

            – die Maßnahmen zur Benachrichtigung der Öffentlichkeit.

(2) Weiters werden von der benachrichtigenden Vertragspartei der anderen Vertragspartei auf deren Ersuchen nach Möglichkeit Erläuterungen zu den gemäß Absatz 1 übermittelten Angaben erteilt.

Artikel 4

Kontaktstellen und Zusammenarbeit

(1) Die Vertragsparteien informieren einander unmittelbar nach Inkrafttreten dieses Abkommens auf diplomatischem Wege über ihre zuständigen Behörden und Kontaktstellen, die mit der Erteilung und Entgegennahme von Informationen gemäß Artikel 2 und 3 beauftragt sind. Solche Kontaktstellen werden ständig zur Verfügung stehen.

(2) Die Vertragsparteien informieren einander unverzüglich über jede allfällige Änderung, die die Information gemäß Absatz 1 betrifft.

(3) Unmittelbar nachdem sie gemäß Absatz 1 notifiziert worden sind, stellen die Kontaktstellen das Einvernehmen über die genaue Art der Übermittlung von Informationen her. Die Funktionsüberprüfung dieses Übermittlungssystems findet mindestens einmal jährlich statt.

(4) Bei Vorkommnissen pflegen die Vertragsparteien die bestmögliche Zusammenarbeit zur Vermei­dung von Schäden an Gesundheit, Umwelt und Sachgütern. Jede der Vertragsparteien kann, wenn beide es als angezeigt erachten, einen Vertreter in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsenden. Die Ver­tragsparteien bemühen sich, die Aufgabe des Vertreters zu erleichtern.

Artikel 5

Weitere Informationen

(1) Die Vertragsparteien informieren einander einmal jährlich über die eigenen Nuklearprogramme, über die aus dem Betrieb von Kernanlagen gewonnenen Erfahrungen und über ihre Rechtsvorschriften aus dem Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes.

(2) Die Vertragsparteien informieren einander auch über ihre bestehenden, in Bau befindlichen oder geplanten Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 lit. a bis c und übermitteln die im Anhang enthaltenen Angaben. Über die voraussichtliche Inbetriebnahme der in Bau befindlichen Anlagen informieren die Vertragsparteien einander sechs Monate im voraus.

(3) Die Vertragsparteien unterrichten einander weiters über wesentliche Änderungen, die Stillegung und den Abbruch von Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 lit. a bis c und machen einander die geeigneten Unterlagen zugänglich.

2

Artikel 6

Informationen bei atomrechtlichen Bewilligungsverfahren

Bei atomrechtlichen Bewilligungsverfahren für Kernanlagen macht jede Vertragspartei die Gesuchs­unterlagen nach denselben Kriterien der anderen Vertragspartei zugänglich, die sie dem bestgestellten Drittstaat gegenüber anwendet. Die Unterrichtung erfolgt zu einem Zeitpunkt, der es der anderen Ver­tragspartei ermöglicht, sich rechtzeitig zum Projekt zu äußern. Stellungnahmen der anderen Vertragspartei werden in die in diesem Verfahren vorgenommenen Prüfungen einbezogen.

Artikel 7

Programm der Messungen

Jede Vertragspartei führt auf ihrem Hoheitsgebiet ein Programm zur Messung der ionisierenden Strahlung und der Radionuklide in der Umwelt durch. Die Meßergebnisse werden der anderen Vertrags­partei einmal jährlich übermittelt.

Artikel 8

Strahlenfrühwarnsysteme

Die Vertragsparteien beabsichtigen, ein System zum Austausch der Daten ihrer Strahlenfrühwarn­systeme einzurichten.

Artikel 9

Expertentreffen

Zur Durchführung dieses Abkommens sowie zur Behandlung anderer, beide Vertragsparteien inter­essierender Fragen führen die Vertragsparteien jährliche Expertentreffen zu gemeinsam abgesprochenen Schwerpunktthemen durch. Falls beide Vertragsparteien es für angezeigt erachten, können ergänzend Expertentagungen durchgeführt werden.

Artikel 10

Koordinatoren

(1) Zur Durchführung dieses Abkommens wird von jeder Vertragspartei ein Koordinator bestimmt und der anderen Vertragspartei auf diplomatischem Wege mitgeteilt.

