2345/AB XXII. GP

Eingelangt am 31.01.2005
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0069-Pr 1/2004

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2382/J-NR/2004

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Gerhard Reheis, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „dem Gerichtsbeschluss zur Rückführung von Yasemin Kobal in die Türkei“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Ja

Zu 2:

Ja

Zu 3:

Österreich ist seit mehr als 16 Jahren Vertragsstaat des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (so genanntes Haager Kindesentführungsübereinkommen). Umfassende statistische Daten über die Anwendung dieses Übereinkommens stehen nicht zur Verfügung; es kann jedoch allgemein gesagt werden, dass in den meisten Fällen, in denen eine Rückgabe des Kindes durch ein österreichisches Gericht angeordnet wurde, der Elternteil, gegen den sich die Rückgabeentscheidung richtet, die gerichtliche Entscheidung letztlich respektiert und es auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht ankommen lässt. In einigen Fällen mussten jedoch die Kinder abgenommen und in den Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts zurückgebracht werden (USA, Großbritannien, Hongkong).

Zu 4:

Ja. Anzumerken ist jedoch, dass die Rückgabe nach Art. 13 Abs. 1 lit. b des Haager Kindesentführungsübereinkommens nur abgelehnt werden darf, wenn die Rückgabe mit einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht wird.

Zu 5:

Ob die Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 1 lit. b des Haager Kindesentführungsübereinkommens gegeben sind, ist vom befassten Gericht jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Die Rückgabe kann nach Art. 13 Abs. 2 des Haager Kindesentführungsübereinkommens auch abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen. Ob das Kind reif genug ist, ist ebenfalls im Einzelfall zu beurteilen. Einem zumindest 10-jährigen Kind wird von der Rechtsprechung die entsprechende Reife grundsätzlich nicht abgesprochen.

Zu 6 und 7:

Es handelt sich hiebei um Fragen, die von der unabhängigen Rechtsprechung zu beurteilen sind. Ganz allgemein verweise ich auf meine Ausführungen zur Frage 5.

Zu 8:

Eine Bedachtnahme auf den Umstand, dass sich das Kind in seiner Umgebung eingelebt hat, ist nur möglich, wenn der Rückgabeantrag mehr als ein Jahr nach dem widerrechtlichen Verbringen gestellt wird; dies traf auf den vorliegenden Fall nicht zu (s. Art. 12 Abs. 2 des Haager Kindesentführungsübereinkommens).

Zu 9:

Wenn in den Medien von einer „Entführung“ gesprochen wird, so vermag ich dies nicht zu beeinflussen. Die Gerichtsentscheidungen haben  ein „widerrechtliches Verbringen des Kindes“ durch seine Mutter im Sinn des Art. 3 des Haager Kindesentführungsübereinkommens bejaht und die Rückgabe angeordnet. Ein „widerrechtliches Verbringen“ im Sinn des Übereinkommens ist gegeben, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Mai 2002 (also im Zeitpunkt des Verbringens des Kindes aus der Türkei nach Österreich) hatten nach türkischem Recht beide Elternteile die gemeinsame Obsorge. Durch das einseitige Vorgehen der Kindesmutter wurde das Mitobsorgerecht des Kindesvaters verletzt. Dies erfüllt den Tatbestand des „widerrechtlichen Verbringens“.

Zu 10:

Ich kenne die näheren Details des den Gegenstand der Anfrage bildenden Falles, dessen Entscheidung in die ausschließliche Kompetenz der Gerichte fällt, nicht. Ich kann daher die angebliche Aussage der Tiroler Kinder- und Jugendanwältin nicht kommentieren.

Zu 11 und 13:

Auch dabei handelt es sich um Akte der Rechtsprechung eines unabhängigen Gerichtes. Ich gehe davon aus, dass das Gericht bei seiner Vorgehensweise auch immer das Wohl des Kindes im Auge gehabt hat.

Zu 12:

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 30.9.2004, der die Rückführung bestätigte, wurde dem Rechtsanwalt der Kindesmutter am 5.10.2004 ausgefolgt, ein Rechtsmittel wurde nicht erhoben. Eine weitere Rechtsmittelmöglichkeit ist nicht vorgesehen.

Zu 14:

Die Erteilung eines Visums fällt nicht in meinen Wirkungsbereich, sondern in den des Bundesministeriums für Inneres. Ich kann diese Frage daher nicht beantworten. Ich weise lediglich darauf hin, dass das Bundesministerium für Justiz als zentrale Behörde nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommens die Erteilung eines Visums befürwortet hat, weil es im Interesse des Kindes für notwendig erachtet wurde, dass der Kindesvater persönlich nach Österreich kommt, um das Kind zu übernehmen und um es nicht unbegleitet in ein Flugzeug nach Istanbul setzen zu müssen.

Zu 15:

Die Unterhaltspflichten des Kindesvaters stehen in keinem rechtlichen Zusammenhang mit dem Verfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen.

Zu 16 und 17:

Soweit dem Bundesministerium für Justiz bekannt ist, wurden vor der Rückgabe des Kindes keine Versuche zur Geltendmachung der Unterhaltsforderungen des Kindes in der Türkei unternommen. Was die Unterhaltsbevorschussung anlangt, so wurde mit Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 9.12.2004  der Kindesvater zur Rückzahlung des Unterhaltsvorschusses bis 9.2.2005 bei sonstiger Zwangsvollstreckung aufgefordert. Zu einer Inanspruchnahme des Unterhaltsschuldners während seines Aufenthalts in Österreich kam es offenbar deshalb nicht, weil dem zuständigen Referat für Unterhaltsvorschüsse im Präsidium des Oberlandesgerichts dieser Aufenthalt nicht bekannt war.

Zu 18 und 19:

Die finanzielle Situation des Kindesvaters wurde aufgrund der gesetzlichen Gegebenheiten nicht geprüft, weil die Verfahrenshilfe nach § 5 Abs. 3 des Durchführungsgesetzes zum Haager Kindesentführungsübereinkommen, BGBl. Nr. 513/1988, ohne Rücksicht darauf, ob die im § 63 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen, einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts zu bewilligen war. Das bedeutet, dass die Verfahrenshilfe dem Antragsteller in diesem Sonderfall unabhängig von seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu gewähren ist.

Zu 20:

Ein Tätigwerden des Bundesministeriums für Justiz im Ausland ist nur auf der Grundlage internationaler Übereinkommen möglich; für den Bereich des Obsorgeverfahrens – nach einem widerrechtlichen Verbringen eines Kindes - gibt es keine derartigen zwischenstaatlichen Vereinbarungen.

Das Bundesministerium für Justiz ist gern bereit, die Mutter des Kindes – so sie dies wünscht – über die Rechtslage nach türkischem Recht zu informieren.

. Jänner 2005

 

(Maga. Karin Miklautsch)