4422/J XXI.GP

Eingelangt am: 20.09.2002

Anfrage

der Abgeordneten Heidrun Silhavy und GenossInnen

an den Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen

betreffend unverständliche Diskriminierung homosexueller NS-Opfer und mangelnde
Stellungnahme des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen

I. Zur Anfragebegründung;

Die Aufnahme homosexueller NS-Opfer in das Opferfürsorgegesetz (OFG) beschäftigt den
österreichischen Nationalrat seit der ersten Behandlung dieser Frage im Sozialausschuß vom 17.
Mai 1995. Bereits in der damaligen Ausschußsitzung scheiterte ein diesbezüglicher Antrag an der
starren Haltung der ÖVP, Insbesonders an ihrem Sozial Sprecher Gottfried Feurstein. Dieser wurde
am darauffolgenden Tag mit einer erschreckend bösartigen Aussage zitiert: “ ÖVP-Sozialsprecher
Gottfried Feurstein sprach hingegen von einer .aufgebauschten Sache': Man habe den Antrag der
Grünen nur deshalb abgelehnt, weil die Formulierung ,sexuelle Orientierung' bedeutet hätte, daß
auch Notzuchtverbrecher in den Genuß einer Rente nach dem Opferfürsorgegesetz gekommen
wären. " (Salzburger Nachrichten vom 18. Mai 1995).

Im Gegensatz zur ÖVP trat in der damaligen Plenarsitzung des Nationalrates am 1./2. Juni 1995 die
sozialdemokratische Parlamentsfraktion für die Aufnahme homosexueller NS-Opfer ins
Opferfürsorgegesetz ein: “Abgeordnete REITSAMER (SP) zeigt sich betroffen darüber, dass es
wegen des Widerstands der ÖVP nicht möglich war, die Homosexuellen in den Kreis der Opfer
politischer Verfolgung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes aufzunehmen. ... Abgeordnete Dr.
PITTERMANN (SP) kritisiert wie ihre Fraktionskollegin Reitsamer den Widerstand der ÖVP an der
ausdrücklichen Einbeziehung der Homosexuellen in das Opferfürsorgegesetz."
(Parlamentskorrespondenz vom 2. Juni 1995 / OTS 001)

An dieser starren Haltung von ÖVP-Sozialsprecher Feurstein hat sich bis heute nichts geändert. In
der aktuellen
XXI. Gesetzgebungsperiode wurden zwei Anträge zur Aufnahme homosexueller NS-
Opfer ins Opferfürsorgegesetz eingebracht, darunter “Antrag 227/A der Abgeordneten Dr. Peter
Kostelka, Heidrun Silhavy, Annemarie Reitsamer, Dr. Elisabeth Pittermann, Mag Barbara
Prammer und GenossInnen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Opferfürsorgegesetz geändert
wird. " Bei der Behandlung dieses Antrages in der Sitzung des Ausschußes für Arbeit und Soziales
vom 1. Juni 2002 änderte die ÖVP ihr Verhalten in eine latente Verzögerungstaktik, da der Antrag
damals vertagt und seitdem nicht mehr verhandelt wurde. Dazu meldet die SK vom 1. Juni 2001:
“ÖVP-Sozialsprecher Feurstein hat die Vertagung unseres Antrages auf Aufnahme homosexueller
NS-Opfer ins Opferfürsorgegesetz damit begründet, dass er 'noch prüfen wolle ob es hier überhaupt
noch Fälle gibt'." erklärte Prammer. Bis heute haben beide Gruppen, die Schwulen und die als
"Asoziale" titulierten Lesben, die den rosa bzw. den schwarzen Winkel tragen mussten, keine
Wiedergutmachung aus dem Opferfür sorgegesetz erhalten. "Der ÖVP ist es offensichtlich
unmöglich, selbst in dieser eigentlich unumstrittenen Frage Gerechtigkeit walten zu lassen. Da
lässt sie lieber unseren Antrag solange vertagen, bis es irgendwann tatsächlich keine 'Fälle' mehr
gibt", erklärte Prammer abschließend.


