649 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP
Ausgedruckt am 5. 6. 2001
Bericht
des Umweltausschusses
über den Entschließungsantrag 317/A(E) der Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig und Genossen betreffend einer Österreichischen Initiative für EU-Projekte zur Sanierung nuklearer Altlasten auf der Halbinsel Kola und in der Barents-See
Die Abgeordneten Dr. Eva Glawischnig und Genossen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 30. Oktober 2000 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:
„Der Untergang des Atom-U-Bootes ‚Kursk‘ hat die massiven Umweltgefahren durch nukleare Altlasten erneut ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Die Kursk ist als eines der modernsten U-Boote der russischen Flotte nur die ‚Spitze des Eisberges‘ eines riesigen Problembergs an radioaktiv verstrahlten Altlasten. Diese Altlasten sind nicht zuletzt eine Folge des Kalten Krieges und sie stellen eine Gefahr für ganz Europa dar, die nur gemeinsam und kooperativ abgebaut werden können.
Besonders dramatisch ist die Situation auf der nordwestrussischen Halbinsel Kola, die direkt an der EU-Grenze liegt, an reiche Fischgründe grenzt und auch für Russlands wirtschaftliche Entwicklung als einziger eisfreier Hafen im Norden von großer Bedeutung ist. Ein Fünftel aller Atomreaktoren der Welt lagern in diesem Gebiet, das von 600 000 Menschen bewohnt wird. Von insgesamt 110 ausgedienten Atom-U-Booten der russischen Nordmeerflotte haben noch 72 hochradioaktiven Nuklearbrennstoff an Bord. Zehntausende Atombrennstäbe werden auf diese hochriskante Weise direkt im Wasser der Arktik gelagert. Jeder Unfall wird automatisch zu einem globalen Problem. Noch einmal so viele Brennstäbe befinden sich in seit Jahren nicht mehr gewarteten Lagern direkt am Ufer.
Laut Expertenmeinung sind Unfälle nur eine Frage der Zeit. Die bis zu 25 Jahre alten U-Boote sind oft in katastrophalem Zustand. Viele müssen mittels Kompressoren ständig mit Luft ,aufgeblasen‘ werden, um sie am Sinken zu hindern. Zusätzlich zu den Brennstäben lagern auf der Kola-Halbinsel Tonnen radioaktiven Mülls. Dieser befindet sich größtenteils in rostigen Containern oder Betontanks, die unter freiem Himmel gelagert werden. Seit 1996 steht kein Geld mehr für nötige Reparaturen dieser ,Zwischenlager‘ zur Verfügung. In Nordwestrussland befinden sich dutzende ‚Tschernobyls in Zeitlupe‘, tickende Zeitbomben, die ohne große Anstrengung früher oder später explodieren werden.
Derzeit sind die Voraussetzungen für eine kostengünstig Lösung dieses für Westeuropa relevanten Problems äußerst günstig. Zahlreiche Probleme, die oft Projekte mit Russland begleiten, könnten unter den aktuellen Umständen vermieden werden. Das Abrüstungsprogramm Cooperative Threat Reduction (CTR) nähert sich seinem Ende, da die strategischen Atom-U-Boote, die dieses Programm entsorgt, innerhalb der nächsten Jahre alle per Vertrag einer Abwrackung und Entsorgung zugeführt werden. CTR verfügt über eine einzigartige Infrastruktur in Russland. Befürworter im US-Kongress wollen das Programm auf taktische Atom-U-Boote ausweiten.
Der US-Kongress ist allerdings nicht bereit, US-Gelder allein für Europas Umweltsicherheit auszugeben, und die amerikanische Diskussion ist daher auf etwa 50 der 110 taktischen Boote beschränkt, die noch zumindest theoretisch – durch ihre Fähigkeit, Cruise Missiles abzufeuern – eine militärische Gefahr für die USA darstellen. In diesem Zusammenhang wäre eine europäische Beteiligung an der Entsorgung der russischen Nuklearaltlasten betreffend zirka 60 taktische Atom-U-Boote ein wichtiger Schritt. Eine europäische Beteiligung an einem Programm, welches Russland selbst als eine Priorität betrachtet, könnte in großen Ausmaß dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Ost und West nach Ende des Kalten Krieges weiter zu verbessern und würde gleichzeitig ein drohendes Umweltproblem von Europa abwenden.