(2) Die Koordinatoren tragen insbesondere Sorge für

           a) den Austausch aller Unterlagen und Informationen, die im Rahmen der Zusammenarbeit gemäß Artikel 5 und 7 zu übermitteln sind, soweit in Einzelfällen nicht ein besonderer Informationsweg in Betracht kommt;

          b) die Durchführung der Expertentreffen bzw. Expertentagungen gemäß Artikel 9.

Artikel 11

Vertraulichkeit der Informationen

(1) Der Inhalt der übermittelten Informationen kann ohne Einschränkung genutzt werden, es sei denn, er werde von einer Seite als vertraulich erklärt.

(2) Die Weitergabe von vertraulichen Informationen darf nur in gegenseitigem Einverständnis erfolgen.

Artikel 12

Kosten

Der Informationsaustausch gemäß diesem Abkommen erfolgt kostenlos. Ist die Beschaffung von ergänzenden Informationen mit erheblichen Auslagen verbunden, so werden diese Auslagen von der Vertragspartei, welche die ergänzenden Informationen beantragt hat, ersetzt.

Artikel 13

Völkerrechtliche Verpflichtungen

Aus dem Völkerrecht sich ergebende weitergehende Rechte und Pflichten der Vertragsparteien werden durch dieses Abkommen nicht berührt.

Artikel 14

Inkrafttreten, Dauer und Kündigung des Abkommens

(1) Dieses Abkommen tritt mit dem ersten Tage des dritten Monats in Kraft, der auf den Monat folgt, in dem die beiden Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege mitgeteilt haben, daß die ent­sprechenden innerstaatlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind.

(2) Dieses Abkommen wird auf unbeschränkte Zeit geschlossen.

(3) Dieses Abkommen kann jederzeit von einer Vertragspartei gekündigt werden. Die Kündigung hat schriftlich auf diplomatischem Wege zu erfolgen. Sie wird sechs Monate nach Übergabe an die andere Vertragspartei wirksam.

Geschehen zu Bern, am 19. März 1999 in zwei Urschriften in deutscher Sprache.

Für die Regierung der Republik Österreich:

Wolfgang Schüssel

Für den Schweizerischen Bundesrat:

Flavio Cotti

Anhang

Die der jeweils anderen Vertragspartei gemäß Artikel 5 Absatz 2 zu übermittelnden Angaben bestehen in:

–   Name der Anlage,

–   Ort und Adresse der Anlage,

–   Betreiber,

–   Zweck und grundlegende technische Daten der Anlage,

–   gegenwärtiger Status,

–   Betriebsdaten,

–   grundlegende Beschreibung des Ortes der Anlage.

Zu Kernreaktoren werden noch folgende Angaben angeführt:

–   Reaktortyp,

–   Leistung,

–   wesentliche Charakteristika der Spaltzone,

–   Reaktorgefäß,

–   Kühlmittel und Kühlkreisläufe (primär und sekundär) des Reaktors,

–   Dampferzeuger,

–   Grenzwerte und Bedingungen für die Abgabe radioaktiver Stoffe in die Umwelt,

–   Grenzwerte und Bedingungen für die Lagerung radioaktiver Abfälle und Bedingungen für die Manipulation mit abgebranntem Kernbrennstoff,

–   Systeme zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit mit Ausnahme der Systeme des physischen Schutzes.


 


Gemeinsame Erklärung,
abgegeben anläßlich der Unterzeichnung des Abkommens
zwischen der Regierung der Republik Österreich und dem Schweizerischen Bundesrat
über den frühzeitigen Austausch von Informationen aus dem Bereich der nuklearen Sicherheit
und des Strahlenschutzes
(“Nuklearinformationsabkommen” Österreich – Schweiz)

Anläßlich des Abschlusses des Nuklearinformationsabkommens hat der Vertreter des Schweizerischen Bundesrates dem Vertreter der Regierung der Republik Österreich den in der Anlage abgedruckten Text des Bundesamtes für Energie, der die schweizerische Praxis in der Frage der Parteistellung und Einsprachelegitimation von Personen in atomrechtlichen Verfahren darstellt, übergeben.

Im Lichte des Wunsches, die gutnachbarlichen Beziehungen weiterzuentwickeln, gehen beide Vertrags­parteien davon aus, daß der Schweizerische Bundesrat die Regierung der Republik Österreich über jede Änderung der in der Anlage dargestellten Praxis informieren wird.

