3906/J XXI.GP
Eingelangt am: 22.05.2002
ANFRAGE
des Abgeordneten Brosz, Freundinnen und Freunde
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Massengrab auf der Liegenschaft Wien 14, Flachgasse 7
Am 21.11.1997 wurde bei Bauarbeiten auf
der Liegenschaft Flachgasse 7
ein Massengrab, oder zumindest Teile davon, frei gelegt. Skelette von zumindest
zehn Menschen, darunter von Frauen und Kindern, sollen in 80 Zentimeter Tiefe
frei
gelegt worden sein. An mehreren Schädelskeletten fanden sich
Einschusslöcher, die
(KURIER 26.11.1997) nach Meinung von Experten auf Schüsse aus
nächster Nähe
schließen ließen. Da darüber hinaus an keinem einzigen Skelett
Kleidungsreste,
Uniformteile oder militärische Erkennungsmarken nachzuweisen waren, wurde
einerseits ein militärischer Zusammenhang klar ausgeschlossen,
andererseits
schlüssig angenommen, dass die Opfer des Massenmordes zu ihrer Ermordung
nackt antreten mussten. Gerichtsmediziner seien später anhand der
Einschusskanäle in den Schädelknochen zu dem Schluss gekommen, dass
die
Opfer zuerst in ihr Grab steigen mussten ehe sie erschossen wurden. Auch eine
bis
zu 20 Zentimeter dicke Kalkschicht über den Skelettresten verwies
eindeutig auf eine
rasche Beerdigung kurz zuvor ermordeter Personen.
Der Leiter der Wiener Stadtarchäologie, Dozent Dr. Ortolf HARL, kam daher
gegenüber einem Journalisten des KURIER (26.11.1997) zum klaren Schluss,
dass
"aus
den bisherigen Erkenntnissen ..ein Zusammenhang mit der Hinrichtung
von Opfern des NS-Regimes wahrscheinlich" sei, Darüber
hinaus sei zu
befürchten, dass in dem
Massengrab noch wesentlich mehr Opfer verborgen liegen,
weshalb das Areal weiter umgegraben werden solle.
Tags darauf berichtete der KURIER von
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen
"Verdachts des
Mordes an Unbekannten" und von der Ankündigung des damals
ressortzuständigen Stadtrates Dr. Peter MARBOE, "das Verbrechen
restlos und
historisch richtig aufzuklären", läge doch die "Vermutung
sehr nahe", dass es
sich um eine "Exekution jüdischer Familien" gehandelt
habe." Dozent HARL,
wurde mit der wissenschaftlichen und geschichtlichen Klärung beauftragt
und
erneuerte seinen Verdacht eines NS-Verbrechens. Spekuliert wurde über
Opfer der
Todesmärsche ungarischer Juden, die gegen Kriegsende zum Bau von
Verteidigungsanlagen gegen die anrückende Rote Armee gezwungen wurden, ehe
sie im Jänner und Februar 1945 unter unmenschlichen Bedingungen nach
Westen
getrieben wurden. Wer nicht weiter konnte, wurde am Wegrand erschossen oder
erschlagen. Mindestens 10 000 von insgesamt 40 000 Juden sollen nach Angaben
des Militärhistorikers und Leiters des Wiener Heeresgeschichtlichen
Museums Dr.
Manfred RAUCHENSTEINER damals ums Leben gekommen sein.
Möglich sei aber auch,
dass es sich bei den Opfern um Verschleppte oder Roma
handle. Vor allem die
Kalkschicht, welche die zehn Skelette bedeckte, lasse ein NS-
Verbrechen jedenfalls als wahrscheinlich erscheinen.
Dozent HARL im KURIER vom 29.11.1997: Auf jeden Fall handelt es sich um
eine
"Opfergruppe des Dritten Reiches.
Die Tötung von Menschen gehört nicht in
die archäologische ,Schublade', sondern in die ,Verbrecherschublade', und
muss auch dort bleiben."
Die Untersuchungen wurden
jedoch im weiteren Verlauf der Wiener Dienststelle
durch das BM für Inneres
entzogen und sollen dort unter der Leitung von Frau
MR Dr.
Wagner fort gesetzt worden sein.
Dr. Ortolf Harl bedauerte im KURIER vom
6.12 1997, dass die Stadt Wien die
Untersuchungen nicht fortsetzen konnte: "Uns hat man jetzt die Causa
aus der
Hand genommen. Wir sind alles andere als glücklich darüber."
Über weitere Ergebnisse
ist bis dato nichts bekannt geworden, sieht man
von Medienberichten des KURIER ohne Angabe von Personen ab, welche
mittlerweile die Skelettfunde merklich anders einschätzten. Das Alter der
Skelette zu
bestimmen
war plötzlich "schwierig", da die Radio-Karbon-Methode
bei jungen
Knochen "weniger gut "funktioniere, eine Untersuchung
sei auch "zunächst nicht
vorgesehen". Über das Alter der Skelettteile wurde
gemutmaßt, sie "dürften
...mehr als hundert Jahre" alt sein. Ferner fehlten nach "präzisen
Untersuchungen"
den
Einschusslöchern in den Schädeln überraschender Weise
"alle Charakteristika einer Schussverletzung". Und da
zu den Skeletten, deren
Fundort nunmehr nicht in 80 Zentimeter, sondern in zwei Metern Tiefe gelegen
sein
soll, angeblich Rippen- und Beckenknochen fehlten, sei - so der Wiener
Gerichtsmediziner, Professor Georg BAUER - die These einer
"Sekundärbestattung" nahe liegend. Die
Knochen könnten aus einem
aufgelassenen Friedhof oder Karner stammen und in der Flachgasse neuerlich
begraben worden sein ! (KURIER 6.12.1997). In einer Publikation der Wiener
Stadtarchäologie (Fundort Wien, Berichte zur Archäologie 1/98, Seite
180) wurde
zuletzt von ausstehenden Ergebnissen gerichtsmedizinischer Untersuchungen
berichtet, nach denen sich " zum gegenwärtigen Zeitpunkt' abzeichne,
"dass ein
zeitgeschichtlicher Kontext nicht hergestellt werden" könne.
