3646/J XXI.GP
Eingelangt am: 20.03.2002
ANFRAGE
der Abgeordneten Dr Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Justiz
betreffend Reform des Lebensmittelgesetzes und seiner Vollziehung
Das Lebensmittelgesetz aus dem Jahr 1975, das in seinen
Grundzügen auf das LMG
1951 zurückgeht, entspricht nicht der heutigen Situation im
Lebensmittelhandel und
des heutigen Konsumentinnenverhaltens
(Handelsketten mit Filialleiterinnen, freier
Warenverkehr innerhalb der EU, verpackte Lebensmittel, hoher Verarbeitungsgrad
der Lebensmittel,...). Außerdem bestehen diverse Vollzugsdefizite. Darauf
wiesen
Experten in der Enquete-Kommission “Die
Reaktion auf strafbares Verhalten ..." im
vergangenen Sommer hin und entwickelten diverse Reformvorschläge. Unter
anderem wurde bemerkt, dass einzelne StaatsanwältInnen, Richterinnen und
vor
allem die Mitarbeiterinnen der umweltkriminalpolizeilichen Abteilungen
hervorragende Arbeit bei der Verfolgung von Verstößen gegen das
Lebensmittelrecht
leisten. Insgesamt betrachtet bestehe jedoch kein einheitliches
Informationsniveau
bei ermittelnden Behörden und Gerichten, sodass Experten bei der Enquete-
Kommission von mangelnder Effizienz und häufiger Einstellung von Verfahren
sprachen. Dies führe nicht nur zu Risiken für Leib und Leben, sondern
auch zu
Marktverzerrungen zu Ungunsten der
rechtstreuen Unternehmerinnen. Außerdem
hafte den Ergebnissen der Strafverfahren auf
Grund der unterschiedlicher Niveaus
der Ermittlungsbehörden und Gerichte eine gewisse Willkür an.
Im Lebensmittelbereich sind im Zusammenhang mit
Verstößen gegen
Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes oder seiner Verordnungen einerseits
verwaltungsrechtliche Sanktionen (zB. falsche
Kennzeichnung, wertgeminderte
Waren) vorgesehen, für bestimmte Verstöße sind jedoch
strafrechtliche Sanktionen
vorgesehen. Zweiteres betrifft vor allem das Inverkehrbringen von
gesundheitsschädlichen Produkten aber auch insbesonders von verdorbenen,
verfälschten oder nachgemachten Produkten.
Im Bereich der Verwaltungsstrafen werden folgende Problemzonen geortet:
1.
Viele Verfahren werden vielfach aus formalen Gründen oder fast mutwillig
vom
Unabhängigen Verwaltungssenat eingestellt.
(Ein Beispiel: ein Verfahren wegen nicht
gekennzeichneter Äpfel, die ein
Lebensmittelhändler verkauft hat, wurde in der Berufung vom
Unabhängigen
Verwaltungssenat eingestellt, weil in der
Tatbeschreibung der strafenden
Behörde die beanstandete Ware als "Äpfel" beschrieben war,
anstelle der
näheren Beschreibung "Äpfel der
Obstart Malus sylvestris Mill.")
Ein anderes aktuelles Beispiel: Obwohl die
Lebensmittelkennzeichnungsverordnung neben der Angabe des
Mindesthaltbarkeitsdatums bei bereits abgelaufener Ware auch einen
ausdrücklichen Hinweis auf den Umstand des überschrittenen
Haltbarkeitsdatums zwingend vorsieht, entscheidet der Unabhängige
Verwaltungssenat, dass dieser zwingende Hinweis bereits durch die (ohnehin
vorhandene) Angabe des Haltbarkeitsdatums gegeben sei. Obwohl dies der
geltenden Rechtslage widerspricht, ist eine Berufung gegen dieses Urteil
mangels Parteistellung der Behörde nicht möglich.
