IV-5 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXI. GP

Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
Mittwoch, 14. Juni 2000
Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier
Beratungen des Hauptausschusses
in Angelegenheiten
der Europäischen Union
(Auszugsweise Darstellung)
XXI. Gesetzgebungsperiode Mittwoch, 14. Juni 2000
Tagesordnung
1.
Regierungskonferenz in Portugal
8. Tagung der Vorbereitungsgruppe Regierungskonferenz am 30. Mai 2000
(12444/EU XXI. GP)
Tagung der
Vorbereitungsgruppe Regierungskonferenz am 6. Juni 2000
(12445/EU XXI. GP)
CONFER 4748/00
Regierungskonferenz 2000 / österreichischer Vorschlag zur
Änderung der Artikel 7 und 46 EU-Vertrag
(12624/EU XXI. GP)
Bericht der
Ständigen Vertretung betreffend Regierungskonferenz 2000 /
österreichischer Vorschlag zur Änderung der Artikel 7 und 46
EU-Vertrag
(12625/EU XXI. GP)
2. Antrag der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung betreffend WEU; Verlängerung der österreichischen Teilnahme an der Polizeimission “Extended Multinational Advisory Police Element / MAPEXT” in Albanien (Vorlage 49 HA)
3. Antrag der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung betreffend Fortsetzung der Entsendung von österreichischen Experten im Rahmen der OSZE-Mission im Kosovo (OSCE MIK) (Vorlage 50 HA)
4. Antrag der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung betreffend Fortsetzung und Beendigung der Entsendung des österreichischen Transportkontingentes im Rahmen des Multinationalen Friedenseinsatzes in Bosnien und Herzegowina (SFOR) (Vorlage 51 HA)
5. Antrag der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten auf Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung betreffend Weiterbelassung der Teilnahme Österreichs unter Änderung der Modalitäten im Rahmen des multinationalen Friedenseinsatzes im Kosovo (KFOR) (Vorlage 39 HA)
Beginn der Sitzung: 15.04 Uhr
Obmann Dr. Heinz Fischer begrüßt die Anwesenden, eröffnet die Sitzung des Hauptausschusses, weist darauf hin, dass der 1. Tagesordnungspunkt – betreffend die EU-Regierungskonferenz in Portugal – den öffentlichen Teil dieser Sitzung ausmacht, und erklärt, nachdem auf eine entsprechende Frage hin gegen die Tagesordnung keine Einwendungen erhoben worden sind, diese für genehmigt.
Einem vorangegangenen Beschluss der Präsidialkonferenz zufolge stehen für die mit 2 Stunden bemessene Diskussion den Fraktionen Redezeiten in folgender Verteilung zur Verfügung: SPÖ 39 Minuten, Freiheitliche und ÖVP je 29 Minuten sowie Grüne 23 Minuten. Nicht in diesen 120 Minuten enthalten sind die Stellungnahmen von Regierungsmitgliedern.
Für die Tagesordnungspunkte 2 bis 5 sei keine Redezeitbeschränkung vorgesehen, jedoch bestehe Übereinstimmung dahin gehend, die gesamte Sitzung bis 19 Uhr zum Abschluss zu bringen.
1. Punkt
Regierungskonferenz
in Portugal
8. Tagung der Vorbereitungsgruppe Regierungskonferenz am 30. Mai 2000
(12444/EU XXI. GP)
Tagung der
Vorbereitungsgruppe Regierungskonferenz am 6. Juni 2000
(12445/EU XXI. GP)
CONFER 4748/00
Regierungskonferenz 2000 / österreichischer Vorschlag zur
Änderung der Artikel 7 und 46 EU-Vertrag
(12624/EU XXI. GP)
Bericht der
Ständigen Vertretung betreffend Regierungskonferenz 2000 /
österreichischer Vorschlag zur Änderung der Artikel 7 und 46
EU-Vertrag
(12625/EU XXI. GP)
Obmann Dr. Heinz Fischer erteilt Bundeskanzler Dr. Schüssel das Wort zu einer einleitenden Stellungnahme.
Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel stellt zunächst fest, er werde in seiner voraussichtlich 10 Minuten langen Einleitung nicht alle Themen ansprechen können. Was insbesondere den außenpolitische Bereich betrifft, werde dazu Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner Stellung beziehen.
Über die Vorarbeiten für eine EU-Charta der Grundrechte liege erst ein Zwischenbericht des früheren deutschen Bundespräsidenten Dr. Herzog vor, über den auf Grund des Kreises der an den Verhandlungen beteiligten Personen ohnehin der Hauptausschuss besser als die Regierungsebene informiert sei.
Der kommende Europäische Rat werde zwar die weitere Entwicklung diskutieren, aber keine Entscheidungen von substanziellem Gewicht fällen und könne daher als “Zwischen-Rat” bezeichnet werden. Es werde dort, in einem “Follow-up” zu dem Treffen von Lissabon, um die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union sowie wesentliche finanz- und wirtschaftspolitische Fragen, betreffend etwa das Steuerpaket, gehen. Im Einzelnen werde über den Beitritt Griechenlands zur Wirtschafts- und Währungsunion entschieden werden. Dieser Beitritt werde aus österreichischer Sicht begrüßt.
Hinsichtlich der Regierungskonferenz erläutert Bundeskanzler Dr. Schüssel, dass die Zwischenreform im Rahmen des Europäischen Rates von Amsterdam einige wichtige Fragen offen gelassen habe, betreffend die Zusammensetzung und Größe der Europäischen Kommission, die Stimmwägung im Europäischen Rat und die Frage der Entscheidungsfindung mittels qualifizierter Mehrheit oder Einstimmigkeit.
In Feira werde es darauf ankommen, neben den drei so genannten Überbleibseln von Amsterdam erstmals auch andere Themen wie etwa die Sitzverteilung im Europäischen Parlament, den Ausschuss der Regionen, den Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Europäischen Rechnungshof oder die Reform der Gerichte hinsichtlich verstärkter Zusammenarbeit oder Flexibilität anzusprechen.
Österreich stehe der Frage der Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit zwar konstruktiv und offen gegenüber, werde jedoch nicht bereit sein, etwa im Bereich Steuern generell zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen. Nicht daran interessiert, sich einer Mehrheitsabstimmung zu unterwerfen, sei Österreich zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Problem des Bankgeheimnisses, nämlich in der Frage, ob ein Optionen-Modell gültig sein oder bereits jetzt eine Weichenstellung in Richtung der Abschaffung des Bankgeheimnisses und eines verpflichtenden Informationsaustausches erfolgen solle.
Nahezu einhellig trete auch das österreichische Parlament in sensiblen Bereichen gegen Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit und für die Beibehaltung der Einstimmigkeit ein, betreffend etwa Raumordnung, Bodennutzung, Wahl der Energieträger, Wasserressourcen oder Grundsatzfragen der Verkehrspolitik.
Im Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungsbereich sei Österreich zwar offener, wolle jedoch, auch um bestimmte Informationen zu bekommen, auf der Ausschöpfung der fünfjährigen Frist bis zum Übergang zu Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit bestehen.
Unverändert sei die Position hinsichtlich der Institutionenreform: Aus österreichischer Sicht müsse jeder Mitgliedstaat in jeder Institution vertreten sein. Dies bedeute die absolute Notwendigkeit des Fortbestandes der Europäischen Kommission als Kollegialorgan mit gleichberechtigtem Status der Mitglieder, und es enthalte eine Absage an “Junior Commissioner”, entsprechende Über- und Unterordnungen oder Unterschiede zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten. Österreich könne sich generell eine Stärkung der Position des Kommissionspräsidenten vorstellen, und zwar bis hin zu einer dem Europäischen Parlament eingeräumten Entlassungsmöglichkeit auf Vorschlag des Präsidenten, und trete ferner dafür ein, dass das Europäische Parlament die Vertrauensfrage stellen kann.
Hinsichtlich der Stimmgewichtung bestehe auf österreichischer Seite leichte Flexibilität. Österreich werde auch auf Grund der jetzigen Situation künftig vorsichtiger sein. Insbesondere hinsichtlich eines Abtausches müsse genau aufgepasst werden. Es müsse auch das Prinzip der Völker und der Staaten, nicht nur der Bevölkerungszahl, im Rat zum Ausdruck kommen. Daher müsse behutsam vorgegangen werden.
Österreich könne sich eine doppelte Mehrheitskonstruktion vorstellen. Eine neue Idee bestehe darin, die Gewichtung mit Stimmwägungsschwellen zu versehen. Nach österreichischer Ansicht solle der Anteil der gewichteten Stimmen zur Erlangung einer qualifizierten Mehrheitsentscheidung unverändert bei 71 Prozent bleiben und die dadurch repräsentierte Bevölkerungszahl 58 Prozent nicht überschreiten. Diese Zahlen würden nicht willkürlich, sondern eher aus Effizienzgründen gewählt werden. Aus demokratiepolitischen Gründen dürfe diese Zahl jedenfalls nicht unter 50 Prozent sinken.
Schweden habe mit dem doppelten oder einfachen Quadratwurzel-Modell einen interessanten Vorschlag vorgelegt. Kleine Länder hätten davon den Vorteil, dass damit das gewisse überproportionale Moment zu ihren Gunsten erhalten bleiben könnte. Österreich stehe dem daher positiv gegenüber.
Was die Neuverteilung der Sitze betrifft, sei es für Österreich – auch im Interesse kleinerer Fraktionen – wichtig, dass eine gewisse Zahl an Repräsentanten gewahrt werden muss, um auch regionale Repräsentanz zu ermöglichen. Einer nach manchen Modellen vorgesehenen Halbierung der Sitze werde Österreich sicherlich nicht zustimmen. Es werde zu einer Gesamtlösung kommen müssen, und diese werde in Etappen zu erfolgen haben, je nach der Anzahl der Mitgliedstaaten, etwa in zwei Etappen bis zu den Jahren 2004 und 2009. Österreich werde darauf bestehen, dass die bereits gewählten Abgeordneten auf jeden Fall bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben müssen.
Hinsichtlich des Ausschusses der Regionen und des Wirtschafts- und Sozialausschusses trete Österreich für die Fortschreibung der bisherigen Sitzverteilung ein.
Die Flexibilität werde von Österreich prinzipiell bejaht. Aber es werde in diesem Bereich noch zahlreicher Diskussionen bedürfen.
Sehr wichtig sei die verstärkte Betrugsbekämpfung. Österreich trete für einen Europäischen Staatsanwalt ein. Ein Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention könne als absolut in Ordnung bezeichnet werden.
Bereits allen Fraktionen übermittelt worden sei der Vorschlag der österreichischen Bundesregierung, eine Neufassung der Artikel 7 und 46 des Europäischen Vertrages vorzunehmen und für Sanktionen oder Empfehlungen den Europäischen Gerichtshof zuständig zu machen. Darin hätten die von vielen verschiedenen österreichischen Repräsentanten in der laufenden Diskussion vorgelegten Vorschläge bereits Berücksichtigung gefunden. Vor allem handle es sich dabei um den ersten substanziellen Vorschlag auf Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens in solchen Fällen. Einige sehr positive informelle Reaktionen darauf seien bereits zu verzeichnen gewesen.
Im Zuge des “Follow-up” zu Lissabon sei nur wenig an konkreten Entscheidungen zu vermelden. Eine Diskussion des jeweiligen Zwischenstandes ohne konkrete Beschlusspläne stehe in Feira etwa hinsichtlich der Schaffung eines Europäischen Forschungsraums, der Charta für Klein- und Mittelbetriebe und der Bekämpfung der sozialen Exklusion zu erwarten.
Der Europäische Rat werde in Feira 63 konkrete Maßnahmen im Rahmen des eEurope-Aktionsplans beschließen. Dies sei in vollem Umfang identisch mit den Absichten der österreichischen Bundesregierung. Österreich habe als erster Mitgliedstaat überhaupt entsprechende Empfehlungen der EU-Kommission bereits umgesetzt.
Unmittelbar vor dem Gipfeltreffen werde am 18. Juni 2000 der ECOFIN noch einmal versuchen, die bisher gescheiterte Harmonisierung in der Besteuerung zustande zu bringen. Im Rahmen der Europäischen Räte von Helsinki und Köln seien nur sehr weiche Kompromisse gefasst worden, weil zwei Konzepte einander unversöhnlich gegenübergestanden seien. Das eine sei der britische Vorschlag, der de facto auf die Abschaffung des Bankgeheimnisses hinauslaufe; an dessen Stelle wäre zwingend ein Informationsaustausch einzuführen, um es dem Heimatland des jeweiligen EU-Bürgers zu ermöglichen, ihn, auch wenn er sein Geld in einem anderen Mitgliedstaat veranlagt hat, steuerlich in die Pflicht zu nehmen. Der andere Vorschlag eines Optionen-Modells – dafür würden neben Österreich auch Luxemburg, Belgien, Griechenland und Portugal eintreten – sehe vor, die beiden Möglichkeiten gleichberechtigt offen zu halten und es dem jeweiligen Mitgliedstaat zu überlassen, für welche Option er sich entscheidet.
