3712/J XXI.GP
Eingelangt am: 03.04.2002
ANFRAGE
der
Abgeordneten Mag. Johann Maier
und
GenossInnen
an
den Bundesminister für Justiz
betreffend “Haftentschädigung II"
In der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte vom 10.07.2001
über die Beschwerde Nr. 28.923/95 im Fall Lamanna gegen Österreich
wurde die
Unzulässigkeit jeglicher Schuldvermutung nach einem rechtskräftigen
Freispruch im Urteil
bekräftigt.
Entscheidend war in diesem Verfahren, dass
sowohl das Landesgericht Salzburg als auch
das OLG Linz im Entschädigungsverfahren nach dem rechtskräftigen Freispruch
des
Beschwerdeführers Feststellungen getroffen haben, in denen die Ansicht
geäußert wurde, es
bestehe ein andauernder Verdacht gegen den Beschwerdeführer, dass sie auf
diese Weise
seine Unschuld angezweifelt haben. Demgemäss hat eine Verletzung des
Artikels 6 Abs. 2
MRK stattgefunden.
Anders wiederum die
Entscheidung E 11.10.2001, 15 Os 136/01: Im Falle einer Einstellung
gilt der Verdacht (weiterhin) erst dann als entkräftet, wenn die
ursprünglichen
Verdachtsgründe, die zur Einleitung der Voruntersuchung geführt
haben, durch deren
Ergebnisse aufgehört haben, Argumente für die Schuld des
Verdächtigen zu bilden. Für den
Nachweis der Unschuld im Sinn des § 2 Abs. 1 It. lit.bSTEG dürfen
aber keine strengeren
Regeln gelten als für den für den Schuldspruch erforderlichen
Schuldnachweis; wie für
diesen muss auch für die Verdachtsentkräftung ein (bloßer)
Indizienbeweis (§ 258 Abs. 2
StPO) ausreichen.
In der Anfragebeantwortung vom 13.09.2001
(2755/AB) haben Sie mitgeteilt, dass von den
Beamten Ihres Ressorts ein entsprechender Ministerialentwurf vorbereitet wird,
wobei im
Sinne der Judikatur des EGMR, wonach es sich bei der Entschädigung wegen
erlittener Haft
um ein “ziviles Recht" im Sinne des Art. 6 EMRK handle,
überlegt wird, auf das
strafgerichtliche Feststellungsverfahren gänzlich zu verzichten und die
Haftung des Bundes
auch auf den Ersatz immaterieller Schäden zu erstrecken.
Dessen ungeachtete haben nach
Presseberichten in jüngster Zeit das Landesgericht und
das Oberlandesgericht
Innsbruck sowie nun auch das OLG Linz “MRK - Konform"
entschieden. Das heißt, dass Haftentschädigungen bei einem
Freispruch - auch bei
Bestehen einer Verdachtslage
- zugesprochen wurden.
Die unterzeichneten Abgeordneten
richten daher an den Bundesminister für Justiz
nachstehende Anfrage:
1.
Wie viele Personen (Aufschlüsselung in Männer, Frauen und
Minderjährige )
wurden im Jahr 2001 in Untersuchungshaft genommen?
2.
Wie teilt sich diese Anzahl - differenziert wie oben - auf die einzelnen
Gerichtshöfe auf?
3.
Wie hoch war dabei der Anteil der Inländer, der EU - Ausländer sowie
Personen
aus Drittstaaten (Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen)?
4. Wie viele Personen wurden im Jahr 2001 nach gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft in der
Folge außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt
(Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen)?
5. Wie viele
Personen, die nach gesetzmäßig angeordneter Untersuchungshaft in
der Folge außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren eingestellt wurde,
davon
stellten jeweils im Jahr 2001 einen Antrag auf Haftentschädigung?
5.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
5.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
6. Wie viele
Anträge wurden positiv für Personen, die nach gesetzmäßig
angeordneter
Untersuchungshaft in der Folge außer Verfolgung gesetzt und das Verfahren
eingestellt
wurde, erledigt?
