3634/AB XXII. GP

Eingelangt am 06.02.2006
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Gesundheit und Frauen

 

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

Herrn

Präsidenten des Nationalrates

Dr. Andreas Khol

Parlament

1017 Wien

 

 

 

GZ: 11.001/154-I/3/2005

Wien, am      3. Februar 2006

 

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 3675/J der Abgeordneten Mag. Maier und GenossInnen wie folgt:

 

 

Fragen 1, 2, 4, 5, 6 und 7:

Einleitend möchte ich festhalten, dass mein Ressort bereits mehrfach parlamentarische Anfragen zum Thema „Sucht“ im Sinne von „nicht-substanzgebundene Sucht“ beantwortet hat (Internetsucht, Nr. 3456 J; Spielsucht, Nr. 3176/J; Ess-, Brechsucht, Nr. 3192/J). In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass eine Sucht - im Verständnis von psychischer Abhängigkeit - bei nahezu allen Verhaltensweisen auftreten kann. Die ursächlichen Bedingungsgefüge und Konsequenzen sind dabei ähnlich bis gleich.

 

Auch bei der Kaufsucht handelt es sich um eine stoffungebundene Sucht, die anderen Süchten wie z.B. Drogen-, Alkohol-, Ess- oder Arbeitssucht in der Entstehungsgeschichte und den Beschreibungsmerkmalen stark ähnelt. Die Kaufsucht in ihrer ausgeprägtesten Form zeigt alle typischen Suchtkriterien von Kontrollverlust über Entzugserscheinungen und Dosissteigerung bis hin zur Interessenabsorption (Gross, 2002). Aus diesem Grund ist die vorliegende Stellungnahme in Bezug zu den erwähnten früheren Antwortschreiben zu setzen.

 

Zum Thema „Kaufsucht in Österreich“ wurde seitens der Arbeiterkammer Wien im Jahr 2004 die auch in der Präambel der Anfrage erwähnte Studie auf Grundlage einer repräsentativen Erhebung des GALLUP-Institutes an insgesamt 1000 Personen durchgeführt.  Danach sind in Österreich 5,6% stark kaufsuchtgefährdet und  19,2 % deutlich kaufsuchtgefährdet. Die jüngst publizierten Daten der Arbeiterkammer aus 2005 sprechen von 7,7 % stark und 24,8 % deutlich Kaufsuchtgefährdeten in Österreich.

 

Neben den Zahlen von Betroffenen wurde in dieser Studie auch der Einfluss soziodemographischer Merkmale (Alter, Geschlecht) auf die Kaufsucht erhoben sowie Bezug auf deren Kennzeichen und mögliche Entstehungsursachen genommen (www.ak-konsumentenschutz.at). 

 

In der zitierten Studie erwiesen sich Jugendliche als stärker kaufsuchtgefährdet. Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 14 und 24 Jahren erreichten in den Klassifikationen „starke“ und „deutliche“ Kaufsuchtgefährdung hohe Ausprägungen (14,8 % stark und 29,4 % deutlich kaufsuchtgefährdet).  

Eine Studie aus Deutschland wies insgesamt 6 % der Jugendlichen als stark kaufgefährdet und 12 % der westdeutschen und 8 % der ostdeutschen Jugendlichen als deutlich kaufgefährdet aus. (Lange, E., 1997) Jugendliche schienen sich hier kaum von Erwachsenen zu unterscheiden. Das Problem über das eigene Kaufbedürfnis die Kontrolle zu verlieren stellt sich für beide Altersgruppen gleichermaßen.

 

Es wird angemerkt, dass in dieser Studie wie auch in anderen literarischen Quellen von einer Kaufsucht­gefährdung gesprochen wird, da davon ausgegangen werden muss, dass nicht jeder der kaufsuchtgefährdet ist, als kaufsüchtig gilt. Definitive Antworten zu den Fragen 1 und 2 sind mir daher nicht möglich.

 

Nach Untersuchungen der Universität Stuttgart-Hohenheim sind fünf Prozent aller Erwachsenen stark und 20 Prozent deutlich kaufsuchtgefährdet. Doch nicht jeder, der kaufsuchtgefährdet ist, wird auch kaufsüchtig. Alle Alters-, Einkommens- und Bildungsschichten sind gleichermaßen gefährdet. Es gibt Anzeichen, dass Kaufsucht eine eher weibliche Sucht ist. Dies lässt sich jedoch zum Teil damit erklären, dass sich Frauen die Sucht eher eingestehen als Männer und so in den Behandlungsstatistiken öfter aufscheinen.

