3796/J XXI.GP
Eingelangt am: 18.04.2002
ANFRAGE
der Abgeordneten S i l h a v y
und GenossInnen
an den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit
betreffend Rückzug des Staates aus Wirtschaft und Gesellschaft durch Deregulierung
von Dienstleistungen
Anläßlich
der Beratungen des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses in
Angelegenheiten der Europäischen Union am
25.10.2001 haben Sie Folgendes ausgeführt:
Österreich
habe sich gut auf diese WTO-Ministerkonferenz vorbereitet. An der
grundsätzlichen Position Österreichs und der Europäischen Union
habe sich
gegenüber der Ausgangslage von Herbst 1999 nahezu nichts Substanzielles
geändert, abgesehen davon, dass die
Europäische Union nunmehr auch einen multi-
institutionellen Dialog in Sachen Sozialstandards akzeptiere und dieses
Thema nicht
mehr auf ein gemeinsames Forum von WTO und Internationaler Arbeitsorganisation,
ILO, beschränkt sehen wolle. Diese
Änderung sei nicht ganz freiwillig zustande
gekommen, sondern vor allem dadurch bewirkt worden, dass sich das Thema
Sozialstandards zunehmend als harter Kern der
Bedenken auf Seiten von Indien,
Malaysia und einigen anderen "Hardlinern" der Dritten Welt gegen den
Start einer
neuen Welthandelsrunde erwiesen hat.
In
diesem Zusammenhang ist auch die im Jahr 1999 erfolgte Stellungnahme bzw. die
Schlussfolgerungen des Ausschusses für
Beschäftigung und soziale Angelegenheiten der
EU von besonderem Interesse1:
Der
Ausschuß für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten ersucht
den federführenden
Ausschuß für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie,
folgende Änderungsanträge
in seinen Bericht zu
übernehmen:
1. betont, wie außerordentlich wichtig
für offene Volkswirtschaften, wie es die europäischen
Volkswirtschaften sind, eine Expansion des
internationalen Handels ist, und weist
demnach mit Nachdruck darauf hin, daß
die Europäische Union an einer Steigerung der
internationalen Handelsströme und dem
Abbau der Handelshemmnisse direkt und
indirekt interessiert
ist;
2. erwartet eine Erhöhung des Wohlstandes in den
Entwicklungsländern durch den
nächsten Liberalisierungsschritt zur Aufhebung der Importbeschränkungen
sowie durch
die Einführung strengerer multilateraler
Regeln;
1 26. Oktober 1999, STELLUNGNAHME (Artikel
147 der Geschäftsordnung) für den Ausschuß für Industrie,
Außenhandel, Forschung und Energie zu der Mitteilung der Kommission an
den Rat und das Europäische
Parlament - Das Konzept der EU für die WTO-Jahrtausendrunde (COM (1999)
331) (Bericht: Konrad Schwaiger)
3. erwartet, daß künftige Schritte hin zu einer
weiteren allmählichen Liberalisierung im
Rahmen der WTO keine negativen Auswirkungen auf nationale und europäische
Schutzbestimmungen haben;
4. fordert die EU und die WTO auf, vor der Aufnahme neuer
Verhandlungen über die
Liberalisierung die Auswirkungen der
derzeitigen unter dem Dach der WTO
durchgeführten Handelsliberalisierung auf
die Stabilität der Arbeitsplätze, die
Gleichbehandlung von Männern und Frauen
und die ungleiche Verteilung des
Einkommens zwischen Arm und Reich in allen
WTO-Mitgliedstaaten eingehend zu
untersuchen;
5. fordert Maßnahmen, um zu vermeiden, daß
die zentralen Instrumente zum Schutz des
Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt sowie
soziale Vorschriften nicht über die
verschiedenen Abkommen und Bestimmungen des
WTO-Vertrages geschwächt oder
eliminiert werden;
6. geht davon aus, daß der nächste Schritt hin
zu einer weiteren allmählichen
