1431/AB XXII. GP

Eingelangt am 07.04.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten

 

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat DDr. Erwin Niederwieser, Kolleginnen und Kollegen
haben am 10. Februar 2004 unter der Zl. 1455/J-NR/2004 an mich eine schriftliche
parlamentarische Anfrage betreffend Österreichs Absenz als Sitz Europäischer Ämter,
Behörden und Agenturen gerichtet.

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:
Zu Frage 1:

Derzeit gibt es insgesamt 20 dezentralisierte Einrichtungen der Europäischen Union (EU), die
- unbeschadet ihrer Bezeichnungen (Zentrum, Stiftung, Agentur, Amt, Beobachtungsstelle) -
folgender Definition entsprechen: Eine EG-/EU-Agentur ist eine nicht mit den
Gemeinschaftsinstitutionen (Rat, EP, Europäische Kommission, etc.) zusammenhängende
Einrichtung des europäischen öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit
(diesbezügliche Ausnahme derzeit noch die Europäische Polizeiakademie/CEPOL), die durch
einen Rechtsakt des abgeleiteten Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts errichtet wird, der die
technischen, wissenschaftlichen, administrativen und sonstigen Aufgaben der Agentur regelt.
Dazu kommen vier weitere Agenturen, über deren Sitze bereits eine rechtsverbindliche
Entscheidung getroffen wurde, für die aber noch keine definitive Rechtsgrundlage
angenommen wurde.


Weiters können in diesem Zusammenhang einige von Brüssel / Luxemburg dislozierte
Einrichtungen der Europäischen Kommission - von denen eine auf mehrere Standorte
aufgeteilt ist - und das auf einem zwischenstaatlichen Übereinkommen basierende
Europäische Hochschulinstitut genannt werden.

Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft (EG, erste Säule der EU) wurden bislang
15 Agenturen eingerichtet - drei davon zunächst mit provisorischem Sitz in Brüssel:

     Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOP)

Einrichtung: 1975

Sitz: Thessaloniki (GR)

Aufgaben: Information, Forschung, Datenverbreitung zur Unterstützung von

Berufsbildungsexperten mit dem Ziel der Verbesserung von Berufsbildungsmaßnahmen in

ganz Europa

     Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen
(EUROFOUND)

Einrichtung: 1975

Sitz: Dublin (IRL)

Aufgaben: Analyse von Lebens- und Arbeitsbedingungen; Ausarbeitung von Leitlinien

und Empfehlungen für sozialpolitische Entscheidungsträger

     Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF)

Einrichtung: 1990
Sitz: Turin (I)

Aufgaben: Unterstützung der Reform der Berufsbildung in EU-Partnerländern u.a. im
Rahmen der Programme MEDA, CARDS, Tacis und Phare und Umsetzung der EU-
Politik in konkrete Ausbildungs- und Arbeitsmarktinstrumente für Drittstaaten

     Europäische Umweltagentur (AEE)

Einrichtung: 1990; Tätigkeitsaufnahme 1994;

Sitz: Kopenhagen (DK)

Aufgaben: Sammlung, Aufbereitung und Bereitstellung von Informationen über den

Zustand und die Entwicklung der Umwelt auf europäischer Ebene


    Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD)

Einrichtung: 1993; Tätigkeitsaufnahme 1995

Sitz: Lissabon (P)

Aufgaben: Sammlung und Verbreitung von objektiven, zuverlässigen und vergleichbaren

Informationen über Drogen und Drogensucht in Europa

    Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA)

Einrichtung: 1993

Sitz: London (GB)

Aufgaben: Bündelung der wissenschaftlichen Ressourcen, um eine optimale Beurteilung

und Überwachung von Arzneimitteln in Europa zu gewährleisten

    Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM)

Einrichtung: 1993

Sitz: Alicante (SP)

Aufgaben: Anmeldungsverfahren für Gemeinschaftsmarken und hinkünftig auch

Gemeinschaftsgeschmackmuster

    Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-
OSHA)

Einrichtung: 1994

Sitz: Bilbao (SP)

Aufgaben: Erhebung, Analyse und Verbreitung von Informationen zur Verbesserung der

Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz

    Gemeinschaftliches Sortenamt (OCVV)

Einrichtung: 1994

Sitz: Angers (F)

Aufgaben: Verwaltung eines Systems des gemeinschaftlichen Sortenschutzes für neue

Pflanzensorten


          Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union (CdT)

Einrichtung: 1994

Sitz: Luxemburg (LUX)

Aufgaben: Deckung des Übersetzungsbedarfs der anderen dezentralen

Gemeinschaftseinrichtungen

    Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
(EUMC)

Einrichtung: 1997; Tätigkeitsaufnahme 1998

Sitz: Wien (Ö)

Aufgaben: Informationen und Daten über rassistische, fremdenfeindliche und

antisemitische Phänomene in Europa; Ausarbeitung von Strategien zur Bekämpfung

dieser Phänomene

    Europäische Agentur für den Wiederaufbau (EAR)

Einrichtung: 1999

Sitz: Thessaloniki (GR) - operative Zentren in Pristina, Belgrad, Podgorica and Skopje

Aufgaben: Verwaltung von EG-Hilfsprogrammen in Serbien, Montenegro, Kosovo und

FYROM

    Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)

Einrichtung: 2002

Sitz: Parma (I), provisorischer Sitz ist Brüssel

Aufgaben: Wissenschaftliche Information und Risikobewertung betreffend Nahrungs- und

Futtermittel, die als Basis für Maßnahmen der EU-Organe zur Erhöhung der

Nahrungsmittelsicherheit dienen

    Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA)

Einrichtung: 2002

Sitz: Lissabon (P), provisorischer Sitz Brüssel

Aufgaben: Beratung der Kommission in technischen und wissenschaftlichen Fragen der

Seeverkehrssicherheit; Inspektionen in den Mitgliedstaaten; Unterstützung bei der

Verstärkung des Gemeinschaftssystems der Hafenstaatkontrolle, etc.


    Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA)
Einrichtung: 2002

Sitz: Köln (D), provisorischer Sitz Brüssel)

Aufgaben: Unterstützung der europäischen Organe bei der Erarbeitung von Rechtsakten
und Durchführungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Sicherheitskontrolle von
Luftfahrzeugen, der Organisationen und Personen, die sie bedienen, sowie aller
verwandter Bereiche

Für folgende Agenturen, deren rechtliche Einrichtung in naher Zukunft bevorsteht, wurden
die Sitze bereits im Beschluss der auf Ebene der Staats- und Regierungschefs vereinigten
Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten über die Festlegung der Sitze bestimmter
Einrichtungen und Dienststellen der EG vom 13. Dezember 2003 festgelegt:

    Europäische Eisenbahnagentur

Kommissionsvorschlag vom 24.1.2002
Sitz: Lille / Valenciennes (F)

    Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit

Kommissionsvorschlag vom 11.2.2002
Sitz: GR

    Europäisches Zentrum für Seuchenprävention und -kontrolle

Kommissionsvorschlag vom 8.8.2003
Sitz: S

    Europäische Chemikalienagentur

Kommissionsvorschlag vom 29.10.2003
Sitz: Helsinki (FIN)

Neben den Agenturen im Sinne der eingangs dargelegten Definition gibt es einige von den
Sitzen der EU-Organe (Brüssel, Luxemburg, Strassburg) dislozierte Dienststellen der
Europäischen Kommission:

    Gemeinsame Forschungsstelle (JRC)

Gründung: 1957

Sitze: GD Brüssel; 3 Institute in Ispra (I), darunter das "Europäische Chemikalienbüro"; je

ein Institut in Geel (B), Karlsruhe (D), Petten (NL), Sevilla (SP)


     Europäisches Inspektionsbüro für Veterinär- und Pflanzenschutzkontrollen

Einrichtung: 1991 (Teil der Generaldirektion für Gesundheit- und Verbraucherschutz der

EK)

Sitz: Dublin (IRL)

Als von den Sitzen der EU-Organe dislozierte, der Europäischen Union zugeordnete
Einrichtung zu nennen ist auch:

     Europäisches Hochschulinstitut (EUI)

Einrichtung: 1972; Tätigkeitsaufnahme 1976
Sitz: Florenz
(I)

