2291/J XXI.GP
Eingelangt am: 04-04-2001
ANFRAGE
der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Justiz
betreffend Verurteilung (§178 StGB) trotz Befolgung der Safer - Sex - Regeln im
Zusammenhang mit Hiv und Aids
Den unterzeichneten Abgeordneten wurde bekannt, dass ein Hiv - positiver Mann
derzeit eine dreimonatige Haftstrafe unter anderem deshalb verbüßen muß, weil er
die Verhaltensmaßregeln des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und
Generationen und der von ihm finanzierten Aids - Hilfen befolgte.
Der heute 34jährige Mann wurde im Juli 1999 durch das Landesgericht Klagenfurt zu
einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, weil er als Hiv - positiver Mann mit anderen
Männern sexuelle Kontakte (Oral - und Analverkehr) hatte (LG Klagenfurt 19.07.1999,
13 Evr 70/99). Die Verurteilung beruht ausschließlich auf der Aussage des
Verurteilten, in der dieser angegeben hatte, dass er mit seinen Partnern stets
Analverkehr mit und Oralverkehr ohne Kondom hatte. Diese Aussage wurde von
einem seiner Partner bestätigt. Andere Beweisergebnisse gab es nicht. Dennoch
verurteilte das Gericht den Mann - aktenwidrig - nicht nur wegen Analverkehrs ohne
Kondom sondern auch wegen Oralverkehrs ohne Kondom.
Das Gericht qualifizierte nicht nur Analverkehr ohne Kondom (dies zwar rechtsrichtig
jedoch eben auf Grund aktenwidriger Feststellung) sondern auch Oralverkehr ohne
Kondom generell (für einen Samenerguß in den Mund gab es keinerlei
Anhaltspunkte) als „Handlungen, die geeignet sind, die Gefahr der Verbreitung von
übertragbaren Krankheiten herbeizuführen“ und verurteilte den Mann demgemäß auf
Grund des § 178 des Strafgesetzbuches („Vorsätzliche Gefährdung von Menschen
durch übertragbare Krankheiten“). Dies obwohl Oralverkehr ohne Kondom (und bei
Durchführung des Oralverkehrs an dem Hiv - Positiven: ohne Samenerguß in den
Mund) den von den österreichischen Gesundheitsbehörden und Aids - Hilfen
propagierten Verhaltensregeln („Safer Sex“) entsprechen.
Weil er mit einem dieser Männer im Sommer 1997 ein Monat vor dessen 18.
Geburtstag sexuellen Kontakt hatte, verurteilte ihn das Klagenfurter Landesgericht
auch auf Grund des antihomosexuellen Sonderstrafgesetzes § 209 StGB. Obwohl
der damals 30jährige Mann den 17 Jahre und 11 Monate alten jungen Mann lediglich
oral befriedigte sah der Richter auch in diesem Fall die Gefahr der Übertragung des
Hi - Virus (!) und damit den § 178 StGB als erfüllt an. Die Strafe: 1 Jahr Freiheitsstrafe,
davon drei Monate unbedingt.
Der Verurteilte verzichtete auf Anraten seines Verteidigers, der ein Rechtsmittel für
aussichtslos hielt, auf Rechtsmittel. Sie, sehr geehrter Her Bundesminister, lehnten
Ende Februar 2001 das Gnadengesuch „im Hinblick auf die Schwere der der
gegenständlichen Verurteilung zu Grunde liegenden Straftat“ (!) ab
(Präsidentschaftskanzlei GZ 910030/302 -
STR/01), weshalb der Mann die
Freiheitsstrafe nun zwei Tage vor seinem 34. Geburtstag anzutreten hatte. Aus
einem unbedingten Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe gibt es auch keine
vorzeitige Entlassung.
