70/A(E) XXII. GP

Eingebracht am 19.03.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Entschließungsantrag

DRINGLICHER ANTRAG

des Abgeordneten Van der Bellen, Freundinnen und Freunde

gemäß §§ 74a Abs.1 in Verbindung mit 93 Abs.1 GOG
an die Bundesregierung

betreffend eine Änderung der Nationalratswahlordnung sowie die Schaffung
bundesverfassungsrechtlicher Mindeststandards für Landtagswahlordnungen

Die niederösterreichische Landeswahlbehörde hat die Entscheidung getroffen, dass
es sich bei den Kurzbezeichnungen „GRÜNE" für „Die Grünen" und „GRÜNÖ" für
„Grünes Unabhängiges Österreich, Liste der EU-Opposition, Gabriele Wladyka" nicht
um „schwer unterscheidbare Parteibezeichnungen" im Sinne des §43 der
niederösterreichischen Landtagswahlordnung handelt. Auf den Stimmzetteln für die
kommende Landtagswahl werden daher die Parteibezeichnungen kleingedruckt, die
Kurzbezeichnungen „GRÜNE" und „GRÜNÖ" jedoch deutlich größer und fettgedruckt
zu finden sein. In 10 Wahlkreisen werden diese sehr ähnlichen Kurzbezeichnungen
unmittelbar nebeneinander stehen.

Diese Entscheidung der letztlich zuständigen Landeswahlbehörde, die ausschließlich
mit den Stimmen von ÖVP- und FPÖ-Vertreterlnnen gefasst wurde, war allerdings
erst der letzte Akt eines für westliche Demokratien unwürdigen Schauspiels, bei dem
es letztlich nur darum ging, durch die (Schein-)Kandidatur einer pseudogrünen Liste
Wählerinnen und Wähler zu täuschen. Die Grünen (Liste „GRÜNE") haben politisch,
inhaltlich und ideologisch mit der Gruppierung „GRÜNÖ" nichts gemeinsam, wie die
folgende Kurzcharakteristik zeigt:

Die nunmehr mit schwarz-blauer Unterstützung unter dem Namen „GRÜNÖ"
kandidierende Gruppierung war bislang ausschließlich unter dem Namen „Liste der
EU-Opposition" (LEO) in Erscheinung getreten. Es handelt sich dabei um eine
Gruppierung, die radikale Anti-EU Positionen vertritt. Die GRÜNÖ-Spitzenkandidatin
und ehemalige Proponentin des Anti-EU-Volksbegehrens W. bewegt sich dabei
regelmäßig im Dunstkreis obskurer Organisationen wie etwa dem „Verein zur
Förderung der psychologischen Menschenkenntnis", dem im „Lexikon der Sekten"
(Herder) „...sektenhafte Züge nachgewiesen werden", und anderer
rechtskonservativer Bewegungen, die wiederum gute Kontakte mit Revisionisten und
Rechtsextremisten pflegen. Nicht zuletzt tat sich die GRÜNÖ-Spitzenkandidatin.
immer wieder mit einschlägigen Zitaten hervor, die bezeichnend sind für die
Geisteshaltung ihrer Gruppierung: so bezeichnete sie die Europäische Union als
„Völker-Kerker" („Krone", 24.4.02), „Diktatur" („Die Presse" v. 22.02.2003) und zuletzt
als „kapitalistisches Kriegsprojekt" und die EU-Erweiterung als „Ostfeldzug des
Vierten Reichs" (beides in „Die Presse" v. 4.3.2003).

Umso überraschender war es daher, dass ausgerechnet Vertreter der „Europa-
Partei" ÖVP ihre Sympathie für eine derartig europafeindliche Gruppierung


entdeckten: im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahlen leisteten
zahlreiche Vertreterinnen der niederösterreichischen Volkspartei
Unterstützungserklärungen für die nunmehr plötzlich unter dem Namen „GRÜNÖ"
auftretende Gruppierung, um ihr die Kandidatur zu ermöglichen. So unterzeichneten
beispielsweise in der Gemeinde Purgstall u.a. VP-Bürgermeister Franz Ressl,
Vizebürgermeister Ferdinand Bachler sowie eine Reihe anderer VP-Funktionäre und
Personen aus dem unmittelbaren Umfeld der Gemeindeverwaltung. Ein ähnliches
Bild ergibt ein Blick in andere Gemeinden, wo Familienmitglieder, Nachbarn etc. von
VP-Bürgermeistern Unterstützungserklärungen abgaben. Der Verdacht, dass es sich
hierbei um eine konzertierte Aktion der ÖVP handelte, die geplant und durchgeführt
wurde, um durch die Verwechslungsgefahr bzw. den Eindruck zweier
konkurrierender Listen den Grünen zu schaden, ist mehr als naheliegend.

