1545/J XXI.GP
Eingelangt am: 23.11.2000
ANFRAGE
der Abgeordneten Dietachmayr
und Genossen
an den Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten
betreffend EU - Kommission und WTO
Am 7. und 8. Dezember findet in Nizza eine EU Regierungskonferenz statt. Im
Mittelpunkt steht die Institutionenreform, um die EU für die Osterweiterung
vorzubereiten. In Nizza sollen nun auch die Kompetenzen bezüglich der WTO weiter
zentralisiert werden. Die EU - Kommission will die Entscheidungsgewalt für die WTO
auch für den Dienstleistungsbereich von den EU - Mitgliedsländern übertragen
bekommen.
Bevor man über eine Übertragung von Kompetenzen im Bereich der WTO auf die
EU - Kommission nachdenkt, muß vorher geklärt werden, wie diese EU - Kommission
in Zukunft zusammengesetzt sein soll. Wie viele Kommissare soll es im zuküftigen
Europa der 20 bis 30 Staaten geben? Wie sollen die Entscheidungsprozesse
ablaufen? Werden die großen Staaten auf den zweiten Kommissar verzichten?
Werden sie bei einem Rotationsmodell sogar damit einverstanden sein, zeitweilig in
der Kommission nicht präsent zu sein?
Natürlich wollen die großen Staaten ihre Position stärken und ausbauen, damit sie in
einem erweiterten Europa nicht an Macht und Einfluß verlieren. Es ist fraglich, ob
diese Entwicklung der EU - Kommission im Interesse der österreichischen
Arbeitnehmer und Unternehmer sein kann.
In Österreich sind ca.62% der Erwerbstätigen und ca. 68% der unselbständig
Beschäftigten im Dienstleistungsbereich tätig. Dessen Anteil an der
Gesamtbeschäftigung wird sich noch weiter erhöhen. Die Verlagerung der WTO -
Kompetenzen auf die EU - Kommission würde bedeuten, daß Österreich das
Schicksal und die Zukunft von mehr als 60% seiner Arbeitnehmer dem
Verhandlungsgeschick und der Position der EU - Kommission überläßt!
Die EU ist immer noch stark wirtschaftsdominiert und - orientiert. Der freie
Wettbewerb hat dazu geführt, daß sich die Staaten mit immer schlechteren
Sozialgesetzen und immer unternehmerfreundlicheren Bestimmungen gegenseitig
ausspielen, um Unternehmer ins Land zu locken bzw. im Land zu halten. Das
Resultat sind immer weniger Steuern für die Unternehmer, immer schlechtere
Arbeits - u. Sozialgesetze und immer stärkere finanzielle Belastungen für die
Arbeitnehmer.
Wenn die EU - Kommission gegenüber der WTO den Dienstleistungsbereich zu
vertreten hat besteht die Gefahr, daß die Interessen der Arbeitnehmer zu kurz
kommen und auf dem Altar der Wirtschaft geopfert werden.
Die Bundesregierung sollte daher ihre Entscheidungskompetenz in diesem wichtigen
Bereich nicht abgeben. Das, was wir in den letzten hundert Jahren erreicht haben,
miteingeschlossen soziale Rechte, die öffentlichen Dienstleistungen,
Gesundheitsversorgung und das Bildungssystem
sind in Gefahr.
Die weltweit stattfindende Fusionierung von Unternehmen führt außerdem zur
Bildung von Großkonzernen, welche manchmal über ein Kapital verfügen, das über
jenes von so manchen Kleinstaaten hinausgeht. Diese Entwicklung führt zu riesigen
marktbeherrschenden Monopolbetrieben und verhindert, daß sich kleine und mittlere
Unternehmen der gleichen Branche entfalten können.
Falls der Art. 133 des Vertrages von Amsterdam geändert wird, würde der Kampf
gegen eine von den Wünschen der Multis vorangetriebene Globalisierung, deren
Folgen die Staaten und Regierungen in Wahrheit nicht mehr kontrollieren und
steuern können, einen schweren Rückschlag erleiden.
Freie Wirtschaft kann es nur geben, wenn in allen miteinander konkurrierenden
Wirtschaftsräumen die gleichen steuerlichen, fördermäßigen, arbeits - und
sozialrechtlichen Standards gibt. Als Maßstab können nur die Staaten mit einem
besonders hohen Standard gelten. Ansonsten führt eine freie Wirtschaft zu einem
Wettbewerb der die sozial hochstehenden Staaten benachteiligt, sozial schlecht
stehende Staaten mit Kinderarbeit, fehlenden Arbeitnehmerschutz begünstigt und
eine Spirale der rechtlichen Anpassung nach unten auslöst.
Aufgrund der unterschiedlichen Standards und Probleme der Staaten müssen
nationale Besonderheiten und Interessen berücksichtigt werden können.
