2629/J XXI.GP

Eingelangt am: 04.07.2001

 

 

DRINGLICHE ANFRAGE

 

des Abgeordneten Van der Bellen, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundeskanzler

 

betreffend Reformen statt Säuberungen

 

 

Die Bundesregierung ist unter Ihrer Führung angetreten, um „Österreich neu zu

regieren“. Sie hat diese Drohung wahrgemacht.

 

Ein Schlüsselsatz der Regierungserklärung lautet: „Wir wollen die Wirtschaft von

bürokratischen Fesseln befreien, Proporz und Parteibuchwirtschaft abschaffen und den

Menschen mehr Mitentscheidungsrechte geben“. Wie keines seiner Vorgänger hat das

Kabinett „Schüssel“ bewiesen, dass die Parteibuchwirtschaft der SPÖ schon nach einem

Jahr übertroffen werden kann. ORF, ÖIAG, Sozialversicherung, Kultur, Justiz - überall

werden „Widerstandsnester“, wie die Arbeitsplätze politisch Unzuverlässiger im neuen

Regierungsdeutsch genannt werden, ausgehoben. Statt auf „Headhunting“, mit dem für

Unternehmen die besten Köpfe gesucht werden, setzt das Kabinett „Schüssel“ auf

Kopfjagd. Parteibuch und Beziehungen sind wieder alles, Qualifikation und

Unbestechlichkeit ein zufälliges Nebenprodukt.

 

Die Regierung hat Reformen versprochen und Säuberungen gebracht. Der Bundeskanzler

trägt dafür die Verantwortung.

 

Weil keine Regierung das Recht hat, erfolgreiche Unternehmen, den öffentlich -

rechtlichen Rundfunk und vor allem ein bewährtes System sozialer Sicherheit aus

parteilichen Gründen zu schädigen, stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende

 

ANFRAGE:

 

„Reform“ der Sozialversicherung

 

Vor mehr als einem Jahr wurde das Sozialversicherungs - Änderungsgesetz von Ihrer

Regierungsmehrheit so beschlossen, dass eine regierungsnahe Mehrheit im Hauptverband

nach den folgenden AK - Wahlen sicher schien. Die Wähler haben anders entschieden

und die blau - schwarze Machtübernahme in der Sozialversicherung verhindert. Jetzt soll

das AK - Wahlergebnis mit Parlamentsmehrheit korrigiert werden. Das Ziel, so heißt es,

sei aber ein ganz anderes: die Senkung des Defizits der Sozialversicherung.

 

Die folgenden Fragen beziehen sich unmittelbar auf den Zuständigkeitsbereich des Sozial -

bzw Justizministers. Aus Sicht der Anfragesteller stehen die Vorgänge rund um die

„Reform des Hauptverbandes“ jedoch im eklatanten Widerspruch zur

Regierungserklärung. Angesprochen wird daher der Kompetenztatbestand „Wahrung

der Einheitlichkeit der Regierungspolitik“ bzw „Hinwirken auf das einheitliche

Zusammenarbeiten der Bundesministerien in allen politischen Belangen“.

 

1. In der bisherigen Verbandskonferenz gehörten von den 27 Mitgliedern 16 der SPÖ

    und 11 der ÖVP an. Mit der Novelle zum ASVG planen Sie, in der neuen 38 -

    köpfigen Hauptversammlung 22 ÖVP - Mitgliedern nur noch 15 der SPÖ und dafür

    eines der FPÖ zur Seite zu stellen. Der Verlierer der AK - Wahlen verdoppelt so seine

    Sitze. Um wieviel wird durch die Verdopplung der Sitze für Ihre Partei das Defizit

    der Sozialversicherung gesenkt werden ?

 

2. ÖVP und FPÖ haben erklärt, dass HV - Präsident Hans Sallmutter abgesetzt werden

    muss, damit er nicht weiter Reformen im Gesundheitssystem blockieren könne.

    Welche dieser von Sallmutter blockierten Reformen sollen mit der vorliegenden

    ASVG - Novelle beschlossen werden ?

 

3. Die wichtigsten Sozialversicherungsträger stehen noch nicht unter der politischen

    Kontrolle der Regierungsparteien. Sollen die Strukturen dieser Träger dem Vorbild

    des Hauptverbandes entsprechend ebenfalls „reformiert“ werden ?

 

4. Sie planen, im Verwaltungsrat das Prinzip der jährlichen Rotation einzuführen. Im

    Aufsichtsrat welcher Unternehmen hat sich das Rotationsprinzip bewährt ?

 

5. Die Selbstverwaltung ermöglicht auch bei erfolgreicher Umfärbung des

     Hauptverbands noch keine totale Kontrolle von der Regierungsbank aus. Mit Ihrem

     geplanten Vetorecht für Sozialminister und Finanzminister ermächtigen Sie

     Regierungsmitglieder zum direkten Eingriff in die Selbstverwaltung. Die

     Verfassungsjuristen Prof. Funk und Prof. Öhlinger sehen darin Verstöße gegen

     Verfassung und Rechtsstaatlichkeit. Warum nehmen Sie bei diesem Versuch der

     politischen Kontrolle einen Verfassungsbruch ihres Sozial -  bzw Finanzministers in

     Kauf?