In 5 Wahlkreisen erhielt „GRÜNÖ" durch diese VP-Aktion die ausreichende Anzahl
an Unterstützungserklärungen, nicht wenige davon von ÖVP-Funktionärlnnen. Die
Kandidatur in den restlichen 16 Wahlkreisen wurde ermöglicht, indem die FPÖ-
Landtagsabgeordneten Ram, Hrubesch und Waldhäusl mit ihrer Unterstützungs-
unterschrift das Sammeln weiterer Unterstützungserklärungen überflüssig machten.
Somit ermöglichte ein gemeinsames schwarz-blaues Vorgehen die Kandidatur dieser
EU-feindlichen Liste.

Und ein gemeinsames schwarz-blaues Vorgehen ermöglichte in der zuständigen
Wahlbehörde, dass sich die obskure LEO-Liste in einer Kurzbezeichnung auf dem
Stimmzettel wiederfindet, die der seit Jahren gebräuchlichen Kurzbezeichnung der
Grünen zum Verwechseln ähnlich ist: Die niederösterreichische Landeswahlordnung
verlangt als einen Bestandteil von Wahlvorschlägen „die unterscheidbare
Parteibezeichnung in Worten und eine allfällige Kurzbezeichnung in Buchstaben". §
43 regelt ein Verfahren für den Fall, dass „mehrere Wahlvorschläge dieselben oder
schwer unterscheidbare Parteibezeichnungen tragen". Entscheidend ist dabei laut
Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSIg 8848) die „Maßgeblichkeit des
Gesamtbildes der Parteibezeichnung": diese sei als unteilbares Ganzes aufzufassen,
wobei auf das Bestehen einer Verwechslungsgefahr nach allgemeiner
Lebenserfahrung abgestellt wird. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der
aus dem B-VG ableitbare Grundsatz des „freien Wahlrechtes" implizit beinhaltet,
dass die politische Willensbildung dem wahren Wählerwillen entsprechen soll. In
diesem Sinne führen die Materialien zu §44 NRWO (873 BlgNR 5.GP, S.5) aus,
dass es dem öffentlichen Interesse widersprechen würde, wenn die Wähler durch
Täuschung nicht ihren wahren Willen zum Ausdruck bringen könnten. Eine auf die
Langbezeichnung der Parteien beschränkter Vergleich könnte dem Grundsatz freien
Wahlrechtes nicht Rechnung tragen, seien doch auf dem Wahlzettel abgedruckte
Kurzbezeichnungen von Parteien zweifellos geeignet, das Wahlverhalten massiv zu
beeinflussen.

Im konkreten Fall hätte daher - insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die
Kurzbezeichnungen auf dem Stimmzettel größer und fett gedruckt sind - besonderes
Augenmerk darauf gelegt werden müssen, dass auch bei den Kurzbezeichnungen
keine Verwechslungsgefahr besteht. Die Kurzbezeichnungen GRÜNE und GRÜNÖ
unterscheiden sich aber nur durch einen (den letzten) Buchstaben, der zumal
phonetisch ähnlich klingt. In einem ähnlich gelagerten Fall hat der VfGH aber einer
Wahlanfechtung stattgegeben, weil - so stellte das Höchstgericht fest - der
Verwechselbarkeit der Kurzbezeichnungen KPÖ (Kommunistische Partei


Österreichs) und KB (Kommunistischer Bund Österreichs) auch im Hinblick auf den
allgemeinen Sprachgebrauch Beachtung zu schenken sei. Die Abkürzungen „KPÖ"
und „KB" würden sich von der Sprechweise her kaum unterscheiden. Dieses
Argument des VfGH trifft aber im Vergleich der gesprochenen Worte auf „GRÜNE"
und „GRÜNÖ" umso mehr zu. Nicht zuletzt könnte die Endung NO auch als Hinweis
auf die Grüne Landesorganisation Niederösterreich gedeutet werden.

Die von der Landeswahlbehörde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ gefällte
Entscheidung, die Kurzbezeichnung GRÜNÖ zuzulassen, ist demnach aufgrund der
massiven Verwechslungsgefahr rechtlich - auch nach Ansicht namhafter
Verfassungsrechtsexperten - mehr als fraglich und erscheint in Betrachtung der
Gesamtumstände eher als schwarzblauer Willkürakt, um durch die bewusst in Kauf
genommene Verwechslungsgefahr den Grünen zu schaden.