Österreich werde zwar auf seinem Standpunkt beharren, aber mittlerweile zeichne sich eine mehrheitliche Befürwortung des Informationsaustausch-Modells ab. In dieser Richtung werde bereits massiver Druck ausgeübt, aber Österreich habe sich dafür gewappnet, zu widerstehen.
Klarerweise stehe für Österreich nach wie vor die eigene Situation im Rahmen der Europäischen Union im Vordergrund. Es habe im Vorfeld des Gipfeltreffens von Feira zwar viele informelle Kontakte, aber keinerlei offiziellen, formellen oder informellen Vorschlag für eine bestimmte Vorgangsweise gegeben. Spekulationen in den Zeitungen würden häufig nicht der Realität entsprechen.
Bundeskanzler Dr. Schüssel weist auf ein offizielles Gespräch hin, das er in der Vorwoche ungefähr eine Stunde lang mit Ratspräsident Guterres geführt habe; dies sei eines jener Telefongespräche gewesen, die der Ratspräsident diesmal anstelle der von anderen Präsidentschaften durchgeführten Tour des Capitales geführt habe. Die nachdrückliche Frage nach einer entsprechenden Strategie der portugiesischen Präsidentschaft sei mit einem Hinweis darauf beantwortet worden, dass bisher darüber kein Konsens bestehe, sodass auch noch kein Vorschlag vorliege, weil ein solcher nur im Einvernehmen mit den anderen Ländern zustande kommen könnte. Es sei nur vereinbart worden, dass weitere Kontakte möglich sind, sowohl auf der Ebene der Fraktionen im Europäischen Parlament als auch auf Regierungsebene.
Entscheidend werde sein, dass Österreich darauf dringt, wieder einen politischen Dialog im Rahmen der 15 Mitgliedstaaten zu führen. In diesem Zusammenhang habe zuletzt Außenministerin Dr. Ferrero-Waldner in voller Umsetzung des Aktionsprogramms der Bundesregierung Reisen in drei Mitgliedstaaten unternommen, die dort sehr gute Resonanz gefunden hätten. Es sei auf diese Informationsoffensive Österreichs zurückzuführen, dass die Pressestimmen im Vorfeld des Gipfeltreffens von Feira die österreichische Position zwar differenziert, aber mehrheitlich verständnisvoll wiedergeben würden.
Bundeskanzler Dr. Schüssel fügt hinzu, er habe kein Verständnis für die Meinung der portugiesische Präsidentschaft, dass diese Informationsoffensive aggressiv oder unangemessen sei; noch kein österreichischer Minister habe sich in irgendeinem Rat aggressiv oder unangemessen geäußert. Tatsächlich werde nur die österreichische Position nachdrücklich und fest wiedergegeben.
Jetzt stehe zu hoffen, das Österreich ein Feira ein großes Stück weiterkommen wird. Es könnte aber auch sein, dass es erst danach zu einer Aufweichung kommen wird. Da die Maßnahmen in Telefonkonferenzen an einem einzigen Wochenende bilateral verhängt wurden, bestehe theoretisch durchaus die Möglichkeit, dass sie in Telefonkonferenzen in entsprechend kurzer Zeit auch wieder aufgehoben werden. Dazu bedürfe man letztlich gar nicht eines Europäischen Rates. Die österreichische Bundesregierung werde jedenfalls nicht nur im Rahmen des bevorstehenden Gipfeltreffens, sondern auch in den darauffolgenden Wochen für Österreich kämpfen.
Abgeordneter Dr. Andreas Khol (ÖVP) bringt – nachdem er Bundeskanzler Dr. Schüssel für dessen sehr präzisen und umfassenden Bericht gedankt hat – im Zusammenhang mit dessen Vorschlag für ein Verfahren zu den Artikeln 7 und 46 des EU-Vertrages namens der Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Ing. Peter Westenthaler, Dr. Michael Spindelegger, Mag. Karl Schweitzer einen Antrag auf Stellungnahme gemäß Artikel 23e Abs. 2 B‑VG ein.
Mit diesem Antrag solle der Nationalrat den von der Bundesregierung ausgearbeiteten Vorschlag zur Neufassung der Artikel 7 und 46 des EU-Vertrages unterstützen, damit ein gerechtes, rechtsstaatliches Verfahren im Sinne von Artikel 6 EU-Vertrag eingerichtet wird. Der Nationalrat solle ferner, wenn dieser Antrag angenommen werde, die Bundesregierung beauftragen, alles zu unternehmen, dass dieses Verfahren betreffend Artikel 7 und 46 EU-Vertrag bei der Regierungskonferenz der Europäischen Union durchgesetzt wird.
Diese Stellungnahme ziele darauf ab, im Hinblick auf die über Österreich verhängten ungerechtfertigten und rechtswidrigen Maßnahmen für die Zukunft sicherzustellen, dass ein derartiges Verfahren nicht mehr möglich sein wird. In dieser Stellungnahme komme zum Ausdruck, dass es unbedingt eines solchen Verfahrens bedürfe; darüber bestehe im Wesentlichen Konsens unter allen Parteien des Nationalrates. Dies sei bereits in einem Dringlichen Antrag gleich zu Beginn dieser Debatte, aber auch in einem Brief des Bundespräsidenten an die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten oder etwa auch in einem entsprechenden Antrag der Grünen bereits zum Ausdruck gebracht worden.
Der jetzt eingebrachte Antrag sei bereits am Vormittag des heutigen Tages der SPÖ und den Grünen übermittelt worden, verbunden mit dem Angebot, dass dieser Antrag gemeinsam, mit ihnen als Koautoren, hätte eingebracht werden sollen.
Der Klubobmann der Grünen, Abgeordneter Dr. Van der Bellen, habe daraufhin mündlich mitgeteilt, dass er einen Schulterschluss mit den Freiheitlichen nicht ins Auge fassen könne. Der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ, Abgeordneter Dr. Kostelka, habe schriftlich festgestellt, dass er nach einigen Änderungen mit dem Vorschlag zwar im Wesentlichen einverstanden sein könnte, diesen aber nur unter der Voraussetzung annehmen könnte, dass auf eine Volksbefragung betreffend die Maßnahmen der anderen 14 EU-Mitgliedstaaten verzichtet wird.
Abgeordneter Dr. Khol hält fest, dass sich die ÖVP dazu nicht verstehen könne, da sie die Volksbefragung als ein demokratisches Recht ansehe, das der Nationalrat jederzeit einbringen könne, da es im Zusammenwirken mit dem österreichischen Volk die Meinungsbildung dieses Landes zu einer wichtigen Frage bedeuten könne. Für ihn persönlich sei die Volksbefragung ein wichtiges und richtiges letztes Mittel. Daher könne die ÖVP auch in diesem Punkt dem Antrag der SPÖ nicht zustimmen.
Abgeordneter Dr. Khol gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass in der abschließenden Abstimmung alle Fraktionen dem jetzt von ihm eingebrachten Antrag der beiden Regierungsparteien die Zustimmung geben werden.
Obmann Dr. Heinz Fischer stellt mit Bezug auf § 29 Abs. 2 Geschäftsordnungsgesetz fest, dass die zuständige Instanz für den vom Abgeordneten Dr. Khol eingebrachten Antrag der Hauptausschuss und nicht der Nationalrat ist. Eine Klarstellung über die erforderliche Formulierung werde im weiteren Verlauf dieser Sitzung erfolgen.
Abgeordneter Dr. Caspar Einem (SPÖ) erachtet es für wesentlich, in dieser Sitzung des Hauptausschusses über die Themen des bevorstehenden Gipfeltreffens zu debattieren, da es sich um wichtige Fragen der Reform der Europäischen Union handle. Österreich habe sich nicht nur der Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Union, sondern auch anderer außenpolitischer Sorgen anzunehmen.
Als ein vordringliches Anliegen im Rahmen der Institutionenreform nennt Abgeordneter Dr. Einem – über materielle Fragen wie etwa die Ausgestaltung eines europäischen Sozialrechts oder eines europäischen Anspruchs zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit hinaus – eine Verbesserung der Europäischen Union in Richtung ihrer demokratischen Legitimation. Derzeit sei die Diskussion über die Institutionenreform viel zu stark vom Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung bestimmt. Die zentrale politische Anforderung an die Maßnahmen im Zuge der Institutionenreform sei jedoch im Hinblick auf den Aspekt Demokratie zu erblicken.
Eine erfreuliche Aussage von Bundeskanzler Dr. Schüssel sei darin zu erblicken, dass er sich gegen eine Verringerung, etwa eine Halbierung, der Anzahl der österreichischen Sitze zum Europäischen Parlament ausgesprochen und einer Zuteilung ausschließlich nach dem Bevölkerungsschlüssel eine Absage erteilt hat. Diese Aussage stehe in begrüßenswertem Gegensatz zu dem diese Frage betreffenden Abstimmungsverhalten vor allem der Abgeordneten der beiden österreichischen Regierungsfraktionen im Europäischen Parlament. Deren Votum habe dort auf eine rein proportionale Verteilung gelautet, und dieses überraschende Stimmverhalten habe dazu beigetragen, dass diese Entscheidung mit Mehrheit zugunsten der Proportionalität und zu Lasten der jetzt von Bundeskanzler Dr. Schüssel vertretenen Position ausgegangen ist.
Alle Fragen, welche die Mehrheitsbildung im Europäischen Rat betreffen, sollten klar an entsprechende Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Parlament gebunden sein. Denn je effizienter der Rat im Wege von Mehrheiten entscheiden könne, desto wesentlicher sei die Anbindung an ein demokratisch legitimiertes Organ.
Als zweiten Punkt dieser seiner Stellungnahme nennt Abgeordneter Dr. Einem die Frage der Flexibilität und der Klarstellung der entsprechenden Position der österreichischen Bundesregierung – ein entsprechender Vorstoß werde vor allem im Lichte der wünschenswerten weiteren Vertiefung der Europäischen Union von Bedeutung sein –, und seine dritte Frage betrifft die Haltung der Bundesregierung zu einer EU-Charta der Grundrechte, und zwar vom Grundsatz her, insbesondere hinsichtlich der Verbindlichkeit der zu formulierenden Grundrechte und der Integration dieser Charta im Gesamtzusammenhang des europäischen Vertragswerkes. In diesem Sinne fragt Abgeordneter Dr. Einem, ob auch die Bundesregierung die Auffassung teile, dass die Grundrechte verbindlich und justitiabel sein und zu einem Teil des Europäischen Vertrages werden sollten.
Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) dankt Bundeskanzler Dr. Schüssel für dessen Bericht, weil darin klar zum Ausdruck gekommen sei, dass Österreich in Bezug auf die institutionelle Reform der EU in Hinkunft sehr präzise sein werde, auch immer wieder die Frage stellen werde, wem diese Reform nütze, und besonders darauf achten werde, die österreichischen Interessen im Auge zu behalten. Zu danken sei Bundeskanzler Dr. Schüssel auch für den Vorschlag betreffend die Artikel 6 und 7 des EU-Vertrages. Hätte es eine entsprechende Regelung schon früher gegeben, so wäre Österreich vieles erspart geblieben. Auch daran zeige sich, welch gewaltige Defizite die Europäische Union im Hinblick auf das Demokratieverständnis nach wie vor aufweise.
Zu begrüßen sei es ferner, dass Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner in den letzten Tagen Aktionen unternommen habe, um vor dem Gipfeltreffen von Feira im Interesse Österreichs etwas zu bewegen.
Diesem Ziel diene auch der vom Abgeordneten Dr. Khol zuvor eingebrachte Antrag auf Stellungnahme des Hauptausschusses. Um so enttäuschender sei die ohne Diskussion bereits im Vorfeld erfolgte Ablehnung eines gemeinsamen Antrages durch die Grünen. Die SPÖ wiederum habe nach ihrer schriftlichen Mitteilung, diesen Antrag nicht zu unterstützen, ihrerseits einen Gegenantrag der Abgeordneten Dr. Kostelka, Dr. Einem, Schieder eingebracht, in dem sie nichts anderes als eine Distanzierung der Regierungsparteien von dem Aktionsplan der Bundesregierung verlange. Eine solche Distanzierung werde mit Sicherheit nicht erfolgen.
Abgeordneter Mag. Schweitzer weist den Abgeordneten Schieder darauf hin, dass als letzter Punkt dieses Aktionsplans die Anwendung eines Instrumentes der direkten Demokratie vorgesehen ist. Es sei daher nicht zu verstehen, wenn die Anwendung eines Instrumentes der direkten Demokratie, nämlich die Abhaltung einer Volksabstimmung, als “Drohgebärde” bezeichnet werde. Die Freiheitlichen seien darum bemüht, die Interessen der österreichischen Bevölkerung so gut wie möglich zu vertreten; erst an zweiter Stelle stünden aus ihrer Sicht die Belange der anderen EU-Mitgliedstaaten. Daher sei es zurückzuweisen, wenn es in dem SPÖ-Antrag heiße: Als letzte Konsequenz eine Volksabstimmung abzuhalten, um die österreichische Bevölkerung über ihre Meinung zu befragen, ist eine Drohgebärde.
