3901/AB XXII. GP
Eingelangt am 12.04.2006
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BM für Verkehr, Innovation und Technologie
Anfragebeantwortung
GZ.
BMVIT-11.500/0005-I/CS3/2006 DVR:0000175
Präsidenten des Nationalrates
Dr. Andreas Khol
Parlament
1017 W i e n
Sehr geehrter Herr Präsident!
Die schriftliche parlamentarische Anfrage
Nr. 3979/J-NR/2006 betreffend UVP-Verfahren S 1 – Anschlussstelle Rannersdorf,
die die Abgeordneten Glawischnig-Piesczek, Freundinnen und Freunde am 20.
Februar 2006 an mich gerichtet haben, beehre ich mich wie folgt zu beantworten:
Frage 1:
Welche Bürgerinitiativen waren als Beteiligte in der mündlichen Verhandlung über die Anschlussstelle Rannersdorf am 24. Jänner 2006 erschienen?
Antwort:
Im UVP-Verfahren zur Anschlussstelle (ASt.) Rannersdorf hat sich eine (einzige) Bürgerinitiative („BI“) „Bürgerforum gegen Transit B 301“ rechtmäßig konstituiert; diese ist zur mündlichen Verhandlung erschienen.
Die Zuziehung der BI zur mündlichen Verhandlung war eine Rechtspflicht der ho. Behörde, da die BI jedenfalls als eine „bekannte Beteiligte“ iSd § 41 Abs. 1 AVG einzustufen ist.
Frage 2:
Stimmt es, dass ihnen seitens des Verhandlungsleiters eine Wortmeldung untersagt wurde?
Antwort:
Zur Rechtsstellung der BI im vorliegenden Verfahren ist Folgendes zu sagen:
Das gegenständliche Projekt „ASt. Rannersdorf“ ist gemäß § 23a Abs. 2 Z. 1 UVP‑G 2000 einer UVP im vereinfachten Verfahren zu unterziehen. Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 24h Abs. 8 iVm § 19 Abs. 1 Z. 6, Abs. 2 und 4 UVP‑G 2000 nehmen BI an einem vereinfachten UVP‑Verfahren als Beteiligte mit dem Recht auf Akteneinsicht teil.
Durch die Verwendung des Begriffs "Beteiligte“ in § 24h Abs. 8 UVP‑G 2000 in Zusammenhang mit vereinfachten UVP‑Verfahren wollte der Gesetzgeber sagen, dass einer BI im vereinfachten Verfahren nicht die Stellung einer Partei iSd § 8 AVG mit all deren Rechten zukommt (vgl. die Materialien zum UVP‑G 2000, 168A BlgNR 21. GP, zum – diesbezüglich inhaltsgleichen – § 19 und zur UVP‑GNov 2004, 648 BlgNR 22. GP, 15). Diese rechtspolitische Entscheidung wurde vom Gesetzgeber aus dem Verfahren nach dem 2. Abschnitt des UVP‑G 2000 übernommen und inhaltsgleich auf den 3. Abschnitt übertragen (vgl. die Materialien 648 BlgNR 22. GP, 14f, und das Durchführungsrundschreiben des BMLFUW zum UVP‑G 2000, GZ. BMLFUW-UW.1.4.2/0006-V/1/2006 vom 20. Februar 2006, 105). Diese Umstände wurden der BI „Bürgerforum gegen Transit B 301“ mit Bescheid der ho. Behörde vom 9. Dezember 2005, Zl. BMVIT-312.401/0110-II/ST-ALG/2005, mit dem ihr Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung im gegenständlichen Verfahren abgewiesen wurde, mitgeteilt.
Das BMVIT steht nicht auf dem Standpunkt, dass diese Rechtslage der UVP‑RL oder der Aarhus-Konvention widerspricht.
Gemäß § 43 Abs. 3 AVG hat der Verhandlungsleiter die Verhandlung unter steter Bedachtnahme auf ihren Zweck zügig so zu führen, dass den Parteien das Recht auf Gehör gewahrt, anderen Beteiligten aber Gelegenheit geboten wird, bei der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken. An der Sache nicht beteiligte Personen dürfen in der Verhandlung nicht das Wort ergreifen.
Hinsichtlich der Vorschrift, wonach den Beteiligten die Möglichkeit einzuräumen ist, bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes mitzuwirken, vertritt der VwGH (vgl. dessen Beschluss vom 8. Februar 1965, Zl. 0532/64, = VwSlg 6579 A/1965) die Ansicht, „dass sie nur eine Anweisung an den Verhandlungsleiter darstellt, in welcher Weise er die für die zu treffende Entscheidung notwendigen Sachverhaltsaufstellungen zu ermitteln hat. Jedenfalls kann aus ihr kein (eingeschränktes) Parteirecht abgeleitet werden, dessen Verletzung als Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechtes vor dem VwGH geltend gemacht werden könnte.“
Von Seiten der Behörde kann einer BI in einem vereinfachten UVP‑Verfahren daher kein Recht auf Gehör, wie es einer Verfahrenspartei zukommt, eingeräumt werden; das wäre contra legem.