Das Programm ist vergleichsweise kostengünstig, weil die USA bereits die gesamte Infrastruktur vor Ort aufgebaut haben und diese auch für ein europäisches Projekt zur Verfügung stellen würde. Die USA würden außerdem fast die halben Kosten für die Entsorgung der taktischen U-Boote aufbringen. Zusätzlich beinhaltet CTR auch über die nötigen Rechtsabkommen mit Russland, deren Fehlen in der Vergangenheit in vielen Fällen zum Hindernis für Projekterfolge geworden sind. Für die Ausverhandlung von dementsprechenden Rechtsabkommen zwischen der EU und Russland wären die unter CTR bestehenden Abkommen eine gute Ausgangsbasis.
Experten beziffern die nötigen Kosten zur
Abwrackung dieser 110 Boote und zur Lagerung des entstehenden
Atombrennstoffs und Mülls insgesamt mit zirka einer Milliarde US-Dollar.
Die Kosten für ein Zwischenlager auf der Kola-Halbinsel werden von
Experten auf zirka 400 bis 600 Millionen US-Dollar geschätzt.
Pläne für ein Zwischenlager für die nuklearen Altlasten auf der
Kola-Halbinsel existieren bereits, auch mögliche Standorte sind bereits
definiert. Die politische Zustimmung für ein Zwischenlager in der Region
wurde bereits erreicht. Die genauen Kosten für die Entladung der noch in
den U-Booten gelagerten atomaren Brennstäbe können erst nach einer
ausführlichen Analyse über den Zustand der
U-Boote ermittelt werden.
Für einen österreichischen Vorstoß auf EU-Ebene für die Übernahme der finanziellen Verantwortung für die Abwrackung von zirka 60 taktischen russischen Atom-U-Booten durch die Europäische Kommission wäre jetzt nach der schrecklichen Katastrophe des russischen Atom-U-Bootes ,Kursk‘ ein günstiger Zeitpunkt. Ein österreichischer Vorstoß wäre auch ein wichtiger Beweis der Glaubwürdigkeit der österreichischen Anti-Atom-Politik. Österreich setzt bei Temelin auf die Unterstützung der anderen europäischen Staaten. Es ist ein Gebot der gegenseitigen Solidarität, dass Österreich in der Frage der atomaren Altlasten auf der Halbinsel Kola die besonders betroffenen skandinavischen Staaten und die russische Föderation unterstützt.“
Der Umweltausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 31. Mai 2001 in Verhandlung genommen.
Die Abgeordneten Karlheinz Kopf, Ing. Gerhard Fallent, Mag. Ulrike Sima und Dr. Eva Glawischnig brachten einen Abänderungsantrag ein.
Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag unter Berücksichtigung des erwähnten Abänderungsantrages einstimmig angenommen.
Zur Berichterstatterin für das Haus wurde Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig gewählt.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle die beigedruckte Entschließung annehmen.
Wien, 2001 05 31
Dr. Eva Glawischnig Mag. Karl Schweitzer
Berichterstatterin Obmann
Anlage
Entschließung
1. Die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten wird ersucht, sich erneut bei den Institutionen der Europäischen Union gemeinsam mit den in dieser Frage besonders betroffenen und engagierten skandinavischen Mitgliedstaaten für die Erstellung einer umfassenden Schadensanalyse in der Barents-See und auf der Kola-Halbinsel gemeinsam mit Russland einzusetzen mit dem Ziel, auf höchster Ebene zwischen EU und Russland gemeinsame Problemlösungsstrategien zu vereinbaren.
2. Die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten wird insbesondere ersucht, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass ein vollständig durchfinanziertes EU-Projekt inklusive der dafür nötigen Abkommen zur Abwrackung und Entsorgung von zirka 60 ausgedienten russischen, sogenannten taktischen Atom-U-Booten formuliert, mit Russland verhandelt und durchgeführt wird.
3. Die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten wird weiters ersucht, an die EU-Kommission und die Präsidentschaft mit dem dringenden Ersuchen heranzutreten, rasch und auf höchster Ebene die diesbezügliche Vorgangsweise mit den USA und anderen potentiellen Gebern abzustimmen.
4. Die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten wird schließlich ersucht, sich gegebenenfalls bei der EU-Kommission für die rasche Erstellung einer Studie einzusetzen, um den genauen zeitlichen, technischen und finanziellen Umfang eines EU-Projekts für die Entsorgung der taktischen U-Boote zu definieren.