Anfragen der Wiener
GRÜNEN in der Bezirksvertretung Penzing sowie im Wiener
Gemeinderat ergaben aufgrund Beantwortungen durch den nunmehrige Stadtrat
für
Kultur und Wissenschaft von
Wien, Dr. Andreas MAILATH-POKORNY, als
wesentliche Aussage
lediglich, dass an der Fundstelle des Massengrabes binnen
weniger Stunden jede zielführende Arbeit der Wiener Stadtarchäologie
deshalb
verunmöglicht
wurde, " da die Tatortgruppe der Wiener Polizei als erstes an der
Fundstelle tätig war und jede Veränderung untersagt hatte." Bestätigt
wurde
allerdings,
dass es daher auch "nicht möglich" war, die "genaue
Anzahl der
Skelette festzustellen". Eine "überblicksmäßige
Zählung" habe " eine
Gesamtzahl von
10 Individuen" ergeben,
eine Kalkschicht sei sehr wohl über den
Skeletten, an diesen jedoch "keinerlei Überreste von
Kleidung" beobachtet
worden.
Ob "Beschädigungen"
(!) an fünf
Skelettschädeln von "Einschüssen herrührten
oder
nicht' obliege
prinzipiell "den Fachleuten der Gerichtsmedizin."
Da bis heute ein Klärung dieses
Verbrechens trotz eindeutiger Hinweise auf einen
Massenmord der NS-Zeit sowohl auf Ebene des Landes Wien wie auf jener des
Bundes in vielerlei Hinsicht gänzlich unterblieben ist, wird um Auskunft
untersucht.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1.
Wie viele Menschen waren auf der genannten Liegenschaft begraben? Bitte
die Anzahl der darunter befindlichen Frauen und Kinder angeben.
2.
In welchem Umfang - zeitlich und räumlich - wurde das Grundstück
untersucht,
um die Zahl der dort vergrabenen Leichen einwandfrei festzustellen.
3.
Welche Dienststellen des Bundes bzw. des Landes Wien waren an der
Bergung der Skelette beteiligt?
4. In welcher Tiefe wurden die Skelette gefunden?
5.
Gibt das Fehlen von Überresten von Kleidung an Skeletten in
Massengräbern
einen Hinweis auf die Ermordung zur Zeit der NS-Herrschaft, wenn das Alter
der Knochen dieser Annahme
nicht entgegensteht?
6.
Ist die über den Beerdigten gefundene Kalkschicht eine Hinweis darauf,
dass
die Beerdigung unmittelbar
nach dem Tod der Menschen erfolgt ist?
7.
Ist die Aufbringung von Kalk über Ermordeten aus Massengräbern
bekannt, in
denen Opfer von NS-Exekutionen beerdigt wurden?
8. Welche Untersuchungen der Skelette wurden angeordnet?
9. Wer hat diese Untersuchungen angeordnet?
10. Welche Dienststelle hat die Untersuchungen durchgeführt?
11. Wann wurden diese Untersuchungen durchgeführt?
12. Zu welchem abschließenden Ergebnis bezüglich der Todesursache führten die Untersuchungen?
13.
Wurden im Besonderen auf Grund der erkennbaren "Beschädigungen"
an
mehreren Skelettschädeln diese Beschädigungen als Schussverletzungen
erkannt?
Wenn ja, kann anhand der
Schusskanäle auf eine Hinrichtung geschlossen
werden?
14.
Wurden von Seiten der Behörde Untersuchungen hinsichtlich des dringenden
Verdachtes des Fremdverschuldens geführt? Wenn ja, mit welchen
Ergebnissen? Welche Maßnahmen wurden auf Grund dieser Ergebnisse
verfügt?
15.
Welche Untersuchungen wurden hinsichtlich des Todeszeitpunkts geführt und
zu welchem Ergebnis kamen diese? Bitte um Übermittlung sämtlicher
Untersuchungsergebnisse
im vollen Wortlaut.
16. Gibt es konkrete Hinweise auf eine Sekundärbestattung?
17. Wurden seitens der Behörden Untersuchungen zu den
Eigentümerverhältnissen
der Liegenschaft Flachgasse 7 sowie ihrer Nutzung
zur NS-Zeit angestellt? Wenn ja, wie lauten die Erkenntnisse?
18. Sind die menschlichen Überreste mittlerweile endgültig beerdigt?
Wenn nein, wo werden sie
derzeit aufbewahrt? Wann und wo sollen sie
beerdigt werden?