Um diesen Stillstand aufzubrechen, haben die Landesgruppen zweier Opferverbände, der
Sieirische Landesverband der Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus " sowie der “ Bund
sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus - Landesverband Graz"
zu
diesem Thema eine Petition an den Nationalrat verfasst, die am 19. Februar 2002 von der
sozialdemokratischen Abgeordneten Heidrun Silhavy und dem Grünen Abgeordneten Werner
Kogler eingebracht wurde (87/PET). Der Petitionsausschuß beschloß am 3. April 2002 die
Einholung einer Stellungnahme Ihres Ministeriums, die vom BMSG am 15. Mai 2002 unter GZ
40.006/7-5/02 abgegeben wurde. Die kurze, negative Stellungnahme Ihres Ministeriums führt zwei
ablehnende Gründe aus: Erstens, daß bisher nur zwei Fälle an das Bundesministerium
herangetragen wurden. Zweitens “Jeder weitere allenfalls an das Bundesministerium für soziale
Sicherheit und Generationen herangetragene Fall eines Betroffenen würde - wie in der
Vergangenheit
- geprüft werden, wobei eine Anerkennung als Opfer im Wege des Rechtsanspruchs
bereits nach der geltenden Rechtslage dann vorzunehmen wäre, wenn der Vorwurf der
Homosexualität einer politischen Verfolgung diente. Darüber hinaus kann eine Überprüfung der
Voraussetzungen für eine Nachsichtseteilung vorgenommen werden. " (Stellungnahme des BMSG
vom 15. Mai 2002 zu 87/PET, GZ 40.006/7-5/02).

Damit referiert Ihr Ministerium nur die von den Petitionseinbringern kritisierte Rechtslage und
macht die Anerkennung Homosexueller als NS-Opfer zu einem eventuell erreichbaren
"Gnadenakt", der auch noch in Verbindung mit einer politischen Verfolgung stehen muß. Die
Stellungnahme Ihres Ministeriums negiert eindeutig, daß homosexuelle NS-Opfer im Gegensatz zu
anderen Opfergruppen keinen Rechtsanspruch aufgrund einer Verfolgung als Lesbe oder Schwuler
haben.

Den Anfragestellerinnen sind Personen bekannt, die homosexuelle NS-Opfer waren, aber bisher auf
Grund der ablehnenden Haltung Ihres Ministeriums keine Anträge nach OFG eingebracht haben.
Immerhin bedeutet ein solcher Antrag ein automatisches “Outing" des/der mittlerweile
hochbetagten Antragstellers/Antragstellerin, ohne eine realistische Aussicht auf Erfolg. Denn für
die Erteilung einer “Nachsichtserklärung" muß zuerst ein negativer Bescheid ausgestellt werden,
der dann im Wege des Nachsichtverfahrens beim Sozialministerium bekämpft werden kann (§1
Absatz 6 Opferfürsorgegesetz). Die anderen vom Opferfürsorgegesetz erfassten Gruppen müssen
diesen rechtlich unsicheren Umweg nicht beschreiten. Dies ganz im Gegensatz zum Nationalfonds
der Republik Österreich, der sich seit seiner Einrichtung sowohl auf Grund der eindeutigen
Rechtslage als auch auf Grund einer erhöhten Sensibilität in dieser Frage explizit auch der Anträge
homosexueller NS-Opfer annimmt.


II. Zur Rechtslage:

Homosexuelle NS-Opfer sind solche, die wegen des Vorwurfs der Homosexualität verfolgt wurden
(meist männliche Homosexuelle) und jene homosexuellen Frauen, die meist unter dem Vorwurf der
Asozialität verfolgt wurden. NS-Opfer, die auf Grund ihrer "sexuellen Orientierung" oder auf "auf
Grund des Vorwurfes der so genannten Asozialilät"
spezifisch verfolgt wurden, sind bereits in
folgenden Gesetzen anerkannt:

1.   im §2 Abs. 1 Z1 Nationalfondsgesetz (Bundesgesetz über den Nationalfonds der Respublik
Österreich für Opfer des Nationalsozialismus; BGBl. 432/1995, idF BGBl. 14/2001):

§ 2. (1) Der Fonds erbringt Leistungen an Personen,

1. die vom nationalsozialistischen Regime aus politischen Gründen, aus Gründen der
Abstammung, Religion, Nationalität, sexuellen Orientierung, auf Grund einer
körperlichen oder geistigen Behinderung oder auf Grund des Vorwurfes der sogenannten
Asozialität verfolgt oder auf andere Weise Opfer typisch nationalsozialistischen Unrechts
geworden sind oder das Land verlassen haben, um einer solchen Verfolgung zu entgehen,

2.   im §2 Abs.2 Versöhnungsfondsgesetz (Bundesgesetz über den Fonds für freiwillige Leistungen
der Republik Österreich an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiler des nationalsozialistischen
Regimes; BGBl. 74/2000 idF BGBL 40/2001):