Es sei bedauerlich, dass die SPÖ auch jetzt, nachdem die Erklärung der Landeshauptleutekonferenz in den Antrag der Regierungsparteien aufgenommen wurde, keine Bereitschaft zeige, diesem Antrag ihre Zustimmung zu geben.
Unter dem Gesichtspunkt dieser Ablehnung sei offenbar auch die für den heutigen Tag in Strassburg angesetzte Pressekonferenz der SPÖ-Delegation zu verstehen, an der ein Buch mit dem Titel “Racism at the Top” präsentiert werde, welches von Ruth Wodak mitherausgegeben worden sei. In diesem Buch werde einmal mehr versucht, die Freiheitliche Partei als rechtsextreme Partei darzustellen. Dem Abgeordneten Dr. Einem sei dieses Buch bekannt, da er es, als er noch Minister war, mit sehr viel Geld mitfinanziert habe.
Es zeuge nicht von Interesse an einer gemeinsamen Vorgangsweise zur Aufhebung der über Österreich verhängten Sanktionen, ein paar Tage vor dem Gipfeltreffen in Feira mit der Präsidentin des Europäischen Parlamentes eine derartige Veranstaltung durchzuführen, um einmal mehr einen Teil der österreichischen Bundesregierung zu desavouieren. Damit, dass die Einladung dazu von den Mitgliedern der SPÖ-Fraktion im EU-Parlament erfolgte, sei einmal mehr der Beweis erbracht worden, dass die SPÖ an einer gemeinsamen Vorgangsweise in Wirklichkeit kein Interesse habe. Denn damit setze die SPÖ neuerlich die auf internationaler Ebene bestrittene Vernaderungstour fort.
Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne) stellt eingangs ihrer Stellungnahme fest, sie hätte es vorgezogen, wäre dem Hauptausschuss statt der von Bundeskanzler Dr. Schüssel vorgebrachten Darstellung ein schriftliches Dokument übermittelt worden, dem die österreichischen Positionen hinsichtlich des Gipfeltreffens von Feira und der Regierungskonferenz hätte entnommen werden können. Bundeskanzler Dr. Schüssel möge eine Stellungnahme dazu abgeben, warum es eine derartige schriftliche Unterlage nicht gebe und ob der Hauptausschuss vor künftigen Ratssitzungen mit solchen Dokumenten werde rechnen können. Frühzeitige Informationen wären auch im Hinblick auf eventuelle Bindungen von Mitgliedern der Bundesregierung auf bestimmte Positionen von Bedeutung.
Einer APA-Aussendung vom heutigen Tag sei zu entnehmen, dass es in den vergangenen Monaten unerwartet rasche Fortschritte zur militärischen Zusammenarbeit der Europäischen Union gegeben habe und dass in Feira eine Festlegung darüber erfolgen solle, wie sich die EU die künftige Zusammenarbeit mit der NATO vorstelle. Darüber habe es bisher keine regelmäßigen Kontakte gegeben. Abgeordnete Mag. Lunacek fragt, welche Position Österreich in dieser Hinsicht einnehme und von welchen Fortschritten – abgesehen davon, dass Österreich einen Antrag auf Aufnahme in die Westeuropäische Union gestellt habe – in dieser Aussendung die Rede sei.
Allgemein bekannt sei – und das stehe auch bereits in Diskussion –, dass im Zuge einer mit der Institutionenreform verbundenen Zögerlichkeit auch die Vorarbeiten zur EU-Erweiterung an Schwung verloren hätten. Aus einzelnen Beitrittskandidatenländern seien bereits entsprechende Befürchtungen zu vernehmen. So habe etwa die neue polnische Botschafterin in Österreich kürzlich gesagt, dass dort eventuell die Stimmung umschlagen könnte. Auch im Hinblick auf diese Frage möge Bundeskanzler Dr. Schüssel mitteilen, welche Position Österreich offiziell vertreten werde.
In der erwähnten APA-Aussendung seien auch die Bemühungen um die Harmonisierung der Zinsertragsteuer angesprochen worden. Dagegen hätten sich in der Vergangenheit insbesondere Großbritannien und Luxemburg ausgesprochen – sodass auch Harmonisierungsbemühungen des früheren Finanzministers Edlinger gescheitert wären –, doch außer von diesen beiden Ländern sei in jener Aussendung auch von Österreich die Rede, und zwar in folgender Formulierung: Großbritanniens Ablehnung einer Steuer blieb ebenso hart wie die Weigerung Luxemburgs und Österreichs, einer gegenseitigen Informationspflicht zuzustimmen.
Abgeordnete Mag. Lunacek fragt, ob sich die Haltung des Finanzministers im Hinblick auf die Zinsertragsteuer geändert habe.
Was den Antrag auf Neufassung der Artikel 7 und 46 des EU-Vertrages betrifft, treffe es zu, dass die grüne Fraktion einem solchen Antrag auf Stellungnahme nicht zustimmen wird, und zwar zum einen, weil in formaler Hinsicht der von Obmann Dr. Fischer bereits geäußerte Einwand zu beachten sei, und zum anderen, weil nicht zu erkennen sei, warum quasi ein Schulterschluss der Grünen verlangt werde für etwas, was die Bundesregierung ohnehin bereits selbst als Absicht und Vorhaben angesprochen habe. Daher stelle sich die Frage, warum es notwendig sein sollte, unter dieser Voraussetzung eine Bindung des Bundeskanzlers an eine entsprechende Entscheidung des Hauptausschusses zu verlangen.
Was das in der Begründung zu diesem Antrag festgehaltene “unerschütterliche Bekenntnis aller im österreichischen Nationalrat vertretenen Parteien zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit” betrifft, stellt Abgeordnete Mag. Lunacek fest, dass sie ein solches Bekenntnis nur für sich und ihre Fraktion unterzeichnen könne, nicht jedoch auch für alle anderen im Nationalrat vertretenen Fraktionen. Daher könne sie, auch wenn diese Ausführungen nur im Begründungsteil aufscheinen, einem solchen Antrag nicht zustimmen.
Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ) erachtet es für besonders wichtig, klarzustellen, welche Position Österreich im Rahmen des Gipfeltreffens von Feira in Bezug auf den EU-Aktionsplan für eine Informationsgesellschaft für alle – Stichwort eEurope – vertreten wird. In diesem Zusammenhang gehe es um die Zukunft sowohl Österreichs als auch der Europäischen Union.
Der von Bundeskanzler Dr. Schüssel geäußerte Optimismus, dass Österreich in einzelnen der davon betroffenen Bereiche vorbildliche Leistungen aufzuweisen habe, könne nicht ganz geteilt werden. Zwar seien zum Beispiel Österreichs Schulen bereits in sehr hohem Ausmaß an das Informationsnetz angebunden, aber anders verhalte es sich etwa mit der in dem Aktionsplan ausdrücklich erwähnten Absicht, in der Forschungspolitik Schwerpunkte zugunsten dieser Informationstechnologien zu setzen. In der letzten Plenarsitzung des Nationalrates sei darüber anhand des Forschungsberichtes debattiert worden. Als aber die Opposition versucht habe, für das Vorhaben, entsprechende Schwerpunkte zu setzen und dafür auch Mittel umzuwidmen, die Zustimmung der Regierungsparteien zu bekommen, hätten diese es mit ihrer Mehrheit abgelehnt. Daher sei festzustellen: Was Österreich in Feira unterstützten wolle, lehne die Regierungsmehrheit im Parlament ab.
Zu den weiteren Punkten dieses Aktionsplans gehöre die Forcierung des lebensbegleitenden Lernens und eine Verbesserung der Lehrerausbildung. Angesprochen werde darin auch die Zuständigkeit der Sozialpartner im Hinblick darauf, für alle Arbeitnehmer Möglichkeiten zu schaffen, durch lebensbegleitendes Lernen mit der Digitaltechnik vertraut zu werden. Von den Sozialpartnern werde derzeit sehr viel im Bereich der Erwachsenenbildung getan. Dies würden sie in Zukunft nur dann beibehalten können, wenn sie dafür das notwendige Geld bekommen. Wenn jedoch jemand wie Abgeordneter Ing. Westenthaler eine Diskussion darüber führe, wie diesem Bereich Geld weggenommen werden könne, so sei zu fragen, wie dann die Sozialpartner tatsächlich jene Ziele würden umsetzen können, denen Bundeskanzler Dr. Schüssel für Feira seine Unterstützung zugesagt habe.
Ein Problem im Zusammenhang mit E‑Commerce stelle die Entrichtung der Steuern dar. Abgeordneter Dr. Niederwieser fragt, welche Position die österreichische Bundesregierung in Bezug auf die Gefahr vertrete, dass es in diesem Bereich zu sinkenden Steuereinnahmen käme. Diese Frage stelle sich auch vor dem Hintergrund, dass Klein- und Mittelunternehmen öffentlich gefördert werden, um in diesen Bereich einzusteigen.
Unverständlicherweise sei jetzt offensichtlich die von der Europäischen Kommission – der Verfasserin dieses Dokuments – dargelegte Position in Bezug auf so genannte intelligente Verkehrssysteme konsensfähig, obwohl darin der Schwerpunkt auf dem Flugverkehr, dem Straßenverkehr und der Schifffahrt liege. Kein besonderes Anliegen der Kommission stelle die Bahn dar, obwohl diese eines der wichtigen Transportsysteme der Zukunft sein werde. Bisher habe es der österreichischen Position entsprochen, auch auf den Verkehr auf der Schiene zu setzen. Unter diesem Gesichtspunkt seien diese Ausführungen der EU-Kommission über intelligente Verkehrssysteme nicht akzeptabel. Es stehe zu hoffen, dass unter österreichischem Einfluss eine Erweiterung des Standpunktes möglich sein wird.
In den Ausführungen des Abgeordneten Mag. Schweitzer über das erwähnte, von der Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak mitherausgegebene Buch komme das Problem von Freiheitlichen zum Ausdruck, mit solchen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht leben zu können und die Wissenschaft einschränken zu wollen.
Hinsichtlich des Vorschlages zur Neufassung der Artikel 7 und 46 des EU-Vertrages fragt Abgeordneter Dr. Niederwieser, ob Bundeskanzler Dr. Schüssel sich vorstellen könne, diesen Vorschlag um das vom Europäischen Parlament geforderte Initiativrecht hinsichtlich solcher Verfahren zu erweitern.
Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ) fragt nach der Position der österreichischen Bundesregierung hinsichtlich der zukünftigen Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Es könne nicht sinnvoll sein, dass der durchaus beachtliche Minderheitsschutz in der europäischen Konstitution, dem zufolge Österreich bei ungefähr 2 Prozent der Einwohner über 4 Prozent der Stimmen verfüge, zugunsten einer strikten Proportionalität aufgegeben wird. Dies würde eine Reduzierung der Anzahl österreichischer Abgeordneter von 21 auf ungefähr 10 bedeuten.
Eine solche Vorgangsweise könnte nur dann eine Diskussionsgrundlage sein, wenn auch alle anderen Mitgliedstaaten proportional eine Reduzierung hinzunehmen hätten, etwa dann, wenn Gremien im Zuge einer EU-Erweiterung kleiner würden. Eine Veränderung im Sinne von Proportionalität bedeute aber, dass die großen Staaten eine Vermehrung ihrer EU-Sitze im Ausmaß von 15 bis 20 Prozent zu erwarten hätten. Dies sei aus österreichischer Sicht abzulehnen.
Abgeordneter Dr. Kostelka hält fest, das Stimmverhalten von ÖVP und Freiheitlichen sei im Europäischen Parlament für den entsprechenden Beschluss mehrheitsbildend gewesen. Hätten diese beiden Fraktionen nicht so gestimmt, wäre dieser Beschluss nicht zustande gekommen. Daher stelle sich die Frage, welche Position die Bundesregierung tatsächlich vertrete. Es sei ratsam, einen nationalen Konsens wenigstens im Nachhinein zu finden. Vor der Abstimmung im Europäischen Parlament habe die sozialdemokratische Fraktion den Fraktionen der Freiheitlichen und der ÖVP ihr Stimmcroquis mitgeteilt, um ein gemeinsames Stimmverhalten in dieser wesentlichen Frage zu ermöglichen.
Was den vom Abgeordneten Dr. Khol eingebrachten Antrag auf Stellungnahme betrifft, weist Abgeordneter Dr. Kostelka auf seine schriftliche Stellungnahme hin und fügt hinzu, dass von der SPÖ ein eigener Antrag eingebracht wird, der sich in vier Punkten von dem Antrag der beiden Regierungsparteien unterscheide.
Wenn die Erklärung der Landeshauptleutekonferenz zitiert werde, dann habe dieses Zitat der Korrektheit halber vollständig – wie in dem SPÖ-Antrag – und nicht nur in einer Auswahl – wie in dem Antrag von ÖVP und Freiheitlichen – zu erfolgen. Dass die SPÖ diese Deklaration in vollem Umfang in ihren Antrag aufgenommen und nicht vom Nationalrat aus Zensuren verteilt habe, stelle den ersten wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Anträgen dar.
