3896/J XXI.GP

Eingelangt am: 21.05.2002

ANFRAGE

der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Justiz

betreffend Gewissensgefangene in österreichischen Haftanstalten (§ 209 StGB)

Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat im Fall Sutherland bereits am
01.07.97 ausdrücklich höhere Altersgrenzen für homosexuelle als für heterosexuelle
Beziehungen als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8, 14
EMRK) erkannt. UNO, Europarat und EU verlangen seit Jahren einheitliche
Altersgrenzen. Das EU-Parlament hat Österreich in den letzten vier Jahren sechs
Mal, davon allein im Jahr 1998 dreimal, zweimal während seiner EU-Präsidentschaft,
zuletzt am 05.07.2001, dringend aufgefordert, § 209 endlich aufzuheben und alle
(ausschließlich) danach zu Freiheitsstrafen Verurteilten zu begnadigen.

Am 11. November 1998 hat sogar der Menschenrechtsausschuß der Vereinten
Nationen von Österreich verlangt, das diskriminierende Mindestalter zu beseitigen
(“concluding observations" zu Österreichs Bericht gem. Art. 40 des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte, 11.11.1998). Und im September 2000
hat die Parlamentarische Versammlung des (43 Mitgliedstaaten West-, Mittel und
Osteuropas umfassenden) Europarates neuerlich zur Beendigung dieser
Diskriminierung aufgerufen (Rec 1474(2000)). Am 19.09.2001 hat das
Ministerkomitee des Europarates mit den Stimmen der Regierungsvertreter aller
(mittlerweile) 43 Mitgliedstaaten (darunter also auch Österreichs Stimme)
nachdrücklich Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung verurteilt und die
Gleichbehandlung homo- und bisexueller Frauen und Männer zu einem zentralen
Anliegen der Arbeit des Europarates erklärt. Unter Berufung auf die Grundrechte der
EMRK wird die Beseitigung jeglicher (!) diskriminierender Gesetze und Regelungen
gefordert (Situation of lesbians and gays in Council of Europe member states, Reply
from the Committee of Ministers to PA Rec 1474(2000), 19.09.2001).

Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung hat der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte scharf verurteilt und ausdrücklich für
ebenso inakzeptabel erklärt wie Diskriminierung auf Grund von “Rasse" (Lustig -
Prean & Beckett v. United Kingdom (par. 90), Smith & Gradey v. United Kingdom
(par. 97), 27 Sept. 1999) oder Religion (Salgueiro da Silva Mouta v. Portugal (par.
36), 21. Dez. 1999) (ebenso jüngst OLG Graz 24.11.2000, 9 Bs 304/00 [16]). Die
Parlamentarische Versammlung des Europarates hat solche Diskriminierung erst
kürzlich als “besonders abscheulich" (“especially odious") bezeichnet (Opinion 216
(2000); ebenso wieder Rec 1474(2000)). Auch der EG-Vertrag enthält seit dem
Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam ein ausdrückliches Verbot der
Diskriminierung auf Grund “sexueller Orientierung" (Art.13 EGV; hiezu erging die
Richtlinie 2000/78/EG,); ebenso die im Dezember 2000 verabschiedete EU-


Grundrechte-Charta (Art. 21), die die gemeinsamen (Verfassungs)Rechtsgrundsätze
der EU-Mitgliedstaaten zum Ausdruck bringt.

Am 22. November 2001 schließlich hat der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte die § 209 StGB betreffenden Beschwerden in den Fällen G.L. &
A.V. vs. Austria (Appl. 39392/98, 39829/98) und S.L. vs. Austria (Appl. 45330/99) für
zulässig erklärt

§ 209 StGB wird heute auch in Österreich überwiegend als unerträgliche
Diskriminierung empfunden, was der Aufschrei anschaulich illustriert, der in letzter
Zeit anlässlich Verurteilungen nach dieser Bestimmung regelmäßig durch (die
Medien) Österreich(s) geht. Auch die Richterschaft, die gezwungen ist, den § 209
StGB zu vollziehen, steht diesem Sonderstrafgesetz gegen homo- und bisexuelle
Männer, das mittlerweile in krassem Gegensatz zur umfassenden Gleichstellung
gleich- und verschiedengeschlechtlicher Beziehungen im gesamten Straf- und
Strafprozessrecht (§ 72 Abs. 2 StGB idF BGBI l 1998/153) und zum Verbot der
Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung im Polizeirecht (§ 5
Richtlinienverordnung, BGBI 1993/266) steht, mit immer größerem Unverständnis
gegenüber und befürwortet zu einem großen Teil dessen Aufhebung, wie dies immer
mehr Richter in Verfahren nach § 209 bekunden und etwa Ende 2000 anlässlich
einer Verurteilung nach § 209 StGB sogar der Pressesprecher des LG Feldkirch
erklärte.

Kaum ein Staat Europas kennt heute noch eine dem § 209 StGB vergleichbare
Strafbestimmung

Die von § 209 StGB (zusätzlich zu anderen Tatbeständen) erfaßten “Taten" sind
(auch in Österreich) im heterosexuellen und lesbischen Bereich völlig legal, sie
interessieren dort keine Sicherheits - und keine Strafverfolgungsbehörde. Sexuelle
Gewalt, “Schändung", sexueller Mißbrauch von Kindern, Mißbrauch eines
Autoritätsverhältnisses, Zuführung zur Prostitution, Zuhälterei, Menschenhandel und
öffentliche sexuelle Handlungen sind samt und sonders nach anderen
Bestimmungen strafbar (§§ 201 - 218 StGB). Alleinige Funktion des § 209 StGB ist
es, einverständliche sexuelle Beziehungen von mündigen Staatsbürgern zu
kriminalisieren, und dies ausschließlich zwischen Männern, während entsprechende
Beziehungen zwischen Frauen bzw. zwischen Frauen und Männern legal sind.