(2) Der Fonds erbringt weiters einmalige Geldleistungen an natürliche Personen, die
vom nationalsozialistischen Regime ohne die Bedingung des Einleitungssatzes des Abs. 1
Z 1 zu erfüllen, aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion,
Nationalität, sexuellen Orientierung, auf Grund einer körperlichen oder geistigen
Behinderung, auf Grund des Vorwurfes der so genannten Asozialität oder im
Zusammenhang mit medizinischen Experimenten auf dem Gebiet der heutigen Republik
Österreich unter Bedingungen arbeiten mussten, die jenen des Abs. 1 Z 1 lit. a oder b
gleichkamen.... "

3.   im §6 Abs. 1 Entschädigungsfondsgesetz (Bundesgesetz über die Einrichtung eines
Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über
Restitutionsmaßnahmen; BGBl. 12/2001 idF BGBl. 58/2001):

“§ 6. (1) Antragsberechtigt sind Personen (im Forderungsverfahren auch Vereinigungen),
die vom nationalsozialistischen Regime aus politischen Gründen, aus Gründen der
Abstammung, Religion, Nationalität, sexuellen Orientierung, auf Grund einer
körperlichen oder geistigen Behinderung oder auf Grund des Vorwurfes der so genannten
Asozialität
verfolgt wurden oder das Land verlassen haben, um einer solchen Verfolgung
zu entgehen, und die als Folge von oder im Zusammenhang mit Ereignissen auf dem
Gebiet der heutigen Republik Österreich während der Zeit des Nationalsozialismus
Verluste oder Schäden erlitten haben.... "


Im Gegensatz dazu lautet die Bestimmung des §1 Abs.2 Operfürsorgegesetz (Bundesgesetz vom 4.
Juli 1947, BGBl. Nr. 183, über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies,
demokratische Österreich und die Opfer politischer Verfolgung; idF BGBl. 41/2002) immer noch:

(2) Als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen
anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen,
aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität oder auf Grund einer Behinderung
durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs-(im besonderen einer Staatspolizei-
)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem
Ausmaß zu Schaden gekommen sind. Als solche Schädigungen in erheblichem Ausmaße sind
anzusehen:... "

Weiters ist zu beachten, daß alle vier Parlamentsfraktionen im Jahre 2001 wieder ihre Auffassung
bekräftigt haben, daß es sich bei Personen, die vom NS-Regime verfolgt wurden, auch um
Menschen handelt, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder wegen des Vorwurfes der
sogenannten Asozialität verfolgt wurden. Es handelt sich dabei um Antrag 350/A XXI. GP, Antrag
der Abgeordneten Dr. Peter Kostelka, Ing. Peter Westenthaler, Dr. Andreas Khol, Mag. Terezija
Stoisits, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über
den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus geändert wird. Im
zugehörigen Ausschußbericht (475 I.d.B.
XXI. GP) finden sich ebenso wie im Vier-Parteienantrag
folgende mitbeschlossene erläuternde Bemerkungen im “Besonderen Teil":

Zu § 2b Abs. 3: Durch diese Bestimmung wird der Kreis der Leistungsberechtigten
festgelegt. Leistungsberechtigt sind natürliche Personen, welche die Voraussetzungen des
§ 2 Abs. 1 Z 2 erfüllen und vom nationalsozialistischen Regime verfolgt wurden (Verfolgung
aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität, sexuellen Orientierung, auf Grund
einer körperlichen oder geistigen Behinderung oder auf Grund des Vorwurfes der so
genannten Asozialität) oder das Land verlassen haben, um einer solchen Verfolgung zu
entgehen, sofern entweder sie selbst oder ihre Eltern auf Grund von oder im Zusammenhang
mit Vorgängen zwischen dem 13. März 1938 und dem 9. Mai 1945 im Gebiet der heutigen
Republik Österreich einen Vermögensverlust in einer der in Abs. 2 genannten Kategorien
erlitten haben. Dabei wurde darauf Bedacht genommen, Leistungen an Personen
vorzusehen, die auf Grund ihrer Verfolgung entweder selbst, oder deren Eltern,
Vermögensverluste erlitten haben. "

Es stellt daher möglicherweise einen Wertungswiderspruch dar, wenn einzig im Opferfürsorge-
gesetz der Opferbegriff nicht auch diese Opfergruppen erfaßt. Auch daher wäre es aus rechtlicher
Sicht konsistent, den §1 Abs.2 Opferfürsorgegesetz, entsprechend der heutigen Sichtweise, an die
sonstige Rechtslage anzupassen.