Eine Betrachtung der entsprechenden Regelungen auf Bundesebene (NRWO) führt
schließlich zum Ergebnis, dass auf dieser Ebene zwar eine ausdrückliche Regelung
für den Fall verwechselbarer Kurzbezeichnungen besteht. Dennoch erscheint die
bestehende Regelung für den Fall einer willkürlichen, missbräuchlichen (Mehrheits-)
Entscheidung der zuständigen Wahlbehörde auch zu kurz zu greifen.

Wahlbehörden werden von den politischen Parteien beschickt. Dementsprechend
können Entscheidungen dieser „Behörden" mitunter auch durchaus „politische"
Entscheidungen sein. Derzeit gibt es aber gegen Entscheidungen der obersten
Wahlbehörden (Bundeswahlbehörde bei Nationalratswahlen, Landeswahlbehörde
bei Landtagswahlen) für wahlwerbende Parteien kein Rechtsmittel vor dem
Wahltermin. Als Rechtsmittel gegen Entscheidungen, die gegen das geltende
Wahlrecht verstoßen, steht derzeit nur nach dem Wahltermin eine Wahl-Anfechtung
beim Verfassungsgerichtshof zur Verfügung. Ziel einer Wahlordnung kann es aber
nicht sein, dass es bei Verfahrensmängeln zwangsläufig zu einer Wahlaufhebung
und -Wiederholung kommt. Sinnvoller erscheint es, wenn gesetzeswidrige
Entscheidungen von Wahlbehörden bereits vor dem Wahltermin durch den
Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden können. Dem entsprechend soll
wahlwerbenden Parteien künftig bereits vor dem Wahltermin ein Rechtsmittel gegen
Entscheidungen von Wahlbehörden einräumt werden.

Schließlich scheint geboten, dass die neu zu schaffenden bzw. zu präzisierenden
Bestimmungen in der Nationalratswahlordnung hinsichtlich der Vermeidung der
Verwechselbarkeit von Parteien und die Notwendigkeit von
Unterstützungserklärungen auch als Mindeststandard für die
Landtagswahlordnungen gelten sollen. Dem entsprechend soll der
Bundesverfassungsgesetzgeber zur Vereinheitlichung der Wahlrechte auch eine
entsprechende Rahmenregelung als Mindeststandards schaffen, die für alle
Landtagswahlordnungen verbindlich sein soll.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden


DRINGLICHEN ANTRAG:

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat ein Bundesgesetz
betreffend die Änderung der Nationalratswahlordnung zur Beschlussfassung
vorzulegen, das folgende Regelungen umfasst:

1. Die klare und eindeutige Unterscheidbarkeit von Partei- und
Kurzbezeichnungen am Stimmzettel soll durch eine präzisere Regelung
sichergestellt werden: Künftig sollen im Konfliktfall Partei- und
Kurzbezeichnungen jener Parteien, die bereits im Nationalrat vertreten sind,
jedenfalls Vorrang vor neu auftretenden wahlwerbenden Gruppierungen
haben. Parteibezeichnungen von nicht im Nationalrat vertretenen Parteien
sind entsprechend abzuändern bzw. deren Kurzbezeichnungen allenfalls zu
streichen, sofern eine Verwechselbarkeit möglich erscheint.

2.  Künftig soll für Wahlvorschläge von Parteien, die bereits im Nationalrat
vertreten sind, die Vorlage von Unterstützungserklärungen nicht mehr
erforderlich sein.

3. Die Regelung, wonach die Unterschriften von (drei)
Nationalratsabgeordneten das Sammeln der erforderlichen
Unterstützungserklärungen ersetzt, soll ersatzlos gestrichen werden.

Die Bundesregierung wird darüber hinaus aufgefordert, dem Nationalrat eine Novelle
des B-VG zur Beschlussfassung vorzulegen, die den Landtagswahlordnungen
sinngemäß diese 3 Punkte als Mindeststandard vorschreibt.

Schließlich wird die Bundesregierung aufgefordert, dem Nationalrat eine BV-G-
Novelle zur Beschlussfassung vorzulegen, die wahlwerbenden Parteien bereits vor
dem Wahltermin gegen Entscheidungen von Wahlbehörden ein Rechtsmittel an den
Verfassungsgerichtshof einräumt. Der VfGH soll daher künftig nicht nur im
Nachhinein über Wahlanfechtungen zu befinden haben, sondern strittige
Entscheidungen von Wahlbehörden auch kurzfristig vor dem Wahltermin aufheben
können, wenn sie gegen das geltende Wahlrecht verstoßen.

Die unterfertigten Abgeordneten verlangen, diesen Antrag gemäß §§ 74a Abs. 1 in
Verbindung mit 93 Abs. 1 GOG dringlich zu behandeln und dem Erstunterzeichner
Gelegenheit zur Begründung zu geben.