Durch eine derartige Entscheidungspraxis wird
dazu beigetragen, dass
insbesonders im Bereich der Kennzeichnung die
Moral zur Einhaltung von
Kennzeichnungsvorschriften entsprechend
unbefriedigend ist.
2.
Verwaltungsstrafen fallen niedrig aus und sind damit keinerlei Anreiz für
Unternehmungen die strafbewehrten Handlungen zu unterlassen. Der
Gesamtbetrag an verhängten Strafen betrug
im Jahr 1997 etwa 1,5 Millionen
Schilling. Pro eingeleitetem
Verwaltungsverfahren ergibt dies einen
Durchschnittsbetrag von rund öS 1.000,-
(unbedingte Geldstrafen, die vom Gericht
verhängt wurden, lagen 1997 sogar
bei öS 126,-je verfolgtem Fall).
3.
Ein wesentliches Problem stellt die Überantwortung der
lebensmittelrechtlichen
Verantwortlichkeiten auf die Arbeitnehmer, im Regelfall den Filialleiter, dar.
Damit werden vielfach Arbeitnehmer mit Strafsanktionen konfrontiert, die
aufgrund der internen betrieblichen Strukturen nicht die notwendigen
Entscheidungsbefugnisse besitzen und die notwendigen
Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis haben.
Durch die Möglichkeit der Nennung eines
verantwortlichen Beauftragten je
Filialbetrieb von großen Handelsketten, ist auch bei Rechtsverletzungen,
die in
vielen Filialbetrieben (oft durch indirekte innerbetriebliche Anweisung bzw.
sehr
schwer nachweisbare Weisungen durch die Konzernleitung oder
Geschäftsführung) gleichzeitig auftreten, zumeist immer der jeweilige
Filialleiter
verantwortlich. Damit werden die Fälle als Einzelfälle behandelt und
kumulierte,
höhere und damit effektivere
Strafbeträge, wie sie im Fall von
Tatwiederholungen anwendbar wären,
unterbleiben.
Bei den Gerichtsstrafen stellt sich die Lage folgendermaßen dar:
1. Im Bereich der gerichtlichen Strafen ist die Sanktionsmöglichkeit an das
subjektiven Verschulden eines Täters
geknüpft. Hat der ermittelte Täter die Tat
subjektiv nicht verschuldet, wird freigesprochen. Die Suche nach anderen
möglichen Tätern beginnt. (Beispiel: Auch bei eindeutig
nachgewiesener
Belastung eines Frischhuhnes mit Salmonellen, durch die dieses Produkt als
gesundheitsschädlich zu beurteilen ist,
kann der angezeigte Verkäufer des
Produktes freigesprochen werden, da er (im Regelfall) subjektiv an dem
Vorhandensein von Salmonellen nicht schuld ist. Dies führt dazu, dass
trotz
möglicher Gesundheitsschädigung durch ein derartiges Produkt niemand
gestraft werden wird.)
2.
Auf der Suche nach weiteren möglichen Verantwortlichen eines Deliktes (zB
derjenige der die Salmonellenbelastung zu verantworten hat) tritt
Verfolgungsverjährung ein. (Verfolgungsverjährung beträgt ein
Jahr bei Taten
die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedroht sind.)
3.
Der Strafrahmen könnte zunehmend (von Richtern) als zu drakonisch im
Vergleich zu anderen Straftaten außerhalb des Lebensmittelbereiches
angesehen werden und dies könnte Einfluß auf die Spruchpraxis
gewinnen.
In der Enquete-Kommission wurde außerdem
angeregt, dass
Verwaltungsstrafdrohungen im Futtermittelgesetz verankert werden sollten
(Protokoll
vom 20.6. S. 5)
Insgesamt ging die Enquete-Kommission davon
aus, dass in erster Linie die
Optimierung der Kontrollmöglichkeiten erforderlich sei, da die Präventionswirkung
in
der liege (vgl. Anhang).
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1.
