3534/AB XXII. GP
Eingelangt am 30.12.2005
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM
für Justiz
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Operation Spring“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
§ 166a StPO dient dem Schutz gefährdeter Zeugen. Ist auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten, dass der Zeuge sich oder einen Dritten durch die Bekanntgabe des Namens und anderer Angaben zur Person oder durch die Beantwortung von Fragen, die Rückschlüsse darauf zulassen, einer ernsten Gefahr für Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit aussetzen würde, so kann ihm der Untersuchungsrichter gestatten, solche Fragen nicht zu beantworten. Die Prüfung, ob diese gesetzlichen Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen, obliegt dem unabhängigen Gericht, dessen Entscheidungen dem parlamentarischen Interpellationsrecht nicht unterliegen. Ich möchte aber auf die Entscheidung des OGH vom 20. März 2001, 11 Os 141/00, verweisen, worin ausdrücklich festgehalten wurde, dass dem Erstgericht auf Grund der ausführlichen Begründung das Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen des Zeugenschutzes und den Verteidigungsinteressen der Angeklagten ebenso bewusst war wie der (unter Umständen) zweifelhafte Beweiswert einer Aussage eines anonymisierten Zeugen, weshalb ihm keine Verletzung von Verteidigungsrechten der Angeklagten unterlaufen sei. Darüber hinaus hält der OGH in dieser Entscheidung – entgegen den Kernaussagen des in der Anfrage genannten Dokumentarfilms – ausdrücklich fest, dass die Vernehmung der anonymisierten Zeugen nicht den einzigen, sondern nur einen von mehreren Belastungsbeweisen dargestellt hat.
Zu 4:
In Hauptverfahren rund um die "Operation Spring" wurden Exekutivbeamte und in einem Fall die ehemals zuständige Untersuchungsrichterin – diesfalls jedoch nicht zu Fragen der Anonymisierung oder einem anonymisierten Zeugen – zeugenschaftlich vernommen.
Zu 5 und 6:
Die
Beurteilung der Frage der Anonymisierung von Zeugen ist Angelegenheit der unabhängigen Rechtsprechung. Den im
Zusammenhang mit der parlamentarischen Anfrage um Stellungnahme ersuchten
Richtern und Richterinnen des Landesgerichts für Strafsachen Wien sind keine
Begünstigungen für anonyme Zeugen bekannt.
Zu 7:
Bisher wurde gegen diesen Zeugen kein Strafverfahren eingeleitet. Die Strafbarkeit seines Aussageverhaltens wird nach Abschluss des letzten noch anhängigen Verfahrens in der Causa "Operation Spring" geprüft werden.
Zu den Fragen 8 bis 12:
Eine
„Omnipräsenz der Exekutive“ oder „exzessive Sicherheitsvorkehrungen“ im
Zusammenhang mit Strafverfahren gegen Beschuldigte aus der „Operation Spring“
konnte durch das Bundesministerium für Justiz ebenso wenig festgestellt werden,
wie ein Rückgang der Sicherheitsvorkehrungen. Grund für ein verstärktes
Einschreiten der Exekutive könnte die Bewachung der im Zeugenschutzprogramm des
Bundesministerium für Inneres befindlichen anonymen Zeugen gewesen sein. Die
Anordnung und praktische Durchführung solcher Bewachungen fällt in den
ausschließlichen Kompetenzbereich des Innenressorts. Allenfalls können infolge
des verfassungsrechtlich verankerten Grundsatzes der Öffentlichkeit der
Hauptverhandlung auch Polizeibeamte als Prozessbeobachter anwesend gewesen
sein.
Zu Frage 13 und 14:
Aus dem
Justizbudget wurde kein Entgelt an die Exekutive ausbezahlt. Die Ausgaben für
Sicherheitsvorkehrungen in den Gerichten (z.B. Eingangskontrollen,
Alarmeinrichtungen) sind nicht von einzelnen Verfahren abhängig. Eine konkrete
Zuordnung zu Verfahren im Zusammenhang mit der „Operation Spring“ ist nicht
möglich.
Zu 15 bis 17:
Gemäß § 149g Abs. 3 StPO haben die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte das Recht, die gesamten Ergebnisse der Überwachung außerhalb der Hauptverhandlung einzusehen und anzuhören. Das Gericht kann jedoch Teile der Ergebnisse, die für das Verfahren nicht von Bedeutung sind, von der Kenntnisnahme des Beschuldigten ausnehmen, wenn berechtigte Interessen Dritter dies fordern. Werden derartige Ergebnisse ausgenommen, so können sie nicht Urteilsgrundlage sein (§ 149g Abs. 3 letzter Satz iVm § 258 Abs 1 StPO). Darüber hinaus haben StA und Beschuldigter das Recht, die Übertragung weiterer Ergebnisse in Bild- oder Schriftform sowie die Vernichtung bestimmter Ergebnisse zu beantragen (§ 149g Abs. 5 und 6 StPO).
