985/J XXI.GP
der Abgeordneten Dr. Cap, Dr. Jarolim
und Genossen
an den Bundesminister für Justiz
betreffend die Freiheit der Kunst, Schlingensief und das hinterfragenswürdige Agieren des
Justizministers
Das Prinzip der „Freiheit der Kunst“ wurde 1982 in der österreichischen Bundesverfassung
verankert. Art 17a StGG legt fest, daß das „künstlerische Schaffen, die Vermittlung von
Kunst sowie deren Lehre.... frei“ sind. Seitens des VfGH wird die Auffassung vertreten, daß
der Staat keine „spezifisch intentional auf die Einengung dieser Freiheit gerichteten
Beschränkungen“ schaffen darf (VfSlg. 10.401; und weitergehend VfSlg 11.737). Zu
verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf einschlägige Judikatur österreichischer
Gerichte, die einem Künstler zum Zweck der Provokation breiten Handlungsspielraum geben,
ohne ihn unter Strafsanktionen zu stellen
Im Zusammenhang mit der von Christoph Schlingensief im Rahmen der Wiener Festwochen
durchgeführten Aktion „Asylanten - Container“ berichtet das Wochenmagazin „News“ in
seiner Ausgabe vom 29. Juni über Widersprüchlichkeiten in der Vorgangsweise von
Justizminister Böhmdorfer. Böhmdorfer habe am 16. Juni d. J. persönlich einige Journalisten
informiert, daß die Staatsanwaltschaft Wien gegen Christoph Schlingensief ein Verfahren
wegen des Verdachtes eines Verbrechens nach dem Verbotsgesetz eingeleitet habe.
Schlingensief hatte, um die Öffentlichkeit zu provozieren, in Anspielung auf die Aussagen
des neu gewählten Parteiobmanns der niederösterreichischen FPÖ, Ernest Windholz, eine
Fahne mit der Aufschrift „unsere Ehre heißt Treue“, dem Wappenspruch der SS, affichiert.
Windholz hatte eine Woche zuvor beim Parteitag der niederösterreichischen FPÖ altgediente
FPÖ - Mitglieder mit diesem Satz geehrt.
Andererseits habe Justizminister Böhmdorfer einen Tag zuvor, am 15. Juni d.J., so der Bericht
der Zeitschrift ‚,News“ weiter, einen Brief an den Wiener Bürgermeister Häupl gerichtet, mit
der Bitte die Veranstaltung von Christoph Schlingensief auf „zivilamtlichem Weg“ durch die
MA 35 zu untersagen, da die Staatsanwaltschaft keine rechtliche Möglichkeit sehe, in dieser
Frage einzugreifen. „Der Sachverhalt ist
notorisch. Durch die Provokationen ist eine
weltweite Schädigung des Rufs von Wien und Österreich zu besorgen . .. Nach meinem
derzeitigen Informations - und Wissensstand wäre eine Untersagung der Veranstaltung über
Sie durch die MA 35 möglich, wogegen die Staatsanwaltschaft mitgeteilt hat, keine rechtliche
Möglichkeit des Eingreifens zu haben“ zitiert ,,News“ das Schreiben des Justizministers
(News, Nr.26/2000, S 43).
Am 17. Juni d.J. gab Justizminister Böhmdorfer dem ORF - Mittagsjournal ein Interview, in
dem er u.a. auch zur Frage der Freiheit der Kunst Stellung nahm: „Ich bin der Meinung, daß
die Freiheit der Kunst zu den höchsten Gütern gehört und daß sie nur in den äußersten
Notfällen angegriffen oder zurückgedrängt werden sollte“.
Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Justiz
nachstehende
Anfrage:
1. Ist es zutreffend, daß Sie an den Wiener Bürgermeister Häupl eingangs zitiertes
Schreiben gerichtet haben, in dem Sie ihn auffordern, die von Christoph
Schlingensief durchgeführte Aktion ,,Asyl - Container“ über die MA 35 zu
untersagen?
2. Ist es zutreffend, daß Sie in diesem Schreiben vom 15. Juli d.J. explizit drauf
hingewiesen haben, daß Ihnen die Staatsanwaltschaft mitgeteilt habe, keine rechtliche
Möglichkeit des Eingreifens zu haben?
3. Wenn ja, weshalb haben Sie dessen ungeachtet am 16. Juli d.J. persönlich einige
Journalisten informiert, daß von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Christoph
Schlingensief ein Verfahren wegen des Verdachtes eines Verbrechens nach dem
Verbotsgesetz eingeleitet werde?
4. Stimmt es, daß die Staatsanwaltschaft Wien gegen Christoph Schlingensief ein
Verfahren wegen des Verdachtes eines Verbrechens nach dem Verbotsgesetz
eingeleitet hat?
5. Wenn ja, halten Sie die Einleitung des Verfahrens nach dem Verbotsgesetz gegen
Christoph Schlingensief, der mit seiner Aktion und dem Zitat der Aussage des FPÖ -
Parteiobmannes Windholz zum Stilmittel der Provokation griff, für gerechtfertigt?
6. Ist es zutreffend, daß seitens der Staatsanwaltschaft bislang kein Verfahren gegen den
niederösterreichischen FPÖ - Parteiobmann Ernest Windholz eingeleitet wurde, der die
Ehrung langjähriger FPÖ - Mitglieder am Parteitag der FPÖ Niederösterreich am
4. Juni d.J. mit den Worten „unsere Ehre heißt Treue“, dem Wappenspruch der SS,
vornahm?
7. Wenn ja, wie beurteilen Sie die unterschiedliche Vorgangsweise der
Staatsanwaltschaft in dieser Frage?
8. Hat es im Fall Schlingensief oder im Fall Windholz Ihrerseits Weisungen gegeben?
9. Eine Ihrer Befürchtungen im Zusammenhang mit der Aktion von Christoph
Schlingensief war dem in der Zeitschrift ,,News“ zitierten Brief nach die weltweite
Schädigung des Rufs von Österreich. Sind Sie der Auffassung, daß besagte Aussage
des Vorsitzenden der niederösterreichischen FPÖ, über die in den internationalen
Medien berichtet wurde, für das internationale Ansehen Österreichs förderlich ist?
10. Bleiben Sie bei Ihrer eingangs zitierten Aussage zum Prinzip der Freiheit der Kunst
aus dem ORF - Mittagsjournal vom 17. Juni 2000?
11. Stellt die Aktion „Asyl - Container“ von Christoph Schlingensief für Sie gemäß Ihrer
Aussage im ORF - Mittagsjournal einen jener „äußersten Notfälle“ dar, in denen die
Freiheit der Kunst „angegriffen oder zurückgedrängt werden sollte“?