4148/J XXI.GP

Eingelangt am: 09.07.2002

ANFRAGE

der Abgeordneten Mag. Maier

und Genossinnen

an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten

betreffend "Rechtshilfe bzw. Verwaltungsvollzug zwischen EU-Mitgliedsstaaten

und Drittstaaten"

Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft, primär
Rechtsetzungsgemeinschaft, aber erst in Ansätzen eine Verwaltungsgemeinschaft.
Ein einheitlicher Verwaltungsvollzug ist in den Mitgliedstaaten noch lange nicht
gewährleistet (z.B. Behördenzuständigkeiten), insbesondere auch nicht das Prinzip
der gegenseitigen Anerkennung von Verwaltungsentscheidungen.

Diese Probleme ergeben sich auch zwischen EU-Mitgliedstaaten und zwar auch
dann, wenn ein zwischenstaatliches Abkommen vorliegt. Dies gilt besonders für das
Rechtshilfeabkommen Österreich - Bundesrepublik Deutschland (Vertrag zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und
Rechtshilfe in Verwaltungssachen). Besonders unbefriedigend ist die Situation im
Bereich Straßenverkehr (z.B. StVO, KFG, Parkgebührengesetz). Dies gilt besonders
für Verfahren nach § 103 Abs. 2 KFG.

Zuletzt wieder einmal beispielhaft nachgewiesen im Jahresbericht 2001 des
Unabhängigen Verwaltungssenats (UVS) Salzburg:

“Der Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland
über Amts- u Rechtshilfe in Verwaltungssachen, BGBI 526/1990, führt nicht nur
hinsichtlich der Weigerung Bundesrepublik Deutschlands, in bestimmten
Angelegenheiten Vollstreckungshilfe zu leisten, zu Problemen. Es ist vielmehr
festzustellen, dass schon die Rechtshilfe im Verwaltungs(straf-)verfahren selbst teils
sehr unrund läuft. Negativ hervorzuheben ist hier insbesondere die für das
Bundesland Nordrhein-Westfalen bestimmte zentrale Anlaufstelle, nämlich die
Bezirksregierung Köln. Rechtshilfeersuchen wird von dieser Stelle oft nur sehr
schleppend und/oder ungenügend nachgekommen.

Exemplarisch sei hier ein Fall erwähnt, in dem in einem Verwaltungsstrafverfahren
zunächst seitens des UVS Salzburg direkt an die zuständige deutsche
Verwaltungsbehörde (Polizeipräsidium Recklinghausen) gemäß Art 2 des
Abkommens ein Ersuchen um Zeugeneinvernahme gerichtet wurde. Da der Zeuge
jedoch die Aussage verweigert hat und die Polizei keine Zwangsfolgen anwenden
kann, wurde das Ersuchen unerledigt zurückgeschickt. Der UVS Salzburg hat sich -
da das nötigenfalls unter Anwendung von Zwangsmitteln für die Einvernahme
zuständige deutsche Gericht nicht bekannt ist - daher an die örtlich zuständige
Anlaufstelle (Bezirksregierung Köln) zwecks Weiterleitung des Ersuchens an das
zuständige Gericht gewandt. Diese hat das Ersuchen jedoch nicht an das zuständige
Gericht, sondern wiederum an das Polizeipräsidium Recklinghausen gesandt,
welches die Unterlagen mit dem Ausdruck der Verwunderung über die nochmalige
Befassung an den UVS zurückgeschickt hat. Der UVS hat daher nochmals an die