Seit Jahren propagieren sowohl das Gesundheitsressort als auch die von ihm
finanzierten Aids - Hilfen als wirksame Prävention gegen eine Ansteckung mit Hiv
„Safer Sex" - Regeln für homo - und bisexuelle Männer, die neben der Verwendung
von Kondomen beim Analverkehr (Die Aids - Hilfen Österreichs: Sicherer Sex für
schwule Männer, 1994, S. 3ff; Die Aids - Hilfen Österreichs: Sex unter schwulen
Sternen, 2000, S.3; BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Gib Aids keine Chance,
1999, S. 11f) auch die Hintanhaltung eines Samenergusses in den Mund des Hiv -
negativen Partners beinhalten (Die Aids - Hilfen Österreichs: Sicherer Sex für schwule
Männer, 1994, S. 3ff; Die Aids - Hilfen Österreichs: Sex unter schwulen Sternen, 2000,
S.3; BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Gib Aids keine Chance, 1999, s. 11f).
Die orale Befriedigung des Hiv - negativen Partners durch den Hiv - positiven wird stets
als generell völlig risikolos präsentiert (BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Gib
Aids keine Chance, 1999, S. 11); die orale Befriedigung des Hiv - positiven Partners
durch den Hiv - negativen, zumindest dann, wenn kein Samenerguß in den Mund
erfolgt, als bloß theoretisches, entfernt denkbares, nicht jedoch praktisches
(Rest)Risiko, sowie dies etwa auch bei Analverkehr unter Verwendung von
Kondomen besteht, weshalb lediglich empfohlen wird, nicht in den Mund zu
ejakulieren (Die Aids - Hilfen Österreichs: Sicherer Sex für schwule Männer, 1994, S.
3ff; Die Aids - Hilfen Österreichs: Sex unter schwulen Sternen, 2000, S.3; BM für
Arbeit, Gesundheit und Soziales: Gib Aids keine Chance, 1999, S.11).
Diese Verhaltensempfehlungen entsprechen jenen in der Bundesrepublik
Deutschland (Detusche Aids - Hilfen: von Mann zu Mann, 1997, S.5; Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung: Safer Sex ... sicher, 1996, S. 15, 19), in den USA
(U.S. Department of Health and Human Services, National Institutes of Health: Safer
Sex Knowledge Base, NIH Information BBS, Washington D.C. 1993, ) und auf
internationaler Ebene (UNAIDS, AIDS and men who have sex with men, Technical
Update, May 2000, p. 4, 6), wobei UNAIDS zur Hiv - Prävention die Propagierung von
Oralverkehr anstatt Analverkehr (auch mit Kondom) sogar generell, ohne
Unterscheidung nach einem etwaigen Samenerguß in den Mund, empfiehlt
(UNAIDS, AIDS and men who have sex with men, Technical Update, May 2000, p.
6).
UNAIDS lehnt Tatbestände wie jene der §§ 178,179 StGB ab, die über die
Körperverletzungstatbestände hinaus die Übertragung bzw. die Gefährdung durch
eine potentielle Übertragung des Hi - Virus kriminalisieren, weil sie einer effektivenn
Aids - Prävention zuwiderlaufen (UNAIDS, Handbook for Legislators on HIV/AIDS,
Law and Human Rights, 1999, p. 11, 50ff; UNAIDS, AIDS and men who have sex
with men, Technical Update, May 2000, p. 6). Für den Fall, dass sich Staaten
dennoch zu solchen Tatbeständen entschließen, sollten solche Tatbestände laut
UNAIDS restriktiv als ultima ratio Anwendung finden und die Befolgung der Safer
Sex Regeln jedenfalls eine Strafe ausschließen (UNAIDS, Handbook for Legislators
on HIV/AIDS, Lawand Human Pights, 1999, p.
11,53).
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Sind Sie der Ansicht, dass Oralverkehr von Hiv - positiven Menschen mit
Hiv - negativen Menschen generell und stets die (objektiven) Tatbestände
der §§ 178,179 StGB erfüllen, ungeachtet, ob (a) der Hiv - positive den Hiv -
negativen Partner befriedigt oder umgekehrt und (b) ob ein Samenerguß in
den Mund stattfindet oder nicht?