Der zweite Unterschied gehe daraus hervor, dass es nach Ansicht der SPÖ nicht unwesentlich ist, am Beginn dieses Antrages darauf hinzuweisen, dass der Vorschlag zur Neufassung und Weiterentwicklung der Artikel 7 und 46 des EU-Vertrages auf eine Initiative des österreichischen Bundespräsidenten zurückgeht. Einer entsprechenden Einladung des Bundespräsidenten sei der Parteivorsitzende der SPÖ, Abgeordneter Dr. Gusenbauer, von Beginn an nicht nur in terminlicher Hinsicht nachgekommen, sondern er sei darüber hinaus auch bereit gewesen, diese Initiative mitzutragen.
Zum Dritten sei zu beachten, dass ein derartiger Verhandlungsprozess – wofür der Vorschlag der Bundesregierung durchaus eine taugliche Grundlage darstelle – nicht allein von Österreich gestaltet werden kann. Es sei daher nicht sehr realistisch, festzustellen, dass ausschließlich ein bestimmtes Verfahren ohne die geringste Änderung angenommen zu werden hätte. Genau eine solche Interpretation lege nämlich die in dem vom Abgeordneten Dr. Khol eingebrachten Antrag gewählte Formulierung nahe. Auch hätten Klagen aus dem europäischen Bereich bereits deutlich gemacht, dass zumindest manche diese österreichische Vorgangsweise als “Friss, Vogel, oder stirb!”-Politik verstanden hätten.
Daher sei es sinnvoll, deutlich zu machen, dass entweder dieses oder aber ein vergleichbares Verfahren einzuführen wäre. Der Vorschlag der österreichischen Bundesregierung gebe zwar die richtige Richtung an, aber allfällige Adaptierungen würden erst als Ergebnis des Verhandlungsprozesses zustande kommen. Da auch Österreich dem die Zustimmung zu erteilen haben werde, verzichte es ja nicht auf sein Mitgestaltungsrecht. Abgeordneter Dr. Kostelka hält fest, dass es nicht ganz so gehen könne, wie Abgeordneter Dr. Khol es ihm gegenüber am heutigen Vormittag gehandhabt habe: ihm einen Text zu übermitteln und ihn, ohne nach Änderungswünschen zu fragen, zur Koautorschaft einzuladen. Es gehöre aber letztendlich zu einem parlamentarischen Prozess, auch inhaltlich mitzugestalten.
Die vierte Änderung gehe daraus hervor, dass Österreich sich sinnvollerweise bewusst zu sein habe, an einer Weggabelung zu stehen. Die Entscheidung, einen Verhandlungsprozess einzuleiten, werde aber nur dann zu einem Erfolg führen können, wenn Österreich seine Bereitschaft zu Gesprächen mit den anderen 14 Mitgliedstaaten bekunde. Dabei werde Österreich in jedem Zusammenhang das Recht auf Wahrung österreichischer Interessen und auf Wahrung des österreichischen Gesichtes in Anspruch zu nehmen haben, jedoch das Recht auf Gesichtswahrung im Interesse eines gedeihlichen Verhandlungsprozesses auch den anderen Staaten zuzugestehen haben.
Da die Volksbefragungspläne der Bundesregierung ohnehin bereits zu einiger Irritation auf europäischer Ebene geführt hätten, wäre klarzustellen, dass auf eine Volksbefragung zumindest während der Verhandlungsphase verzichtet werden soll. Denn sonst müssten die anderen 14 Mitgliedstaaten das Verständnis haben, dass ein innerösterreichischer Entscheidungsprozess den Verhandlungsprozess präjudizieren und relativieren soll.
Abgeordneter Dr. Kostelka erinnert daran, dass er diese vier im SPÖ-Antrag aufscheinenden Adaptierungen in seinem Brief an den Abgeordneten Dr. Khol als durchaus berechtigte, kleinere, logische Veränderungen des Textes bezeichnet habe. Da sie notwendig und sinnvoll seien, lade er zur Zustimmung zu dem SPÖ-Antrag ein.
Obmann Dr. Heinz Fischer berichtet, dass das erwähnte formale Problem in dem Antrag der Abgeordneten Dr. Khol, Ing. Westenthaler, Dr. Spindelegger, Mag. Schweitzer inzwischen in der Weise gelöst wurde, den Beginn des Antragstextes auf die Formulierung “der Hauptausschuss des Nationalrates begrüßt namens des Nationalrates gemäß Artikel 23e Abs. 5 B‑VG” zu ändern.
Dieser Antrag hat daher jetzt folgenden Wortlaut: “Der Hauptausschuss des Nationalrates begrüßt namens des Nationalrates gemäß Artikel 23e Abs. 5 B‑VG den von der Bundesregierung ausgearbeiteten Vorschlag zur Neufassung der Artikel 7 und 46 des EU-Vertrages, womit ein gerechtes, rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Artikel 6 EUV eingerichtet wird. Der Hauptausschuss des Nationalrates beauftragt namens des Nationalrates gemäß Artikel 23e Abs. 5 B‑VG die österreichische Bundesregierung, alles zu unternehmen, dass dieses Verfahren betreffend Artikel 7 und 46 EU-Vertrag bei der Regierungskonferenz der Europäischen Union durchgesetzt wird.”
Mit dieser Formulierung sei nun jedes Missverständnis ausgeschlossen.
Der zuletzt eingebrachte Antrag der Abgeordneten Dr. Kostelka, Dr. Einem, Schieder und Kollegen sei ebenfalls ordnungsgemäß eingebracht worden. Diese beiden Anträge lägen vorläufig zur Verhandlung und Abstimmung vor.
Obmann Dr. Fischer begrüßt die inzwischen im Hauptausschuss eingetroffene Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner und erteilt Bundeskanzler Dr. Schüssel das Wort.
Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel erklärt einleitend, er müsse ergänzend zu seiner ersten Stellungnahme auf ein zusätzliches Thema hinweisen, das substanziell in die österreichische Finanz- und Budgetpolitik eingreife, und verweist auf die vertragliche Verpflichtung im Rahmen des Stabilitätspaktes, auch in Österreich eine Budgetpolitik einzuhalten, wonach der Staatshaushalt spätestens 2002 wenn schon nicht mit einem Überschuss, so doch “close to balance” abzuschließen habe.
Im ECOFIN sei bereits ungeheurer Druck ausgeübt worden, diese Anforderung an den Staatshaushalt auf 2001 vorzuverlegen. Dieses Ziel hätte in Feira bekräftigt werden sollen. Aus österreichischer Sicht sei dies nicht machbar, dafür seien in der Finanzpolitik nicht die nötigen Vorkehrungen getroffen worden. Bei aller Stabilisierungsnotwendigkeit könne für das kommende Jahr noch kein ausgeglichenes Bundesbudget vorgelegt werden, wie aus Sicht aller vier im Nationalrat vertretenen Fraktionen festgestellt werden könne.
Dieses Ziel werde auch Deutschland nicht erreichen können, da dort ebenfalls eine Steuerreform durchgeführt wurde, und zwar noch ambitionierter als in Österreich. Eine Parallelität zwischen diesen beiden Ländern bestehe etwa auch im Hinblick auf die Pensionsreform und die Förderung der Eigenvorsorge.
Auch wenn also Österreich dieses Haushaltsproblem nicht allein habe, müsse es darauf doch bei allen Strukturmaßnahmen Bedacht nehmen. Für die Stabilisierung bestehe jetzt über den nationalen Druck – nämlich endlich von der Schuldenpolitik wegzukommen – hinaus auch ein internationaler Druck in Form einer Vertragsverpflichtung.
Bundeskanzler Dr. Schüssel dankt allen Fraktionen dafür, dass sie den österreichischen Vorschlag zu den Artikeln 7 und 46 des EU-Vertrages im Wesentlichen voll unterstützt haben. Offen geblieben sei nur der vom Abgeordneten Dr. Niederwieser angesprochene Punkt, ob die Regierung bereit wäre, ein Initiativrecht des Europäischen Parlamentes vorzuschlagen. Bundeskanzler Dr. Schüssel stellt fest, dass er dies nicht für klug halte. In dem derzeit vorliegenden Vorschlag sei ein Initiativrecht der Europäischen Kommission oder eines Drittels der EU-Mitgliedstaaten verankert. Es handle sich um eine heikle Frage, da in die Souveränität eines Landes eingegriffen werde.
Der österreichische Vorschlag sei reiflich überlegt worden, und jetzt stelle er den ersten im Rahmen der Europäischen Union formulierten Vorschlag dar, der eine wirkliche rechtsstaatliche Garantie vorsehe. Manchen Ländern gehe er bereits viel zu weit, obwohl gerade sie sich bei den Sanktionen nicht genug hätten hervortun können. Es sei nicht leicht, dafür Verständnis zu haben, dass jemand auf der einen Seite nichts dabei findet, im bilateralen Kontext Maßnahmen einzusetzen, ohne dass überlegt worden wäre, was am Ende dabei herauskommt, und auf der anderen Seite dann, wenn versucht werde, einen rechtsstaatlich ordentlichen Vorschlag zu entwickeln, sofort Bedenken über mögliche Folgewirkungen, die ins Grundsätzliche reichen, vorbringt.
Bundeskanzler Dr. Schüssel spricht sich dafür aus, über das Grundsätzliche zu diskutieren, und erachtet es aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus für richtig, es bei der vorliegenden Antragstellung zu belassen. In diesem sensiblen Bereich sei es nicht ratsam, darüber hinauszugehen. Es werde noch vieler Diskussionen bedürfen, bis ein Konsens im EU-Rahmen möglich sein werde.
Dem Abgeordneten Dr. Kostelka antwortet Bundeskanzler Dr. Schüssel, dass diese Initiative von Freiheitlichen und ÖVP nicht auf Punkt und Beistrich werde verwirklicht werden müssen. Vielmehr gehe es um eine Verwirklichung der Prinzipien, und entscheidend werde es sein, dass die Substanz des Vorschlages gewahrt wird.
Was die Urheberschaft dieser Initiative betrifft, hätten ohnehin bereits Menschen aus vielen politischen Lagern Vorschläge unterbreitet. Aber mit dieser Initiative sei jetzt zum ersten Mal ein konkreter Text dafür vorgelegt worden. Einen anderen Vorschlag, der als Text übernommen werden könnte, gebe es nicht, nicht von der SPÖ, nicht von den Grünen, nicht vom Bundespräsidenten und auch nicht von sonst jemandem. Daher sollte nicht ein Streit über die Urheberschaft entstehen. Vielmehr sei es in jedem Fall zu begrüßen, wenn im Sinne eines nationalen Konsenses vorgegangen wird.
Bundeskanzler Dr. Schüssel hebt hervor, er sei als Einziger der hier im Hauptausschuss Anwesenden dabei gewesen, als die in beiden Anträgen zitierte Erklärung der Landeshauptleutekonferenz im Wiener Rathaus zustande kam. Diese Erklärung stelle einen Kompromiss dar, und deren Text schließe eine ausdrückliche Unterstützung der politischen und diplomatischen Bemühungen der österreichischen Bundesregierung ein. In der Ambivalenz dieser Formulierung sei zwar nicht ausdrücklich, aber jedenfalls interpretierbar das gesamte Spektrum aller Maßnahmen im Aktionsprogramm mitgemeint. Wer nun im Nachhinein eine bestimmte Maßnahme ausschließen wolle, würde eine Uminterpretation dieser Erklärung der Landeshauptleutekonferenz vornehmen.
Wenn jemand den Text der Landeshauptleute als Basis eines Vorschlages heranziehe – dies sei für sehr klug zu erachten –, habe er die damit verbundene konstruktive Ambiguität, wie sie gelegentlich auch in der Europäischen Union gewählt werde, beizubehalten und dürfe nicht die Substanz dieser Erklärung, welche die Unterstützung der politischen und diplomatischen Bemühungen bedeute, verändern. Diese Sichtweise bezeichnet Bundeskanzler Dr. Schüssel als seine persönliche Meinung. Er fügt hinzu, er würde es sehr bedauern, wenn es heute, nachdem man in vielerlei Hinsicht aufeinander zugegangen sei, wieder nicht zu einem gemeinsamen Beschluss käme. Ein solches Ergebnis wäre nicht mehr verständlich zu machen.
Was die weiteren konkreten Fragen betrifft, leitet Bundeskanzler Dr. Schüssel die Beantwortung der Frage danach, ob Flexibilität oder verstärkte Zusammenarbeit voranzustellen wäre, damit ein, dass die heute bestehenden Bestimmungen extrem restriktiv seien. An deren Zustandekommen habe er selbst mitgewirkt, und er habe auch nicht die Absicht, sie einfach zu verwerfen. Aber es müsse festgestellt werden, dass es seit drei Jahren kein einziges Beispiel einer solchen gelebten oder auch nur beantragten verstärkten Flexibilität oder einer konstruktiven Enthaltung mehr gegeben habe. Daher sei es angebracht, zu überlegen, worin die Bedingungen und worin die restriktiven Elemente bestünden.