Bern, am 19. März 1999

Der Vertreter der Regierung der Republik Österreich:

Wolfgang Schüssel

Der Vertreter des  Schweizerischen Bundesrat:

Flavio Cotti


Parteistellung und Einsprachelegitimation in atomrechtlichen Verfahren

Das Atomgesetz (AtG, SR 732.0) enthält keine Bestimmungen über die Parteistellung und die Legitimation zur Einsprache. Die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021) sind deshalb anwendbar.

Nach Artikel 6 des VwVG gelten als Parteien Personen, deren Rechte oder Pflichten die Verfügung berühren soll, und andere Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung zusteht.

Die Legitimation ist Voraussetzung für die Ergreifung eines Rechtsmittels. Für die Einsprachelegitimation in atomrechtlichen Verfahren gelten die folgenden Voraussetzungen:

1.  Legitimation von Personen

     Nach Artikel 6 in Verbindung mit Artikel 48 VwVG kann jedermann, der zur Beschwerde gegen eine Verfügung befugt ist, auch im vorangehenden Verfahren Parteistellung beanspruchen. Entscheidend ist, ob er ein besonderes Interesse geltend machen kann, das nur einzelnen oder jedenfalls nur einem beschränkten Personenkreis eigen ist. Die Beziehung zum Gegenstand des Streits muß so nahe sein, daß sie vom Richter berücksichtigt zu werden verdient. Wer Einsprache erheben will, muß also ein eigenes und unmittelbares Interesse geltend machen können.

     Nach der Rechtsprechung des Bundesrates sind Personen zur Teilnahme an atomrechtlichen Verfahren legitimiert, wenn sie vom Betrieb einer Kernanlage besonders betroffen sind. Dies trifft auf alle Bewohner der Zone 1 um ein KKW zu. Außerhalb dieser Zone ist die Legitimation dann zu bejahen, wenn die am Verfahren teilnehmenden Personen mehr als die Allgemeinheit betroffen sind.

2.  Legitimation von Organisationen

     Bei der Festlegung der Voraussetzung, unter denen eine Organisation zur Teilnahme an einem Verfahren berechtigt ist, muß von der Rechtsprechung zu Artikel 48 VwVG ausgegangen werden. Danach sind Vereinigungen und Verbände immer dann beschwerdebefugt, wenn sie selber durch eine Verfügung gleich betroffen sind wie eine Privatperson.

     Trifft dies nicht zu, ist nach ständiger Rechtsprechung zu prüfen, ob solche Organisationen befugt sind, zur Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder Verwaltungsbeschwerde zu erheben. Dies wird unter folgenden Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, bejaht:

     – die Organisation besitzt die juristische Persönlichkeit;

     – die Mehrheit oder doch eine große Anzahl der Mitglieder wäre selber zur Beschwerde legitimiert;

     – die Organisation ist statutarisch zur Wahrung der in Frage stehenden Interessen ihrer Mitglieder berufen.

3.  Heutige Praxis in atomrechtlichen Verfahren

     Die Legitimation der Einsprecherinnen und Einsprecher wird in den neueren atomrechtlichen Entscheiden des Bundesrates aus verfahrensökonomischen Gründen nicht näher geprüft. Der Bundesrat beschränkt sich darauf, festzustellen, daß einzelne Einsprecherinnen und Einsprecher legitimiert sind, und prüft deren Vorbringen. Im übrigen ist die Behörde nach Artikel 12 VwVG von Amts wegen verpflichtet, den Sachverhalt umfassend festzustellen. Dazu gehört auch die Prüfung von wesentlich scheinenden Argumenten von nicht legitimierten Personen und Organisationen.

     Für Einsprecherinnen und Einsprecher aus dem Ausland gelten die gleichen Bedingungen für die Teilnahme am Bewilligungsverfahren wie für solche aus der Schweiz.

Vorblatt

Zweck des Abkommens:

Österreich, das durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 676/1978 auf die Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung verzichtet hat, tritt auch international dafür ein, daß möglichst weltweit, vor allem aber in Mitteleuropa, auf die Energiegewinnung durch Kernspaltung verzichtet wird. Da dieses Ziel in abseh­barer Zeit nicht erreicht werden dürfte, sollen Österreich und seine Bevölkerung vor den von der Kern­spaltung ausgehenden Gefahren bestmöglich geschützt werden.

