3715/J XXI.GP
Eingelangt am: 04.04.2002
ANFRAGE
der Abgeordneten Mag.
Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen
betreffend versorgungsrechtlicher Status
der österreichischen Opfer der NS-
Militärjustiz
Mit Ihrer Anfragebeantwortung 3243/AB XXI. GP, ich zitiere:
"Zeiten einer wegen Desertion verhängten
Haft in Gefängnissen, Wehrmachtsstraf-
oder
Konzentrationslagern können grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in
der öster-
reichischen Pensionsversicherung angerechnet werden. Voraussetzung für die
An-
rechnung einer Ersatzzeit
gemäß § 228 Abs. 1 Z 4 ASVG ist, dass die Freiheitsbe-
schränkung nicht
auf Grund einer Tat erfolgt, die nach österreichischen Gesetzen im
Zeitpunkt der Begehung
strafbar war oder strafbar gewesen wäre. Unter der Annah-
me der Weitergeltung der am 12. März 1938
in Geltung gestandenen Rechtsvor-
schriften wäre Desertion strafbar
gewesen."
haben Sie absichtlich oder unabsichtlich einigen politischen Staub aufgewirbelt!
Vom israelischen Radio (Auslandsjournal, vom Montag, 25.
März 02, um 15:35
Israelische Zeit), über
mehrere Zeitungsberichte (Kurier, Standard, Kärntner
Tageszeitung...) bis hin zu
einem ausführlichen Beitrag in der Zeit im Bild 2 des ORF,
war Ihre skandalöse
Anfragebeantwortung Thema der Berichterstattung.
Um es noch einmal klar zu machen, um wen handelte es sich
bei dieser NS-
Militärjustiz:
Mehr als dreitausend Militärjuristen verhängten über 30.000 Todesurteile gegen
Soldaten und Gefolge der großdeutschen Wehrmacht. Davon sind mehr als 20.000
Todesurteile auch vollstreckt worden.
Worin liegt der Unterschied zwischen der Strafzumessungspraxis im Ersten und im
Zweiten Weltkrieg, wie erklären sich 48 gegenüber mehr als 20.000 vollstreckten
Todesurteilen? Er liegt nicht in einem anderen Verhalten der Soldaten, er ist zu
finden im Denken der Juristen und Militärs. Sie haben Handlungen wie Desertion,
Äußerung von Zweifeln am Endsieg, Kritik an der Führung, aber auch
Kameradendiebstahl in ihrem Reinigungseifer zu todeswürdigen Verbrechen
gemacht.
Eines darf als gesichert gelten: mehr als 70 % der Todesurteile entfielen auf
Fahnenflucht und Wehrkraftzersetzung, Delikte mit überwiegend politischem
Einschlag. Hier übten die Gerichte politische Justiz, und waren damit der verlängerte
Arm des NS-Regimes.
Es stellt sich die Frage inwieweit die Aussage: "Was damals Recht war, kann heute
nicht Unrecht sein..." im demokratischen
Österreich für Deserteure der deutschen
Wehrmacht versorgungsrechtlich nach wie vor Gültigkeit hat?"'
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Ist es angesichts
der in der österreichischen Verfassungslehre herrschenden
(wie auch vom Bundesminister für Justiz in der Anfragebeantwortung 5377/AB
XX. GP
festgestellt wurde) Okkupationstheorie, wonach Österreicher in der
deutschen Wehrmacht in einer fremden Armee dienten, gerechtfertigt, Zeiten
der Haft aufgrund von Verurteilungen durch die Wehrmachtsjustiz nicht als
pensionsbegründende Ersatzzeiten anzuerkennen?
2. Werden damit nicht genau
jene Menschen doppelt bestraft, die zuerst durch
ihre Verweigerung dazu beigetragen haben, dass das nationalsozialistische
Regime geschwächt und ein freies und
unabhängiges Österreich erst wieder
möglich wurde?
3. Wie begründen Sie, dass eine erfolgreiche Desertion die
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, jedoch
ein Deserteur, von der - wie vom
Bundesminister für Justiz in der Anfragebeantwortung 5377/AB XX. GP
festgestellt wurde - nicht rechtstaatlichen Grundsätzen (!) entsprechenden
Militärjustiz abgeurteilt wurde, keinerlei Anspruch auf Anrechnung von
pensionsbegründenden Ersatzzeiten hat?
4. Ist durch Ihre
Argumentation nicht eine Gleichsetzung der Qualität von NS-
Unrechtsurteilen mit solchen eines demokratischen Rechtsstaates erfolgt?
Gibt es aus versorgungsrechtlicher Hinsicht einen Unterschied zwischen einer
Desertion im Nationalsozialismus und im Österreich vor der Okkupation
durch
Nazi-Deutschland?
