Zu 576 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Nachdruck vom 1. 6. 2001

Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits


zum Bericht des Ausschusses für Menschenrechte über die Regierungsvorlage zur Ratifikation der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen samt Erklärungen (437 der Beilagen)


Grundsätzliches:

Ziel der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (Teil I) ist der Schutz und die Förderung „der historischen Regional- oder Minderheitensprachen in Europa“. Einerseits sollen „die kulturellen Traditionen und das Erbe erhalten und entwickelt werden“, andererseits soll „das unverletz­liche und allgemein anerkannte Recht, eine Regional- oder Minderheitensprache im privaten und im öffentlichen Leben zu verwenden, geachtet“ werden.

Der Akt der Ratifizierung der Charta ist daher sehr zu begrüßen. Zu betonen ist allerdings, dass diese Ratifizierung erst neun Jahre nach der Unterzeichnung der Charta durch den Bundespräsidenten erfolgt, was eine seit 1992 andauernde Verschleppung der Übernahme und Umsetzung der Charta-Bestimmungen bedeutet.

Anlass zur Kritik gibt die Tatsache, dass die dem Ausschuss für Menschenrechte vorgelegene Regierungs­vorlage eine unzureichende Minimalvariante ohne zukunftsweisende Rechte darstellt. Die Bundesregie­rung schlägt ausdrücklich vor, dass sich Österreich gegenüber der Staatengemeinschaft nur bezüglich solcher Aspekte zum Schutz der Minderheitensprachen verpflichten solle, die bereits jetzt innerstaatlich in Gesetzen und Verwaltungspraxis geregelt sind. Eine genaue Analyse der Regierungsvorlage zeigt darüber hinaus, dass Österreich nur einen Teil der derzeit innerstaatlich praktizierten Schutzbestimmungen völkerrechtlich verbindlich machen möchte.

Zur „Erklärung der Republik Österreich zur Umsetzung der Verpflichtung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen hinsichtlich Teil II der Charta“:

Grundsätzlich sind die Ziele und Grundsätze des II. Teils der Charta auf alle Sprachen im Territorium der Vertragsstaaten anzuwenden, soweit sie der Definition der Charta als Regional- oder Minderheiten­sprachen entsprechen. Die Bundesregierung schlägt vor, folgende Sprachen als solche festzulegen: „Burgenlandkroatisch im burgenlandkroatischen Sprachgebiet im Burgenland“, „Slowenisch im sloweni­schen Sprachgebiet in Kärnten“, „Ungarisch im ungarischen Sprachgebiet im Burgenland“, „Tschechisch in Wien“, „Slowakisch in Wien“, „Romanes im Burgenland“, „Slowenisch in der Steiermark“ und „Ungarisch in Wien“.

Der österreichische Minderheitenschutz und die dazugehörigen Gesetzesbestimmungen nennen bis jetzt die Sprache der kroatischen Minderheit in Österreich „Kroatisch“ und nicht „Burgenlandkroatisch“ wie es die Regierungsvorlage vorsieht. Die Einführung des neuen Begriffs statt des alten durchgängigen Begriffs des Kroatischen könnte Verwirrung stiften, wie auch die bei den Ausschussberatungen anwesenden Experten kritisch anmerkten.

Die Einschränkung des Schutzes der Minderheitensprachen auf nur bestimmte Gebiete (zB „Burgenland­kroatisch im burgenländischen Sprachgebiet im Burgenland“), in denen die Minderheitenangehörigen traditionell gelebt haben oder leben, ignoriert die Tatsache und das Erfordernis der Mobilität in unserer Gesellschaft und grenzt den Schutz auf die traditionellen Wohnorte ein. Wie vom Burgenländisch-Kroatischen Kulturverein in Wien/Hrvatsko gradišØansko kulturno društvo u Be×u zu recht kritisiert wurde, hieße diese Einschränkung, dass Minderheitenangehörige beim Verlassen ihres Dorfes den von der Charta geforderten Sprachenschutz nicht mehr genießen würden.

Zu Teil III der Charta:


Nach dem Vorschlag der Regierung soll nur für „Burgenlandkroatisch im burgenlandkroatischen Sprach­gebiet im Burgenland“, „Slowenisch im slowenischen Sprachgebiet in Kärnten“ und „Ungarisch im ungarischen Sprachgebiet im Burgenland“ das nötige Mindestmaß an 35 einzelnen völkerrechtlichen Verbindlichkeiten nach dem III. Teil der Charta eingegangen werden.