Ziel:

Schaffung von umfassenden Informations- und Konsultationssystemen für Fragen der nuklearen Sicher­heit und des Strahlenschutzes zwischen Österreich und seinen Nachbarstaaten durch bilaterale Abkom­men, im vorliegenden Falle mit dem Schweizerischen Bundesrat; Errichtung eines multilateralen Strahlenfrühwarnsystems.

Alternativen:

Keine.

EU-Konformität:

Der Entwurf des Abkommens wurde der Europäischen Kommission gemäß Art. 103 des EURATOM-Vertrags mitgeteilt. Die Europäischen Kommission teilte mit, daß das Abkommen keine Bestimmungen enthalte, welche die Anwendung des EURATOM-Vertrages beeinträchtigen könnte.

Besonderheiten des Normsetzungsverfahrens:

Befassung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG.

Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

Kosten:

Aus dem Abkommen werden voraussichtlich folgende Kosten erwachsen:

–   Errichtung der Frühwarnsysteme (nach Art. 8) 2 500 000 S;

–   Standleitung 650 000 S;

–   fachliche Betreuung jährlich 500 000 S (Im Hinblick auf den Personalmangel muß diese Tätigkeit ausgelagert werden);

–   regelmäßige Wartung insbesondere der Software alle drei Jahre 500 000 S.

–   Anläßlich der gemeinsamen jährlichen Expertentagungen gemäß Art. 9 werden Kosten für Reisen in die Schweiz erwachsen, die von den jeweiligen Ressorts zu tragen sind. Diese Kosten werden jährlich abwechselnd etwa 100 000 S betragen, wenn die Expertentagung in der Schweiz stattfindet, und 40 000 S, wenn die Expertentagung in Österreich stattfindet.

Im Budgetentwurf für das Jahr 2000 ist eine Bedeckung durch Umschichtung sicherzustellen.

 

Erläuterungen


Allgemeiner Teil

Das gegenständliche Abkommen ist gesetzändernd und gesetzesergänzend und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrates nach Art. 50 Abs. 1 B-VG. Es ist im innerstaatlichen Bereich unmittelbar anwendbar, weswegen ein Beschluß nach Art. 50 Abs. 2 B-VG nicht erforderlich ist. Es enthält weder politische noch verfassungsändernde oder verfassungsergänzende Bestimmungen.

Eine Zustimmung des Bundesrats gemäß Art. 50 Abs. 1 zweiter Satz B-VG ist erforderlich, da durch Art. 6 Angelegenheiten geregelt werden, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen.

Als oberster Grundsatz der Außenpolitik Österreichs im Bereiche der Kernenergie gilt, daß die öster­reichische Bevölkerung vorsorglich vor allen schädlichen Einwirkungen aus dem Ausland zu schützen ist.

Im Rahmen der österreichischen Kernenergiepolitik stellt die Weiterentwicklung und Verbesserung des Völkerrechts zur Wahrung der Interessen der österreichischen Bevölkerung und zum Schutz der Umwelt ein wesentliches strategisches Element dar. Konkret wird insbesondere im Verhältnis zu den Nachbar­staaten zunächst die rechtlich verbindliche Vereinbarung von Informations- und Konsultationsmecha­nismen angestrebt, nicht zuletzt, da frühzeitige und umfassende Informationen eine wesentliche Voraussetzung für die Optimierung österreichischer Vorsorge- und Schutzmaßnahmen darstellen. Auf internationaler Ebene ermöglicht das Übereinkommen vom 26. September 1986 (BGBl. Nr. 86/1988) über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen, dem Österreich angehört, den Mitgliedstaaten bei einem nuklearen Unfall in einem anderen Staat möglichst frühzeitig Schutzmaßnahmen einzuleiten. Die Benachrichtigungspflicht im Rahmen dieses Übereinkommen ist allerdings – wie der Titel besagt – auf Unfälle beschränkt; zudem ist der Benachrichtigungsweg über die IAEO relativ umständlich und unter Umständen zu langwierig. Österreich ist daher bemüht, in Ergänzung und Erweiterung dieses internatio­nalen Übereinkommens, Informationsabkommen im Bereich der Nuklearen Sicherheit und des Strahlen­schutzes vorrangig mit den Nachbarstaaten abzuschließen. Durch diese bilateralen Abkommen soll der durch das erwähnte Übereinkommen vorgesehene Informationsweg vor allem im Verhältnis zu Öster­reichs Nachbarstaaten abgekürzt und die Vorbereitung bzw. Durchführung von Schutzmaßnahmen durch ergänzende Informationen über Kernanlagen in diesen Staaten erleichtert und verbessert werden. Der­artige bilaterale Übereinkommen bestehen bereits mit Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakischen Republik, der Russischen Föderation, Tadschikistan, Ungarn, der Ukraine und mit Slowenien.