 

6. In einem Gutachten für die Wirtschaftskammer ist Univ. Prof. Dr. Bernd Christian

     Funk zu folgendem Schluß gekommen: „Das rechtliche Verhältnis von Aufgaben,

     Kompetenzen und Verantwortung wird in willkürlicher Weise verzerrt und durch

     Machtstrukturen ersetzt: dem Verwaltungsrat des Hauptverbandes bleiben Aufgaben

     und Verantwortung bei gestörter - weil durch Einsprüche aufhebbarer -

     Kompetenz, die ministerielle Ebene gewinnt Kompetenz und Aufgabe, jedoch -

     mangels rechtlicher Überprüfbarkeit - ohne entsprechende Verantwortung.“ Warum

     setzen Sie sich über diese schwerwiegenden Einwände hinweg?

 

7. Im Gespräch für einen Posten als Hauptverbandsgeschäftsführer ist Wolfgang Huber,

     früherer Geschäftsführer des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern, in dem

     auch Staatssekretär Waneck tätig war. Huber war „Leiter der von der Regierung

     eingesetzten Reformkommission“ und somit führend an der Entwicklung des neuen

     Konzepts für den Hauptverband beteiligt. Im Wirtschaftsblatt vom 16. Juni 2000

     wird Huber als Chefverhandler der Regierung bezeichnet. Kann angesichts der

     umfassenden Unvereinbarkeitsregelungen im Gesetzesentwurf eine Person, die

Auftragsnehmer der Regierung ist, im Rahmen der Selbstverwaltung eine Funktion

einnehmen ?

 

„Reform“ des ORF

 

Am 27. Juni stellte die Redakteursversammlung des ORF einstimmig fest: „Die

Redakteure der Zeit im Bild - Sendungen müssen sich wieder einmal gegen

politischen Druck wehren. Mit dem Näherrücken der Beschlussfassung des ORF -

Gesetzes haben Zahl und Vehemenz der Interventionen der Regierungsparteien

stark zugenommen." Nach vier Fällen von Interventions -  und

Einschüchterungsversuchen durch den FPÖ - Klubobmann faßt die

Redakteursversammlung unter „B. Bundeskanzler Schüssel, ÖVP“ die Vorwürfe gegen

Sie zusammen: „Im April und im Mai hat der Bundeskanzler (oder seine Sprecher)

ORF - Redakteuren in drei Fällen Manipulation vorgeworfen..,‘

 

8. Um welche Fälle handelt es sich ?

 

9. Haben die Interventionen mit Ihrem Wissen stattgefunden ?

 

10. Wenn nein, welche Konsequenzen haben Sie gegenüber diesen „Mitarbeitern“

      gezogen?

 

11. In welchen Fällen hat BM Wilhelm Molterer an Ihrer Stelle interveniert ?

 

12.Welcher Ihrer Mitarbeiter hat interveniert, weil anläßlich Ihres Besuches beim AMS

     nicht darüber, sondern zu einer anderen Frage berichtet worden ist ?

 

13. Am Rande eines Staatsbesuchs haben Sie in aller Öffentlichkeit einem ORF - Reporter

      im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die „Beistandspflicht“ lautstark

      „Manipulation“ vorgeworfen. Warum haben Sie diesen Vorwurf erhoben ?

 

14. Halten Sie den Vorwurf aufrecht?

 

15. Wenn nein, haben Sie sich für diesen Vorwurf entschuldigt ?

 

16. Als der ORF am 1. Mai über Ihren Vorschlag zur Erhöhung des Pensionsalters

      berichtete, löste auch das Interventionen aus. Warum ist in diesem Fall interveniert

      worden?

 

17. Über die Interventionen des FPÖ - Klubobmanns berichtet die ORF -

      Redakteursversammlung:

 

      "A. FPÖ - Klubobmann und ORF - Kurator Westenthaler

     

      1. Versuchte Einschüchterung und Beeinflussung der Berichterstattung am FPÖ -

      Konvent

      Der FPÖ - Klubobmann attackierte den ZIB - Redakteur in herabwürdigender Weise

      in Hörweite anderer Journalisten wegen seines Berichtes in der 13 Uhr - ZIB. Es

      fielen folgende Ausdrücke: „Weis sagt Ihnen offenbar, was Sie berichten

      müssen", "Sie haben die Veranstaltung nicht verstanden", „Abfangjäger sind kein

      Thema" , "so kann die ZIB - Geschichte nicht aussehen“ etc.

 

      2. Versuch7 die Pressekonferenz „Plakataktion Kindergeld“ in die ZiB 1 zu

      bringen

      Nachdem die ZIB - Sendungsverantwortlichen entschieden hatten, daß die

      Vorstellung dieser Plakataktion nicht relevant für die ZIB - 1 sei (ein Bericht

      darüber wurde in der 12 Uhr ZIB gesendet), setzte Westenthaler vom

      Generalintendanten abwärts eine Woche lang Entscheidungsträger (vergeb ich

      unter Druck, um einen weiteren Bericht zu erreichen.