III. Zum Argument der “strafrechtlichen Kontinuität":

Von verschiedenen Seiten wird manchmal das Argument vorgebracht, Homosexualität wäre vor
und nach der NS-Zeit auch ein Straftatbestand gewesen, es liege hier also eine “strafrechtliche
Kontinuität" vor.

Erstens ist die Einweisung in ein Konzentrationslager, die spezifische Folterung durch SS, SA,
GESTAPO usw. und auch das Umkommen vieler homosexueller NS-Opfer in Konzentrationslagern
nicht mit der “normalen" Strafhaft einer demokratischen Republik vergleichbar.

Zweitens ist die Verfolgung Homosexueller während der NS-Zeit keinesfalls als "normale"
Ahndung eines Straftatbestandes zu sehen: Neben der Motivation zur Verfolgung Homosexueller
zeigt auch die Form ihrer Verfolgung einwandfrei eine über die als "normal" empfundene Strafe
hinausgehende Verfolgung. Für die Ahndung der durch das Strafgesetz verbotenen homosexuellen
Handlungen waren die Gerichte zuständig; im "Dritten Reich" übernahm die Gestapo nicht nur die
Ermittlungen, die zu einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft führten, sondern übte darüberhinaus
eigenmächtige "Strafgewalt" aus, indem sie Homosexuelle in Schutzhaft nahm bzw. in den meisten
Fällen in ein KZ einwies, und zwar unabhängig von einer gerichtlich verhängten Strafe, das heißt
auch nach Verbüßung einer Gerichtsstrafe oder ohne Gerichtsurteil. Der Verfolgungsdruck wurde
mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft radikal verstärkt, dies zeigt sich schon aus der
Tatsache, daß die Verurteilungen nach §129Ib StGB im Jahr 1938 eine Verdoppelung jener des
Jahres 1937 darstellen. Die Tendenz blieb steigend bis 1939. Nach Kriegsbeginn nimmt die Zahl
der Verurteilungen wieder ab, was jedoch nicht auf eine Verminderung der Verfolgung
zurückzuführen ist, sondern lediglich auf den Umstand, daß ein großer Teil der Betroffenen nicht
mehr in die Belange der regulären Gerichte fiel (sondern zum Beispiel der Wehrmachts- oder SS-
Gerichtsbarkeit unterstand) oder ausschließlich von der Gestapo verfolgt wurde und nicht vor
Gericht kam. Parallel zum Anstieg der Verurteilungen an sich stieg nun auch das Ausmaß der
verhängten Strafen. Dies führte während der NS-Zeit fast zu einer Verdoppelung der Haftzeiten in
Vergleich zu den Verurteilungen vor 1938 (vgl. Albert Müller / Christian Fleck: Unzucht wider die
Natur. Gerichtliche Verfolgung der "Unzucht mit Personen gleichen Geschlechts" in Österreich von
den 1930er Jahren bis zu den 1950er Jahren. In: ÖZG. 9/1998/3: S. 400-422).

Die spezifische Verfolgung Homosexueller durch das NS-Regime zeigt sich besonders eindringlich
in folgenden Berichten
(alle Ausführungen aus: Hans-Georg Stümke, Homosexuelle in Deutschland
- Eine politische Geschichte, Verlag C.H. Beck München, 1989):

“Die NSDAP nutzte die aufgeführten Emotionen gegen die Homosexualität 1934 sogleich zur
Vorbereitung der Verschärfung des Paragraphen 175 wie auch zum Aufbau eines geheimen,
zentralen Erfassungsapparates für Homosexuelle. Am 24. Oktober 1934 ging bei allen deutschen
Polizeidienststellen ein verschlüsseltes Rundtelegramm ein. Absender: Geheime Staatspolizei.
Auftraggeber: ,Der politische Polizeikommandeur' Verantwortlich für den Inhalt: Heinrich
Himmler. Das Telegramm enthielt den Auftrag zur Anfertigung ,einer namentlichen Liste
sämtlicher Personen, die sich irgendwie homosexuell betätigt haben'. Dazu sollte eine .Abschrift
der bereits vorhandenen Karteien' vorgenommen und diese beim , Geheimen Staatspolizeiamt,
Berlin H, 1. Sonderdezernat' eingereicht werden. Diese Anordnung löste die erste zentrale
Erfassungsstelle für Homosexuelle aus. Sie nahm Ende Oktober 1934 als , Sonderdezernat
Homosexualität' ihre Arbeit auf." (ebd., S. 105j)