Das bedeutet allerdings, dass seitens der Republik Österreich für alle anderen Minderheitensprachen bzw. Sprachgebiete (die lediglich „allgemein“ nach dem Teil II der Charta geschützt werden sollen) keine konkreten Verpflichtungen eingegangen werden. Die Sprachen der tschechischen und slowakischen Volksgruppe und der Roma im Burgenland, weiters „Slowenisch in der Steiermark“ sowie „Ungarisch in Wien“ kommen daher trotz Ratifizierung der Charta nicht in den Genuss konkreter völkerrechtlicher Schutzbestimmungen. Bezüglich dieser Sprachen sieht die Regierungsvorlage lediglich vor, dass gegenüber dem Europarat mitgeteilt werde, dass bezüglich dieser Sprachen durch die derzeitige Verwaltungspraxis einige Unterpunkte des III. Teiles der Charta gewährt werden.

Burgenlandkroatisch und Romanes in Wien sind hingegen völlig vom Geltungsbereich der Ratifikation ausgeschlossen, obwohl beide Minderheiten auf eine lange Geschichte in Wien zurück­blicken, die bisher von der Bundesregierung immer wieder betont wurde. Spätestens seit 1993, als Vertreter des Burgenländisch-Kroatischen Kulturvereins in Wien/Hrvatsko gradišØansko kulturno društvo u Be×u bzw. seit 1995, als Vertreter des Kulturvereins Österreichischer Roma in Wien in den jeweiligen Volksgruppenbeirat entsandt wurden, sind sowohl die Wiener Kroaten als auch die Wiener Roma nach dem Volksgruppengesetz als Teil der Volksgruppe anerkannt worden. (Seit Bestehen des Volksgruppen­beirates für die Roma ist dessen Vorsitzender ein Wiener Rom!)

Am 30. Juni 2000 erwähnt die Bundesregierung in ihrem Staatenbericht zum Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten die Burgenländischen Kroaten in Wien ausdrücklich als Teil der Minderheit: „Um dem drohenden Verlust der kroatischen Identität in der Großstadt Wien entgegenzuwirken, hat sich 1934 der ,Kroatisch-Burgenländische Kulturverein in Wien‘ gebildet, der im Laufe der Jahrzehnte ein Mitspracherecht – wie es auch der ,Kroatische Akademikerklub‘ mit Sitz in Wien besitzt – in Angelegenheiten der Burgenlandkroaten erlangen konnte“. Im Staatenbericht wird auch angegeben, dass zirka ein Viertel der burgenlandkroatischen Volksgruppe in Wien lebt. Ähnliches gilt auch für die Minderheit der Roma.

Alle drei als Auskunftspersonen eingeladenen Experten, Univ.-Prof. Dr. Dieter Kolonovits, MinRat. Dr. Heinz Tichy und der Vorsitzende der Konferenz der Österreichischen Volksgruppenbeiräte Martin Ivancsics, haben in der Ausschusssitzung ihre Kritik an der Nicht-Erwähnung der beiden obgenannten Volksgruppen in Wien zum Ausdruck gebracht und auf die bisherige faktische Anerkennung der in Wien lebenden Minderheitenangehörigen als Teil der Minderheit hingewiesen.

MinRat Dr. Tichy betonte in seinen Ausführungen, dass es der Charta widerspräche, schon anerkannte Minderheitensprachen nicht zu schützen und bestehende Standards im Minderheitensprachenschutz zu verschlechtern. Univ.-Prof. Dr. Kolonovits erwähnte die faktische Anerkennung der burgenländischen Kroaten in Wien als Teil der Volksgruppe und sprach im Zusammenhang mit ihrer Auslassung in der Regierungsvorlage von einem „rechtspolitischen Problem“. Herr Ivancsics wies ua. auf fehlende Schritte zur Förderung von Minderheitensprachen im Bereich des Bildungs- und Medienwesens hin und kritisierte auch das Fehlen der kroatischen Volksgruppe in Wien und der Volksgruppe der Roma in Wien in der Regierungsvorlage.

Trotz dieser Expertenmeinungen und der von der Opposition geäußerten Kritik an der Restriktivität der Regierungsvorlage lehnten die Regierungsparteien eine von den Grünen und der SPÖ eingebrachte Ausschussfeststellung ab. Mit dieser hätte sich der Ausschuss für Menschenrechte dazu bekennen können, dass durch die Ratifikation der Regierungsvorlage keine Unterschreitung des derzeitigen rechtlichen und faktischen Minderheitenschutzes stattfindet, sondern dass „die übernommenen völkerrechtlichen Ver­pflichtungen (…) jeweils für alle Teile der betroffenen Volksgruppen gleichmäßig und zielorientiert extensiv auszulegen sind“.

Da die von der Regierung vorgeschlagenen Bestimmungen im Lichte des derzeitigen gesetzlichen und faktischen Minderheitenschutzes nicht ausreichend sind, lehnte die Grüne Fraktion die Regierungsvorlage zur Ratifikation im Menschenrechtsausschuss ab. Festzuhalten ist allerdings, dass sie die Tatsache der Ratifikation der Charta an sich sehr begrüßt.