3532/J XXI.GP
Eingelangt am: 28.02.2002
Dringliche Anfrage
gemäß § 93 Abs. 1 GOG NR
der Abgeordneten Dr. Andreas Khol, Mag.
Karl Schweitzer
und Kollegen
an den Bundeskanzler
betreffend Politik der Bundesregierung in
Fragen der zukünftigen Gestaltung der
Europäischen Union
Mit dem Vertrag von Nizza beschlossen die
Staats- und Regierungschefs der Europäischen
Union im Dezember 2000 jene institutionellen Reformen, mit denen die
Europäische Union
erweiterungsfähig gemacht wurde. Gleichzeitig beschlossen die Staats- und
Regierungschefs, dass eine breiter angelegte Diskussion über die Zukunft
der Europäischen
Union aufgenommen werden soll. Im Rahmen dieses Prozesses sollten u. a. die
Kompetenzabgrenzung zwischen Europäischer Union und den Mitgliedstaaten
nach dem
Subsidiaritätsprinzip,
der Status der Grundrechtscharta der Europäischen Union, eine
Vereinfachung der
Verträge und die Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur
Europas
behandelt werden.
In diesem Sinne beschloss der
Europäische Rat von Laeken die Einberufung eines Konvents
zur Zukunft Europas. Dieser nimmt am 28. Februar 2002 seine Arbeit zur
Erstellung von
Reformvorschlägen für die Europäische Union auf. Damit soll eine
möglichst umfassende
und transparente Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz
sichergestellt werden.
Der Europäische Rat von
Laeken gab dem Konvent ein umfassendes Mandat, wobei sich für
den Diskussionsprozess vier
große Themenblöcke abzeichnen: die Verdeutlichung und
Vereinfachung der Kompetenzstrukturen sowie eine Neuordnung der
Zuständigkeiten
zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, eine Reform der
Politikinstrumente der Union, eine Überprüfung des
Institutionengefüges und deren
Funktionsweise mit dem Ziel einer Erhöhung der demokratischen
Legitimität und der
Transparenz, eine Vereinfachung und Neuordnung der Verträge.
Auf der Grundlage der Vorschläge des
Konvents werden die Regierungen der EU-
Mitgliedstaaten eine Reform der Verträge der Europäischen Union
verhandeln bzw. einen
neuen europäischen Verfassungsvertrag abschließen, der nach
österreichischem Recht
einen Staatsvertrag nach Art. 50 B-VG darstellen wird.
Im Hinblick auf die
weitreichende Bedeutung dieses Staatsvertrages, der vom
österreichischen Parlament zu genehmigen und im Wege einer Änderung
des
österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes innerstaatlich umzusetzen sein
wird, ist es
wichtig, schon heute die Politik der Bundesregierung bezüglich dieses
Staatsvertrages zu
diskutieren. Zur Vorbereitung dieses
Staatsvertrages und dessen innerstaatliche Umsetzung
nach Art. 50 B-VG durch die Bundesregierung stellen die unterzeichneten
Abgeordneten an
den Bundeskanzler folgende
Dringliche Anfrage:
1. Welche Maßnahmen wird die österreichische Bundesregierung setzen, damit die
gleichberechtigte Mitwirkung der mittleren
und kleineren EU-Staaten im Reformprozess
der Europäischen Union garantiert bleibt?
2. Wie
steht die österreichische Bundesregierung in diesem Zusammenhang zum
jüngsten
Brief des britischen Premierminister Tony Blair und des deutschen Bundeskanzler
Schröder an den EU-Vorsitz?
3.
Sieht die Bundesregierung Entwicklungsmöglichkeiten, die die Stellung der
mittleren und
kleineren Staaten im Institutionengefüge der Europäischen Union
stärken und wie sieht
die österreichische Bundesregierung in diesem Zusammenhang die
zukünftige Rolle des
Rates?
4.
Welche Vorschläge wird die österreichische Bundesregierung zur Frage
der letzten
Instanz für Entscheidungen über die Verfassung bzw. die
Vertragsgrundlage der
Europäischen Union (“Kompetenz-Kompetenz") vorlegen?
5. Wie
wird die österreichische Bundesregierung in den Verhandlungen zur
Vorbereitung
der neuen Verträge sicherstellen, dass sich die Zukunftsdiskussion nicht
zu stark auf rein
institutionelle Fragen beschränkt, sondern vor allem jene Fragen
geklärt werden, die die
Bürger Europas unmittelbar betreffen?
6.
Wie kann eine Vereinfachung des überaus komplexen EU-Vertragswerkes einen
Beitrag
dazu leisten, dass die Europäische Union transparenter und
bürgernäher wird?
7. Wird die Bundesregierung für die Aufnahme der Charta der Grundrechte der
Europäischen Union in
die Gründungsverträge eintreten? Wie stehen Sie in diesem
Zusammenhang zur Möglichkeit eines Beitritts der Europäischen Union
bzw. der
Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Menschenrechtskonvention?
8. Wie könnte man Ihrer Ansicht nach erreichen, dass die Union in Zukunft auf
internationaler Ebene wirksamer auftritt
und dass es eines Tages zu einer effizienten
gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kommt?
9.
Halten Sie den Euratom-Vertrag in seiner heutigen Form für
zeitgemäß? Sollte er nicht
im Rahmen der Konsolidierung und Vereinfachung der Verträge in den
EG-Vertrag
übernommen und zugleich angepasst und ergänzt werden, etwa durch
Bestimmungen
zur nuklearen Sicherheit?
10. Welche
Pläne hat die österreichische Bundesregierung bezüglich einer
verstärkten
Einbeziehung der nationalen Parlamente in die künftige Union und
hinsichtlich des
Zusammenwirkens der
österreichischen Konventsmitglieder, der innerösterreichischen
Europarunde zur Zukunft der Europäischen Union, der österreichischen
Bundesregierung sowie von Nationalrat und Bundesrat im Diskussionsprozess zur
Zukunft der Europäischen Union?
In formeller Hinsicht wird beantragt,
diese Anfrage gem. § 93 Abs. 1 GOG NR als dringlich
zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur Begründung zu
geben.