Im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen der
Europäischen Union wurden bislang drei dezentrale Einrichtungen geschaffen:

     Europäisches Polizeiamt (EUROPOL)

Einrichtung: 1995; Tätigkeitsaufnahme 1999

Sitz: Den Haag (NL)

Aufgaben: Unterstützung der Strafverfolgungstätigkeiten der Mitgliedstaaten in den

Bereichen illegaler Drogenhandel, Schlepperwesen, Terrorismus, illegaler KfZ-Handel,

Kinderpornographie, Geldfälschung und Geldwäscherei

     Europäische Polizeiakademie (CEPOL)

Einrichtung: 2000; derzeit noch keine eigene Rechtspersönlichkeit

Sitz: Bramshill (GB); provisorische Ansiedlung des Sekretariats 2002 in Kopenhagen

Aufgaben: Netzwerk der nationalen Polizeiausbildungsinstitute

     EUROJUST

Einrichtung: 2002

Sitz: Den Haag (NL)

Aufgaben: Kooperation, Koordination und Information zwischen den Justizbehörden der

Mitgliedstaaten

Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wurden zwei frühere WEU-
Einrichtungen als Agenturen des Rates der Europäischen Union eingerichtet:


     Satellitenzentrum (EUSC)

Einrichtung: 2001: Tätigkeitsaufnahme 1.1.2002

Sitz: Torrejón (SP)

Aufgaben: Auswertung und Produktion von Satelliteninformation zur Unterstützung der

GASP

     Institut für Sicherheitsstudien (ISS)

Einrichtung: 2001; Tätigkeitsaufnahme 1.1.2002

Sitz: Paris (F)

Aufgaben: Forschung und Analyse in Sicherheits- und Verteidigungsfragen

Zu Frage 2:

Gemäß dem Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten beim Europäischen
Rat von Edinburgh im Dezember 1992 ist bei der Festlegung der Standorte noch zu
schaffender Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Union jenen Mitgliedstaaten,
in denen noch keine solchen Institutionen angesiedelt sind, angemessene Priorität
einzuräumen. Österreich wurde als erstem der 1995 der Europäischen Union beigetretenen
Staaten im Juni 1997 mit der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit der Sitz einer Agentur zuerkannt. Finnland und Schweden erhalten erst
durch den Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten beim Europäischen
Rat von Brüssel vom
13. Dezember 2003 ihre ersten Agentursitze.

Beim Europäischen Rat in Brüssel (Dezember 2003) wurde einer langjährigen Forderung
Österreichs, dem substantiellen Ausbau der in Wien befindlichen Europäischen Stelle für die
Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu einer Agentur für Menschenrechte,
Rechnung getragen. Die bestehende Agentur wird in der Folge hinsichtlich ihrer sachlichen
Zuständigkeit nicht mehr nur auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beschränkt, sondern
für den gesamten Bereich der Menschenrechtspolitik zuständig sein. Diese Ausweitung des
Mandates wird auch mit einer personellen Verstärkung der Agentur einhergehen.

Zu Fragen 3-7:


Unbeschadet der durch das Bundesministeriengesetz festgelegten Zuständigkeiten habe ich in
enger Abstimmung mit dem Bundeskanzler meine Koordinationsaufgabe wahrgenommen, um
ein einheitliches Vorgehen der Bundesregierung hinsichtlich der österreichischen
Bewerbungen für den Sitz solcher Behörden sicherzustellen und habe mich auf europäischer
Ebene bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die jeweils geeignetste Weise eingesetzt.

Dies gilt in erster Linie für die erfolgreichen Bemühungen hinsichtlich der Ausweitung des
Mandates der Europäischen Stelle für die Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit und den Aufbau einer Agentur für Menschenrechte in Wien.

Österreich hat sich in dem genannten Zeitraum nach entsprechender innerstaatlicher
Abstimmung außerdem als Sitz für die folgenden Agenturen angeboten:

           Provisorisches Sekretariat und später permanenter Sitz der Europäischen Polizeiakademie

           Chemikalienagentur

           Europäisches Zentrum für Krankheitsüberwachung (nunmehr „Europäisches Zentrum für
Seuchenprävention und -bekämpfung").