5. Sehen Sie - falls
laut ASVG keine Möglichkeit einer Pensionsanrechnung für
verurteilte Deserteure möglich ist - einen gesetzgeberischen
Handlungsbedarf?
6. Ist Fahnenflucht von Österreichern aus der deutschen Wehrmacht
versorgungsrechtlich nicht auf jeden Fall als
aktiver Widerstand gegen den
Nationalsozialismus zu werten?
7. Ist es versorgungsrechtlich möglich, dass Österreichern, die aktiv an
Kriegsverbrechen beteiligt waren, der
Kriegsdienst als pensionsbegründende
Ersatzzeit angerechnet wird?
8. Ist es richtig,
dass die Republik Österreich einem Angehörigen der Waffen SS
- oder seinen Hinterbliebenen - die Zeiten des Kriegsdienstes als
Ersatzzeiten anrechnet, einem österreichischen Deserteur aus der Deutschen
Wehrmacht, der von den Nationalsozialisten verurteilt und verfolgt wurde,
jedoch keinen pensionsbegründenden Anspruch zuerkannt?
9. Werden Österreichern, die aufgrund von
wehrkraftzersetzenden Äußerungen
nach § 5 Kriegssonderstrafrechtverordnung verurteilt wurden, Zeiten der
Haft
als pensionsbegründende Ersatzzeiten anerkannt?
10. Werden Österreichern, die aufgrund des Tatbestandes der
"Wehrkraftzersetzung" nach § 5
Kriegssonderstrafrechtverordnung verurteilt
wurden, Zeiten der Haft als pensionsbegründende Ersatzzeiten anerkannt?
11..Werden
Wehrdienstverweigerern - oder ihren Angehörigen - die aufgrund
ihres Glaubens als Zeugen Jehovas verurteilt
werden Zeiten der Haft als
pensionsbegründende Ersatzzeiten anerkannt?
12. Sind Personen, die den
Dienst in der Wehrmacht verweigerten und deswegen
während der NS-Herrschaft verfolgt bzw. verurteilt wurden und
Schädigungen
gemäß OFG erlitten, als Opfer aufgrund ihres rückhaltlosen
Einsatzes für ein
freies, demokratisches Österreich in Wort oder Tat im Sinne des § 1
Abs. 1
OFG anzusehen und wenn nein, warum nicht?
13. Sind Personen, die wegen
anderen militärischen Delikten der Verweigerung
und Entziehung und deswegen während der NS-Herrschaft verfolgt bzw.
verurteilt wurden und Schädigungen gemäß OFG erlitten, als
Opfer aufgrund
ihres rückhaltlosen Einsatzes für ein freies, demokratisches
Österreich in Wort
oder Tat im Sinne des § 1 Abs. 1 OFG anzusehen und wenn nein, warum
nicht?
14. Sind Personen, die
aufgrund von sogenannten wehrkraftzersetzenden
Äußerungen während der NS-Herrschaft verfolgt bzw. verurteilt
wurden und
Schädigungen gemäß OFG erlitten, als Opfer aufgrund ihres
rückhaltlosen
Einsatzes für ein freies, demokratisches Österreich in Wort oder Tat
im Sinne
des § 1 Abs. 1 OFG anzusehen und wenn nein, warum nicht
15. Sind Personen, die wegen
Hilfeleistung zugunsten von Personen, die sich
dem Dienst in der Deutschen Wehrmacht verweigerten bzw. entzogen und
deswegen während der NS-Herrschaft verfolgt bzw. verurteilt wurden und
Schädigungen gemäß OFG erlitten, als Opfer aufgrund ihres
rückhaltlosen
Einsatzes für ein freies, demokratisches Österreich in Wort oder Tat
im Sinne
des § 1 Abs. 1 OFG anzusehen und wenn nein, warum nicht?
16. Unter welchen
Bedingungen können die Delikte der Fahnenflucht und
Wehrkraftzersetzung als rückhaltloser Einsatz im Sinne des § 1 (1)
OFG
gewertet werden?
17. In der
Anfragebeantwortung 3243/AB XXI. GP wurde lediglich auf die Opfer
des Kampfes im Sinne des § 1 Abs. 1 OFG Bezug genommen. Wie verhält
es
sich mit der Anerkennung der
Opfer der NS-Militärjustiz als Opfer politischer
Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 2 OFG?
18.
Schließen Sie sich der veröffentlichten Meinung (ORF Zeit im Bild
2,vom
26.3.2002 ) Ihres
Mitarbeiters an, in dem dieser sinngemäß behauptete, dass
es sich bei der Anerkennung
von Pensionsersatzzeiten von Deserteuren um
eine unzulässige nachträgliche moralische Bewertung von Desertion im
Dritten Reich handelt?