1938/J XXI.GP

Eingelangt am: 20.2.2001

 

 

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend passives Wahlrecht für ArbeitsmigrantInnen - Klage der Europäischen

Kommission - provokante Ignoranz der österreichischen Bundesregierung

 

Mit Schreiben vom 16. Oktober 1997 leitete die Europäische Kommission ein

Beschwerdeverfahren gegen die Republik Österreich wegen möglicher Verletzung

des Gemeinschaftsrecht bei Betriebsratswahlen bzw. Arbeiterkammerwahlen und im

Bereich des Zugangs zu Schülerfreifahrten ein.

 

Die Republik Österreich antwortete zunächst mit Schreiben vom 17. November 1997,

dass zwar gemäß § 53 Abs. 1 Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG)

drittstaatsangehörige Arbeitnehmer vom passiven Wahlrecht zu Betriebsratswahlen

und gemäß § 21 Abs. 1 Arbeiterkammergesetz 1992 (AKG) ausländische

Arbeitnehmer generell vom passiven Wahlrecht zu den Arbeiterkammerwahlen

ausgeschlossen seien, aber der österreichische Nationalrat in zwei Entschließungen

vom 11. Juli 1997 eine Begutachtung des passiven Wahlrechts gefordert habe und

diesem parlamentarischen Auftrag „innerhalb der nächsten Wochen“ hinsichtlich

einer Änderung des AKG und des ArbVG nachkommen werde.

 

Nachdem vor der geplanten Novellierung des AKG im Frühjahr 1998 durch den

Einspruch eines ÖVP - Ministers im Ministerrat die vorgesehene Ausweitung des

passiven Wahlrechts zu den Arbeiterkammerwahlen neuerlich scheiterte, richtete die

Kommission mit Schreiben vom 28.10.1998 an die österreichische Bundesregierung

eine Aufforderung zur ergänzenden Stellungnahme im Rahmen des

Beschwerdeverfahrens.

 

Die Republik Österreich antwortete am 10. Dezember 1995 neuerlich mit

Beschwichtigung und Verzögerung und referierte unter anderem jene Passagen des

Arbeiterkammergesetzes, die wenige Monate zuvor am Veto des ÖVP - Ministers

gescheitert waren.

 

Mit dem Mahnschreiben vom 9. Juli 1999 hat die Europäische Kommission daraufhin

formell das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 226 des EG - Vertrages

gegen die Republik Österreich eingeleitet und neuerlich eine begründete Äußerung

der Republik „innerhalb von 2 Monaten“ eingefordert.

 

Auf dieses Schreiben der Kommission antwortete die Republik Österreich am

1. September 1999 unter anderem damit, dass sie

 

1.) zugab, dass der Ausschluss von „kammerzugehörigen Arbeitnehmern“ aus

Staaten des EWR - Vertragsabkommens „vom passiven Wahlrecht zu den

Arbeiterkammern im Widerspruch zu Art. 8 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68

steht“

2.) zugab, „dass es gemeinschaftsrechtlich geboten ist, die dem Gemeinschaftsrecht

entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts zu bereinigen

 

3.) zugab, dass die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts „mangels Einvernehmen im

Ministerrat nicht durchsetzbar war“ und eine neuerliche Novellierung des AKG erst

nach Durchführung der Arbeiterkammer - Wahlen im ersten Halbjahr 2000

vorgenommen werden könne;

 

4.) einräumte, dass die ebenfalls beabsichtigte Änderung des ArbVG im Sinne einer

Ausweitung des passiven Wahlrechts ungeachtet der Staatsangehörigkeit „in dieser

Gesetzgebungsperiode nicht mehr abgeschlossen werden konnte, jedoch im

Herbst 1999 fortgesetzt wird“.

 

Mit Schreiben vom 26. Jänner 2000 hat die europäische Kommission die Republik zu

einer ergänzenden Stellungnahme innerhalb eines Monats aufgefordert und dabei

„einen genauen Zeitplan der vorgesehenen Gesetzesänderung“ des AKG verlangt.

 

In der Antwort vom 15. Februar verweist die inzwischen neugebildete

Bundesregierung auf den im Jahr 1998 am Veto der ÖVP gescheiterten Entwurf des

Sozialministeriums und darauf, dass „über eine Änderung dieser Gesetze bisher

keine politische Einigung erzielt werden konnte und auch die weitere Vorgangsweise

des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Hinblick auf die

Neubildung der Bundesregierung derzeit noch nicht abgeschätzt werden kann“.

Diese provokante Ignoranz wird ergänzt durch den Hinweis, dass die Republik „die

Europäische Kommission jedoch über die weiteren Entwicklungen jedenfalls auf dem

Laufenden halten“ wird.

 

Mit Schreiben vom 29.12.2000 erklärt die Kommission in ihrer „mit Gründen

versehenen Stellungnahme“, dass die Haltung der österreichischen Bundesregierung

„nicht klar“ ist, dass die österreichische Rechtslage mehrfach gegen das

Gemeinschaftsrecht verstößt und dass die Republik Österreich deshalb aufgefordert

wird, binnen zwei Monaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, „um dieser mit

Gründen versehenen Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer

Bekanntmachung nachzukommen“.