Auf welche Weise gedenken Sie die Kontrollinstanzen im Lebensmittelbereich
zu verbessern, da von der Entdeckungs- und Verfolgungswahrscheinlichkeit die
größte Präventionswirkung ausgeht?
2.
Wie viele Anzeigen und Verwaltungsstrafen gab es 1999, 2000 und 2001
(bundesländerspezifisch)?
3. Wie viele Anzeigen wurden nicht verfolgt? Aus welchen Gründen?
4. Wie viele Verurteilungen nach dem LMG gab es 1999, 2000 und 2001
(bundesländerspezifisch)? Wie viele
Geldstrafen und wie viele Freiheitsstrafen
(bedingt und unbedingt) wurden verhängt?
5.
Wie viele Verfahren stellte der Unabhängige Verwaltungssenat ein
(bundesländerspezifisch)? Mit welchen Begründungen?
6.
Welche Maßnahmen werden Sie veranlassen, damit das Informationsniveau bei
ermittelnden Behörden und Gerichten verbessert wird?
7. Welche
Schritte in Richtung Effizienz werden Sie setzen, damit die häufige
Einstellung von Verfahren in Zukunft unterbleibt und die unterschiedlichen
Ergebnisse von Strafverfahren nicht mehr den Eindruck von Willkür
erwecken?
8. In welcher Form gedenken Sie die
Vorschläge zur Gesetzesänderung von Dr.
Unterweger, die im Anhang zum Protokoll der Enquete-Kommission vorgelegt
wurden, zu berücksichtigen?
9.
In welcher Form werden Sie die oft als
mutwillig erachteten Entscheidungen
des Unabhängigen Verwaltungssenats einer Korrektur unterziehen, um z.
B. die
Moral zur Einhaltung von Kennzeichnungsvorschriften zu verbessern?
10.
In welcher Form werden Sie dafür
sorgen, dass die Verwaltungsstrafen erhöht
und Mindeststrafen eingeführt werden?
11. Wie beurteilen Sie die Schaffung einer Oberverantwortlichkeit bei
Handelsketten, damit in Filialen von Ketten nicht
angestellte MitarbeiterInnen
ungerechtfertigt zu Verwaltungsstrafen verurteilt werden?
12. Welche
Verbesserungen streben Sie im Bereich der Gerichtsstrafen an, sodass
die oben angeführte Sachlage adäquat behandelt wird?
13. Wie
beurteilen Sie den Vorschlag, dass die Aufsichtsorgane (§ 35 LMG) vor Ort
mit Zustimmung des Geschäftsführers/Inhabers oder Anordnungsbefugten
Organmandate verhängen dürfen(Vorschlag Dr. Jungnikl)?
14. Wie
beurteilen Sie den Vorschlag, die im § 25a LMG vorgesehene Warnpflicht
den Lebensmitteluntersuchungsanstalten oder auch
Konsumentinnenorganisationen zuzuweisen?
15. Wie
hoch ist der Anteil von Gutachten privater Untersuchungsanstalten oder
Sachverständiger bei Strafverfahren im Vergleich zu Gutachten staatlicher
Anstalten?
16. Wie ist
jeweils der Verlauf der Strafverfahren bei Heranziehung privater
Sachverständiger im Vergleich zum Verlauf von Strafverfahren bei
Heranziehung von staatlichen Sachverständigen im Hinblick auf Umfang der
verhängten Strafen oder Freisprüche?
17. Wie beurteilen Sie den Vorschlag, auch das Bereithalten (kurz.
Inverkehrbringen nach § 1 Abs 2 LMG 75
verbotener Antibiotika strafbar zu
machen (Vorschlag Dr. Brustbauer)?
18.
Werden Sie dafür eintreten, dass Lebensmittelaufsichtsorgane in
Tierställen
auch Probenziehungen, Beschlagnahmungen und Urkundeneinsicht
vornehmen können?