1742/J XXI.GP
Eingelangt am: 18-01-2001
des Abgeordneten Glawischnig, Freundinnen und Freunde
an den Bundeskanzler
betreffend Ergebnis der "Melker Vereinbarung" zwischen den Regierungen der tschechischen
Republik und der Republik Österreich
Das umstrittene AKW Temelin war Gegenstand der tschechisch - österreichischen
Verhandlungen am 12. Dezember 2000 im Stift Melk. Das vereinbarte Ergebnis lässt einige
Interpretations - und Konkretisierungsfragen offen. Das Melker Abkommen kann alles sein:
Farce, Persilschein und Augenauswischerei oder aber eine harte und seriöse Überprüfung von
Temelin als Einstieg in den Ausstieg. Alles hängt von den Inhalten der Temelin - Überprüfung
ab, die in den kommenden Wochen fixiert werden. Deshalb werden die Monate Jänner und
Feber zur Vorentscheidung im Temelin - Entscheidungsjahr 2001.
Bereits am 10.1. wird die Prager Regierung erste Beratungen über die Umsetzung des Melker
Abkommens aufnehmen. Die konkreten und vorentscheidenden Inhalte der Umsetzung werden
damit bereits in den kommenden Wochen endgültig fixiert.
Wie die Dinge derzeit stehen, droht die Temelin - Überprüfung zur Augenauswischerei, zur
Beruhigungsaktion für die Temelingegner zu werden. Alleine schon aufgrund der
vorgegebenen Zeitfristen bis Anfang Juni, die in der derzeitigen Vorbereitung der Temelin -
Überprüfungen als unumstößliche Grundbedingung betrachtet werden. Eine seriöse,
umfassende UVP ist innerhalb dieses Zeitraums nicht durchführbar. Zum Vergleich: jene Teil -
UVP, die 78 - Bauabänderungen in Temelin beurteilt, also keinesfalls eine Gesamt - UVP
darstellt, wurde am 22.9.2000 eröffnet und wird - so wird von den tschechischen Behörden
erwartet - frühestens bis Juni 2001 abzuschließen sein. Derzeit werden aber in den
Vorbereitungsarbeiten alle Umsetzungsmaßnahmen für die UVP dem Zeithorizont bis Anfang
Juni und damit nur etwas mehr als 5 Monate untergeordnet. Der dadurch entstehende enorme
Zeitdruck droht dazu zu führen, daß wichtige Schritte unterbleiben (etwa das Scoping) oder nur
oberflächlich durchgeführt werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Welche Garantien können Sie geben, dass die in Melk getroffenen Vereinbarungen diesmal
von tschechischer Seite umgesetzt werden, angesichts der Tatsache, daß eine Reihe von Punkten
bereits früher mit Tschechien vereinbart wurden, bisher aber nicht (z.B. die Ratifizierung der
Espoo - Konvention) bzw. mangelhaft ('Rotes Telefont') umgesetzt worden sind?
2. Betrifft die UVP und die Sicherheitsüberprüfung auch Block 2 des AKW Temelin und wenn
nein, welchen Grund haben die unterschiedlichen Vorgangsweisen für Block 1 und 2?
3. Wird die umfassende UVP zu Temelin mit internationaler Bürgerbeteiligung auch rechtlich
verbindlich sein? Wenn ja, wie wurde dies konkret abgesichert?
4. Welche Konsequenzen wird ein negativer Ausgang von UVP und Sicherheitsüberprüfung
haben und wie wird Österreich den Betriebsstopp Temelins im Falle eines negativen Ergebnisse
der Überprüflingen von Tschechien einfordern?
5. Wird die "umfassende UVP" auch die "Nullvariante" und die Projektteile bzw. Bau - und
Änderungsgenehmigungen aus der Zeit vor 1992 berücksichtigen und wenn ja durch welche
Gesetze, Vereinbarungen und Verträge ist dies garantiert?
6. Sind Sie bereit, angesichts der Tatsache, dass eine Vielzahl der bestehenden Temelin -
Gutachten, die jetzt als Prüfbasis herangezogen werden sollen, völlig veraltet sind und teilweise
aus den Jahren 1980 - 1986 stammen, bei der tschechischen Regierung eine Neuerarbeitung aller
veralteten Gutachten einzufordern?
7. In Melk wurde vereinbart, dass Tschechien noch im Jänner 2001 die sog. Espoo - Konvention
ratifizieren wird, was bisher bereits vier Mal verschoben wurde. Was läßt Sie annehmen, dass
Tschechien diese Verpflichtung diesmal verbindlich umsetzt?
8. Wie und wodurch ist nach dem "Melker Protokoll" der Zugang zu relevanten Informationen
im Zusammenhang mit umfassender Gesamt - UVP Temelin auch für Bürgerinitiativen garantiert,
nachdem bisher Fragen, die von der 'Plattform gegen Atomgefahren‘ und anderen
Bürgerinitiativen wiederholt an Betreiber CEZ und tschechische Behörden gestellt wurden
unbeantwortet geblieben sind?
9. Wann wird es einen verbindlichen Zeitplan für die konkrete Umsetzung und Durchführung der
UVP und der Sicherheitsüberprüfling Temelins durch eine internationale Expertenkommission
geben? Wie wird diese Expertenkommission zusammengesetzt sein und wie werden
Bürgerinitiativen dabei eingebunden sein?
10. Sind Sie bereit, angesichts der Tatsache, dass die Durchführung einer seriösen Gesamt - UVP
innerhalb des in Melk vereinbarten Zeitraumes bis Juni 2001 nicht machbar ist, mit Tschechien
über eine Fristverlängerung der Überprüflingen bis Jahresende 2001 zu verhandeln?