Bezirksregierung Köln schriftlich das Ersuchen gerichtet, die
Rechtshilfeangelegenheit an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Nachdem über
vier Monate lang keine Reaktion von deutscher Seite erfolgt ist, erging durch den
UVS zunächst schriftlich eine Urgenz an die Bezirksregierung Köln. Im
Antwortschreiben wurde mitgeteilt, dass die Urgenz an das Polizeipräsidium
Recklinghausen weitergeleitet worden sei. Daraufhin wurde vom Senatsmitglied
telefonisch mit der Sachbearbeiterin der Bezirksregierung Köln Kontakt
aufgenommen und ihr nochmals dargelegt, dass im vorliegenden Fall die Rechtshilfe
nicht durch die Polizei, sondern durch ein deutsches Gericht zu leisten ist. Die
Sachbearbeiterin erklärte, sie müsse zunächst selbst eruieren, welches Gericht
zuständig sei, werde die Unterlagen aber dann unverzüglich dorthin übersenden. In
einem weiteren Telefonat teilte die Sachbearbeiterin dann mit, die Unterlagen
werden vom Polizeipräsidium Recklinghausen direkt an das zuständige Gericht
weitergeleitet. Trotzdem langten die Unterlagen einige Zeit später wieder beim UVS
ein mit einem Begleitschreiben des Polizeipräsidiums Recklinghausen. Ein Anruf des
Senatsmitglieds beim zuständigen Beamten des Polizeipräsidiums hat ergeben, dass
diesem von der Sachbearbeiterin der Bezirksregierung Köln der Auftrag erteilt
worden sei, die Unterlagen an den UVS zurückzusenden. Da der Beamte aber
wenigstens Angaben über das für diesen Fall zuständige Gericht machen konnte,
erging in der Folge ein Rechtshilfeersuchen direkt an dieses Gericht. Zu diesem
Zeitpunkt sind aber bereits acht Monate vergangen, ohne dass es bisher zu einer
Einvernahme des Zeugen - ganz abgesehen von den übrigen noch erforderlichen
Verfahrensschritten im Berufungsverfahren - gekommen wäre!

Diese und andere Unzulänglichkeiten (siehe zB die Weigerung deutscher Behörden
zur Vollstreckung von Verwaltungsstrafen wegen Übertretungen gemäß § 103 Abs. 2
KFG) haben zu - bis dato offensichtlich erfolglosen - Konsultationen auf
Ministeriumsebene geführt; es wäre von österreichischer Seite daher wohl zu
überlegen, den im Rechtshilfeabkommen für solche Fälle vorgesehenen Weg zu
gehen, nämlich ein gemäß Art. 16 des Vertrages einzurichtendes Schiedsgericht
anzurufen."

Diese unbefriedigende Situation hat nicht nur medialen Niederschlag gefunden. Es
liegen überdies Erlässe deutscher Innenminister vor, Verwaltungsstrafbescheide aus
Österreich nicht mehr zu vollstrecken. Derartige Probleme sind auch mit anderen
europäischen Staaten bekannt (z.B. Slowenien, Ungarn, Tschechien, Polen), die
meisten ebenfalls in Verkehrsangelegenheiten.

Ein weiteres Problem stellt die fehlende gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen
oder Geldbußen innerhalb Europas durch einzelne Mitgliedstaaten dar. Dies ist ein
äußerst unbefriedigender Zustand. Daher haben das Vereinigte Königreich, die
Französische Republik und das Königreich Schweden eine Initiative im Hinblick auf
die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die Anwendung des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen oder Geldbußen durch den Rat gesetzt
(2001/C 278/06).

Die Erwägungsgründe die dieser Initiative zu Grunde liegen sind absolut schlüssig.
Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte gerade auch für Geldstrafen
oder Geldbußen gelten.

So nahm der Rat bereits am 29. November 2000 in Einklang mit den
Schlussfolgerungen von Tampere ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des
Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung an, wobei er der Annahme eines


Rechtsakts zur Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von
Geldstrafen oder Geldbußen (Maßnahme 18) Vorrang einräumte.

Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für
auswärtige Angelegenheiten nachstehende

Anfrage:

1. Sind Ihnen diese grundsätzlichen Probleme bekannt?

2. Wenn ja, welche Maßnahmen haben Sie gegenüber Deutschland bislang dazu
ergriffen? Kann Deutschland Ihrer Ansicht nach zu einer Haltungsänderung
bewegt werden?

3. Wie viele Rechtshilfeersuchen wurden zu welchen Rechtsmaterien seit

Inkrafttreten dieses Abkommens, durch die im Art. 1 genannten österreichischen
Verwaltungsbehörden oder Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, an
Deutschland gerichtet (Aufschlüsselung auf Rechtsmaterien, Jahre und
Bundesländer bzw. UVS oder sonstige Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit)?
Wie viele wurden von Deutschland an Österreich gerichtet?

4. Wie viele davon wurden durch Deutschland nicht abkommensgemäß erledigt
(Aufschlüsselung auf Rechtsmaterien, Jahre und Bundesländer bzw. UVS oder
sonstige Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit)?

5. Worin lagen die Gründe dafür?

6. Wie viele Anträge auf Vollstreckungshilfe (Art. 9) wurden zu welchen
Rechtsmaterien seit Inkrafttreten dieses Abkommens, durch die im Art. 1
genannten österreichischen Verwaltungsbehörden oder Gerichte der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, an Deutschland gerichtet (Aufschlüsselung auf
Rechtsmaterien, Jahre und Bundesländer bzw. UVS oder sonstige Gerichte der
Verwaltungsgerichtsbarkeit)?
Wie viele wurden von Deutschland an Österreich gerichtet?