Im Jahre 1985 wurden Verhandlungen über ein bilaterales Katastrophenhilfeabkommen mit der Schweiz, das auch Fragen des bilateralen Strahlenschutzes miteinschließen sollte, begonnen. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Antiatompolitik der Österreichischen Bundesregierung wurde es schließlich als zweckmäßig erachtet, zwei getrennte Abkommen auszuarbeiten, wobei Österreich die Einigung über das Nuklearinformationsabkommen als Voraussetzung für die Unterzeichnung des bilateralen Katastrophen­hilfeabkommens betrachtete. Die Verhandlungen über das Nuklearinformationsabkommen wurden am 6. Juli 1998 in Wien erfolgreich abgeschlossen.

Das Nuklearinformationsabkommen wurde am 23. Februar 1999 vom Ministerrat gemäß Punkt 13 des Beschlußprotokolls 86 genehmigt und am 19. März 1999 vom Bundesminister für auswärtige Angelegen­heiten gleichzeitig mit der Gemeinsamen Erklärung unterzeichnet.

Die “Gemeinsame Erklärung samt Anlage” hat keinen rechtsverbindlichen Charakter und ist diesen Erläuterungen als Anlage angeschlossen.

Das Nuklearinformationsabkommen gilt

–   für alle Kernanlagen (auch Forschungsreaktoren, Lagerungseinrichtungen ua.) und mit ihnen zusammenhängende Tätigkeiten sowie

–   für jeweils das gesamte Hoheitsgebiet der Vertragsparteien.

Es regelt den Informationsaustausch zwischen den beiden Staaten auf drei Ebenen:

–   über den Eintritt radiologischer Gefahren, die in Art. 1 Abs. 1 aufgezählt sind,

–   über die bestehenden, in Bau befindlichen und geplanten Kernanlagen im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. a bis c des Abkommens (siehe Art. 5 Abs. 2 und 3) und

–   über die Nuklearprogramme der Vertragsparteien, die aus dem Betrieb von Kernanlagen gewonnenen Erfahrungen und die Rechtsvorschriften der Vertragsparteien aus dem Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes (Art. 5 Abs. 1).

Informationen über radiologische Gefahren werden unverzüglich übermittelt, spätestens jedoch, wenn die Vertragspartei, auf deren Gebiet die Gefahr sich ereignet hat, entscheidet, Maßnahmen zum Schutz oder zur Information der eigenen Bevölkerung einzuleiten. Informationen über in Bau befindliche oder geplante Kernanlagen werden spätestens nach Erteilung der Baugenehmigung übermittelt. Alle übrigen Informationen werden einmal jährlich ausgetauscht. Zu diesem Zweck werden einmal jährlich gemein­same Expertentagungen abgehalten (Art. 9).

Die Vertragsparteien verpflichten sich ferner zur Durchführung eines Strahlenmeßprogramms auf dem jeweiligen Hoheitsgebiet und zum jährlichen Austausch der Meßergebnisse (Art. 7). Ferner beabsichtigen sie ein System zum Austausch der Daten ihrer Strahlenfrühwarnsysteme einzurichten (Art. 8).

Nach Art. 11 kann der Inhalt der erhaltenen Informationen zur Informierung an die Öffentlichkeit weiter­gegeben werden, soweit die andere Vertragspartei sie nicht als vertraulich erklärt. Diese Bestimmung dient dem Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen. Sie entspricht dem Art. 5 Abs. 3 des Über­einkommens über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen.

