3218/J XXI.GP

Eingelangt am: 13.12.2001

 

 


ANFRAGE

der Abgeordneten Mag. Maier

und GenossInnen

an den Bundeskanzler

betreffend “Verwaltungsstrafverfahren und Strafrahmen"

Mit Erkenntnis vom 16.3.2000, G 312/97 u.a., hat der VfGH die Wortfolge “von
50.000" in § 39 Abs. 1 lit a Abfallwirtschaftsgesetz 1990 als verfassungswidrig
aufgehoben. Die genannte Bestimmung sah für bestimmte
Verwaltungsübertretungen nach dem AWG einen Strafrahmen von S 50.000,- (€
3.633,64) bis S 500.000,-- (€ 36.336,42) vor; S 50.000,-- waren als Mindeststrafe
vorgesehen.

Der antragstellende UVS Tirol vermeinte, einen Verstoß gegen Art. 91 B-VG zu
erblicken, demzufolge nach der Rechtsprechung des VfGH ab einer gewissen Höhe
der Strafdrohung ein Strafverfahren in die gerichtliche Zuständigkeit überwiesen
werden müsse. Die in § 39 AWG vorgeschriebene Mindeststrafe überschreite diese
Grenze.

Der ebenfalls antragstellende VwGH betonte, die angefochtene Norm stehe im
Widerspruch zu § 19 Abs. 2 VStG, wonach bei der Strafzumessung auch die
Einkommen-, Vermögens- und Familienverhältnisse zu berücksichtigen seien. Im
Vergleich zu anderen verwaltungsstrafrechtlichen Tatbeständen ergebe sich eine
nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung.

Die Bundesregierung entgegnete damit, dass es sich um unterschiedliche
eigenständige Ordnungssysteme - Verwaltungs- und gerichtliches Strafrecht -
handelt, die nur in sich sachlich gerechtfertigt sein müssen. Die Strafbemessung sei
aus generalpräventiven Gründen erforderlich, wobei aber auch die
Strafbemessungskriterien des § 19 nicht ausgeschaltet werden und im übrigen zielen
diese ausschließlich auf Unternehmer ab.

Der VfGH sprach aus, dass es grundsätzlich zulässig sei, bei der Normierung der
Strafhöhe gem. § 19 Abs. 1 VStG den Strafzweck besonders zu berücksichtigen. Der
Schutz der Umwelt sei ein berechtigtes Anliegen, jedoch könne die erforderliche
Präventivwirkung auch ohne die derzeitigen Mindeststrafe durch Ausnutzen des
Strafrahmens erfolgen. Eine Beschränkung der Strafdrohung auf Unternehmen -
welche die Strafhöhe rechtfertigen könnte - gehe aus der Gesetzesbestimmung nicht
klar hervor. Eine Gesetzesbestimmung, die wegen ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit
nicht auf ihre Gleichheitskonformität überprüft werden könne, sei gleichheitswidrig.
Die angefochtene Norm lasse eine ausreichende Klarheit vermissen, insbesondere
was ihre angebliche Einschränkung auf gewerbsmäßig tätige Abfallsammler und
Abfallbehandler betreffe.

Die Mindestgeldstrafe sei daher jedenfalls überschiessend und insofern
sachlich nicht zu rechtfertigen und verstoße somit gegen das
Gleichheitsgebot.


Aus aktuellen Gründen sei darauf hingewiesen, dass durch den VfGH ausschließlich
die Mindestgeldstrafe im AWG auf Grund des Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot
aufgehoben wurde, nicht jedoch den Strafrahmen an sich, nämlich u.a. auch
Geldstrafen bis S 500.000,-- (€ 36.336,42) verhängen zu können. Mindestgeldstrafen
werden aus generalpräventiven Gründen in sensiblen Rechtsmaterien für notwendig
angesehen.

In der laufenden politischen Diskussion werden auch von Vertretern der
Bundesregierung immer wieder “Mindest(geld)strafen" gefordert (z.B.
Lebensmittelsicherheit). Auch im Rahmen der Europäischen
Strafrechtsharmonisierung werden ebenfalls immer wieder “Mindest(geld)strafen"
gefordert.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundeskanzler
nachstehende Anfrage:

1.  Ist Ihnen diese VfGH - Entscheidung bekannt?

2. Welche Maßnahmen haben Sie aufgrund dieser Entscheidung bislang seit März
2000 ergriffen?

3.  In welchen Ihrem Ressort zugeordneten Rechtsmaterien, die durch Ihr

Ministerium bzw. im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung zu vollziehen
sind, sind “Mindestgeldstrafen" vorgesehen (ersuche um Auflistung der
Rechtsmaterien und jeweiligen Angabe der Mindestgeldstrafen)? Welche davon
aufgrund Europäischer Vorgaben?

4. Wenn ja, halten Sie diese “Mindestgeldstrafen" für angemessen?

5. Welche Rechtssprechung liegt insgesamt zur Frage der Zulässigkeit von
Mindestgeldstrafen vor?

6.  Unter welchen Voraussetzungen (z.B. Beschränkungen der Strafordnungen auf
Unternehmen) ist die Festlegung einer “Mindestgeldstrafen" verfassungsrechtlich
zulässig?

7.  Welche Höchststrafen sind in den Ihrem Bundesministerium zugeordneten
Rechtsmaterien (die durch Ihr Ministerium bzw. im Rahmen der mittelbaren
Bundesverwaltung zu vollziehen sind) vorgesehen (ersuche um Auflistung der
Rechtsmaterien und der jeweiligen Angaben der Höchstgeldstrafen)?

8.  Halten Sie die Strafandrohungen (Strafrahmen) für angemessen?

9. Wenn nein, werden Sie diesbezügliche Änderungen vorschlagen?

10. Wenn ja, in welchen Rechtsmaterien?

11 .Welche Tendenz war in der Rechtssprechung des VwGH und des VfGH zu
Höchstgeldstrafen in den letzten Jahren festzustellen?


12. Bis zu welchen Betrag können Geldstrafen nach der vorliegenden
Rechtssprechung verhängt werden?

13. Ab welcher Höhe der Strafdrohung müsste nach der Rechtssprechung des VfGH
ein Strafverfahren der gerichtlichen Zuständigkeit zugewiesen werden?

14. In welchen Europäischen Rechtsakten wurden “Mindest(geld)strafen" festgelegt?
In welchen Rechtsmaterien ist mit derartigen in der nächsten Zeit zu rechnen?