Liberalisierung unter Berücksichtigung
der sozialen Ausgewogenheit erfolgen muß und
daß die Deregulierung, die de facto eine Folge des Übereinkommens
ist, inakzeptabel
ist, wenn den sozialen Erwägungen nicht
Rechnung getragen wird;
7. glaubt, daß für das Erreichen einer sozialen
Ausgewogenheit die von der ILO
erarbeiteten Kernarbeitsnormen und Grundrechte
der Arbeitnehmer in die verschiedenen
WTO-Übereinkommen zu integrieren sind; um
dieses Ziel zu erreichen, sollte die
Zusammenarbeit zwischen WTO und ILO konsolidiert und intensiviert werden,
insbesondere beispielsweise durch die
Schaffung eines ständigen Forums;
8 . erwartet, daß die WTO zur Entwicklung und
Einhaltung von weltweiten
Verhaltenskodices über Arbeitsnormen
beiträgt; erwartet darüber hinaus, daß die
Einführung von Soziallabels für
Erzeugnisse auf freiwilliger Grundlage dazu beitragen
würde, daß die Grundrechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben, wobei
die Verbraucher
durch diese Labels wesentliche Informationen
erhalten würden;
9. ist der Auffassung, daß die WTO dazu
beitragen sollte, die Weiterentwicklung und
Einhaltung der ILO-Erklärung aus dem
Jahre 1998 über die fundamentalen
Arbeitsgrundsätze und die Grundrechte der Arbeitnehmer sicherzustellen,
worin
festgelegt ist, daß alle
Mitgliedstaaten, auch wenn sie die betreffenden Konventionen
nicht ratifiziert haben, aufgrund ihrer ILO-Mitgliedschaft verpflichtet sind,
die in den ILO-
Konventionen verankerten Grundrechte (Vereinigungsfreiheit, tatsächliche
Anerkennung
des Rechts auf Kollektivverhandlungen,
Abschaffung jeglicher Form der Zwangsarbeit,
tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit, Verbot der Diskriminierung in
bezug auf
Beschäftigung und Beruf) zu fördern
und umzusetzen;
10. fordert die Aufnahme von Verarbeitungs- und
Produktionsmethoden in die WTO-Regeln,
sodaß eine Kennzeichnung von umweltschonenden und gesundheitlich
verantwortbaren
sowie wissenschaftlich fundierten (z.B. durch die Verwendung international
anerkannter
Normen) Verarbeitungs- und Produktionsmethoden ermöglicht wird; fordert
deshalb die
Einbeziehung des Vorsorgeprinzips in alle
sektorbezogenen WTO-Übereinkommen;
1 1 .fordert Maßnahmen, um zu verhindern, daß
Sektoren, die einen besonderen
gesellschaftspolitischen Auftrag haben, so
beispielsweise der Gesundheits- und der
Bildungssektor, zu handelbaren
öffentlichen Diensten erklärt werden können; fordert die
EU auf, dafür Sorge zu tragen, daß Bildung, Gesundheit und Kultur
nicht im Rahmen der
Revision des GATT-Übereinkommens
behandelt, sondern ausdrücklich ausgeklammert
werden, da sie nicht als handelbare
Güter- oder Dienstleistungen gelten sollten;
12.sieht es als notwendig an, daß beim
Streitbeilegungsverfahren mehr Transparenz,
Verantwortlichkeit und demokratische Einbeziehung aller betroffenen Vertreter
mit
Parteistellung
unter Einbeziehung der Sozialpartner und
der Zivilgesellschaft
anzustreben ist;
13.erwartet, daß ein Kontrollmechanismus der Europäischen
Kommission durch das
Europäische Parlament und durch die
Mitgliedstaaten garantiert ist;
14.schlägt vor, daß die dreigliedrige
Grundsatzerklärung der IAO über multinationale
Unternehmen und Sozialpolitik und die
OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen
sowie die "Principles of Corporate Governance" in den Entwurf einer
WTO-Vereinbarung
über Investitionen einfließen sollen (Die "Principles of
Corporate Governance" (SG/CG
99) wurden von der OECD-Ministerkonferenz im
Mai 1999 verabschiedet. Sie