Am 16. März 1999 hat der damals amtierende Justizminister Dr. Nikolaus Michalek
mitgeteilt, daß sich “zum Stichtag 1. März 1999 in den österreichischen
Justizanstalten insgesamt 11 Personen wegen § 209 StGB (als alleiniges oder
“führendes" Delikt) in Haft (befanden), davon 5 Untersuchungshäftlinge und 5
Strafgefangene. Eine Person wurde im Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs. 2 StGB
angehalten". (XX.GP - NR 5312/AB, 19.03.1999 zu 5551/J = 7381/1 - Pr 1/1999).

Am 19. April 2000 teilten Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, mit, dass es zum
damaligen Zeitpunkt 1 Untersuchungshäftling, 9 Strafhäftlinge und 2 Personen im
Maßnahmenvollzug waren
(XXI.GP - NR 385/AB; 735/AB), und am 11.05.2001, dass
6 Männer in Strafhaft bzw. im Maßnahmenvollzug waren (2097/AB
XXI. GP).
Diese Personen werden wegen ihrer sexuellen Orientierung in Haft gehalten, sind
also “Gewissensgefangene" im Sinne des Mandats von Amnesty International.


Abgeordnete stellten daher hinsichtlich der gegenwärtigen Zahlen die Anfrage (3519
J
XXI. GP), die Sie am 22.04.2002 beantwortet haben (3448/AB XXI. GP).

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE:

1.   Wie lange befanden sich, die von Ihnen zu Frage 1. der Anfrage 3519 J XXI. GP
angegebenen acht Untersuchungshäftlinge (wegen § 209 StGB als alleiniges
oder “führendes" Delikt) in Untersuchungshaft und auf welchen Haftgründen
beruhte die Haft während der verschiedenen Haftfristen? Aufgeschlüsselt nach
den acht Häftlingen.

a.   Auf welchen anderen Delikten als § 209 StGB beruhte die Untersuchungshaft
der acht Personen noch? Aufgeschlüsselt nach den acht Häftlingen.

b.   Wegen welcher Delikte waren die fünf der acht Häftlinge, die nicht
unbescholten waren, wie oft vorbestraft, welche Strafen umfassten diese
Vorstrafen und wie lange lagen diese Vorstrafen jeweils zurück?
Aufgeschlüsselt nach den fünf Häftlingen.

2.   Wegen welcher anderen Delikte als § 209 StGB wurde in den von Ihnen zu
Frage 2. der Anfrage 3519 J XXI. GP angegebenen vier Fällen unbescholtener
Ersttäter die Freiheitsstrafe noch verhängt?

a.   Auf welchen anderen Delikten als § 209 StGB basierte im angegebenen
Falle des LG Korneuburg die Einweisung gem. § 21 (2) StGB noch?

b.   Befinden sich die vier Personen noch in Haft?
aa. Wenn ja, in welcher Justizanstalt?

3.   Wieso stehen Ihnen für den Bereich des LG für Strafsachen Wien keine Daten
über die Untersuchungshäftlinge für im Jahr 2002 angefallene Verfahren zur
Verfügung?

a.   Können Sie nun für das gesamte Bundesgebiet die Anzahl der wegen § 209
StGB (als alleinigem oder “führendem" Delikt) in Haft gehaltenen Personen
angeben; aufgeschlüsselt nach § 209 als alleinigem und als “führendem"
Delikt, nach Untersuchungshaft, Strafhaft und Anhaltung in einer Maßnahme
(aufgeschlüsselt nach §§ 21 Abs. 1, 21 Abs. 2, 22, 23 StGB) und nach
Justizanstalten?

aa. Wenn nein, warum nicht?


4.   Sie gaben zu Frage 3. der Anfrage 3519 J XXI. GP an, dass sich 1 Person
ausschließlich wegen § 209 StGB in Strafhaft befinde und sich bei 4 inhaftierten
Personen § 209 StGB als “führendes" Delikt findet.
Schlüsseln Sie bitte diese fünf Gewissengefangenen auf

(a)  nach   Untersuchungshaft,  Strafhaft  und  Anhaltung  in  einer  Maßnahme
(aufgeschlüsselt nach §§ 21 Abs. 1, 21 Abs. 2, 22, 23 StGB) und

(b)  nach Justizanstalten

5.   Dürfen Vertreterinnen von Amnesty International sowie der “Plattform gegen
§ 209" die zu oben 2.b.aa., 3.a. und 4. angegebenen Gewissensgefangenen
besuchen?

Wenn nein, warum nicht? Dürfen diese Organisationen anders Kontakt mit den
Häftlingen aufnehmen?

Wenn ja, was  müssen  sie dazu tun, weil die  Identität der Häftlinge den
Organisationen ja nicht bekannt ist?

6.   Wieso setzen Sie die Worte “jugendliche Partner" durchgehend unter
Anführungszeichen, während Sie dies für andere nicht gesetzliche Termini, wie
etwa “Ersttäter" oder “unbescholten", nicht tun?