3483/AB XXII. GP

 

Eingelangt am 13.12.2005
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BM für Verkehr, Innovation und Technologie

 

Anfragebeantwortung

 

GZ. BMVIT-10.000/0047-I/CS3/2005     DVR:0000175

 

 

 

An den

Präsidenten des Nationalrates

Dr. Andreas Khol

Parlament

1017   Wien

Wien, 13. Dezember 2005

 

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

 

 

Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 3593/J-NR/2005 betreffend Wert von Versprechen, die die Abgeordneten Haidlmayr, Freundinnen und Freunde am 8. November 2005 an mich gerichtet haben, beehre ich mich wie folgt zu beantworten:

 

Frage 1:

Werden sie beim Genehmigungsverfahren für die behindertenFEINDLICHE ÖBB-Sondervariante des Bombardier-Zuges „Talent“ nun endlich die Einhaltung des Eisenbahngesetzes, insbesondere des § 36 Absatz 4, durchsetzen und dementsprechend den international auch bei Bombardier-Zügen als Stand der Technik akzeptierten fahrzeuggebundenen Hebelift vorschreiben? Bei einer kolportierten Zahl von über 50 (!!!) Vorschreibungen des BMVIT, die Rückschlüsse über die fehlenden Qualitäten des Talent nahe legen, dürfte eine weitere Vorschreibung wohl kaum auffallen.

 

 

Antwort:

Es ist nach aktueller Gesetzeslage (Eisenbahngesetz 1957 i.d.g.F., besonders § 36 Abs.4) die Baugenehmigung seitens der Behörde zu erteilen, wenn die Anforderungen an die Sicherheit sowie Ordnung des Betriebes dem Stand der Technik entsprechen. Fahrzeugfeste Hebelifte stellen – zumindest in Fahrzeugen mit einem Fußbodenniveau im Einstieg- und Rollstuhlstellplatzbereich von ca. 600 mm über Schienenoberkante  - bei europaweiter Beobachtung nicht den „Stand der Technik“ dar, sodass derartige Hebelifte nicht bescheidmäßig vorgeschrieben werden konnten. Nicht zuletzt sind diese auch in der Betriebsabwicklung nicht unumstritten und benötigen genauso, wie die vorgeschriebenen Einfahrtsrampen die Hilfe von Betriebspersonal.

 

In diesem Zusammenhang erscheint es mir jedoch wichtig, einerseits darauf hinzuweisen, dass im aktuellen Betriebsbewilligungsbescheid der Betreiber der Fahrzeuge (in diesem Fall ÖBB-Personenverkehrs AG) ausdrücklich auf die Pflicht des Zugbegleitpersonals, Rollstuhlfahrer jedenfalls beim Ein- bzw. Ausstiegsvorgang zu unterstützen - dies wäre auch bei einem fahrzeugfesten Hebelift erforderlich - hingewiesen wird, anderseits auf die infrastrukturseitigen Fortschritte, die im Rahmen des Bahnsteigkonzeptes bewirken, dass schon jetzt ein Großteil der Fahrgastwechsel an 55 cm hohen Bahnsteigen stattfindet und somit in moderne Nahverkehrszüge praktisch niveaugleich eingestiegen werden kann. Die ÖBB –Betriebs AG hat ein entsprechendes Bahnsteigkonzept zur Umsetzung vorgelegt.

 

Frage 2:

Weshalb ist die nachstehende Zusage von Dr. Hartig, Leiter der Gruppe Schiene des BMVIT, vom 24. Oktober 2004 noch nicht umgesetzt? Zitat Dr. Karl-Johann Hartig (Verkehrsministerium): „Wir sind in der Arbeitsgruppe zu einem ganz anderen Schluss gekommen. Wir haben gesagt: Sie sind auszurüsten mit den Hebeliften. Kostet insgesamt 12,7 Millionen Euro und diese 12,7 Millionen Euro müssen finanziert werden.

 

Wir wollen in den Gemeinwirtschaftlichen Leistungsvertrag mit der ÖBB genau diesen Punkt hinein nehmen und sagen: Sie kriegen die 12,7 Millionen Euro nur dann, wenn sie die Fahrzeuge ausrüsten mit Hebeliften. So war es in der Arbeitsgruppe vereinbart und so setzen wir es auch um.“ (Anzuhören als Audio-File unter:

http://www.bizeps.or.at/multimedia/hartig041024hebelift.mp3)

 

Antwort:

Zur Zeit finden gerade Verhandlungen zwischen meinem Ressort und der ÖBB-Personenverkehrs AG über den gemeinwirtschaftlichen Leistungsvertrag statt. Dabei sind auch die Fragen der betrieblichen Abwicklung im Vergleich mit der vorgeschriebenen Einfahrtsrampe und die finanzielle Situation des ÖBB Personenverkehrs insgesamt  eingehend zu diskutieren. Ein Ergebnis liegt noch nicht vor.  

 

Frage 3:

Ist Ihnen bekannt, dass der Standard der NEUEN ÖBB-Fahrzeuge deutlich unter dem ALTER Fahrzeuge aus Schweden, Norwegen, der Tschechischen Republik, der BRD etc. liegt?