11. Werden in Zukunft allfüllige Grenzblockaden als angemeldete Demonstrationen genehmigt
werden oder werden im Sinne des Pkt. VII des Melker Protokolls (Freier Personen - und
Güterverkehr) in Zukunft "Notwehr" - Protestaktionen untersagt und die Räumungen durch die
Exekutive veranlasst werden? Wie ist der betreffenden Punkt der Melker Vereinbarung genau zu
verstehen?
12. Bedeutet der in der Melker Vereinbarung unter Punkt VI. festgeschriebene Begriff
"kommerzieller Betrieb", dass Temelin auch den physikalischen Vollbetrieb - mindestens aber
Leistungsbetrieb über 20% und Netzeinspeisung ("Probebetrieb oder Experimentierbetrieb") -
über mehrere Monate aufnehmen kann, bevor die Gesamt - UVP abgeschlossen ist bzw. die
offenen sicherheitstechnischen Fragen restlos geklärt sind, oder wird die Österreichische
Bundesregierung in diesen Fällen einen Stopp des Betrieb Temelins von Tschechien einfordern?
13. Welche Konsequenz hat ein Bruch der Vereinbarung von Melk von tschechischer Seite? Was
sind dann Ihre nächsten Schritte?
14. Bedeutet Pkt. VIII des Melker Protokolls (Erweiterung, "...österreichische Regierung
verpflichtet sich, die Union bei der Weiterführung dieser Verhandlungen [EU - Beitritt, Anm.]
konstruktiv zu unterstützen"), dass Österreich unabhängig von der Einhaltung des in Melk
vereinbarten Prozederes die Blockade des Energiekapitels in den Erweiterungsverhandlungen
aufheben wird und dadurch einem Vier - Parteien - Nationalratsbeschluß vom 5.9.2000
zuwiderhandelt?
15. Wie garantiert die Tschechische Regierung oder der Betreiber CEZ die Schadenshaftung
(über 4200 Mrd. Schilling Schadenersatzforderungen) im Falle einer Temelin - Katastrophe bzw.
was wird die Österreichische Bundesregierung dafür unternehmen, dass Tschechien der nach dem
österreichischen Atomhaftungsgesetz unbegrenzten Schadenshaftung nachkommt? Ist dieser
Punkt beim Gipfel von Melk besprochen worden, wenn nein, warum nicht?
16. Was wird die Österreichische Bundesregierung auf EU - Ebene unternehmen bzw. wann
werden welche konkreten Schritte eingeleitet, um auch die ökonomischen Fragen Temelins zu
klären und die Dumpingexporte von CEZ in den EU - Raum als EU - Wettbewerbsregelverstoß
abzustellen? Inwieweit ist die Bundesregierung Punkt 7 des einstimmigen Entschließungsantrag
des Parlamentes vom 5. September ("....wettbewerbsrechtliche Bedenken gegen tschechische
Atomstromexporte geltend zu machen..") sowie Punkt 3 des vom Nationalrat am 19.10.2000
ebenfalls einstimmig angenommenen Entschließungsantrages (...den dringenden Verdacht von
Wettbewerbsverzerrungen durch Preisdumping bei tschechischen Stromexporten in EU - Staaten
zu prüfen und gegebenfalls auf Ebene der europäischen Kommission rechtlich zu reklevieren...)
bisher nachgekommen?
17. Hat die österreichische Bundesregierung die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur
Verhängung eines Stromimportverbotes aus Tschechien bereits geschaffen bzw. ein
Stromimportverbot wie angekündigt bereits erlassen? Wenn nein, inwieweit hat die
Bundesregierung Punkt 2 des einstimmigen Entschließungsantrag des Nationalrats vom
19.10.2000 (...die Anwendung des Art. 2, § 13 des Energieliberalisierungsgesetzes vorzubereiten,
damit Stromimporte aus Drittstaaten, deren Anlagen nicht dem Stand der Technik entsprechen, zu
untersagen sind.) bisher umgesetzt?
18. Wie wird sich Österreich kompromisslos und konsequent dafür aussprechen, dass Tschechien
im Rahmen der EU - Erweiterungsgespräche keine Ausnahmegenehmigungen für die
Strommarktliberalisierung Tschechiens erhält? Wann und wo wird das geschehen und steht das
nicht im Widerspruch zum Punkt VIII (Erweiterung) des Melker Protokolls?
19. Was ist seit Melk konkret an Umsetztungsschritten von der Bundesregierung unternommen
worden?
20. Wird die Österreichische Bundesregierung im Sinne einer transparenten, offenen und
zeitgemäßen Informationspolitik eine eigene Temelin - Homepage einrichten, auf der unter
anderem auch Störfallinformationen früher als über Medien oder Agenturen für interessierte
Bürger abrufbar sind bzw. der jeweils aktuelle Stand des Fortschritts der Umsetzung des Melker
Protokolls ersichtlich sein wird?
21. Wohin können sich besorgte BürgerInnen wenden, um sich nach einer Störfallmeldung in
Temelin zu informieren?
22. Halten Sie es angesichts der Serie von Störfällen im AKW Temelin seit Aufnahme des
Probebetriebes für verantwortbar, UVP und Sicherheitsüberprüfung bei laufendem Probetrieb
vorzunehmen oder sollte die österreichische Bundesregierung angesichts der latenten
Bedrohung der Sicherheit von hundertausenden österreichischen StaatsbürgerInnen nicht darauf
drängen, daß Temelin während der Prüfphase abgeschaltet wird?
23. Welche Ausstiegsangebote wird die österreichische Bundesregierung unterbreiten, um die
tschechische Regierung bei einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis der Überprüfungen bei
der Stillegung von Temelin zu unterstützen?