240/AB XXII. GP

Eingelangt am 20.05.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfragebeantwortung

BM für Justiz

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier, Kolleginnen und Kollegen
haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Sanktionen wegen bzw. nach
HIV-Gefährdung" gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Vorauszuschicken ist, dass die Beantwortung der Fragen 1 bis 4, 6 und 7 auf
Berichten der Staatsanwaltschaften ausschließlich zu Strafverfahren wegen §§ 178 f
StGB (vorsätzliche oder fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare
Krankheiten) basiert. Die entsprechenden Verfahren wegen dieser Delikte wurden
durch eine Auswertung des elektronischen Registers im Bundesrechenzentrum
ermittelt. Das elektronische Register für den staatsanwaltschaftlichen Bereich wurde
allerdings erst im Zuge des Projektes Verfahrensautomation Justiz im Laufe des
Jahres 2000 eingeführt, sodass erst seit dem Stichtag 1. Jänner 2001 bundesweit
einheitlich Strafverfahren im elektronischen Register der staatsanwaltschaftlichen
Behörden vollständig erfasst werden. Vor dem Umstellungszeitpunkt angefallene
Strafverfahren wegen §§ 178 f StGB konnten durch das Bundesrechenzentrum nur
ermittelt werden, wenn ältere Registerdaten - wie z.B. aus dem Bereich der
Staatsanwaltschaft Wien - in das elektronische Register implementiert werden
konnten.

Eine darüber hinausgehende zuverlässige Identifizierung auch von Strafverfahren,
die allenfalls die Androhung einer "HIV-Gefährdung" zum Gegenstand hatten, ist
nicht möglich. Schon im Hinblick darauf, dass mehrere Tatbestände des
Strafgesetzbuches eine gefährliche Drohung (§ 74 Z 5 StGB) als Begehungsmittel


vorsehen (§§ 105, 107, 142 f, 201 f StGB und andere), könnten die entsprechenden
Fälle aus den Jahren 1998 bis 2002 nur im Wege einer systematischen, händischen
Durchsicht sämtlicher Verfahren, die solche Tatbestände zum Gegenstand hatten,
eruiert werden. Der damit verbundene Aufwand wäre auch angesichts der begrenzt
vorhandenen Ressourcen nicht zu bewältigen. Die mir vorliegenden Berichte der
Staatsanwaltschaften zu bekannten Einzelfällen können daher nur einen groben
Überblick über die in der Anfrage relevierten Strafverfahren verschaffen.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass die Anfragebeantwortung von jener zur Zahl
1/AB XXII. GP schon deshalb abweicht, weil nun im Rahmen der elektronischen
Auswertung im Bundesrechenzentrum auch für den Bereich der Staatsanwaltschaft
Wien Daten zu Verfahren nach §§ 178 f StGB gewonnen werden konnten. Zudem
wird in dieser Anfrage - anders als in der Voranfrage zur Zahl 6/J-NR/2003 - nicht
auf Anzeigen, sondern auf Fälle, die zu einem Strafverfahren führten, Bezug
genommen.

Zu 1 und 2:

Insgesamt sind 35 Fälle einer "HIV-Gefährdung" im Sinne der §§ 178 f StGB in den

Jahren 1998 bis 2002 bekannt. Die Gefährdung wurde in diesen Fällen durch
ungeschützten Geschlechtsverkehr, Bisse oder die Ermöglichung und Ausübung der
Prostitution durch HIV-infizierte Prostituierte herbeigeführt. In drei Fällen kam es zu
einer Übertragung des HIV-Virus.

Zu 3:

In zwölf Fällen wurde die Untersuchungshaft verhängt, und zwar im Jahr 1998 in

einem Fall, im Jahr 2000 in einem Fall, im Jahr 2001 in sechs Fällen und im Jahr
2002 in vier Fällen.

Zu 4:

Neben Strafen wurden von den Gerichten keine weiteren Maßnahmen verhängt.

Maßnahmen der Bezirksverwaltungsbehörden fallen nicht in den Zuständigkeits-
bereich des Bundesministeriums für Justiz.

Zu den Fragen 5 bis 7:

Die   in   der   Anfrage   aufgeworfene   zivilrechtliche   Fragestellung   spricht   eine

Problematik an, die den Fällen der Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus insoweit nicht
unähnlich ist, als da wie dort das "Vollbild" der Erkrankung häufig erst nach


beträchtlicher Zeit eintritt. Auszugehen ist davon, dass die HIV-Infektion als solche
bereits erheblichen medizinischen Krankheitswert hat und daher nicht nur
strafrechtlich eine "Gesundheitsbeschädigung" im Sinn des § 83 StGB, sondern
auch schadenersatzrechtlich eine Körperverletzung im Sinn des § 1325 ABGB
darstellt. Das Erreichen des 'Vollbilds" des Immunschwächesyndroms, also das
Auftauchen von schwer wiegenden Krankheitssymptomen, ist nur eine
zwangsläufige Folge des Schadens, der bereits durch die Infektion dem Grunde
nach eingetreten ist (Fenyves, Die Behandlung der Hepatitis-C-Fälle in der
Haftpflichtversicherung, JBI 2002, 205).

Es ist - vorbehaltlich der unabhängigen Rechtsprechung - davon auszugehen, dass
der Täter in den in der Anfrage dargestellten Sachverhaltskonstellationen bei
Vorliegen der übrigen Zurechnungsvoraussetzungen (wobei die betreffenden
Bestimmungen des StGB als Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB zu
qualifizieren sein werden) schadenersatzpflichtig werden kann. Zweck-
mäßigerweise wird der Geschädigte angesichts des Ungewissen Krankheitsverlaufs
in diesen Fällen nicht nur ein Leistungs-, sondern auch ein Feststellungsbegehren
stellen. Die betragsmäßige Höhe des Leistungsbegehrens wird - zumal das
Schmerzengeld in Form einer Globalsumme zu bemessen ist - ganz wesentlich von
den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängen, sodass hier pauschale
Aussagen nicht möglich sind.

In den bekannten Fällen erfolgte in den Jahren 1998 bis 2002 lediglich ein
Privatbeteiligtenanschluss in einem Strafverfahren. Über den Privatbeteiligten-
anschluss wurde mit Verweisung auf den Zivilrechtsweg entschieden.

Soweit überblickbar fehlen bislang veröffentlichte Entscheidungen der Gerichte zu
den in der Anfrage geschilderten Sachverhaltskonstellationen. Ich ersuche daher um
Verständnis, dass zu den Fragen 6 und 7 inhaltlich nicht näher Stellung genommen
werden kann.