 

Frage 3:

Mein Ressort orientiert sich zur Klassifizierung von kaufsüchtigem Verhalten an den folgend genannten Kriterien von Schellhorn, Reisch und Raab:

  1. Das Kaufverhalten ist kompensatorisch. Vor dem Hintergrund eines geringen Selbstwertgefühls, vor allem im Hinblick auf das eigene Verhalten, steht die Neigung, das Einkaufen als Mittel gegen Stress, als Flucht vor Anforderungen und Druck und als Ausweg aus unerfreulichen Empfindungen oder Situationen einzusetzen.
  2. Es folgt einem als unwiderstehlich empfundenen Impuls oder Zwang.
  3. Es ist eine Verengung des Interesses auf das Suchtverhalten feststellbar, es liegt eine Abhängigkeit vom Kaufen bis zum Verlust der Selbstkontrolle vor. Die Interessen des Süchtigen verengen sich auf das Kaufen, das als einziges Befriedigungsmittel übrig bleibt, dabei sterben soziale Kontakte ab.
  4. Es hat eine Dosissteigerung stattgefunden. Um den gleichen Effekt zu erzielen, werden immer häufiger und immer teurere Dinge gekauft.
  5. Es zeigen sich Entzugserscheinungen. Diese können von einer inneren Unruhe über Unwohlsein bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen und Selbstmordgedanken führen.

 

Von süchtigem Kaufverhalten kann erst gesprochen werden, wenn die zuletzt genannten vier Merkmale klar ausgeprägt sind.

 

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass sich die Kaufsucht auf das Kaufen von Konsumgütern und Dienstleistungen beziehen kann. Suchtobjekt ist dabei das Kaufen selbst, nicht das Konsumieren der gekauften Güter. Das Kauferleben kann als Kompensation eines Autonomiedefizits verstanden werden.

 

Das Verhalten findet in der Regel eher anfallsweise als permanent statt. Zwischen den Anfällen können längere Zeitabstände (bis etwa zu zwei Wochen) liegen.

 

Zu berücksichtigen ist, dass bei Kaufsucht eine hohe Komorbidität mit Depressionen, Zwängen, Angststörungen, Essstörungen und Substanzmissbrauch, aber auch zwanghaften Persönlichkeitsstörungen und Borderlinestörungen besteht.

 

Fragen 8 bis 12:

Die Leistungspflicht der Krankenversicherung besteht gemäß § 120 Abs. 1 Z 1 ASVG dann, wenn ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand eine Krankenbehandlung notwendig macht. Wenn die Kaufsucht so ausgeprägt ist, dass sie einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verursacht, der zu einer Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit und der Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, führt, könnte eine Krankenbehandlung notwendig sein.

 

Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist im Zusammenhang mit den Zielen der Krankenbehandlung zu sehen. Die Krankenbehandlung soll gemäß § 133 Abs. 2 ASVG die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wiederherstellen, festigen oder bessern. Das wird jedoch nicht immer der Fall sein, womit der Anspruch vom Einzelfall abhängt.

Wenn aber das Ausmaß der Kaufsucht eine Krankenbehandlung notwendig macht, werden – wie bei jedem anderen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand – die Kosten der Behandlung von der Krankenversicherung übernommen.

 

Hingewiesen sei darauf, dass die Auswirkungen der Kaufsucht nicht zwingend die Gesundheit oder die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen gefährden, sondern vielmehr seine materiellen Existenzgrundlagen. Die Beseitigung solcher Gefährdungen, die auch durch andere Faktoren eintreten können, ist aber keine Aufgabe der Krankenversicherung. Diese Auswirkungen der Kaufsucht können nur im Rahmen einer sozialtherapeutischen Begleitung bzw. Betreuung bekämpft werden, die aber nach dem oben Gesagten nicht in den Aufgabenbereich der Krankenversicherung fällt. Eine konkrete Aussage zur Zahl der Behandler und Behandlerinnen von Kaufsüchtigen in Östereich ist mir daher nicht möglich, ich darf aber auch auf meine Ausführungen zu Frage 17 verweisen.

 

Frage 13:

Meinem Ressort sind keine Aussagen/Studien der WHO bzw. der EU zum gegenständlichen Thema bekannt.

 

Fragen 14 und 16:

Derzeit gibt es keine eigenen stationären Einrichtungen zur Behandlung von

Personen mit „Kaufsucht“. Diese Patient/inn/engruppe wird entweder im Rahmen

der vorhandenen Abteilungen für Psychiatrie oder in Einrichtungen/Abteilungen

zur Behandlung von „Abhängigkeitserkrankungen“ versorgt.

