3089/J XXI.GP
Eingelangt am: 21.11.2001
DRINGLICHE ANFRAGE
gemäß § 93 Abs. l GOG
der Abgeordneten Dr. Cap
und Genossinnen
an den Bundeskanzler
betreffend das Kraftwerk Temelin und die Vetodrohung der FPÖ gegen den Beitritt der
Tschechischen Republik zur Europäischen Union
Die Regierungsparteien sind
angesichts der ungelösten Sicherheitsprobleme rund um das
Atomkraftwerk
Temelin völlig unterschiedlicher Meinung über die weitere
Vorgangsweise.
Darüber
kann auch der von den Regierungsparteien vorgelegte Entschließungsantrag
zum
Melker
Prozeß nicht hinwegtäuschen. Auch innerhalb von ÖVP und
FPÖ gibt es offenbar
unterschiedliche
Auffassungen über das Ziel und die Strategie der Verhandlungen in der
Frage
Temelin.
Bundesminister Molterer
erklärte am 6. November d.J., dass ein Ausstieg Tschechiens aus
dem
Atomkraftwerk Temelin nicht realistisch sei und drängte dazu, den Melker
Prozeß und
die
Verhandlungen über das Energiekapitel rasch abzuschließen, um den
Erweiterungsfahrplan
nicht zu verzögern (Die Presse, 6. 11. 2001). Außenministerin
Ferrero-
Waldner
betonte in einer Pressekonferenz mit dem Tschechischen Außenminister
Kavan, dass
das Ergebnis des Melker Prozesses, der ja noch im vollem Gang sei, abzuwarten
wäre
(OTS0179,
8. November 2001). Inhalt und Resultat der Verhandlungen über Temelin
hätten
Vorrang vor
einem Zeitplan. Ihre Schlußfolgerung in der Pressekonferenz: “Wir
sind noch
nicht so
weit" (ZIB 2, 8. November 2001).
Die FPÖ bekräftigte
angesichts des Vorstoßes von Umweltminister Molterer ihre
Vetodrohungen
gegen den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union.
Auch
Generalsekretär Schweitzer, der im Oktober noch erklärt hatte, die
Parteilinie der FPÖ
sei, dass es
keine Vetodrohung gegen einen EU-Beitritt Tschechiens gebe (TT, 29. Oktober,
2001),
bezeichnet neuerdings das Veto Österreichs in Sachen Temelin wieder als
legitimes
Mittel.
Eine andere Position vertrat zuletzt der zweite Nationalratspräsident
Prinzhorn. In
einem
Gespräch mit der Zeitung “Die Presse" lehnte er ein
“bedingungsloses Veto" ab und
mahnte
seine Partei zu einer besonnenen Haltung (Die Presse, 19. November 2001).
Während Teile der
ÖVP, darunter auch Bundeskanzler Schüssel, das von der FPÖ
geforderte
Veto gegen
einen EU-Beitritt der Tschechischen Republik offiziell ablehnen -
gegenüber der
Zeitschritt Format versicherte der Bundeskanzler zuletzt “es gebe keine
Vetokeule" (Format,
19. November 2001) - sind maßgebliche Vertreter der ÖVP offenbar
anderer Meinung.
Landeshauptmann
Pröll beispielsweise betonte in der Pressestunde am 18. November, die
Vetokarte
sei bei ihm im Ärmel.
Durch ein Veto gegen den Beitritt
der Tschechischen Republik zur Europäischen Union bzw.
durch die
permanente Drohung damit kann weder die Inbetriebnahme Temelins verhindert,
noch ein
Mehr an Sicherheit für die österreichische Bevölkerung erreicht
werden. Die
Verhandlungen
mit der Tschechischen Republik werden enorm belastet, zudem kommt die
Vetodrohung einem Mißtrauen gegenüber den verhandelnden
VP-Regierungsmitgliedern
gleich. Die
Vetodrohung hindert die Bundesregierung offenbar auch daran, in der
Europäischen
Union Verbündete hinsichtlich der Sicherheitsbedenken gegen Temelin zu
finden und einen europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie zu forcieren. Das
wird durch die
Äußerungen
von Umweltminister Molterer im “Report" vom 13. November
bestätigt, der vor
den
negativen Folgen eines Vetos gegen den EU-Beitritt Tschechiens warnte und
meinte, es
könnte
Österreich schaden, in internationale Isolation zu kommen. Man müsse
"vermeiden,
dass
Österreich allein ist".
Die Diskussionen um das Veto
innerhalb der österreichischen Bundesregierung zeigen, dass
die
Bundesregierung in der Frage der Sicherheit des Atomkraftwerks Temelin bisher
keine
Verhandlungserfolge
aufzuweisen hat. Es ist der Bundesregierung nicht gelungen, den
berechtigten
Sicherheitsinteressen Österreichs Gehör zu verschaffen und die
Unterstützung
anderer
Mitgliedstaaten in der Europäischen Union zu gewinnen. Die Bundesregierung
hat es
ferner
verabsäumt, in Folge des 11. September in der Europäischen Union eine
Initiative für
einen
europaweiten Atomausstieg und für einheitliche hohe Sicherheitsstandards
für die
Restlaufzeit der Atomkraftwerke in Europa zu setzen.