Wenn ja: worauf stützen Sie diese Ansicht?
Wenn nein: was werden Sie tun, um dieser Rechtsansicht auch in der
Praxis der Strafverfolgungsbehörden zum Durchbruch zu verhelfen?
2. Teilen Sie die Ansicht des Obersten Gerichtshofs (11 Os 171/97,
25.11.1997), dass Vaginal - und Analverkehr mit Kondom nicht die
(objektiven) Tatbestände der §§ 178,179 StGB erfüllen?
Wenn nein: worauf stützen Sie diese Ansicht?
3. Für den Fall, dass Sie die Frage 1 und 2 bejahen: wie begründen Sie die
unterschiedliche Behandlung von Safer - Sex - Kontakten im Falle von
Vaginal - und Analverkehr einerseits und Oralverkehr andererseits?
4. Sind Sie der Ansicht, dass Hiv - positive Menschen, die darauf vertrauen,
durch die Beachtung der Safer - Sex - Verhaltensempfehlungen der
Gesundheitsbehörden keine Infektionsgefahr herbeizuführen, den
subjektiven Tatbestand der §§ 178,179 StGB erfüllen können?
Wenn ja: worauf stützen Sie diese Ansicht?
Wenn nein: was werden Sie tun, um dieser Rechtsansicht auch in der
Praxis der Strafverfolgungsbehörden zum Durchbruch zu verhelfen?
5. Teilen Sie die Ansicht der unterzeichneten Abgeordneten im Einklag mit
UNAIDS, dass die strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung Hiv -
positiver Menschen für sexuelle Kontakte mit Hiv-negativen Menschen
trotz Befolgung der Verhaltensempfehlungen der Gesundheitsbehörden
und der Aidshilfen dem Anliegen einer effektiven Hiv - und Aids - Prävention
zuwiderlaufen und daher eine Gefahr für die Volksgesundheit darstellen?
Wenn ja: welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wenn nein: warum nicht?
6. Werden Sie Maßnahmen (etwa im Erlasswege) ergreifen, um künftig die
strafrechtliche Verfolgung für Safer - Sex - Kontakte hintanzuhalten?
Wenn ja: wann welche konkreten Maßnahmen?
Wenn nein: warum nicht?
7. Werden Sie auf eine Gesetzesänderung hinwirken, durch die sichergestellt
wird, dass die Tatbestände der §§ 178, 179 StGB nicht erfüllt sind, wenn
gesundheitsbehördliche Verhaltensempfehlungen eingehalten werden?
Wenn ja: welche konkreten
Schritte werden Sie wann setzen?
Wenn nein; warum nicht?
8. Für den Fall, dass Sie die Frage 5 bejahen und und die Fragen 6 und 7
verneinen; wie können Sie dies mit der verfassungsrechtlichen
Anforderung der Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschafltichkeit der
gesamten staatlichen Verwaltung (Art. 126b Abs. 5 B - VG) vereinbaren?
9. Für den Fall, dass Sie die Frage 1 oder 4 bejahen oder die Frage 2
verneinen: sind sie der Ansicht, dass die verantwortlichen Personen bei
den Gesundheitsbehörden, allen voran der Herr Bundesminister für soziale
Sicherheit und Generationen, und bei den Aids - Hilfen durch die
Propagierung der genannten Safer - Sex - Regeln die Tatbestände der §§
281, 282 oder 12,178,179 StGB erfüll(t)en?
Wenn nein; warum nicht?
Wenn ja; was werden Sie tun, um dieser Rechtsansicht in der Praxis der
Strafverfolgungsbehörden zum Durchbruch zu verhelfen (§ 34 Abs. 1
StPO)?