Homosexualität sei ein , Angriff auf die völkische Sittenordnung, die Gefährdung der richtigen
sittlichen Haltung des Volkes'. Mit Blick auf die Republik Weimar hieß es, das alte Recht habe , der
sittlichen Verwilderung, die bis vor kurzem ins deutsche Volk hineingetragen wurde und sich
namentlich in den Großstädten öffentlich breit machte' nicht entgegengewirkt. Die neue Regierung
und , die nationalsozialistische Revolution' verhelfe nun . auch der gesunden sittlichen Haltung zum
Durchbruch, zu Kraft und Verbreitung'" (ebd. S. 110)

“Für den Bereich der SS habe er sich nun entschlossen, daß die Person nach Verbüßung der
Gefängnisstrafe ,auf meine Anordnung in ein Konzentrationslager gebracht und im
Konzentrationslager auf der Flucht erschossen (werden)'. In seiner Stuttgarter Rede vom 2.
September 1938 sprach er auch von weitergehenden Maßnahmen und sagte, er könne sich
, vorstellen, daß ein Homosexueller in der SS in einem Jahr schon mit dem Tode bestraft wird'. Das
geschah durch einen Führererlaß vom 15. November 1941. Darin ordnete Hitler an, ,daß ein
Angehöriger der SS oder der Polizei, der mit einem anderen Manne Unzucht treibt oder sich von
ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, ohne Rücksicht auf sein Lebensalter mit dem Tode bestraft
wird. " (ebd. S. 121)

“ Waren nach den offiziellen Statistiken des Dritten Reichs etwa 50.000 Homosexuelle nach
Paragraph 175 verurteilt worden, so wird in einer von Lautmann/Grikschat/Schmidt im Jahr 1977
veröffentlichten Untersuchung geschätzt, daß sich die Gesamtzahl der in den Konzentrationslagern
inhaftierten Homosexuellen
,in der Größenordnung von 10.000 ... bewegt. Die einzige NS-Angabe
ist die des Obersarztes Dr. Wuth aus dem Jahre 1943. Seit 1940 soll danach ,die Mindestzahl' 2248
betragen haben, .dürfte jetzt aber', wie er hinzufügte, ,etwas höher liegen'. ... Für Auschwitz ergibt
eine Auswertung der fünf erhaltenen gebliebenen , Zugangslisten' aus dem Jahre 1941, daß unter
den hier aufgeführten 9396 Häftlinge 40 mit dem Vermerk ,175' eingeliefert worden waren. Ihr
Alter bewegt sich zwischen 21 und 60 Jahren. ... In Buchenwald waren Anfang 1945 fast 200 rosa
Winkel nachweisbar" (ebd. S. 127f)

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage

1. Ist Ihnen die Stellungnahme Ihres Ministeriums unter GZ 40.006/7-5/02 zur Petition 87/PET
betreffend “Aufnahme bisher nicht genannter Opfergruppen im Opferfürsorgegesetz"
bekannt?

2.         Teilen Sie diese Stellungnahme vollinhaltlich?

Wenn ja,  warum  ist  Ihrer  Meinung  nach  keine  Änderung  des  Opferfürsorgegesetzes

notwendig und  wie  sollen homosexuelle  Opfer zu  einem  gesicherten  Rechtsanspruch

kommen?

Wenn nein, welchen Standpunkt vertreten Sie dann?


3.         Wieviele Anträge nach dem Opferfürsorgegesetz wurden seit 1947 von wegen ihrer
Homosexualität verfolgten NS-Opfern eingebracht, wieviele wurden positiv und wieviele
negativ erledigt?

4.         In drei von vier Gesetzen für die Wiedergutmachung von NS-Opfern, im
Nationalfondsgesetz, im Versöhnungsfondsgesetz und im Entschädigungsfondsgesetz sind
Opfer, die auf Grund ihrer “sexuellen Orientierung" oder “auf Grund des Vorwurfes der
sogenannten Asozialität" verfolgt wurden, enthalten. Stellt der § 1 Abs. 2
Operfürsorgegesetz daher nicht einen Wertungswiderspruch zu den drei anderen Gesetzen
dar? Wenn nein, warum nicht?

5.         Werden Sie dem Nationalrat eine Novelle des OFG vorlegen, mit der im § 1 Abs. 2
Opferfürsorgegesetz die Wortfolgen “sexuellen Orientierung" und “oder auf Grund der
Asozialität" aufgenommen werden?