Der provisorische Sitz des Sekretariats der Europäischen Polizeiakademie wurde mangels
Einigung beim Europäischen Rat von Laeken (Dezember 2001) im März 2002 in Kopenhagen
eingerichtet. Für die Einrichtung der Chemikalienagentur legte die Europäische Kommission
im Oktober 2003 einen Rechtsaktvorschlag vor, der bis dato noch nicht verabschiedet wurde.
Der Sitz wurde Finnland zugesprochen, das bisher noch keinen Agentursitz innehat. Das
Europäische Zentrum für Seuchenprävention und -bekämpfung wurde an Schweden verge-
ben, das - wie Finnland - bisher noch über keinen Amtssitz verfügt.

Rechtliche Grundlage für die Festlegung der Standorte von Agenturen ist Artikel 289 EG-
Vertrag, demzufolge der Sitz der Organe der Gemeinschaft im Einvernehmen zwischen den
Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmt wird. Die im Europäischen Rat vertretenen Staats-
und Regierungschefs haben bereits am 13. Dezember 2003 rechtsverbindlich mit einvernehm-
lichem Beschluss über die Festlegung der Sitze bestimmter Ämter, Behörden und Agenturen
der Europäischen Union entschieden.

Die österreichische Haltung wurde auf Basis einer engen Abstimmung zwischen Bundes-
kanzler, Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten und den fachlich jeweils zu-


ständigen BundesministerInnen erstellt und in entsprechenden Ministerratsvorträgen
festgehalten.

Zu Frage 8:

Die Beurteilung der Frage, inwiefern sich die Gendarmerieschule in Gnadenwald/Tirol für
den Standort für die Europäische Polizeiakademie eignet, stellt keine Angelegenheit der
Vollziehung des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten dar.

Zu Frage 9:

Die Kandidatur Finnlands, das noch über keine Agentur verfügte, für den Sitz dieser Behörde
galt zum damaligen Zeitpunkt als mehrheitsfähig und sehr chancenreich, wie auch dem EU-
Hauptausschuss, der laufend über die Angelegenheit informiert wurde, bekannt war.
Österreich als Sitz der Europäischen Stelle für die Beobachtung von Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit war durch die Beschlüsse des Europäischen Rates von Edinburgh (siehe
Frage 2) gebunden.

Zu Frage 10:

Die Beurteilung dieser Frage liegt nicht im Vollzugsbereich des Bundesministeriums für
auswärtige Angelegenheiten.

Zu Frage 11:

Am 27. November 2003 konnten die Innenminister im Rat politische Einigung über die
Errichtung einer Europäischen Außengrenzschutzagentur erreichen. In diesem Jahr ist die
Annahme einer Ratsverordnung zur Errichtung dieser Agentur zur Koordinierung der opera-
tionellen Kooperation an den Außengrenzen geplant. Die Frage, in welchem Mitgliedstaat
diese Agentur ihren Sitz haben wird, ist derzeit noch offen. Bereits Interesse bekundet haben
einige Beitrittsländer gezeigt..


Derzeit wird im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zudem die
Einrichtung einer „Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten,
Forschung, Beschaffung und Rüstung der EU" vorbereitet. Der Rat beschloss im Rahmen
seiner Tagung am 17./18. November 2003, diese Agentur im Laufe des Jahres 2004 einzu-
richten. Die Frage des Sitzes dieser Agentur ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch völlig offen.
Es sind auch keinerlei informelle Interessensbekundungen einzelner Mitgliedstaaten bekannt.

Im Sinne des bereits genannten Beschlusses der Vertreter der Regierungen der Mitglied-
staaten beim Europäischen Rat von Edinburgh im Dezember 1992, dass bei der Festlegung
der Standorte noch zu schaffender Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Union
jenen Mitgliedstaaten, in denen noch keine solchen Institutionen angesiedelt sind, ange-
messene Priorität einzuräumen ist, kann davon ausgegangen werden, dass bei der Zuer-
kennung allfälliger weiterer Agentursitze die am 1. Mai 2004 beitretenden Staaten besonders
berücksichtigt werden.