10. Warum wurde im eingangs geschilderten Fall (LG Klagenfurt 19.07.1999
13 Evr 70/99) nur der Hiv - positive Mann verfolgt, nicht aber seine Partner
nach § 179 StGB, die zwar nicht ausdrücklich über seine Infektion
Bescheid wussten, aber sich ebenfalls ohne weiteres bewusst auf diese
sexuellen Kontakte einließen?
11. Für den Fall, dass Sie die Fragen 1 und 4 verneinen und die Frage 2
bejahen; werden Sie im eingangs geschilderten Fall (LG Klagenfurt
19.07.1999, 13 Evr 70/99) die Generalprokuratur veranlassen, die
Schuldspruch des Mannes auf Grund § 178 StGB gem. §§ 33 und 362
StPO beim Obersten Gerichtshof zu bekämpfen?
Wenn nein; warum nicht?
12. Wie begründen Sie Ihre Bewertung der Straftat des Verurteilten im
eingangs geschilderten Fall (LG Klagenfurt 19.07.1999,13 Evr 70/99) als
„schwere Straftat", die nicht einmal eine Umwandlung der teilbedingten
Strafe in eine bedingte Strafe zuläßt? Auf welchen Überlegungen bzw.
Kriterien beruht diese Bewertung?
13. Werden Sie Ihre Entscheidung, dem Herrn Bundespräsidenten keine
Begnadigung des im eingangs geschilderten Fall Verurteilten (LG
Klagenfurt 19.07.1999,13 Evr 70/99) vorzuschlagen, überdenken?
Wenn nein; warum nicht?
14. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund Vaginal - oder Analverkehrs zwischen
einem Hiv - positiven und einem Hiv - negativen Menschen unter
Verwendung eines Kondoms (aufgeschlüsselt nach Gerichten)?
15. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund Vaginal - oder Analverkehrs zwischen
Hiv - positiven Menschen mit bzw. unter Verwendung eines Kondoms
Jeweils
aufgeschlüsselt nach Gerichten)?
16. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund Oralverkehrs zwischen einem Hiv -
positiven und einem Hiv - negativen Menschen mit Verwendung eines
Kondoms (aufgeschlüsselt sowohl nach Vornahme des Oralverkehrs durch
den Hiv - positiven an dem Hiv - negativen Partner und umgekehrt sowie
nach Gerichten)?
17. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund Oralverkehrs zwischen einem Hiv -
positiven und einem Hiv - negativen Menschen ohne Verwendung eines
Kondoms mit Samenerguß in den Mund (aufgeschlüsselt sowohl nach
Vornahme des Oralverkehrs durch den Hiv - positiven an dem Hiv - negativen
Partner und umgekehrt sowie nach Gerichten)?
18. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund Oralverkehrs zwischen einem Hiv -
positiven und einem Hiv - negativen Menschen ohne Verwendung eines
Kondoms jedoch ohne Samenerguß in den Mund (aufgeschlüsselt sowohl
nach Vornahme des Oralverkehrs durch den Hiv - positiven an dem Hiv -
negativen Partner und umgekehrt sowie nach Gerichten)?
19. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund Oralverkehrs zwischen Hiv - positiven
Menschen mit bzw. unter Verwendung eines Kondoms (jeweils
aufgeschlüsselt nach Gerichten)?
20. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund von (Zungen)Küssen zwischen einem
Hiv - positiven und einem Hiv - negativen Menschen (aufgeschlüsselt nach
Gerichten)?
21. Wieviele Verfolgungsanträge und rechtskräftige Verurteilungen erfolgten in
den letzten 5 Jahren u.a. auf Grund (Zungen)Küssen zwischen Hiv -
positiven Menschen (aufgeschlüsselt nach Gerichten)?
22. In wie vielen der in Beantwortung der Fragen 14 bis 21 angegebenen Fälle
wurde lediglich der Hiv - positive Partner verfolgt bzw. verurteilt und in wie
vielen Fällen beide Partner?