 

Die österreichische Bundesregierung und die Regierungsparteien wollen

offensichtlich auch diese letzte Frist vor Einleitung der Klage beim Europäischen

Gerichtshof ungenutzt verstreichen lassen. Bei einer von den Grünen eingeforderten

Fristsetzungsdebatte im Nationalrat lehnten beide Regierungsparteien eine

Novellierung von AKG, ArbVG und Hochschülerschaftsgesetz neuerlich ab.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

1) Teilt die neue österreichische Bundesregierung nicht mehr die Auffassung der

     alten Bundesregierung, wonach das AKG und das ArbVG in einem Widerspruch

     zum Gemeinschaftsrecht der EU stehen und es deshalb gemeinschaftsrechtlich

    geboten ist, die dem EU - Recht entgegenstehenden Bestimmungen des

    nationalen Rechts zu novellieren?

 

2) Wurde in Sitzungen des Ministerrats der neugebildete Bundesregierung auf die

     Schreiben der EU - Kommission vom 26. Jänner 2000 bzw. vom 29.12.2000

     eingegangen und wie lauten die diesbezüglichen Beschlüsse des Ministerrats?

 

3) Wurde innerhalb der neugebildeteten Bundesregierung jemals der Versuch

     unternommen, das österreichische Recht in der Frage des passiven Wahlrechts

     zu Arbeiterkammer -  und Betriebsratswahlen an das EU - Recht anzupassen?

 

4) Kann die Bundesregierung mittlerweile abschätzen, welche Haltung das

     Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, dem in dieser Frage die

     Kompetenzen des alten Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und

     Soziales zugefallen sind, in der Frage der Novellierung von AKG und ArbVG

     einnimmt?

 

5) Welche Informationen wurden seit der Stellungnahme der Republik Österreich

     vom 15.2.2000 an die Europäische Kommission gegeben, um diese „über die

     weiteren Entwicklungen jedenfalls auf dem Laufenden zu halten“ bzw. wie

     lauten diese Informationen?

 

6) Warum verweist die österreichische Bundesregierung in ihrer ergänzenden

     Stellungnahme vom 15. Februar 2000 auf einen Bescheid des

     Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 19. November

     1999 zur Anfechtung der Wahl der Vollversammlung der Arbeiterkammer

     Vorarlberg, wenn die neugebildete Bundesregierung bzw. das

     Wirtschaftsministerium (als Rechtsnachfolger des Sozialministeriums) die

     Rechtsauffassung des alten Sozialministeriums offensichtlich nicht teilt?

 

7) Warum verweisen Sie, Herr Bundeskanzler, in der Anfragebeantwortung

     1161/AB darauf, dass die Frage des passiven Wahlrechts Gegenstand

     mehrerer beim Verfassungsgerichtshof bzw. beim Bundesministerium für

     Wirtschaft und Arbeit anhängiger Wahlanfechtungsverfahren ist und im Hinblick

     darauf, dass die nächsten Arbeiterkammer - Wahlen „voraussichtlich erst im Jahr

     2004 durchzuführen sind“, nichts dagegen spräche, die Klärung der Rechtslage

     durch den Verfassungsgerichtshof abzuwarten, obwohl sie wissen mussten,

     dass schon vorher eine Klage der Kommission bzw. Klärung der Rechtslage

     durch den Europäischen Gerichtshof erfolgen wird?

 

8) Welche sachlichen Gründe macht die österreichische Bundesregierung geltend

     dafür, dass ArbeitsmigrantInnen zwar bei den Wirtschaftskammerwahlen (im

     WKG), bei den Personalvertretungswahlen der Eisenbahner

     (Bahnbetriebsverfassungsgesetz) bzw. bei den Personalvertretungswahlen der

     Wiener Gemeindebediensteten die Wählbarkeit (passives Wahlrecht) besitzen,

     nicht aber bei den Arbeiterkammer -  und Betriebsratswahlen?

 

9) Welche Position vertritt die österreichische Bundesregierung zum

     Rechtsstandpunkt der Europäischen Kommission in der Frage des passiven

     Wahlrechts für ArbeitsmigrantInnen?

10) Teilen Sie die Rechtsansicht der AnfragestellerInnen, dass die Ausübung des

       passiven Wahlrechts im AKG, ArbVG, aber auch dem

       Hochschülerschaftsgesetz im Falle einer voraussichtlich eindeutigen

       Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht an die Voraussetzung einer

       Staatszugehörigkeit zu EWR - Vertragländern bzw. assoziierten Ländern

       geknüpft werden soll und darf, sondern ungeteilt allen ArbeitsmigrantInnen

       zustehen soll?

       10a)   Wenn nein, wie rechtfertigen Sie den Ausschluss von kroatischen,

                  bosnischen bzw. jugoslawischen ArbeitsmigrantInnen vom passiven

                  Wahlrecht?