Eine der Bedingungen laute darauf, dass eine Mehrheit der Mitgliedstaaten daran beteiligt sein muss. Manche hätten sich dafür ausgesprochen, diese Bedingung aufzugeben, und die Europäische Kommission habe vorgeschlagen, die Anzahl auf ein Drittel zu ändern. Bundeskanzler Dr. Schüssel äußert dazu seine persönliche Ansicht – es werde darüber in Feira nicht entschieden werden –, nicht zu weit zurückzugehen, weil sonst auch die Kohärenz der Union eine Beeinträchtigung erfahren würde. Es habe sich auch am Beispiel der Einführung des Euro gezeigt, dass nicht eine Minderheit der Mitgliedstaaten, sondern elf von fünfzehn daran beteiligt waren. Daher sei das Entstehen einer kritischen Masse zu befürworten, und deshalb sollte nicht von vornherein das Kriterium der Mehrheit aufgegeben werden.
Keine großen Einschränkungen gebe es in der Ersten Säule, und im Rahmen der Zweiten Säule sei überhaupt nur die so genannte konstruktive Enthaltung gebräuchlich. Jetzt habe die Diskussion über einige dieser Themen begonnen, etwa über die Abschaffung des Vetorechts. Derzeit habe ein Mitgliedstaat die Möglichkeit, den Europäischen Rat anzurufen, um mit seinem Veto eine verstärkte Zusammenarbeit zu behindern. Bundeskanzler Dr. Schüssel stellt fest, er würde die Abschaffung des Vetorechts unterstützen; dies wäre klug, und dafür zeichne sich bereits jetzt eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten ab.
Sinnvoll wäre auch eine Änderung der inhaltlichen Bedingungen für die Aufnahme einer verstärkten Zusammenarbeit.
Als Drittes sei jetzt eine Änderung der Rolle der EU-Kommission zum Gegenstand der Diskussion geworden. Die Aufnahme einer verstärkten Zusammenarbeit in der Ersten Säule bedürfe eines Vorschlags der Europäischen Kommission, danach entscheide darüber der Rat mit qualifizierter Mehrheit. In der Dritten Säule wiederum sei die Zustimmung von mindestens zehn Mitgliedstaaten erforderlich. Auch darüber werde noch zu diskutieren sein.
Nötig sei ferner die Präzisierung klarer Regeln für das Hinzustoßen von neuen Mitgliedstaaten. Gegenstand der Überlegungen sei auch eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Als seine persönliche Meinung bezeichnet Bundeskanzler Dr. Schüssel den Vorschlag, anstelle einer nicht besonders hilfreichen verstärkten Zusammenarbeit insbesondere in der Außenpolitik zu Mehrheitsabstimmungen überzugehen.
Die Festlegung neuer im Voraus geregelter Bereiche der verstärkten Zusammenarbeit – entsprechend der Vorgangsweise, die etwa im Fall des Euro und der Schengen-Zone gewählt worden sei – werde in Zukunft überhaupt eine der “spannenderen” Angelegenheiten sein.
In Beantwortung der Frage nach der Verbindlichkeit einer EU-Charta der Grundrechte weist Bundeskanzler Dr. Schüssel darauf hin, dass deren Verbindlichkeit auch von der Europäischen Kommission gefordert wird und dass die entsprechenden Bemühungen aller vier österreichischen Vertreter die Unterstützung der Bundesregierung haben. Aber seiner persönlichen Ansicht nach werde dieser Frage zu viel Bedeutung beigemessen. Denn der Anwendungsbereich dieser Charta beschränke sich ausschließlich auf die Europäische Union und ihre Organe und beziehe sich auf die Mitgliedstaaten nur insofern, als sie Gemeinschaftsrecht anwenden. Hingegen würden die bestehenden nationalen Grundrechtskataloge davon unberührt bleiben.
Österreich unterstütze eine weitest gehende Verbindlichkeit, aber über diese Frage werde bis zu dem Treffen in Nizza nicht entschieden werden. Dies werde letztlich auch nicht Sache der Europäischen Kommission sein, sondern nachher würden die Mitgliedstaaten darüber entscheiden, ob es eine solche Verbindlichkeit geben solle. Derzeit wehre sich eine Reihe von Mitgliedstaaten vehement dagegen.
Was die Frage nach den österreichischen Positionen betrifft, führt Bundeskanzler Dr. Schüssel aus, dass er stets versuche, über alle Elemente von Tagesordnungen, soweit sie der österreichischen Bundesregierung überhaupt zur Verfügung stehen, und über Dokumente rechtzeitig Auskunft zu geben. Derzeit liege noch keine Tagesordnung für das Gipfeltreffen von Feira vor, es mangle nach wie vor am Einladungsschreiben des Ratsvorsitzenden, dem so genannten “Hirtenbrief”, wie er zwei oder drei Tage vor dem Europäischen Rat üblich sei. Daher habe bisher auch keine schriftliche Darlegung der österreichischen Position erstellt werden können – wie dies der Forderung der Abgeordneten Mag. Lunacek entspräche –, solange formell noch nicht einmal eine Tagesordnung vorliege. Jedenfalls werde der Hauptausschuss umfassend darüber informiert, welche Themen angesprochen werden. Alles, was beschlussreif sei, stehe längst in Dokumentenform zur Verfügung, und dazu sei jeweils auch die österreichische Position bekannt.
Besonders verwunderlich sei die These der Abgeordneten Mag. Lunacek, dass Österreich in Bezug auf die EU-Erweiterung bremse. Es wäre ratsam, eine diesbezügliche Legende, die von manchen verbreitet werde, nicht auch noch in Österreich selbst weiterzuerzählen. Denn dies sei absoluter Unsinn. Österreich bremse nicht, sondern Österreich beschleunige sogar in wesentlichen Teilbereichen die Erweiterung, weil es den Beitrittskandidatenländern in sehr komplexen Sachthemen helfe, den Acquis communautaire rascher zu übernehmen. Erst kürzlich habe etwa Justizminister Dr. Böhmdorfer eine umfassende Initiative dieser Art in die Wege geleitet.
Klar sei aber auch, dass der Acquis jeweils erfüllt werden muss. Etwa an dem Beispiel, dass die polnische Molkereiwirtschaft Schwierigkeiten habe, die Hygienestandards der Europäischen Union zu erfüllen, wäre es interessant, die Reaktion der Grünen zu erfahren, wenn es dazu käme, dass im zukünftigen Binnenmarkt die Hygienebestimmungen nur von einem Teil der Molkereien erfüllt werden, der Handel jedoch keinerlei Beschränkung unterliegt. Es sei anzuraten, zumindest in den eigenen Positionen konsistent zu bleiben.
Österreich trete dafür ein, so rasch wie möglich jene Länder aufzunehmen, die den Acquis erfüllen, und ihnen dabei sogar zu helfen, um eine Beschleunigung zu erreichen. Man brauche zum Beispiel auch nicht darauf zu beharren – wie manche Interessenvertretungen es tun –, dass irgendwelche Lohndurchschnittszahlen erreicht werden müssen, die noch nicht einmal in manchen EU-Regionen erfüllt werden. Österreich brauche sich nicht selbst einzureden, dass es bei der Erweiterung bremse, weil dies einfach nicht wahr sei.
Nun würden einige heikle Dossiers bevorstehen, die es auszudiskutieren gelte. Darin gehe es etwa um Direktzahlungen an die Landwirtschaft, um Hygienestandards oder um Umweltvorschriften. Insgesamt handle es sich um Milliardeninvestitionen. Dafür würden auch Übergangsfristen vorgesehen werden. Aber trotzdem werde am Ende akzeptiert werden müssen, dass der Acquis für jeden gilt.
In Beantwortung einer weiteren Frage der Abgeordneten Mag. Lunacek stellt Bundeskanzler Dr. Schüssel fest, dass die österreichische Position gegenüber der Zinsertragsteuer völlig unverändert ist. Österreich trete nach wie vor für ein Quellensteuer-Modell ein, eine Endbesteuerung auf Zinserträge, wie sie sich bereits sehr gut bewährt habe. Ein solches Modell schließe jedoch das Bankgeheimnis ein, und zugleich werde dadurch ausgeschlossen, dass Österreich quasi zwingend zum Beispiel gegenüber Großbritannien Informationen darüber zu erstatten hätte, wie viel Geld ein britischer Staatsbürger in einer österreichischen Bank veranlagt habe, damit er deshalb von den britischen Steuerbehörden belangt werden könne.
Es komme darauf an, konsistent vorzugehen. Österreich trete für das Bankgeheimnis und für eine harmonisierte Zinsenbesteuerung in der Europäischen Union ein. Für diese Option habe sich Österreich immer schon entschieden gehabt, nicht jedoch für die Aufgabe des Bankgeheimnisses zugunsten einer Informationsverpflichtung.
Hinsichtlich des vom Abgeordneten Dr. Niederwieser angesprochenen eEurope-Aktionsplans liege Österreich tatsächlich sehr gut, es habe etwa als erster Mitgliedstaat die Signaturrichtlinie bereits umgesetzt. Schon im Mai hätten hier auch die Vorarbeiten zur Umsetzung der E‑Commerce-Richtlinie auf innerstaatlicher Ebene begonnen; am 7. Juni habe die Europäische Kommission eine Richtlinie über die Umsätze im E‑Commerce beschlossen. Dieser Vorschlag diene dazu, die Übertragung der Besteuerungsgrundsätze auf das neue Medium sicherzustellen sowie auch zu gewährleisten, dass Umsätze über Internet und so weiter besteuert werden. Damit werde das Ziel angestrebt, die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen zu erreichen. Aus österreichischer Sicht sei der Vorschlag der EU-Kommission durchaus in Ordnung; in diesem Bereich wolle Österreich absolut Erster sein.
Was die verkehrspolitische Frage nach der Zukunft der Eisenbahn betrifft, stehe dazu im Rahmen des Gipfeltreffens keine Entscheidung an.
Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) stellt fest, dass seine Fraktion in vielen Punkten mit der Ausführlichkeit und der Offenheit in der Beantwortung der Fragen durch Bundeskanzler Dr. Schüssel zufrieden sein könne.
Nicht beantwortet worden sei jedoch die Frage nach dem Abstimmungsverhalten im Europäischen Parlament, obwohl es besonders ins Auge steche, dass sich die Regierung jetzt darum bemühen müsse, ein Problem zu lösen, das gar nicht bestünde, wenn Freiheitliche und ÖVP im Europäischen Parlament ein anderes Abstimmungsverhalten gezeigt hätten. Dazu wäre ein deutliches Wort von Regierungsseite notwendig.
Abgeordneter Schieder führt weiter aus, ihm habe die nonchalante Art nicht gefallen, in welcher Bundeskanzler Dr. Schüssel von dem Vorschlag der Bundesregierung – im Gegensatz zu den Bemühungen der Abgeordneten Dr. Gusenbauer und Dr. Van der Bellen sowie von Bundespräsident Dr. Klestil – gesprochen habe. Denn die beiden führenden Oppositionsabgeordneten hätten nicht die Möglichkeit, in der Europäischen Union einen Vorschlag einzubringen, weil nur eine Regierung dazu die Gelegenheit habe. Auch habe sich Bundespräsident Dr. Klestil sowohl hinter den Kulissen als auch offiziell sehr stark darum bemüht, etwas für Österreich zu erreichen. Daher hätten alle drei genannten Persönlichkeiten es sich nicht verdient, dass in derart lockerer Art über sie gesprochen wird.
Zu der Erklärung der Landeshauptleutekonferenz sei festzustellen, dass im Gegensatz zu den Ausführungen von Bundeskanzler Dr. Schüssel unter den Landeshauptleuten – wahrscheinlich allen, aber zumindest allen minus einem – die Meinung bestanden habe, sie würden dadurch, dass sie in ihrer Stellungnahme die Volksbefragung nicht erwähnen, eine eindeutig dagegen gerichtete Präferenz zum Ausdruck bringen. Dies scheine nun aus Gründen des koalitionsinternen Friedens umgedeutet zu werden. Daher sei es umso bedeutender, stets die Frage der Volksbefragung und der entsprechenden eigenen Position hinzuzufügen.
Obmann Dr. Heinz Fischer macht im Sinne einer sprachlichen Bemerkung auf folgenden Sachverhalt aufmerksam. In dem von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag zur Neufassung von Artikel 7 des EU-Vertrages heißt es in Bezug auf das Verfahren, mit dem überprüft werden soll, ob eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung vorliege, in Abs. 2 wörtlich: “Danach kann erforderlichenfalls der Rat ... auf begründeten Vorschlag der Kommission” – diese müsse also eine Begründung dafür vorlegen – “feststellen, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätzen durch einen Mitgliedstaat vorliegt. Die Begründetheit dieser Feststellung hat der Rat regelmäßig zu überprüfen.”