verpflichten die Geschäftsführung,
nicht nur auf die Interessen der Aktionäre, sondern
gleichrangig auch auf jene der Arbeitnehmer
sowie auf das öffentliche Interesse
Rücksicht zu
nehmen);
15. fordert, daß Investitionsanreize für
multinationale Unternehmen keine Verletzungen von
Kernarbeitsnormen oder eine nachlässige Durchführung des
Umweltschutzes enthalten;
16. erwartet, daß die Staaten ihre einzelstaatlichen
Bestimmungen über Investitionen nach
Maßgabe der WTO und ILO-Grundsätze
anpassen, allerdings ohne daß diese
einzelstaatlichen Bestimmungen geschwächt
werden;
17.fordert, daß die Legitimität der
wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Faktoren,
ebenso wie die Chancengleichheit, anerkannt
werden müssen, die in einem wesentlichen
Umfang die Auftragspolitik der
öffentlichen Hand beeinflussen;
18.fordert die Absicherung nationaler und EU-Regelungen,
insbesondere im Bereich des
Arbeitsrechts und des
Konsumentenschutzes;
19.erwartet, daß die Frage der Besteuerung des
elektronischen Handels im Rahmen des
künftigen Arbeitsprogramms der WTO
behandelt wird;
20. hält es für absolut wesentlich, daß
kein Sektor zugunsten eines anderen geopfert wird,
um unerwünschten Entwicklungen auf den
Arbeitsmärkten vorzubeugen;
21. geht davon aus, daß der vertraglich verankerte Deregulierungsauftrag die erworbenen
Sozialrechte nicht
konterkariert;
22.ist der Auffassung, daß
internationale Umweltvorschriften nicht durch die WTO-Praxis
untergraben werden sollten;
23. empfiehlt für das notwendige Umsetzen von Sozial-
und Umweltklauseln die Einführung
von positiven Anreizsystemen wie APS-Präferenzen und Finanzierungshilfen;
24.fordert, daß das Präferenzsystem an der
Einhaltung grundlegender Sozialklauseln
ausgerichtet wird;
25.unterstützt nachdrücklich Anreize, die die
Entwicklungsländer der Einhaltung von
grundlegenden Sozialstandards näher bringen und ihnen bei der Integration
in die
Weltwirtschaft helfen.
In einer aktuellen Resolution haben die Betriebsräte
und Betriebsrätinnen der Gewerkschaft
der Chemiearbeiter die Sorgen der Arbeitnehmerinnen zum Ausdruck gebracht2:
Der
WTO-Vertrag hat mit seinem Dienstleistungsabkommen (GATS) die umfassende
Deregulierung der Dienstleistungen zum
Gegenstand. Von dieser Deregulierungsabsicht bei
den Dienstleistungen sind de facto alle jene
Gesetze, die für die Arbeitnehmer
von
überragender Bedeutung sind -
Arbeitsmarktgesetzgebung, Sozialversicherungen,
Bildungswesen, öffentliches
Gesundheitswesen - berührt.
2 Resolution, Betriebsrätekonferenz der Gewerkschaft der Chemiearbeiter am Mittwoch, dem 20. März 2002
Bei der Welthandelsrunde in Doha im Herbst 2001 wurde
beschlossen, dass diese
Dienstleistungen progressiv weiter zu deregulieren sind, wobei die für die
Arbeitnehmer
fundamental wichtigen Bereiche davon nicht ausgenommen werden. Die
österreichische
Regierung und ihre Vertreter
bei den Verhandlungen haben dieser Zielsetzung zugestimmt.
Gegenwärtig befinden sich die Vorbereitungsarbeiten in ihrer heißen
Phase:
Die Forderungsliste, das was Österreich und die anderen EU-Staaten von den
übrigen WTO-
Mitgliedsstaaten an
Deregulierungen bei den Dienstleistungen verlangen, ist bereits im
Endstadium. Dann werden die
anderen WTO-Staaten von Österreich und den anderen EU-
Ländern ihrerseits
mittels einer präzisen Forderungsliste vorlegen, was bei uns bei den
Dienstleistungen dereguliert
werden soll. Österreich erstellt aber darüber hinaus gerade eine
Liste, was wir schon im Vorhinein zu deregulieren bereit sind.
