8/A XXII.GP

Eingelangt am: 20.12.2002

ANTRAG

der Abgeordneten Dr. Alfred Gusenbauer, Heidrun Silhavy, Verzetnitsch

und GenossInnen

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zur

Verankerung des Sozialstaats geändert wird

Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zur Verankerung
des Sozialstaats geändert wird

Der Nationalrat hat beschlossen:

Das Bundes-Verfassungsgesetz, zuletzt geändert durch das Bundesverfassungsgesetz
BGBL. I Nr. 99/2002, wird wie folgt geändert:

1.      Art. 1 lautet:

“Artikel 1. (1) Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk
aus.

(2) Österreich ist ein Sozialstaat. Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die
soziale Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als
eigenständige Ziele. Vor Beschluss eines Gesetzes wird geprüft, wie sich dieses auf die
soziale Lage der Betroffenen, die Gleichstellung von Frauen und Männern und den
gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt (Sozialverträglichkeitsprüfung). Die Absicherung
im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut erfolgt
solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme. Die Finanzierung der
Staatsausgaben orientiert sich am Grundsatz, dass die in Österreich lebenden Menschen einen
ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen Beitrag leisten."


2.      Art. 151 wird folgender Abs. 26 angefügt:

(26) Art. 1 in der Fassung BGBl. 1 Nr..../.... tritt mit 1. Jänner 2003 in Kraft.

Zuweisungsvorschlag: Verfassungsausschuss


Begründung:

Durch die Unterordnung der Sozialpolitik unter die Priorität des Nulldefizits - das durch die
FPÖVP-Regierung zum alleinigen Erfolgskriterium gemacht wurde, um letztendlich doch
nicht erreicht zu werden - wurden die sozial Schwachen weiter an den Rand der Gesellschaft
gedrängt.

Die FPÖVP-Regierung propagierte vor allem die Eigenvorsorge im Fall von Krankheit,

Unfall, Arbeitslosigkeit oder Alter.

Zur Untermauerung dieses blau-schwarzen Weges wurden verschiedene Selbstbehalte, wie

Rezeptgebühren, Pflegekostenbeitrag, etc. dramatisch erhöht, andererseits wurden neue

Selbstbehalte, wie Ambulanzgebühren eingeführt. Zusätzlich erfolgten massive Kürzungen

bei den Pensionen, bei den Familienzuschlägen in der Arbeitslosenversicherung oder durch

die Besteuerung der Unfallrenten.

Verbesserungen im Bildungswesen, in der Jugendwohlfahrt, bei der Kinderbetreuung und bei

sozialen Diensten für Pflegebedürftige wurden zu Gunsten privater Marktlösungen

vernachlässigt.

Armutsbekämpfung blieb ein Lippenbekenntnis.

Neue Probleme, wie die soziale Absicherung bei atypischer Beschäftigung, die Integration
von ZuwanderInnen oder eine bedarfsorientierte Grundsicherung wurden von dieser
Regierung nicht als neue Anforderungen an einen modernen Sozialstaat angesehen.

Die FPÖVP-Regierung schwächte somit besonders die vier Hauptsäulen des Sozialstaats, die
Kranken- und Unfallversicherung, die Pensionsvorsorge, die Arbeitslosenversicherung und
das öffentliche Bildungswesen. Gleichzeitig verstärkten schwarz-blau ihren parteipolitischen
Einfluss auf die Sozialversicherung und schalteten die Selbstverwaltung per Gesetz
weitgehend aus. Unter der Devise "Sozialstaat schlank" wurde die Spaltung der Gesellschaft
vertieft, Ausgrenzung und Verarmung wurden gefördert.

Der neue “un-soziale Gesellschaftsvertrag" der FPÖVP-Regierung entwickelte sich zu einer
Bedrohung für ArbeitnehmerInnen, Arbeitslose, Frauen, Alleinerzieherinnen, Kranke,
Personen mit niedrigem Einkommen, aber auch für Zivildiener. Kultur-, Fraueninitiativen und
arbeitsmarktpolitische Projekte wurden durch diese Politik massiv gefährdet. Unter den
Schlagworten "Hilfe zur Selbsthilfe", "Leistungsgerechtigkeit", "Private
Sozialverantwortung" wurden einerseits Einrichtungen der sozialen Sicherung systematisch


abgebaut und ausgehöhlt, andererseits gerade jene Einrichtungen der zivilen Gesellschaft
ausgehungert, die in den letzten Jahren sozialstaatliche Defizite aufgezeigt und bekämpft
haben.

Die Politik dieser Bundesregierung führte dazu, dass unser Sozialstaat untergraben und
ausgehöhlt wurde. Dagegen wehrten sich unabhängige BürgerInnen mit dem Volksbegehren
“Sozialstaat Österreich". Das Ziel war der Schutz dieses Sozialstaates und damit unseres
solidarischen Gesundheits- und Pensionssystems, des freien Zugangs zur Bildung und einer
aktiven Politik zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen. Das Volksbegehren
forderte, dass der Passus “Österreich ist ein Sozialstaat" in der Verfassung verankert werden
soll. Damit wären soziale Grundrechte von den Regierenden verbindlich zu berücksichtigen.

Wenn die Formulierung sozialer Grundrechte tatsächlich nur Symbolkraft hätte, wie sehr oft
propagiert wird, wäre der heftige Widerstand, mit dem die Gegner sozialer Grundrechte deren
Verankerung in der österreichischen Verfassung bis jetzt verhindert haben, völlig
unverständlich. Selbstverständlich können soziale Grundrechte in der Verfassung eine
konkrete juristische Wirkung zur Steuerung des staatlichen Handelns in der Richtung einer
stetigen sozialstaatlichen Entwicklung entfalten.

Der Sozialstaat trägt zu besseren sozialen Chancen der in Österreich lebenden Menschen bei.
Angesichts der großen sozialen Herausforderungen im 21. Jahrhundert - wie Alterung der
Bevölkerung, Wandel der Erwerbsarbeit, Migration, Gleichstellung der Geschlechter - gibt
der Sozialstaat den Menschen die notwendige Sicherheit und das Vertrauen in eine sichere
Zukunft und stellt zusätzlich ein produktives wichtiges Element für die Volkswirtschaft dar.
Wir alle brauchen soziale Gerechtigkeit und Solidarität, sie garantieren Wohlstand und
sozialen Frieden. Deswegen sollen alle Regierenden durch die Ergänzung der Bundes-
verfassung zur Einhaltung der Grundsätze des Sozialstaates verpflichtet werden.