 

      3. Bestelltes Interview zum Kindergeld

      Der FPÖ - Klubchef verlangte, am Tag nach der Präsentation der SPÖ - Vorschläge

      zum Kindergeld in einem ZIB 1 - Interview Stellung nehmen zu dürfen. Als er das

      nicht erreichte, weil die übliche Form eine Kurzmeldung oder eine

      Sammelreaktion ist, gab er vor, in einer Pressekonferenz Stellung nehmen zu

      wollen. Die „Einladung“ entpuppte sich als Fax an Generalintendant Weis

      persönlich, in dem Westenthaler in sein Büro lud. Wie Recherchen ergaben, war

      kein anderes Medium eingeladen. Der „Einladung“ wurde nicht gefolgt.

  

      4. Versuch, ZiB 2 - Chefredakteur Adrowitzer unter Druck zu setzen

      Am Rande der Live - Diskussion über das ORF - Gesetz flüsterte Westenthaler

      Diskussionsleiter Adrowitzer zu, er besitze dessen Dienstvertrag und werde den

      später auch noch veröffentlichen.“

 

      Was werden Sie tun, um Journalisten vor derartigen Einschüchterungsversuchen und

      Belästigungen durch Regierungspolitiker zu schützen ?

 

18. Wie im alten Kuratorium besteht auch im neuen Stiftungsrat die Möglichkeit, dass

       Vertrauensleute von ÖVP und FPÖ in geheimen Abstimmungen in Einzelfällen das

       Interesse des Unternehmens über das der Parteien stellen. Warum sollen geheime

      Abstimmungen im neuen ORF-Gesetz verboten werden?

 

19. Das Gesetz sieht einen „unabhängigen Bundeskommunikationssenat“ vor. In der

       alten HSV konnten Richter mit Mehrheit beschließen. Im neuen Fünfer - Gremium

       brauchen sie für die notwendige Zwei Drittel - Mehrheit immer einen Vertreter der

       Bundesregierung. Bei der Ausschreibung hat sich in der gesetzlichen Frist ein einziger

       Richter beworben. Da er nicht als regierungstreu gilt, wurde seine Bewerbung

       ignoriert. Nach dem Gesetz hätte nun eine neue Ausschreibung erfolgen müssen.

       Gestern haben Sie nun ohne neue Ausschreibung fünf Richter und

       Regierungsvertreter nominiert. Warum haben Sie diese Vorgangsweise, die bereits

       öffentlich als gesetzwidrig kritisiert worden ist‘, gewählt?

 

 

„Reform“ der ÖIAG und ihrer Tochterfirmen

In ihrem ersten Jahr hat die Bundesregierung auch in der ÖIAG gezeigt, dass ihr neue

Parteibücher und alte Freundschaften wichtiger als neue Konzepte und Strategien sind.

Von der ÖIAG bis zu Telekom und AUA ist kaum ein Versuch, politische

Vertrauensleute zu installieren, ausgelassen worden. Wirtschaftlicher Schaden ist dabei

bewußt in Kauf genommen worden.

 

20. Am 22. Juni 2001 forderte Finanzminister Grasser ÖIAG - Vorstandssprecher Ditz

      auf, Personalentscheidungen in der AUA „durchzuziehen“. Der Finanzminister

      versuchte damit, die FPÖ - Forderung nach Ablösung des noch im alten

      Proporzsystem bestellten AUA - Vorstands durchzudrücken. In Ihrer

      Regierungserklärung haben Sie noch angekündigt, die ÖIAG müsse „professionell

      und politikfern“ agieren. Steht die Einmischung des Finanzministers in die

      Zuständigkeit des Aufsichtsrats einer Firma, an der die ÖIAG Beteiligungen hält, im

      Einklang mit Ihrer Ankündigung in der Regierungserklärung?

 

21. Für den Fall, dass Ditz die Ablöse des AUA - Vorstands nicht schaffte, drohte ihm

      Grasser mit seiner eigenen Ablöse“2. Ist Ihnen eine Bestimmung des ÖIAG -

      Gesetzes bekannt, wonach dem Finanzminister ein direktes Eingreifen in die Tätigkeit

      des Vorstands zusteht?

 

22. Steht diese Drohung mit Ihrer Ankündigung in der Regierungserklärung in Einklang?

 

23. Werden Sie in Zukunft dafür sorgen, dass sich der Finanzminister an das ÖIAG -

      Gesetz und die Ankündigungen in Regierungserklärung und

      Koalitionsübereinkommen hält?

 

Zusammenfassung und Würdigung

 

24. Warum war der alte Proporz, der von Viktor Klima und Ihnen repräsentiert wurde,

      schlechter als der neue ?

 

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage unter

Verweis auf § 93(1) GOG verlangt.