Die Europäische Kommission wurde gemäß Art. 103 des EURATOM-Vertrages vom Vertragstext ver­ständigt und hat keinen Einwand erhoben. Auf das Abkommen in Form eines Schriftwechsels zwischen der Schweiz und der Europäischen Atomgemeinschaft über den Anschluß der Schweiz an das ECURIE-System (European Community Urgent Radiological Information System) vom 21. Juni/2. Oktober 1995, welches durch die Ratsentscheidung 87/600 Euratom über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleu­nigten Informationsaustausch im Fall einer radiologischen Notstandssituation errichtet wurde, wird in der Präambel des Abkommens hingewiesen.

Besonderer Teil

Zu Artikel 1 Absatz 1:

Unter “Vorkommnis” ist jedes Ereignis beim Betrieb einer Kernanlage, oder im Verlauf einer damit zusammenhängenden Tätigkeit, die nicht Teil des ordnungsgemäßen Ablaufes ist, zu verstehen. Lit. a betrifft Unfälle auf dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien, lit. c Unfälle außerhalb ihrer Hoheitsgebiete (wie etwa im Falle Tschernobyls), lit. b den Fall eines Anstieges der Radioaktivitätswerte, dessen Ursache noch nicht bekannt ist. Unter lit. d können Unfälle außerhalb von Kernanlagen (etwa im Straßenverkehr) subsumiert werden, bei denen radioaktive Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden.

Zu Artikel 1 Absatz 2:

Das Abkommen umfaßt nicht nur alle Kernanlagen, sondern auch alle damit zusammenhängenden Tätig­keiten und sonstige Verfahren mit radioaktiven Substanzen.

Zu Artikel 2:

Dieser Artikel enthält Bestimmungen über die darin vorgeschriebene Erstinformation bei Eintritt eines Vorkommnisses nach Art. 1 Abs. 1 bei den in Abs. 2 zitierten Anlagen im Sinne des Abkommens.

Österreich und die Schweiz (ratifiziert am 31. Mai 1988) gehören den beiden im Rahmen der IAEO abgeschlossenen einschlägigen Verträgen, nämlich dem Übereinkommen über die frühzeitige Benach­richtigung bei nuklearen Unfällen, BGBl. Nr. 186/1988 (im folgenden: IAEO-Benachrichtigungsüberein­kommen), und dem Übereinkommen über die Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungs­bedingten Notfällen, BGBl. Nr. 87/1990 (im folgenden: IAEO-Hilfsübereinkommen), an. Der Vertrag verweist in der Präambel auf diese Übereinkommen. Beide Übereinkommen sind nach ihren Artikeln 10 (Benachrichtigung) bzw. 12 (Hilfeleistung) zum gegenständlichen Abkommen subsidiär. Die Bestim­mung, wonach die aufgezählten Maßnahmen spätestens dann zu treffen sind, wenn die Vertragspartei entscheidet, Maßnahmen zum Schutz oder zur Information der eigenen Bevölkerung einzuleiten, ist als zusätzliche Absicherung zu verstehen und enthebt nicht vor der Pflicht zur unverzüglichen Benach­richtigung. Das Abkommen geht in diesem Punkt über das IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen hinaus.

Zu Artikel 3:

Zweck dieses Artikels ist es, der anderen Vertragspartei alle Informationen zu garantieren, die sie benötigt, um die erforderlichen Schutzvorkehrungen zu treffen und auf Ersuchen Erläuterungen zu den in Absatz 1 dieses Artikels genannten Informationen zu liefern. Die Informationsinhalte sind in diesem Artikel nur beispielsweise angeführt.

Zu Artikel 4:

Als Kontaktstelle ist, wie bei allen anderen einschlägigen Verträgen, die Bundeswarnzentrale im Bundes­ministerium für Inneres vorgesehen. Die Verpflichtung, das Übermittlungssystem jährlich zu testen, trifft beide Vertragsstaaten.

Darüber hinaus pflegen die Vertragsparteien die bestmögliche Zusammenarbeit zur Vermeidung von Schäden an Gesundheit, Umwelt und Sachgütern. Eine Pflicht zur Hilfeleistung schreibt das Abkommen nicht vor. Über Art und Ausmaß der Hilfe oder auch über die Entsendung eines Vertreters in das Gebiet der anderen Vertragspartei entscheiden die Vertragsparteien im Einzelfall.