7. Wie viele davon wurden durch Deutschland nicht Abkommensgemäß erledigt
(Aufschlüsselung auf Rechtsmaterien, Jahre und Bundesländer bzw. UVS oder
sonstige Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit)?

8. Worin lagen aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

9. Wieviele Verfahren mussten in diesen Jahren deswegen eingestellt werden
(Aufschlüsselung auf Rechtsmaterien, Jahre und Bundesländer bzw. UVS oder
sonstige Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit)?


10. Wie viele Amts- und Rechtshilfenersuchen hinsichtlich der besonderen

Regelungen in Angelegenheiten des Kraftfahrwesens mussten durch die im Art. 1
Abs. 1 des Abkommens genannten Österreichischen Verwaltungsbehörden oder
Verwaltungsgerichten gestellt werden?
Wie viele wurden von Deutschland an Österreich gerichtet?

11.Wie viele davon wurden durch Deutschland nicht abkommensgemäß erledigt
(Aufschlüsselung auf Rechtsmaterien, Jahre und Bundesländer bzw. UVS oder
sonstige Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit)?

12. Worin lagen die Gründe dafür?

13. Mit welchen Anlaufstellen in Deutschland gibt es besondere Probleme?

14. Wie stehen Sie zu den bekannten Runderlässen oder Anweisungen deutscher
Innenminister, Verwaltungsstrafbescheide aus Österreich, die auf § 103 Abs. 2
KFG beruhen, nicht mehr zu vollstrecken?

15. Halten Sie aus diesem Grund eine Revision dieses Abkommens für notwendig
oder auch aufgrund anderer offener Probleme (z.B. hinsichtlich Art. 10 und 11)?

16. In wie vielen und welchen Fällen wurde bislang durch Österreich ein

Schiedsgericht nach Art. 16 des Abkommens beantragt (Aufschlüsselung auf
Jahre und Fälle)?

17. Wenn nein, weshalb geschah dies bislang nie?

18. In wie vielen und welchen Fällen wurde bislang durch Deutschland ein

Schiedsgericht nach Art. 16 des Abkommens beantragt (Aufschlüsselung auf
Jahre und Fälle)?

19. Welche Beschwerden oder Probleme sind Ihnen seit Inkrafttreten dieses

Abkommens aus Deutschland gegenüber österreichischen Verwaltungsbehörden
bzw. österreichischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit bekannt
geworden (Aufschlüsselung auf Jahre und Fälle)?

20. Treten Sie für eine Vereinheitlichung der Verwaltungsrechts- und

Verwaltungsverfahrensnormen sowie der gegenseitigen Anerkennung von
Geldstrafen und Vollstreckung zwischen den EU-Mitgliedstaaten ein?

21.Wenn nein, weshalb nicht?

22. Wenn ja, welche sonstigen Initiativen haben Sie bereits gesetzt? Welche
Europäische Initiativen gibt es dazu?

23. Mit welchen EU-Mitgliedsländern und Drittstaaten hat Österreich ein Abkommen
über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen (auch in Teilbereichen)
abgeschlossen?


24. Ist dabei auch eine wechselseitige Anerkennung von Geldstrafen und
Vollstreckung vorgesehen? Wenn ja, in welchem Abkommen?

25. Mit welchen dieser Ländern gibt es Probleme, wie sie beispielsweise mit
Deutschland auftreten? Wo liegen diese Probleme?

26. Mit welchen EU-Mitgliedsländern und Drittstaaten werden bezüglich eines
derartigen Abkommens derzeit Verhandlungen geführt?
Wie ist der (derzeitige) jeweilige Stand dieser Verhandlungen?

27. Wie ist auf europäischer Ebene der Stand der Verhandlungen zur Initiative des
Vereinigten Königreiches, der Französischen Republik und des Königreichs
Schwedens im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses über die
Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen
und Geldbußen durch den Rat?

28. Wann kann mit einem Abschluss gerechnet werden? Oder ist mit einem solchen
nicht zu rechnen?

29. Wie ist der Stand der Verhandlungen durch die Europäische Union über die
Vollstreckung von Strafentscheidungen mit der Schweiz?

30. Wann kann mit einem Abschluss gerechnet werden? Oder ist mit einem solchen
nicht zu rechnen?