Damit sei sicherlich gemeint, dass der Rat zu überprüfen hat, ob diese Verletzung weiterhin andauere. Wenn aber gefordert werde, dass “diese Feststellung” regelmäßig zu überprüfen sei, dann bedeute dies stets die Überprüfung dessen, was die EU-Kommission in ihrer jeweils zuletzt gegebenen Begründung festgestellt habe, nicht jedoch die Überprüfung der zum aktuellen Zeitpunkt gegebenen Sachlage. Somit würde dieser Vorschlag eines dynamischen Elements entbehren.
Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne) stellt fest, sie habe zuvor nicht gemeint, dass Österreich in der Frage der EU-Erweiterung bremsen würde, sondern dass in der Europäischen Union insgesamt eine Stimmung zugunsten einer Verzögerung bestehe. Daher habe sich ihre Frage darauf gerichtet, zu erfahren, was Österreich zugunsten des Erweiterungsprozesses unternehme.
Auch wenn die Tagesordnung für das bevorstehende Gipfeltreffen noch nicht vorliege, bestehe doch bereits jetzt Klarheit über einige Punkte, die darauf aufscheinen werden. Hinsichtlich dieser Punkte wäre es sehr wohl möglich, dem Hauptausschuss bereits jetzt eine schriftliche Darstellung der jeweiligen österreichischen Positionen vorzulegen. Darüber, was zusätzlich auf der Tagesordnung aufscheinen würde, könnte eine Stellungnahme nachgebracht werden. Daher bestehe weiterhin der Wunsch der Grünen nach im Voraus zur Verfügung gestellten schriftlichen Unterlagen.
Was den Vorschlag der Bundesregierung zur Neufassung der Artikel 7 und 46 EU-Vertrag betrifft, würden grundsätzlich auch die Grünen die Tatsache begrüßen, dass jetzt ein Text dafür vorliegt. Nichtsdestoweniger sei der Kritik des Abgeordneten Schieder an den salopp hingesprochenen Worten von Bundeskanzler Dr. Schüssel über die Abgeordneten Dr. Gusenbauer und Dr. Van der Bellen sowie Bundespräsident Dr. Klestil zuzustimmen.
Einige Punkte in diesem Vorschlag seien nach Ansicht der Grünen zu wenig weitgehend, sodass eine Erweiterung um einige Elemente, wie sie in einem entsprechenden Vorschlag der belgischen Regierung enthalten seien, angebracht wäre. Dies betreffe zum Beispiel ein Frühwarnsystem und das Umgehen mit einer eventuell drohenden Verletzung von Grundsätzen, oder es betreffe auch die Möglichkeit der Feststellung einer Gefahr durch eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit des Rates. Dem österreichischen Vorschlag zufolge wäre dafür Einstimmigkeit erforderlich; darauf sollte jedoch mit Blick auf die Zukunft nicht beharrt werden.
Wichtig an dem vorliegenden Antrag der SPÖ auf Stellungnahme sei der Aspekt der Distanzierung von einer Volksbefragung. Aber diesem SPÖ-Antrag könnten die Grünen in der vorliegenden Form trotzdem nicht ihre Zustimmung geben, solange darin die Erklärung der Landeshauptleutekonferenz – auch wenn dies nur im Begründungsteil der Fall sei – aufscheine. Dem Antrag anschließen würden sich die Grünen erst dann, wenn die SPÖ diesen Teil wegnähme und nur den Antragsteil bestehen ließe.
Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel antwortet, er habe sich nicht salopp äußern, sondern nur die Urheberschaft hinreichend darlegen wollen. Nunmehr liege ein Vorschlag vor, und eine Abwertung anderer Initiativen sei nicht beabsichtigt. Es sei vielmehr für sehr positiv zu erachten, dass eine faktisch von allen mitgetragene, gemeinsame Initiative zustande gekommen ist.
Bundeskanzler Dr. Schüssel weist die Abgeordnete Mag. Lunacek darauf hin, dass Artikel 7 Abs. 1 in der vorgeschlagenen neuen Fassung ausdrücklich den Aspekt der Gefährdung und der drohenden Gefahr der Verletzung von Grundsätzen zum Ausdruck bringt. Dies lasse der Wortlaut deutlich erkennen: “Um eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung ... zu vermeiden, gilt das folgende Verfahren ... Entsteht nach Meinung der Kommission oder eines Drittels der Mitgliedstaaten die objektive begründete Gefahr einer solchen Verletzung ...”, dann gelte die vorgeschlagene Vorgangsweise. Der Abs. 2 wiederum beziehe sich auf den Fall, dass eine Verletzung von Grundsätzen bereits vorliegt.
In beiden Fällen habe entweder die Europäische Kommission oder ein Drittel der EU-Mitgliedstaaten die Berechtigung, entsprechende Anträge einzubringen. Für jeden Antrag dieser Art müsse eine Begründung vorgelegt werden. Daraufhin müsse zunächst eine politische Diskussion im Rat erfolgen, es müsse das betroffene Mitgliedsland angehört werden, es müsse die Kommission dazu eine Stellungnahme abgeben, und bevor eine Feststellung über eine Gefahr oder eine bereits eingetretene Verletzung getroffen werde, müsse das Europäische Parlament zustimmen.
Der Vorschlag der belgischen Regierung hingegen sei ganz schlecht. Er enthalte keinerlei rechtsstaatliche Elemente, er schalte das Europäische Parlament aus, und er erleichtere nur die Anwendung der willkürlichen Elemente, die im heutigen Verfahren bereits enthalten seien. Davor, dass ein solcher Vorschlag konsensfähig wird, könne nur eindringlich gewarnt werden.
Die Grünen mögen nachlesen, was bereits heute geltendes Recht sei. Die Einstimmigkeit im Zuge der Feststellung – in der Praxis also die Einstimmigkeit minus der Stimme des betroffenen Staates – gehöre bereits jetzt zum geltenden Recht. Da könne nicht so vorgegangen werden, dass das für die Einführung von Maßnahmen nötige Quorum noch weiter heruntergesetzt und im Gegenzug die Aufhebung von Maßnahmen viel schwieriger wird. Dies wäre nicht rechtsstaatlich.
Darin bestehe ein wenig auch das Problem, das Österreich gegenwärtig habe. Die Ausgangslage bestehe darin, dass 14 Mitgliedstaaten angeblich im Konsens die gegen Österreich gerichteten Maßnahmen eingeführt haben. Theoretisch bedeute dies: Hätte ein einziges Land seine Zustimmung verweigert, so wären diese Maßnahmen nicht zustande gekommen. So sei es jedenfalls immer dargestellt worden. Jetzt wiederum werde behauptet: Auch die Aufhebung könne nur im Konsens erfolgen. Damit werde die Sache jetzt von den Füßen auf den Kopf gestellt.
Angesichts dieser Sachlage könne nur die Schlussfolgerung gezogen werden: Wenn schon ein neues, objektives, rechtsstaatliches Verfahren eingeführt werde, dann müsse es klare Bedingungen geben, und zwar im Hinblick auf Anhörung, Verhältnismäßigkeit, Anfechtungsmöglichkeit vor dem Europäischen Gerichtshof, Zuständigkeit des Europäischen Parlaments sowie klare Regelung eines Ausstiegsszenarios. Daher sei der österreichische Vorschlag sinnvoll und könne auch objektiv mitgetragen werden.
Was die Überprüfung betrifft, ob eine Feststellung begründet sei – worauf Obmann Dr. Fischer hingewiesen habe –, führt Bundeskanzler Dr. Schüssel aus: Es solle jedes Mal auf Antrag des betroffenen Mitgliedstaates die Möglichkeit bestehen, im Rat über die aktuelle Situation zu diskutieren. Daher gehe es nicht um die Begründetheit einer früher gefassten Feststellung, sondern um die Begründetheit einer aktuell gegebenen Situation. Da sich seit der letzten Überprüfung eine Änderung ergeben haben könnte, solle regelmäßig darüber diskutiert werden. Zum Beispiel hätten die Verfasser dieses Vorschlages die Möglichkeit erwogen, eine Überprüfung einmal während der Dauer einer Präsidentschaft vorzunehmen. Die Formulierung “regelmäßig zu überprüfen” sei die geeignetste, weil sie flexibler sei. Zu überprüfen wäre tatsächlich das, was Obmann Dr. Fischer unmittelbar zuvor in einer Zwischenbemerkung “die Fortdauer der Gründe für diese Feststellung” genannt habe.
Abgeordneter Peter Schieder (SPÖ) stellt an den Anfang seiner Fragen an Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner die Feststellung, dass ihm vieles von dem, was die Außenministerin in den letzten Wochen und Monaten an Arbeit geleistet hat, sehr gut gefallen hat. Auch ihre Tätigkeit im Rahmen des EU-Treffens auf den Azoren sei zu begrüßen gewesen. In Bezug auf ihre letzte Reise allerdings seien höchste Zweifel anzumelden, was die Strategie des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten und die Absichten der Frau Bundesministerin betrifft. (Bundeskanzler Dr. Schüssel verlässt um 16.32 Uhr die Sitzung.)
Wenn es die Absicht von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner sei – und es sei glaubhaft, dass sie diese Absicht hat –, die Maßnahmen der 14 anderen Mitgliedstaaten wegzubringen, und wenn darin das Hauptziel bestehe, dann seien Schritte, die diesem Ziel dienen, wichtiger als Schritte, die in der innerstaatlichen Öffentlichkeit gut ankommen. Es könne nämlich so sein, dass manches in Österreich nicht viel Applaus findet, aber dabei hilft, die Maßnahmen wegzubringen. Andererseits könne es auch so sein, dass manches zwar den Eindruck einer starken Tätigkeit erweckt, aber in Wirklichkeit kontraproduktiv ist und Österreich nicht hilft.
Jetzt bestehe Anlass dazu, die Angst zu haben, dass die drei letzten Reisen von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner in genau dieser Weise kontraproduktiv waren. Aus diesen Ländern sei zu hören, dass sich die Situation nach den Besuchen für Österreich verhärtet hat und dass man Sorge wegen der Art der Aufbereitung und des Auftretens hat, zum Beispiel dass der Besuch bei der früheren britischen Premierministerin Thatcher als Nadelstich nicht nur gegen die Regierung Blair, sondern auch gegen die derzeitige Führung der britischen konservativen Partei verstanden wird. Auf diese Weise werde sich die Situation gegenüber Österreich eher verhärten, als dass es zu einer Aufweichung käme.
Auch Äußerungen darüber, dass Österreich sich ein Veto überlegen wird, und der Hinweis auf eine Volksbefragung, der gegenüber Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner zuvor stets eine sehr abwartende Haltung eingenommen habe, würden zu einer weiteren Verhärtung führen. Eine Absicht, in andere Länder zu reisen und dort mit Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit der dortigen Regierung in dieser Frage das Wasser abzugraben – dies werde innerhalb der Europäischen Union vielleicht eines Tages gang und gäbe sein –, habe dazu geführt, dass die Verärgerung dort stärker geworden und die Bereitschaft zu einer Aufweichung gefallen ist.
Abgeordneter Schieder gibt seiner Sorge Ausdruck, dass entweder trotz einer guten Absicht oder aus einer Absicht heraus, innenpolitisch zu zeigen, was man tut, ein für Österreich ungünstiger Effekt eintritt, sodass es weiterhin – insbesondere auf Seiten der Großen – nicht dazu käme, dass die Maßnahmen in Frage gestellt werden.
Wer diese Reisen von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner bezahlt habe – diesbezüglich sei von einer Privatperson ebenso die Rede gewesen wie von einer Institution und vom Staat –, werde die SPÖ mit Hilfe einer parlamentarischen Anfrage klären. Den Hauptausschuss interessiere nun, welche Absicht die Außenministerin damit verfolgt habe und ob sie selbst auf diese Reisen hin eine Rückkoppelung erfahren habe, welche besage, dass sie nicht geholfen, sondern eher geschadet haben.
Abgeordneter Mag. Karl Schweitzer (Freiheitliche) hält gegenüber dem Abgeordneten Schieder fest, dass die Auslandsreisen von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner – und insbesondere jene in den letzten Tagen, die auf eine beachtenswerte Eigeninitiative zurückzuführen seien –, sehr positiv zu bewerten sind. Denn die Außenministerin habe immer das Ziel vor Augen gehabt, die ungerechtfertigten Sanktionen gegen Österreich endlich wegzubekommen.
Die Berichterstattung im Ausland sei dazu angetan gewesen, in den von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner besuchten Ländern die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es völlig ungerechtfertigte Sanktionen gegen Österreich gibt und dass unter Umständen auch zum Beispiel eines der drei zuletzt besuchten Länder zu einem Opfer einer solchen Situation werden könnte, wenn sich nicht eine Reform für die Artikel 6 und 7 des EU-Vertrages, wie sie die Bundesregierung vorgeschlagen hat, durchsetzen lasse.
Dies allein rechtfertige bereits den Aufwand für diese Reisen der Außenministerin. Von wem sie bezahlt wurden, brauche nicht die große Sorge der SPÖ zu sein. Abgeordneter Mag. Schweitzer fügt hinzu, er könne sich nicht vorstellen, dass die Finanzierung dieser Reisen jemals Gegenstand eines Untersuchungsausschusses werden könnte – eines Untersuchungsausschusses, wie es ihn aktuell tatsächlich gebe, von dem allerdings festzustellen sei, dass davon ein ehemaliges Regierungsmitglied betroffen ist, das nicht einer der beiden jetzigen Regierungsfraktionen angehört.
Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne) stellt fest, auch sie schätze viele der Bemühungen von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner, und es sei der Außenministerin auch gelungen, einiges zu bewegen. Aber in den letzten Wochen habe sich insbesondere anlässlich ihres Besuchs bei der früheren britischen Regierungschefin Thatcher immer stärker die Frage ergeben, wie es begründet werden könne, dass ein von vielen Medien groß begleitetes Treffen mit der großen EU- und Euro-Skeptikerin im Sinne derjenigen stattgefunden haben sollte, die sich darum bemühen, die EU-Maßnahmen wieder aufzuheben. Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner möge darlegen, wie sie selbst diesen Schritt begründe, da nicht zu verstehen sei, welchen Vorteil ein Treffen mit einer Persönlichkeit, die der Europäischen Union derart ablehnend gegenüberstehe, haben könnte. Noch dazu sei dieser Besuch in eine Zeit gefallen, in der die britische Regierung bemüht sei, die Aufnahme Großbritanniens in die Euro-Zone voranzubringen. Unter diesen Voraussetzungen würde dieses Treffen nur die Skepsis auf Seiten der Europäischen Union gegenüber Österreich bestätigen.
Abgeordnete Mag. Lunacek richtet nun auch an Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner die von Bundeskanzler Dr. Schüssel zuvor nicht beantwortete Frage nach den in einer aktuellen APA-Aussendung angesprochenen rasche Fortschritten zur militärischen Zusammenarbeit der Europäischen Union und der zukünftigen Zusammenarbeit mit der NATO.
Abgeordneter Dr. Michael Spindelegger (ÖVP) erachtet es für auffallend, dass die SPÖ
zwar die Bundesregierung auffordere – dies gelte auch für ihren
heutigen Antrag auf Stellungnahme –, alles zu unternehmen,
damit die Sanktionen gegen Österreich möglichst rasch aufgehoben
werden, zugleich aber Kritik wie die soeben geäußerte an einem
entsprechenden Unternehmen der Außenministerin übe.
Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner habe wie auch der Hauptausschuss von der Tatsache ausgehen müssen, dass bisher kein Vorschlag der EU-Präsidentschaft für den Ausstieg aus den Sanktionen vorgelegen ist. Auch mangle es an einer offiziellen Möglichkeit, zum Beispiel im bevorstehenden Rat einen Tagesordnungspunkt über die Sanktionen gegen Österreich aufzunehmen. Wohl aber gebe es ein Aktionsprogramm der österreichischen Bundesregierung, wonach eine diplomatische Offensive eingeleitet werden solle, um zu versuchen, auch das in anderen Ländern bestehende Meinungsbild zu ändern.
Auf ihren zuletzt unternommenen Reisen habe Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner nicht nur die frühere britische Premierministerin Thatcher getroffen, sondern zum Beispiel in Frankreich auch den Vorsitzenden des Europa-Ausschusses des Senats. Kritisiert werde sie aber dafür, dass sie versuche, in einer diplomatischen Offensive hinter den Kulissen Bewegung in die Sache zu bringen. Abgeordneter Dr. Spindelegger spricht der Außenministerin namens seiner Fraktion die volle Unterstützung für ihre Offensive aus, da alles willkommen sei, was in dem Zusammenhang helfen könne.
Nicht gutheißen aber könne die ÖVP die inkonsequente Haltung der Opposition. Diese solle nicht Kritik an einem von der Bundesregierung vor dem Gipfeltreffen in Feira unternommenen Versuch üben, nur um nachher sagen zu können, dass die Regierung nichts zusammengebracht habe.
In Feira werde auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union zur Sprache kommen, zumindest in Form eines Fortschrittsberichtes. Abgeordneter Dr. Spindelegger fragt, was aus früheren Vorschlägen geworden sei wie etwa jenem, zur Erfüllung der so genannten “Petersberg-Aufgaben” eine Truppe aufzustellen, die innerhalb weniger Wochen einsatzfähig wäre – die österreichische Position zu diesem Vorschlag sei für alle Sicherheitspolitiker im Nationalrat von Interesse –, ob es bereits Anzeichen für Beschlüsse über darauf folgende Schritte gebe und welche Konsequenzen sich für Österreich unmittelbar aus den bisherigen Schritten im Hinblick auf eine volle Teilnahme Österreichs an der Erfüllung dieser Aufgaben ergäben.
Abgeordneter Wolfgang Jung (Freiheitliche) fragt in Erwiderung der Ausführungen des Abgeordneten Schieder über Verhärtungen als Konsequenz der jüngsten Reisen von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner, was sich denn überhaupt noch verhärten könne. Österreich bekomme auch so schon laufend gesagt, dass in Richtung Aufhebung der Sanktionen ohnehin nichts möglich ist. Den Kniefall werde Österreich nicht produzieren.
Die Außenministerin habe – ihrem Amte entsprechend auch außerhalb der Landesgrenzen – zahlreiche für Österreich wertvolle Kontakte gepflegt. Für die SPÖ sei dies anscheinend störend. Eine der Folgen sei ein für Österreich wichtiges Presseecho gewesen. Dass dies den Regierungen anderer Mitgliedstaaten nicht immer gefallen habe, sei leicht erklärlich, und zwar dadurch, dass die Meinung der Bevölkerung in den anderen Mitgliedstaaten durchwegs zugunsten Österreichs umschwenke und die Unzufriedenheit mit der Haltung dieser Regierungen wachse, da die Bevölkerung die Sackgasse erkenne, in die sich die anderen Mitgliedstaaten verrannt hätten und aus der man nur schwer wieder herauskommen werde.
Auch das Gespräch mit der früheren Premierministerin Thatcher sei zu begrüßen, da sie immerhin eine sehr bedeutende europäische Politikerin gewesen sei und immer noch großen Einfluss auf ihre Partei, die zweitstärkste Partei in Großbritannien, habe. Es wäre völlig falsch, Kontakte nur zur Regierung und nicht auch zur Opposition herzustellen. Abgeordneter Jung fügt hinzu, er würde sich auch von Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner wünschen, dass sie ihre Handtasche kräftig schwänge und Österreich sein Geld zurückbekäme wie damals Großbritannien, als Margaret Thatcher forderte: “I want my money back!” Diese Initiative habe damals Großbritannien sehr viel erspart.
Es stelle sich die Frage, mit wem sich jemand aus Österreich noch treffen dürfe, ohne dass derjenige unter den Bannfluch der EU-Vierzehn oder des innerösterreichischen Bannfluchs gestellt wird. Abgeordneter Jung fragt, ob jetzt derjenige zum guten Europäer bestimmt werde, der bedingungslos Ja und Amen sagt, wogegen derjenige, der Zweifel und andere Ideen hat, schlecht wäre. Auch sei zu fragen, ob Abgeordneter Schieder nicht mehr erlauben werde, mit einem als schlecht Bezeichneten zu reden. Dies sei jedoch nicht das Europa, das sich ein Freiheitlicher wünsche.
Das englische Presseecho habe zu einem weiteren Umdenkprozess in der dortigen Bevölkerung geführt.
Die Art, in der die Kosten dieser Reisen angesprochen worden sind, reiche schon an den Bereich des Komischen heran. Es gebe offizielle und inoffizielle Kontakte. Die Außenministerin sei nicht nur zu Gesprächen mit Regierungsvertretern verpflichtet, sondern vergleichbare Erfolge brächten auch Treffen mit Wirtschaftsvertretern oder anderen politischen Vertretern, etwa auf parlamentarischer Ebene. Wichtig sei es, die Bevölkerung anzusprechen. Denn von dort her wachse der Druck auf die Regierungen, dass die Behandlung Österreichs so nicht weitergehen kann.
Wenn schon aufgerechnet werde, müsse auch gefragt werden, ob der frühere Bundeskanzler Mag. Klima im Rahmen seines Aufenthalts in Stockholm nicht auch an einem Abendessen mit Staats- und Regierungschefs, die der Sozialistischen Internationale angehören, teilgenommen habe. Es sei die Frage zu stellen, ob dies eine Veranstaltung der Europäischen Union oder eine sozialistische Parteiveranstaltung gewesen sei. Dorthin sei Bundeskanzler Mag. Klima sicherlich nicht auf eigene Kosten gefahren. Auch die noch in schlechter Erinnerung befindlichen Treffen des Abgeordneten Dr. Gusenbauer mit dem ungarischen Parlamentarier Barsony in Strassburg seien auf Parlamentskosten finanziert worden. Eine solche Debatte solle man lieber bleiben lassen, um nicht ins Kuriose zu geraten.
Zu einer Frage nach der Sicherheits- und Verteidigungspolitik überleitend, führt Abgeordneter Jung aus, dass in der letzten WEU-Parlamentarierkonferenz eine bemerkenswerte Umentwicklung des derzeitigen Kontrollorgans feststellbar war. Es stehe zu hoffen, dass Österreich von Anfang an daran aktiv mitwirken wird, zumal es als EU-Mitglied dazu die volle Berechtigung habe. Es gehe dabei auch um die parlamentarische Kontrolle solcher künftiger Aufgaben. Die Kompetenz des Europäischen Parlaments sei in diesem Rahmen nicht gegeben, parlamentarische Kontrolle sei aber notwendig.
Daraus ergebe sich die bereits vom Abgeordneten Dr. Spindelegger angesprochene Frage, in welche Richtung diese Entwicklung verlaufe und wohin sie aus österreichischer Sicht erfolgen sollte.
Bundesministerin Dr. Benita Ferrero-Waldner antwortet dem Abgeordneten Schieder, ihrer Vorstellung nach sei mit allen legalen Mitteln für die Aufhebung der gegen Österreich verhängten Sanktionen zu kämpfen. Sie habe bereits im letzten März erkannt, dass man selbstverständlich auch auf die öffentliche Meinung in den anderen Staaten Druck ausüben muss; dies sei ein wesentlicher Punkt gewesen. Ein zweiter Punkt habe darin bestanden, dass Freunde Österreichs angerufen und gesagt hätten, sie müssten da etwas tun. Aus diesen Voraussetzungen heraus habe sich langsam das Konzept entwickelt, mit dessen Umsetzung sie daraufhin begonnen habe. Im Kontakt mit Medienvertretern und Meinungsbildnern, mit Mitgliedern des Parlaments und anderen hohen Persönlichkeiten des jeweiligen öffentlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens habe sie in diesen drei Tagen ihrer Reisen das Maximum erreichen können.
Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner erläutert, dass diese Reisen nur unter Anführungszeichen als “privat” zu bezeichnen waren. Ein einziges Mal habe sie dafür dieses Wort verwendet – woraufhin es gleich in die falsche Kehle gelangt sei –, um damit auszudrücken, dass sie bewusst nicht um Termine bei ihren Amtskollegen angesucht hat, um weder diese noch sich selbst in Verlegenheit zu bringen. Es habe sich klar erkennbar um eine Ausführung der Österreich-Aktionstage gehandelt – wie im Aktionsplan der Bundesregierung vorgesehen –, die tatsächlich von der Außenministerin langfristig vorgesehen gewesen wären. (Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Prinzhorn übernimmt um 16.52 Uhr den Vorsitz.)
Aufsehen sei damit erregt worden, weil es sich um einen Überraschungscoup gehandelt habe, der auch geglückt sei. Die Vorbereitung dafür sei bewusst sehr professionell durchgeführt worden. Diese Art der Vorbereitung sei notwendig gewesen, weil nur dadurch die allerbesten Medien zu erreichen gewesen seien, insbesondere die großen europäischen Zeitungen wie die “Times”, der “Daily Telegraph”, der “Figaro”, “Le Monde”, “El Mundo”, “ABC”, “El Pais” und so weiter. Wären nur die Botschaften eingeschaltet gewesen – zur Unterstützung seien sie ohnedies herangezogen worden –, so wäre dies nicht geglückt, weil es in jener Konzentration nicht möglich gewesen wäre.
Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner bekräftigt, sie habe für die im Hauptausschuss geäußerte Aufregung kein Verständnis, da sie davon ausgehe, dass auch der Abgeordnete Schieder die Aufhebung der Sanktionen erreichen will. Ihm bleibe ebenfalls nichts anderes übrig, als die dafür verfügbaren Schienen zu benützen. Die Regierungsschiene sei stets in Gebrauch gewesen, aber darüber hinaus müsse auch auf anderen Schienen gefahren werden. Insbesondere gelte dies für die Meinungsbildner. In Paris habe es Treffen mit sehr interessanten Persönlichkeiten gegeben, die zum Teil direkten Zugang zu den allerhöchsten Gremien hätten. Dies werde sich in weiterer Folge auswirken. Ob dies schon bis zum Gipfeltreffen in Feira der Fall sein werde – wie es wünschenswert wäre –, könne jetzt noch nicht gesagt werden.