 

Antwort:

Es ist bekannt, dass es in den genannten Ländern Fahrzeuge gibt, die die erwähnte Variante der Triebwagengarnitur „Talent“ in einigen ihrer Eigenschaften übertreffen, nicht zuletzt weil in den skandinavischen Ländern breitere Fahrzeugprofile eingesetzt werden können. Dies trifft beispielsweise auf den Einbau eines fahrzeuggebundenen Hebeliftes zu. Dies kann aber nicht das einzige Entscheidungskriterium sein.

Bei einer Reihe weiterer Eigenschaften ist der „Talent“ deutlich besser. Insbesondere im Bereich der Brandschutzmaßnahmen wird diese Ausführung international von keinem Fahrzeug mit gleicher Verkehrsleistung übertroffen. Für eine Entscheidung für oder gegen ein Fahrzeug, sind eine Vielzahl von unterschiedlichen Kriterien und Parametern maßgeblich.

 

Frage 4:

Werden Sie etwas gegen die unbeholfene Ankaufspolitik der ÖBB tun, oder werden Sie den verantwortlichen Personen dort helfen, damit die ÖBB nicht endgültig zum EU-Schlusslicht werden?

 

Antwort:

Es muss grundsätzlich festgestellt werden, dass das Unternehmen ÖBB mit dem Bundesbahngesetz 1992 ab 1.1.1993 und in dessen Weiterentwicklung mit dem Bundesbahnstrukturgesetz 2003 in die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortung entlassen worden ist.

 

Aufgrund der zwingenden gesetzlichen Bestimmungen obliegen daher Maßnahmen des Absatzbereiches und die korrespondierenden Anschaffungen ausschließlich den Entscheidungen des Managements der ÖBB.

 

Zu Frage 4 der gegenständlichen Anfrage darf ich anmerken, dass gemäß Art. 52 Abs.1

B-VG und § 90 erster Satz des Geschäftsordnungsgesetzes 1975 der Nationalrat befugt ist, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen.

 

Art. 52 Abs. 2 B-VG sieht vor, dass sich das Fragerecht des Parlaments hinsichtlich ausgegliederter Rechtsträger nur auf die Rechte des Bundes (z.B. Anteilsrechte in der Hauptversammlung einer AG) und auf die Ingerenzmöglichkeiten des Bundes bezieht, nicht jedoch auf die Tätigkeit der Organe juristischer Personen, die von den Eigentümervertretern bestellt wurden.

 

Das Bundesbahn-StrukturG 2003 verweist dem Sinne nach ohne Einschränkungen oder Sonderregelungen auf das Aktienrecht. Demgemäß darf durch den Bundesminister gar kein Einfluss auf die operative Geschäftsführung genommen werden. Das bedeutet auch, dass die Frage 4 nicht vom Interpellationsrecht umfasst ist, da sie sich ausschließlich auf Handlungen von Unternehmensorganen beziehen. Sie wäre daher auch von diesen zu beantworten.

 

Frage 5:

Nehmen Sie das Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen Mag. Porta (Beilage) ernst und ersetzen die lebensgefährliche, ÖNORM-widrige ÖBB-Kurzrampe durch ein taugliches Produkt, etwa einen fahrzeuggebundenen Hebelift? Im Falle eines Einsatzes der lebensgefährlichen, ÖNORM-widrigen ÖBB-Kurzrampe nicht oder in verringertem Ausmaß eingetretenen Unfalles sind wahrscheinlich zumindest die Bestimmungen des StGB über grobe Fahrlässigkeit anzuwenden.

Beilagen: http://www.oeziv.at/download/050915124203.pdf

                http://www.oeziv.at/download/050915124426.pdf

 

 

 

 

Antwort:

Das Gutachten von Mag. Porta vom 14. Juli 2005 bezieht sich durchwegs auf die ÖNORM B 1600 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen“ und die ÖNORM B 1601 „Spezielle Baulichkeiten für behinderte oder alte Menschen – Planungsgrundsätze“. Die Bestimmungen der ÖNORM B 1600 sind für Neu-, Zu- und Umbauten anzuwenden, um barrierefreie Bauten und Anlagen zu errichten. Die ÖNORM B 1601 beschreibt Maßnahmen, die über die Anforderungen der ÖNORM B 1600 hinausgehen, und gilt insbesondere für spezielle Baulichkeiten (Neu-, Zu- oder Umbauten) für behinderte oder alte Menschen. Die ÖNORM B 1601 ist nur gemeinsam mit der ÖNORM B 1600 anzuwenden. Die Bestimmungen der ÖNORM  B 1601 gelten für die Planung von Räumen, die für die Benützung durch behinderte oder alte Menschen vorgesehen sind, insbesondere für

(1)          Wohnungen in Ein- und Mehrfamilienhäusern

(2)           Wohngruppen, Wohngemeinschaften, Wohnheime u.Ä.

(3)     spezielle Räume in Beherbergungsbetrieben

(4)           Tagesheimstätten, Seniorenwohnhäuser, Altenheime, Pflegeheime u.Ä.