Für die Arbeitnehmer sind alle diese Schritte
völlig inakzeptabel, weil jene Gesetze, die
eliminiert werden sollen,
für unser tägliches Leben existenziell wichtig sind. Die Regierung
soll ihre Absicht der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber - dem
österreichischen Nationalrat
- erklären. Wir wollen keine Geheimverhandlungen.
Im Zusammenhang mit den zitierten Ausführungen vom
25.10.2001 im Unterausschuss des
Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union erscheinen die
geäußerten
Befürchtungen nicht
unbegründet.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an
den Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit folgende
Anfrage:
1.
Was genau (welche Bereiche) wird im WTO-Vertrag alles zum
Dienstleistungsbereich
gezählt
?
2.
Welche österreichischen Gesetze sind von den deregulierenden Bestimmungen
im
Bereich der Dienstleistungen des WTO-Vertrages betroffen?
3.
Für welche dieser Gesetze müßten sogenannte
Deregulierungsbeschlüsse gefasst
werden?
4.
Welche Positionen vertreten Sie als Wirtschafts- und Arbeitsminister in der
Frage der
Deregulierung von Dienstleistungen?
5.
In welchen der oben angeführten 25 Punkte der Schlussfolgerungen des
Ausschusses
für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten der EU gibt es nach der
Welthandelsrunde der WTO in Doha geänderte Positionen?
6.
Welche der 25 Punkte der Schlussfolgerungen des Ausschusses für
Beschäftigung und
soziale Angelegenheiten der EU werden von der Österreichischen
Bundesregierung in
den Verhandlungen vertreten?
7.
Bringen die Dienstleistungsverhandlungen einen Zwang zur Liberalisierung der
öffentlichen Daseinsvorsorge mit sich?
8.
Welche Forderungen hat Österreich hinsichtlich der angestrebten
Deregulierungen im
Bereich des Arbeitsrechtes?
9. Welche
Forderungen hat Österreich hinsichtlich der angestrebten Deregulierungen
im
Bereich der Arbeitsmarktpolitik?
10. Welche
Forderungen hat Österreich hinsichtlich der angestrebten Deregulierungen
im
Bereich des Arbeitnehmerinnenschutzes?
11. Welche
Forderungen hat Österreich hinsichtlich der angestrebten Deregulierungen
im
Bereich der Arbeitszeitgesetzgebung?
12.Wie lauten die Vorstellungen der
EU(-Kommission) zu den in den Fragen 7 bis 11
erwähnten Bereichen?
13.Wer kann ALLE Deregulierungsprozesse,
von denen Österreich betroffen ist und die
offensichtlich auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden (beispielsweise
WTO-Ministerrat,
Bilaterale Abkommen,
Freihandelsabkommen, EU-Osterweiterung, NAFTA u.a.
Integrationsprozesse,
WTO-Schiedsgericht) kontrollieren und einen aktuellen Überblick
geben?
14. Werden die öffentlichen Dienstleistungen nur im GATS oder auch in anderen Bereichen?
15. Wie stehen Sie zu der Forderung der Gewerkschaften, dass die ILO-Kernarbeitsnormen
rechtlich
durchsetzbar in den WTO-Vertrag aufgenommen werden sollen?
1 6Wie sollen Ihrer
Meinung nach in Folge
der Deregulierungsergebnisse
Arbeitnehmerinnen ihre Interessen wahrnehmen und durchsetzen, wenn der Staat als
Regulator nicht mehr zur
Verfügung steht?
17 Sind
Ausnahmeklauseln für
Österreich oder andere EU-Länder für
öffentliche
Dienstleistungen vorgesehen?
18.Welche konkreten Auswirkungen haben die
Vereinbarungen der WTO in Doha für
Österreich?
19. Wie sieht der Zeitplan für weitere Verhandlungen im Dienstleistungsbereich aus?