Die umfangreiche Medienarbeit mit enorm vielen Interviews, wie sie zuvor schon von Österreich aus geleistet worden sei, habe sich bereits jetzt ausgezahlt. Denn jüngste Umfragen würden zeigen, dass es bereits in allen Mitgliedstaaten Mehrheiten für die Aufhebung der Sanktionen gibt.
Eine Bestärkung darin, diesen Weg zu gehen, habe sich in der Karwoche anlässlich einer Reise nach New York ergeben. Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner berichtet, sie habe damals in Princeton einen Vortrag gehalten und sei danach in eine sehr harte Debatte mit ein paar Professoren eingetreten. Dort habe sie sich wie vor einem Tribunal gefühlt. Österreich sei dort zu einem Nazi- und Neonaziland gemacht worden, aber das lasse sie sich für ihr Land nicht gefallen. Auch seit damals habe sie sich darin bestärkt gefühlt, diese Initiative voranzutreiben.
Ein Ergebnis zeige sich bereits in guten Zeitungsartikeln wie zum Beispiel “We are acting like Nazis over Austria” von William Rees-Mogg in der “Times” vom 12. Juni 2000. Für solche Ergebnisse müsse man sich in Österreich einsetzen, und zwar auch in Richtung USA, vor allem der im Osten gelegenen Staaten. Dort habe Österreich viel aufzuholen. Bedauerlicherweise sei wieder der totale Bezug zu Österreichs Geschichte hergestellt worden. Österreich habe eine schwierige Geschichte und müsse sich ihr stellen. Aber trotzdem müsse man die heutige Situation anders beurteilen.
Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner stellt fest, dass dies der Hintergrund ihrer Aktivitäten gewesen sei und dass es besser gewesen wäre, sie danach zu fragen, statt gleich in eine negative Fragestellung einzutreten. Sie habe sich viel dabei gedacht, und es zeige sich immer deutlicher, wie richtig diese Vorgangsweise gewesen sei.
Das Thema Österreich habe sie, allerdings mit einem enttäuschenden Ergebnis, auch beim Rat der Außenminister in Luxemburg angesprochen. Dort habe zwar die luxemburgische Außenministerin angemerkt, dass dieses Thema seit der Debatte auf den Azoren auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gehoben worden sei, aber sonst habe sich nur Außenminister Gama zu Wort gemeldet und neuerlich seine Meinung vertreten, die bekanntlich falsch sei. Denn er gehe immer davon aus, dass das Thema Österreich in den EU-Gremien nichts zu suchen habe, da es sich um eine rein bilaterale Angelegenheit handle. Aus diesem Grund werde es auch in Feira nicht auf der Tagesordnung stehen.
Hinter den Kulissen hätten die Staats- und Regierungschefs zwar gewisse Bewegung erkennen lassen, aber ein konkreter Vorschlag liege noch nicht vor. Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner stellt fest, dass nicht nur Österreich bereits großen Schaden erlitten hat, sondern dass in Zukunft auch Europa einen Schaden davon haben wird. Diese Botschaft sei inzwischen klar angekommen.
Zu dem Besuch bei Margaret Thatcher stellt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner fest, dass die frühere britische Regierungschefin eine große Persönlichkeit war und sich selbst als “friend of Austria” erklärt hat. Sie komme des Öfteren nach Österreich – der britische Konsul in Salzburg sei offensichtlich ein persönlicher Freund von ihr –, um hier mit ihrem Mann den Sommer zu verbringen. Ihrer Ansicht nach seien mit den Maßnahmen gegen Österreich drei wesentliche Prinzipien verletzt worden, nämlich “liberty, justice and the rule of law”. Dies könne Österreich nur unterstreichen. Unter diesen Voraussetzungen sei es berechtigt gewesen, eine Euro-Skeptikerin zu treffen, auch wenn deren Ansichten nicht mit der eigenen Meinung übereinstimmen.
Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner ergänzt, sie habe in London – ohne dies an die große Glocke zu hängen – auch den früheren Labour-Europaminister Sir David Simon getroffen, und er habe ihr zugesagt, ein direktes Gespräch mit Premierminister Blair zu führen. Solche Meinungsbildner hätten eben Zugang zu den höchsten Stellen. Auch daran erweise sich, dass diese Aktion, wenn sie richtig gesehen werde, nicht aus innenpolitischen Gründen durchgeführt wurde. Auf die außenpolitischen Gründe sei es dabei angekommen.
In Bezug auf die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik vertritt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner die Ansicht, die Europäische Union sei bei der Schaffung der Voraussetzungen für autonomes Krisenmanagement ein gutes Stück vorangekommen. Dies müsse der portugiesischen Präsidentschaft zugute gehalten werden. Der GESVP-Fortschrittsbericht für Feira und die vier Annexe seien als ordentliche Bilanz und gute Ausgangsbasis für die weiteren Arbeiten, vor allem unter der französischen Präsidentschaft bis Jahresende, zu bezeichnen.
In den letzten Monaten hätten die seit März installierten interimistischen Strukturen – das interimistische Politische und Sicherheitskomitee, das interimistische militärische Gremium und die militärischen Experten – die Arbeit der GESVP mit großem Elan weitergeführt. Dem Europäischen Rat würden nun Dokumente zu den EU-NATO-Beziehungen, zu den EU-Drittstaatenbeziehungen, zu Zielen im Bereich des zivilen Krisenmanagements sowie zu den Polizeikräften für internationale Einsätze vorliegen.
Die beiden Dokumente über die Beziehungen zwischen EU und NATO sowie zwischen der EU und den europäischen Drittstaaten seien Ergebnisse einer sehr wichtigen Etappe. Das Endziel der Institutionalisierung dieser Beziehungen sei aber noch nicht erreicht worden. Es werde vor allem Aufgabe der französischen Präsidentschaft sein, die Arbeiten zur Ausgestaltung der definitiven Strukturen für den Europäischen Rat in Nizza abzuschließen. Dabei handle es sich um eine äußerst ehrgeizige Zielvorstellung der französischen Seite.
Zu den vier Annexen zum Fortschrittsbericht führt Bundesministerin Dr. Ferrero-Waldner aus, dass erstens Österreich einer baldigen Institutionalisierung der EU-NATO-Beziehungen große Priorität zumesse, da die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ohne wirklich gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der NATO nicht funktionieren könne. Es sei vorgesehen, dass sich die im Fortschrittsbericht vorgesehenen vier Ad-hoc-Arbeitsgruppen bereits im Juli konstituieren sollen. Bei der Zusammensetzung werde Österreich vor allem darauf achten, dass alle 15 EU-Mitgliedstaaten in die Arbeiten eingebunden werden. Dies sei nicht selbstverständlich, da eine Zeit lang von einer kleineren Gruppe die Rede gewesen sei.
Zweitens gehe es darum, den für ein EU-NATO-Sicherheitsabkommen erforderlichen Austausch vertraulicher Informationen für das Krisenmanagement und für den Zutritt von Vertretern aller EU-Mitgliedstaaten zu den NATO-Planungseinrichtungen zu regeln. Bis zum Abschluss dieses Sicherheitsabkommens werde sich Österreich besonders dafür einsetzen, dass für die vier nicht alliierten EU-Staaten die Beteiligung am Informationsaustausch und der Zutritt zu den Planungseinrichtungen der NATO vorläufig durch ein Interimsarrangement sichergestellt wird.
Drittens werde es darauf ankommen, in diesen Fragen parallel zur Institutionalisierung der EU-NATO-Beziehungen auch kooperative Beziehungen zu europäischen Drittstaaten zu entwickeln. Unter Wahrung der Entscheidungsautonomie der Europäischen Union sollten die europäischen NATO-Staaten, die nicht der EU angehören, aber auch die EU-Beitrittskandidaten durch Arrangements der Kooperation und der Koordination in die Gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingebunden werden. Dabei sei es aus österreichischer Sicht besonders wichtig, vor allem die sechs europäischen Staaten, die nicht der EU und der NATO angehören, zufrieden zu stellen. Deren Mitwirkung sei, was die Mittelbeschaffung und die Fähigkeiten der NATO für EU-Operationen betrifft, äußerst entscheidend.
Auch die Arbeiten zur Erreichung des so genannten “headline goals” seien in den letzten Monaten planmäßig vorangeschritten. Für die “Capability Committment Conference” im kommenden Spätherbst seien anhand von so genannten “force packages” für die diversen Szenarien bereits Bedarfskataloge aufgestellt worden. Bis Jahresende müssten auch die Planungsverfahren für die Erreichung und die künftige Einhaltung dieses “headline goals” festgelegt werden. Diese sollten auf bestehenden NATO-Planungsverfahren aufbauen und den Bedürfnissen der Europäischen Union, aber auch der NATO entsprechen.
Die Frage notwendiger und unnötiger Duplizierungen von Mitteln und Fähigkeiten für militärisches Krisenmanagement der EU werde noch zu klären sein. Frankreich trete da eher für eine Doppelstrategie ein, aber dies werde von vielen nicht gewünscht, weil es zu einer erheblichen Erhöhung der Kosten führen würde. Das betreffe zum Beispiel Aufklärungsmittel oder Transportvorrichtungen.
Österreich habe in Bezug auf das zivile Krisenmanagement – woran es immer besonders interessiert gewesen sei – von Anfang an die schwedische Initiative unterstützt. Vor allem in Ex-Jugoslawien habe sich deutlich gezeigt, dass die militärische Friedensschaffung eine ganz andere Sache als das zivile Krisenmanagement sei. Diese beiden Bereiche müssten ineinander verzahnt arbeiten.
Vorgesehen sei jetzt eine Datenbank für zivile Polizeikräfte, und beschlossene Sache sei eine Zielgröße von 5 000 Polizisten für internationale Einsätze zur Stärkung der Fähigkeit der Europäischen Union für ziviles Krisenmanagement. Österreich habe derzeit 112 Polizisten in internationalen Friedensoperationen im Einsatz; bald werde deren Anzahl auf 200 erhöht werden.
Die Parlamentarische Versammlung der WEU sei im WEU-Vertrag verankert und bleibe somit bestehen. Sie sei nicht das Organ zur Kontrolle der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. EU und WEU hätten bekanntlich unterschiedliche Mitglieder. Die Kontrolle der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik komme vielmehr dem Europäischen Parlament zu.
Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn stellt fest, dass keine weitere Wortmeldung vorliegt, schließt die Debatte und leitet über zur Abstimmung, die zunächst über den von den Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Ing. Peter Westenthaler, Dr. Michael Spindelegger, Mag. Karl Schweitzer eingebrachten Antrag auf Stellungnahme gemäß Art. 23e Abs. 2 B‑VG betreffend Vorbereitung der Regierungskonferenz in Portugal erfolgen wird.
Zu diesem Antrag liegt ein Verlangen gemäß § 41 Abs. 11 der Geschäftsordnung auf Durchführung einer namentlichen Abstimmung vor.
Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Prinzhorn ruft die Abgeordneten namentlich auf, hält deren Stimmverhalten fest und unterbricht anschließend die Sitzung zum Zwecke Stimmenauszählung. (Die Sitzung wird um 17.11 Uhr zur Auszählung der Stimmen unterbrochen und um 17.12 Uhr wieder aufgenommen.)
Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Prinzhorn nimmt die Sitzung wieder auf und gibt das Abstimmungsergebnis wie folgt bekannt: Abgegeben worden sind 15 “Ja”-Stimmen und 9 “Nein”-Stimmen. Der Antrag ist mehrheitlich angenommen.
Mit “Ja” stimmten die Abgeordneten: Dr. Baumgartner-Gabitzer, Dr. Bruckmann, Dr. Feurstein, Mag. Haupt, Jung, Dr. Khol, Dr. Kurzmann, Dr. Partik-Pablé, Dipl.‑Ing. Prinzhorn, Mag. Schender, Schwarzböck, Mag. Schweitzer, Dr. Spindelegger, Dr. Trinkl, Ing. Westenthaler.
Mit “Nein” stimmten die Abgeordneten: Dr. Antoni, Dr. Einem, Dr. Kostelka, Mag. Lunacek, Dr. Niederwieser, Dr. Pittermann, Reitsamer, Schieder, Dr. Wittmann.
Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Prinzhorn lässt als Nächstes abstimmen über den von den Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Dr. Caspar Einem, Schieder eingebrachten Antrag auf Stellungnahme gemäß Art. 23e Abs. 2 B‑VG betreffend Vorbereitung des EU-Gipfels in Portugal.
Auf Antrag des Abgeordneten Dr. Peter Kostelka lässt Obmannstellvertreter Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn namentliche Auszählung der Stimmen vornehmen.
Für den Antrag stimmen 8 Abgeordnete, dagegen stimmen 15 Abgeordnete. Der Antrag bleibt in der Minderheit und ist abgelehnt.
Damit ist der 1. Tagesordnungspunkt abgeschlossen.
(Es folgen die Beratungen zu den Tagesordnungspunkten 2 bis 5.)
Schluss der Beratung zum Tagesordnungspunkt 1: 17.15 Uhr
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