6.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
6.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
6.3. Wie hoch waren jeweils die Haftentschädigungen in Summe?
7. Wie hoch wären Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung nach jährlich die
Haftentschädigungen, wenn ein Anspruch -
im Vergleich zu der geltenden Rechtslage -
auch bei jeder Verfahrenseinstellung - ohne Differenzierung - gewährt
würde?
8. Wie viele
Personen wurden im Jahr 2001 nach gesetzmäßig angeordneter
Untersuchungshaft freigesprochen?
8.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
8.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
8.3. Aufschlüsselung nach "glatten Freisprüchen und "in dubio - Freisprüchen"
9. Wie viele Personen, die nach gesetzmäßig angeordneter Untersuchungshaft
freigesprochen wurden, davon stellten im Jahr 2001 einen Antrag auf Haftentschädigung?
9.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
9.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
10. Wie viele Anträge
wurden positiv für die Freigesprochenen erledigt?
10.1 Aufschlüsselung
nach Gerichtshöfen
10.1. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
10.2. Wie hoch waren jeweils die Haftentschädigungen in Summe?
11. Wie hoch wären
Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung nach jährlich die
Haftentschädigungen, wenn ein Anspruch - im Vergleich zu der geltenden
Rechtslage - auch bei jedem Freispruch - ohne Differenzierung - gewährt
würde?
12. Wie viele strafrechtlich
verurteilte Personen wurden im Jahr 2001 bei Strafhaft in einem
Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen? Bei wie vielen davon erfolgte die
Verurteilung
durch ein Geschworenengericht?
12.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
12.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
13. Wie viele Personen die in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen
wurden bzw. deren Verfahren eingestellt wurde
etc (i.S. § 2 Abs. 1 lit c StEG), stellten im
Jahr 2001 einen Antrag auf Haftentschädigung?
13.1. Aufschlüsselung nach Gerichtshöfen
13.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
13.3. Wie hoch waren die jeweils die Haftentschädigung in Summe?
14. Wie hoch wären
Ihrer Einschätzung bzw. Berechnung wenn ein Anspruch bei
jeder Verfahrenseinstellung gewährt würde?
15. Wie viele strafrechtlich
verurteilte Personen wurden im Jahr 2001 - ohne Strafhaft - in
einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen?
15.1. Aufschlüsselung nach
Gerichtshöfen
15.2. Aufschlüsselung nach Inländer, EU - Bürger und Bürger aus Drittstaaten
16. Wie viele Verfahren - gestützt auf das Amtshaftungsgesetz, das strafrechtliche
Entschädigungsgesetz und die
europäische Menschenrechtskonvention - werden derzeit
in dieser Frage gegen die Republik Österreich geführt?
17. Wie viele Verfahren in
Österreich sind derzeit beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte wegen diesbezüglicher Verstöße gegen die EMRK
anhängig?
18. Halten Sie die in der
Einleitung zur Anfragebeantwortung (2755/AB, XXI.GP) getroffenen
Feststellungen in Anbetracht der jüngsten Erkenntnisse des EGMR gegen
Österreichs
weiterhin aufrecht?
Wenn ja, mit welcher Begründung?
19. Wann ist - wie in der
Anfragebeantwortung (2755/AB, XXI.GP) angekündigt- mit einem
entsprechenden Ministerialentwurf zu rechnen und wann soll dieser zum Beschluss
vorliegen?
20. In wie vielen
Entscheidungen wurden 2000, 2001 und 2002 “MRK - Konform"
rechtkräftig
entschieden (Aufschlüsselung auf die einzelnen Jahre)?
21. Wie beurteilen Sie als ressortverantwortlicher Bundesminister diese Entwicklung?
22. Welchen Einfluss wird diese Rechtssprechung auf die zukünftige Rechtslage nehmen?