Verhandlungen - den Dienstleistungsbereich betreffend - sind nicht zu
vergemeinschaften, weil im internationalen Dienstleistungshandel sehr sensible
nationale Interessen miteingeschlossen sind. Der grenzüberschreitende
Dienstleistungshandel umfaßt z.B.: auch so sensible Gebiete wie die Einreise, den
Aufenthalt und die Beschäftigung von Personen, die Dienstleistungen erbringen.
Die Verlagerung der Verhandlungskompetenzen auf die EU - Kommission birgt die
Gefahr in sich, daß Österreich seine Interessen und seinen Wohlstand nicht mehr
schützen bzw. aufrechterhalten kann.
Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für
wirtschaftliche Angelegenheiten nachstehende
ANFRAGE
1. Werden Sie sich in Nizza gegen eine Übertragung von WTO - Kompetenzen an
die EU - Kommission einsetzen? Falls nein, warum nicht?
2. Welche verschiedenen Vorschläge und Modelle gibt es in der Frage der
erweiterungsbedingten Neugestaltung der EU - Kommission und welche Vor -
und Nachteile haben diese für Österreich?
3. Aus wie vielen Kommissaren soll in Zukunft Ihrer Meinung nach die EU
Kommission, bei der die Kompetenzen betreffend der WTO konzentriert werden
sollen, bestehen?
4. Wie sollen in Zukunft die Entscheidungsprozesse in der EU - Kommission
ablaufen? Sind Sie für den Vorschlag der „Doppelten Mehrheit“ oder für die
„Neugewichtung
nach der Bevölkerung“? Begründen Sie bitte Ihre Position.
5. Sollen durch eine Übertragung von WTO Kompetenzen an die EU - Kommission
die österreichischen Sozialpartner - die die Interessen der österreichischen
Arbeitnehmer und Unternehmer bisher erfolgreich vertreten haben -
ausgeschaltet werden? Falls nein, in welcher Art und Weise können diese in die
Meinungsbildung der neu zu gestaltenden EU - Kommission eingebunden
werden?
6. Welche konkreten Auswirkungen sind für den europäischen und
österreichischen Arbeitsmarkt zu erwarten, falls die WTO - Kompetenzen an die
EU-Kommission übertragen werden?
7. Werden Sie sich als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gegen die
Übertragung von WTO - Kompetenzen an die EU - Kommission einsetzen, falls
sich diese nicht dazu bekennt, daß in allen miteinander konkurrierenden
Wirtschaftsräumen in absehbarer Zeit die gleichen steuerlichen, fördermäßigen,
arbeits - und sozialrechtlichen Standards gelten sollen und als Maßstab die
Staaten mit einem besonders hohen Standard (wie z.B.: Österreich)
herangenommen werden? Falls nein, warum nicht?
8. Werden Sie sich als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gegen die
Übertragung von WTO - Kompetenzen an die EU - Kommission einsetzen, wenn
diese es ablehnt, eine Liberalisierung des Dienstleistungsbereiches von der
Bedingung abhängig zu machen, daß dadurch sozial hochstehende Staaten
nicht benachteiligt und sozial schlecht stehende Staaten (z.B.: mit Kinderarbeit,
fehlenden Arbeinehmerschutz, usw.) nicht begünstigt werden dürfen? Falls nein,
warum nicht?
9. Welche Vorkehrungen werden Sie treffen, damit im Falle der Übertragung der
WTO - Kompetenzen auf die EU - Kommission die besonderen Interessen der
österreichischen Arbeitnehmer und der österreichischen Wirtschaft dennoch
berücksichtigt und auch durchgesetzt werden können?
10. Welche konkrete Position vertritt die EU - Kommission gegenüber der WTO in der
Frage der Liberalisierung des Dienstleistungsbereiches?
11. Wie wollen Sie als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit erreichen, daß sich
die EU - Kommission - im Falle einer Übertragung von WTO Kompetenzen - dafür
einsetzt, daß eventuelle Vorteile einer Liberalisierung nicht nur einer minder
begrenzten Anzahl von Wirtschaftstreibenden sondern der breiten Masse der
Dienstnehmer zugute kommen?
12. Können Sie als Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit garantieren, daß sich
die EU-Kommission (im Falle der Übertragung von WTO Kompetenzen) gegen
eine durch die Fusionierung von großen Unternehmen entstehende
Monopolisierung der Wirtschaft und der daraus resultierenden Entmachtung von
Staaten, Volkswirtschaften und der Chancenlosigkeit von kleinen Unternehmen
aus der gleichen Branche einsetzen wird? Falls nein, sind Sie trotzdem für die
Übertragung von WTO Kompetenzen an die FU Kommission?