Im elektronischen "Österreichischen Suchthilfekompass", der vom ÖBIG im

Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen und in Kooperation

mit dem Anton Proksch Institut (API) erstellt wurde, sind Einrichtungen zur

stationären und ambulanten Therapie von Abhängigkeitserkrankungen erfasst

(vgl. http://suchthilfekompass.oebig.at). Die Behandlung von Personen mit

"Kaufsucht" wurde dabei nicht explizit erfasst. Die Beilage 1 enthält eine

Auflistung jener stationären Einrichtungen, die auch "Zielgruppen ohne

Substanzproblematik (Alkohol, Drogen, Medikamente)“ behandeln. Darunter

fallen beispielsweise Personen mit Essstörungen, aber auch Personen mit

anderen, nicht-substanz-gebundenen Suchterkrankungen (z.B. Kaufsucht).

Im ambulanten Bereich (Ambulanzen, Suchtberatungsstellen) ist ebenfalls davon

auszugehen, dass diese Zielgruppe in den meisten ambulanten Suchteinrichtungen mitbehandelt wird. Beilage 2 enthält einen Auszug aus dem "Österreichischen Suchthilfekompass" mit jenen ambulanten Einrichtungen, die explizit die Behandlung von "Zielgruppen ohne Substanzproblematik" angegeben haben.

 

Frage 15:

Kaufsucht ist eine eher unauffällige Sucht, die meist lange Zeit unerkannt bleibt. Seitens der Betroffenen wird die Abhängigkeit nicht eingestanden, seitens des sozialen Umfeldes gilt sie eher als anerkannt denn als kritisch kommentiert. Anders als bei den stoffgebundenen Süchten zeigen sich längere Zeit auch keine Persönlichkeitsveränderungen. Geldprobleme können mittelfristig durch das Überziehen von Konten, durch Kreditaufnahme und das Auflösen von Ersparnissen versteckt werden.

Aufgrund der beschriebenen Akzeptanz der Kaufsucht, die als Phänomen einer konsumorientierten Gesellschaft zu werten ist, liegen keine Zahlen über Therapiebereitschaft oder -erfolge vor.

 

 

 

 

Frage 17 und 19:

Die Behandlung Kaufsüchtiger in Österreich wird in ambulanten Einrichtungen für unterschiedliche Suchterkrankungen, ohne spezifisches Angebot für Kaufsüchtige, behandelt.

 

Bei Einsicht der Problematik gegenüber besteht für die Betroffenen selbstverständlich die Möglichkeit, klinische Psychologinnen bzw. Psychologen bzw. Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeuten in freier Praxis aufzusuchen, die als Angehörige der Gesundheitsberufe auch für Kaufsüchtige zur Verfügung stehen.

 

Derzeit gibt es in Österreich etwa 5890 Psychotherapeutinnen bzw. Psychothera­peuten und etwa 4420 klinische Psychologinnen bzw. Psychologen, die in die vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen geführten Liste eingetragen sind.

 

Entsprechend den vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie ge­führten Aufzeichnungen sind 350 Psychotherapeutinnen bzw. Psychotherapeu­ten auf die Behandlung von Suchtkranken spezialisiert. Die Aufzeichnungen des Berufsverbandes österreichischer Psychologinnen und Psychologen lassen auf eine Spezialisierung auf die Behandlung von Suchterkrankungen von etwa 130 klinischen Psychologinnen bzw. Psychologen schließen.

 

Fragen 18 und 21:

Grundsätzlich fallen Angelegenheiten der Abhängigkeitserkrankungen primär in die Zuständigkeit der Abt. III/B/9, medizinische Aspekte in die Zuständigkeit der Abt. III/A/3. Sozialversicherungsrechtliche, krankenanstaltenrechtliche sowie ärzte- und psychotherapeutenrechtliche Aspekte gehören in den Zuständigkeitsbereich der Sektion I, Informationen im Zusammenhang mit dem einschlägigen Leistungsangebot auf Krankenanstaltenebene liegen im Zuständigkeitsbereich der Sektion IV.

 

Ich darf aber auf die Kompetenz im Bereich des Konsumentenschutzes durch das BMSGK und hinsichtlich Zivilrecht (Vertragsrecht) auf die des BMJ verweisen.

 

Frage 20 und 22:

Im psychosozialen Feld werden regelmäßig Aktivitäten zur Aufklärung und Vorbeugung von Sucht, vor allem im Kinder- und Jugendlichenbereich gesetzt. Ansatzpunkte für die Präventionsarbeit im Suchtbereich richten sich vor allem an die Primärprävention, d.h. Maßnahmen, die schon im Vorfeld der Entstehung des Problems ansetzen. Zur Suchtvorbeugung sind vor allem die Reduktion von Risikofaktoren und die Stärkung der personalen sozialen Kompetenzen der Heranwachsenden, die als Schutzfaktoren gelten, indiziert.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

Maria Rauch-Kallat

Bundesministerin