Zu Artikel 5:

Dieser Artikel regelt den Austausch von Informationen betreffend Kernanlagen. Informationen über Nuk­learprogramme, Erfahrungen beim Betrieb von Kernanlagen und über einschlägige Rechtsvorschriften werden einmal jährlich übermittelt (Absatz 1). Absatz 2 schreibt die Informationspflicht über bestehende, in Bau befindliche oder geplante Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2a bis c und bestimmter im Anhang dieses Abkommens enthaltener Angaben vor. Die voraussichtliche Inbetriebnahme von Anlagen ist sechs Monate im voraus mitzuteilen. Absatz 3 regelt die Informationspflicht bei Stillegung und Abbruch von Anlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 lit. a bis c.

Zu Artikel 6:

Dieser Artikel schreibt die Informationspflicht der Vertragsparteien bei atomrechtlichen Bewilligungs­verfahren vor und garantiert die Einsichtnahme in Gesuchsunterlagen zu den gleichen Bedingungen wie sie gegenüber einem bestgestellten Drittstaat angewendet werden. Diese Unterrichtung hat so rechtzeitig zu erfolgen, daß die andere Vertragspartei eine Stellungnahme dazu abgeben kann und diese in dem Ver­fahren einer Prüfung unterzogen werden kann.

Zu Artikel 7:

Artikel 7 schreibt vor, daß die im Rahmen von Programmen zur Messung ionisierender Strahlung und Radionuklide erzielten Meßergebnisse der anderen Vertragspartei einmal jährlich zu übermitteln sind.

Zu Artikel 8:

Dieser Artikel enthält eine Absichtserklärung der Vertragsparteien, ein System zum Austausch der Daten ihrer Strahlenfrühwarnsysteme einzurichten.

Zu Artikel 9:

Im Rahmen jährlicher Expertentagungen werden Fragen gemeinsamen Interesses nach vorheriger Abspra­che und Schwerpunktsetzung abgehalten.

Zu Artikel 10:

Artikel 10 schreibt die Ernennung eines noch zu bestimmenden Koordinators jeder Vertragspartei vor. Dieser hat für den ordnungsgemäßen Austausch aller Unterlagen und Informationen im Rahmen dieses Abkommens, soweit in Einzelfällen nicht ein besonderer Informationsweg in Betracht kommt und für die regelmäßige Abhaltung der Expertentreffen gemäß Artikel 9 zu sorgen.

In Österreich fällt diese Tätigkeit nach dem Bundesministeriengesetz 1986 in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten.

Zu Artikel 11:

Die österreichischen Behörden können und werden die österreichische Bevölkerung im Alarmfall unein­geschränkt über alle getroffenen Maßnahmen und alle zu befolgenden Vorsichtsmaßregeln informieren.

Informationen können nur dann als vertraulich behandelt werden, wenn diese ausdrücklich als solche erklärt wurden und der Wahrung von Betriebsgeheimnissen um die Geheimhaltung technischer Details dienen. Diese Bestimmung entspricht Artikel 5 Absatz 3 des IAEO-Benachrichtigungsübereinkommens und Artikel 6 des IAEO-Hilfeleistungsübereinkommens.

Zu Artikel 12:

Der Informationsaustausch im Rahmen des Abkommens erfolgt kostenlos ohne gegenseitige Kosten­verrechnung. Darüber hinausgehende Informationen müssen von der Vertragspartei getragen werden, die diese beantragt hat.

Aus dem Informationsaustausch werden für Österreich voraussichtlich keine ins Gewicht fallenden Kosten entstehen, abgesehen von Kosten für eventuelle Expertenbeiziehung oder Reisen in die Schweiz, die vom jeweils tätigen Ressort zu tragen sind.


Zu Artikel 13:

Dieser Artikel bestimmt, daß sich aus dem Völkerrecht ergebende weitergehende Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch dieses Abkommen unberührt bleiben.

Zu Artikel 14:

Dieser Artikel enthält die üblichen Schlußbestimmungen: Inkrafttreten, Dauer und Kündigung des Ab­kommens.

Anhang:

Der Anhang zu dem Abkommen enthält nähere Angaben über die Anlage und den Reaktortyp, die der jeweils anderen Vertragspartei gemäß Artikel 5, Absatz 2 zu übermitteln. sind.