Aus dem von Umweltminister
Molterer im November d.J. vorgelegten Bericht zum Melker
Prozeß
und aus den vielen unterschiedlichen Aussagen von Vertretern der
Regierungsparteien
sind eine
schlüssige Position der Regierung und die von ihr geplante weitere
Vorgangsweise
nicht ersichtlich. Aus Sorge, dass die berechtigten Sicherheitsinteressen der
österreichischen
Bevölkerung hinsichtlich Temelin nicht gewahrt werden, aber auch aus Sorge
um das
Zustandekommen der Erweiterung der EU und die Position Österreichs in der
Europäischen
Union
stellen die unterzeichneten Abgeordneten daher an den Bundeskanzler
nachstehende
Dringliche Anfrage:
1.
Wie beurteilen Sie derzeit den Verhandlungsstand im Rahmen des
“Melker"-
Prozesses
und wie wollen Sie erreichen, dass die Ergebnisse des bilateralen
Verhandlungsprozesses
völkerrechtlich verbindlich und für Österreich einklagbar
werden?
2.
Worauf sind die unterschiedlichen Einschätzungen zwischen Österreich
und der
Europäischen
Kommission hinsichtlich der Sicherheit des Atomkraftwerks Temelin
zurückzuführen?
3.
Wieso ist es Ihnen bisher nicht gelungen, die Unterstützung seitens der
EU-
Kommission und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der Frage
Temelin zu gewinnen?
4.
Was sind Ihre Mindesterfordernisse an die Tschechische Republik, um den Melker
Prozeß
beenden zu können und damit das Energiekapitel vorläufig
abschließen zu
können?
5.
Werden Sie darauf bestehen, daß die Tschechische Republik eine
seriöse
Durchrechnung
der Nulloption (der Nichtinbetriebnahme) vornimmt und
Ausstiegsvarianten
prüft?
6. Welche Schritte wird die Bundesregierung setzen, um die Unterstützung anderer
Mitgliedstaaten in Sachen
Temelin zu gewinnen und um eine Isolation Österreichs zu
vermeiden?
7.
Wird die Bundesregierung beim Europäischen Rat in Laeken am 14. und 15.
Dezember
d.J. eine Initiative setzen, um den europaweiten Ausstieg aus der
Kernenergie
und die Einführung einheitlicher hoher Sicherheitsstandards für
Atomkraftwerke für die Restlaufzeiten endlich zum Thema zu machen?
8.
Warum hat es die Bundesregierung bis jetzt verabsäumt, alle jene
Mitgliedstaaten der
EU, die
bereits jetzt auf eine Kernenergienutzung verzichten oder die einen Ausstieg
aus der Kernenergie
bereits beschlossen haben, für einen Ausstieg aus der
Kernenergie
zu gewinnen? Welche Initiativen hat die Bundesregierung diesbezüglich
bereits
gesetzt und mit welchem Ergebnis?
9.
Wird es vor einem vorläufigen Abschluß des Energiekapitels mit der
Republik
Tschechien
zu einer Beschlußfassung im österreichischen Ministerrat kommen?
10.
Wie beurteilen Sie die Vetodrohungen der FPÖ gegen den Beitritt der
Tschechischen
Republik zur
EU und ihre Nützlichkeit für den weiteren Verhandlungsfortschritt
sowie die
außenpolitische Position Österreichs?
11. Klubobmann
Westthaler erklärte am 9. November d.J., dass man den Provokationen
der
tschechischen Regierung eine deutliche Abfuhr erteilen und klarmachen
müsse,
dass
Tschechien mit Temelin nicht Mitglied der EU werden könne (OTS 064, 9.
November
2001). Unterstützen Sie diese Position?
12.
Widerspricht die Vetodrohung der FPÖ nicht dem Regierungsabkommen zwischen
ÖVP und
FPÖ und Ihrer Regierungserklärung?
13. Wie beurteilen Sie die Zielsetzung des FPÖ-Volksbegehrens “Veto gegen Temelin"?
14.
Können Sie sich vorstellen, dass die von Ihnen geführte
Bundesregierung ein Veto
gegen den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union
beschließt,
obwohl
dadurch weder eine Inbetriebnahme Temelin verhindert wird, noch ein Mehr
an
Sicherheit für die österreichische Bevölkerung erreicht werden
kann?
15.
Welche Auswirkungen hätte eine Realisierung der Zielsetzungen des
FPÖ-
Volksbegehrens auf die Politik der österreichischen Bundesregierung bzw.
auf die
Rolle Österreichs im Prozeß der Erweiterung der EU?
In formeller Hinsicht wird
verlangt, diese Anfrage gem. § 93 Abs. l GOG dringlich zu
behandeln.