(5)           Gesundheitseinrichtungen wie Spitäler, Rehabilitationseinrichtungen, Arztpraxen,

                Therapieeinrichtungen

(6)           Arbeitsstätten, Bildungsstätten, wie integrative Betriebe, geschützte Werkstätten,

                Behindertenarbeitsplätze, Sonderpädagogische Einrichtungen u.Ä.

(7)           Wellness- und Sporteinrichtungen.

 

Diese Normen gelten somit nicht für Schienenfahrzeuge. Die in Österreich für Schienenfahrzeuge anzuwendenden Normen, wie die UIC-Richtlinie 565-3 „Hinweise für die Ausstattung von Reisezugwagen, in denen auch Behinderte mit ihren Rollstühlen befördert werden können“, welche die maximal zulässige Neigungen für Rollstuhlrampen bei Schienenfahrzeugen festlegt, werden eingehalten. Da die Rampenneigung den einschlägigen Schienenfahrzeugnormen entspricht, wird auch keine behördliche Handhabe gesehen, nachträglich einen fahrzeuggebundenen Hebelift mit Bescheid vorzuschreiben. Die gegenständliche Einfahrtsrampe konnte durch eine Vielzahl von Versuchen sowohl mit handbetriebenen als auch mit E-Rollstühlen als tauglich erwiesen werden und entspricht ferner international dem Stand der Technik. So wurde zum Beispiel in der Schweiz eine direkt vergleichbare aber steilere mobile Einfahrtrampe zur Überwindung von bis zu 30 cm Höhenunterschied von der Schweizerischen Fachstelle "Behinderte und öffentlicher Verkehr" für die S-Bahn Bern ausdrücklich als "pragmatische und günstige Alternative für die Spaltüberbrückung" bezeichnet (Zitat aus BÖV-Nachrichten 4/03 vom Dezember 2003).

 

Ebenso wie in der Schweiz ist in jedem Falle eine Unterstützung des Ein- bzw. Ausstiegsvorganges von Mobilitätsbehinderten im Rollstuhl durch das Zugpersonal vorgesehen und im Falle des "Talent" auch im Bescheid vorgesehen.

 

 

Frage 6:

Bis wann gibt es ENDLICH ERGEBNISSE der von Ihnen eingesetzten Arbeitsgruppe über barrierefreien Verkehr? Die bisherigen Fortschritte auf diesem Gebiet gab es bereits vorher, ohne Ihr Zutun, bisher ist durch Ihre Arbeitsgruppe kein Ergebnis erzielt worden.

 

 

Antwort:

Die Arbeitsgruppe wurde bei der Arbeitskreissitzung am 28. Oktober 2004 gegründet und hat im November 2004 mit ihrer Arbeit begonnen. Da Fahrzeugprojekte im Eisenbahnwesen eine Vorlaufzeit von mehreren Jahren haben können, ist es plausibel, dass noch keine materiell-technischen Erfolge sichtbar sind. In organisatorischer Hinsicht ist aber einiges geschehen. Zum Beispiel wurden fast alle Anregungen seitens der Vertreter von Blinden und Sehbehinderten zwischenzeitlich in allen Zügen, also auch jenen der Vorgängerserien durchgesetzt. So wurde mit Unterstützung von Experten der offiziellen Behindertenorganisationen ein Prototyp-Projekt eines mobilen Hebeliftes gestoppt, um die dadurch freiwerdenden Mittel in andere Projekte zur Erlangung von mehr Barrierefreiheit zu investieren. Dieser mobile Hebelift konnte einigen betrieblichen Anforderungen nicht gerecht werden, was von den Experten der Behindertenverbände bei einer praktischen Vorführung festgestellt und von diesen auch schriftlich festgehalten wurde. Deshalb wurde das Projekt auch vorderhand gestoppt. Die dadurch frei gewordenen Mittel ermöglichten insbesondere die Gestaltung des  „Multifunktionswagens“, welcher sehr große Achtung bei den Experten für Barrierefreiheit von den offiziellen Behindertenorganisationen gefunden hat. Nach Auskunft der zuständigen Bearbeiter bei den ÖBB laufen die Fertigungsvorbereitungen auf Hochtouren und es finden diesbezüglich stets Gespräche zu Ausführungsdetails mit den Experten der offiziellen Behindertenorganisationen statt. Auch für die Errichtung einer rollstuhltauglichen Toilette im Untergeschoss des Doppelstocksteuerwagens sind gemäß den Auskünften der ÖBB die Planungen fast abgeschlossen. Seitens des bmvit wird nur noch auf ein offizielles Baugenehmigungsansuchen gewartet. Zur Bearbeitung dieser Projekte wurden bereits die erforderlichen Personalressourcen reserviert.

 

Auch wenn somit nicht alle Ihre Erwartungen an die Arbeitsgruppe erfüllt werden, so hoffe ich doch, dass auch von Ihnen gewisse Fortschritte erkannt und anerkannt werden, auch wenn diese aus verschiedenen kommerziellen und rechtlichen Gründen in der Regel nicht in der Durchsetzung von Maximalforderungen, sondern in einer Vielzahl von konsensfähigen Detailmaßnahmen bestehen.

 

 

Mit freundlichen Grüßen