Die Ergebnisse der Überwachung werden in die Hauptverhandlung eingeführt, indem Protokolle oder andere Schriftstücke über die Überwachung verlesen und allenfalls angefertigte Bilder vorgeführt werden (§ 252 Abs. 2 StPO – Grundsatz der Unmittelbarkeit). Dies ist Voraussetzung für die Verwertung der Beweisergebnisse im Urteil, denn das Gericht darf bei der Urteilsfällung nur auf das Rücksicht nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist (§ 258 Abs. 1 StPO – Grundsatz der Mündlichkeit; Art 90 Abs. 1 B-VG).
Auch insoweit hat der OGH klargestellt (11 Os 108/00), dass zur Sicherung der Verteidigungsinteressen (JAB 812 BlgNR XX. GP 8) die gesamte Aufnahme (und nicht nur allenfalls schon hergestellte schriftliche Übertragungen verfahrensrelevanter Inhalte aus diesen Aufnahmen iSd § 149g Abs. 1 und Abs. 5 StPO) einer Augenscheinnahme zugänglich sein muss, wenn von dieser Aufnahme in der Hauptverhandlung Gebrauch gemacht wird. Sollte die aufgezeichnete Kommunikation in einer Fremdsprache (hier Ibosprache) geführt worden sein, so ist im Sinne der §§ 100, 163 und 198 Abs. 3 StPO und in Entsprechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 258 Abs. 1 StPO die Vorführung dieser Aufnahme unter Beiziehung eines dieser Sprache mächtigen Dolmetschers geboten, um dem Gericht und den Parteien Gelegenheit zu geben, dieses Gespräch in übersetzter Form mitverfolgen zu können. Entsprechende Einrichtungen zur Vorführung von Bild- und Tonaufzeichnungen zählen zur Standardausstattung der in Strafsachen tätigen Gerichtshöfe erster Instanz.
An
Ausgaben für besondere Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit einem
Strafverfahren sind aus dem Rechnungswesen nur die Ersätze für die Überwachung
des Fernmeldeverkehrs (VA-Post 1/30208-6300.904) ersichtlich. Diese Ausgaben
betrugen:
1998: 1,174.279,82 Euro
1999: 981.818,13 Euro
2000: 1,503.992,99 Euro
2001: 1,616.895,33 Euro
2002: 2,764.703,99 Euro
2003: 5,818.665,52 Euro
2004: 6,401.353,96 Euro
2005 (1.1 bis 19.12.): 4,743.653,34 Euro
Pro Jahr
fallen mehr als 28.000 Strafverfahren an, darunter immer wieder
"Großverfahren". Die Verfahren im Zusammenhang mit der „Operation
Spring“ haben keine Auswirkung auf die Kalkulation des Justizbudgets.
Zu 18 und 19:
Wie bereits in der Beantwortung der Fragen 15 bis 17 erwähnt, stehen sowohl dem Gericht als auch der Staatsanwaltschaft und dem Beschuldigten ausreichende Behelfe zur Verfügung, sämtliche Ergebnisse einer Überwachung anzuhören oder anzusehen. Darüber hinaus unterliegt die Tätigkeit der Sicherheitsbehörde einer strengen Kontrolle durch den Rechtsschutzbeauftragten, der im Anlassfall Folgendes berichtete:
„Die Observierung wird täglich (einschließlich Samstagen und Sonntagen) bis spät in die Abendstunden durchgeführt, wobei der RSB die Kontrolle täglich für jeweils 1 ½ bis 2 Stunden zu unterschiedlichen Zeiten vornimmt, sich dabei aber nicht nur die laufenden sondern auch die vorausgehenden Aufnahmen ansieht, bzw. vorspielen lässt, um eine komplette Übersicht zu haben und Themen, die nicht zur Sache gehören, zwecks Ausscheidung erörtert. … Im Laufe der Observierung bis 10. März kann die Identität unmittelbar von über 60 Personen und mittelbar von über 100 Personen geklärt werden. Die optische Observierung lässt die Bosse und Chefs sowie die Verteiler klar erkennen und den Drogenbezug durch die Verteiler, die Methode des versteckten Transports und die Frequenz der Versorgung deutlich erkennen. … Aus der Observierung ergibt sich, dass von der Tätergruppe außerordentlich umfangreiche und lukrative Umsätze getätigt werden, die die 100 Millionengrenze weit überschreiten. Die Gefährlichkeit der Organisation ergibt sich aus Hinweisen, die eine selbst lebensbedrohende Gefährdung involvierter Familien im afrikanischen Heimatstaat ergebe.“
Die in der Anfrage unterstellte Vorselektion findet daher nicht statt, wohl aber ist dafür Sorge zu tragen, dass nur solche Teile der Überwachungsaufnahme in Bild- und Schriftform übertragen werden, die tatsächlich für das Beweisverfahren von Bedeutung sind (§ 149g Abs. 1 StPO). Dabei geht es um den Schutz unbeteiligter Personen, die zufällig in die Überwachungsmaßnahme einbezogen wurden, ein Unterdrücken be- oder entlastender Beweise wäre jedoch unzulässig und könnte gegebenenfalls dem Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt unterstellt werden.
Zu 20:
Schon die derzeitige Verfahrensgestaltung, nämlich das Prinzip der personellen Trennung zwischen anklagender und urteilender Funktion, gebietet eine solche Unterscheidung.