Eine Rechtsverletzung der BI ist daher jedenfalls nicht gegeben. (Eine Rechtsverletzung im Rahmen des öffentlichen Anhörungsverfahrens (Projektsauflage) wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich).
Weiters ist festzuhalten, dass § 43 AVG lediglich Grundsätze über die Verhandlungsführung normiert, in deren Rahmen dem Verhandlungsleiter weitgehendes Ermessen zukommt (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 630, Anm. 1). Und wie in allen Verfahren, die dem AVG unterliegen, sind die Determinanten des Ermessens gemäß § 37 und 39 AVG die Grundsätze der Erforschung der materiellen Wahrheit, der Wahrung des Parteiengehörs und der Verfahrensökonomie.
Die Entscheidung des Verhandlungsleiters, im konkreten Fall dieser mündlichen Verhandlung der BI nicht das Wort zu erteilen, ist im Rahmen der genannten Direktiven korrekt getroffen worden: Die BI hat im Rahmen des Anhörungsverfahrens eine umfangreiche Stellungnahme zum Vorhaben abgegeben, die in der zusammenfassenden Bewertung auf den Seiten 41 bis 48 von fachlicher Seite ausführlich und abschließend behandelt wurde. Im Ergebnis wurde entweder dem Vorbringen der BI Rechnung getragen (vgl. z.B. die Ausführungen zum Einwand 3.1. in der zusammenfassenden Bewertung, Seite 41f) oder die Bedenken der BI konnten im Rahmen dieser Begutachtung schlüssig und nachvollziehbar ausgeräumt bzw. entkräftet werden. Es gab daher für die Verhandlungsleitung unter Beobachtung der Grundsätze der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Verfahrensökonomie keinen Anlass, der BI weitere Gelegenheit zur Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhalts zu bieten. Die BI hat bereits konstruktiv zur Feststellung des Sachverhalts beigetragen.
Das Ermittlungsverfahren wurde daher korrekt und hinsichtlich des Vorbringens des BI, das seinen Niederschlag in den Ermittlungsergebnissen gefunden hat, abschließend geführt. Es ist daher auch nicht zutreffend, dass die Stellungnahme der BI nicht in den Entscheidungsprozess der Behörde eingebunden wurde.
Frage 3:
Stimmt es, dass auch der als Partei beteiligten Umweltorganisation verboten wurde, die Einwände der BI vorzutragen?
Antwort:
Von der Umweltorganisation („UO“) „ÖKOBÜRO“ wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine pathetische Kritik an der Beteiligtenstellung der BI vorgetragen und im Anschluss daran die im Rahmen des Anhörungsverfahrens schriftlich eingebrachte Einwendung vorgelesen.
Hier ist zunächst auf den Zweck einer mündlichen Verhandlung hinzuweisen: Diese unterscheidet sich von einer öffentlichen Erörterung dadurch, dass sie ausschließlich der Sachverhaltsermittlung und der Wahrung des Parteiengehörs dient und nicht Ort einer allgemein- oder speziell-verkehrspolitischen Erörterung eines Vorhabens ist – wie eben eine öffentliche Erörterung. Gegenständlich wurde eine mündliche Verhandlung iSd § 16 UVP‑G 2000 iVm §§ 43f AVG durchgeführt und nicht eine öffentliche Erörterung iSd § 44c AVG.
Keinen Platz in einer mündlichen Verhandlung haben dementsprechend rechtspolitische Erwägungen, wie etwa die von der UO „ÖKOBÜRO“ vorgebrachte Kritik zu der unzweideutigen gesetzgeberischen Entscheidung (mit all deren Konsequenzen), dass eine BI im vereinfachten UVP-Verfahren keine Parteistellung hat. Es kommt einer vollziehenden Behörde oder einem Organwalter einer Behörde nicht zu, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung Kritik an gesetzlichen Vorgaben zu beantworten oder gesetzgeberische Motive zu bewerten; es liegt auch außerhalb der Kompetenzen eines Organwalters, Verantwortung für gesetzgeberische Entscheidungen zu übernehmen. In der Praxis kommt es aber leider – wie auch im gegenständlichen Fall – häufig vor, dass auftretenden Organwaltern – meist auch sehr emotionsgeladen – diese Verantwortung für vom Nationalrat und Bundesrat rechtsgültig beschlossene Gesetze zugedacht wird. Eine Behörde oder ein Organwalter hat iSd Art. 18 B‑VG nur auf Grund und unter strenger Beobachtung der Gesetze zu handeln.
Des weiteren ist hier festzuhalten, dass die UO „ÖKOBÜRO“ im gegenständlichen Verfahren die Stellung einer Partei iSd § 8 AVG hat; sie erlangt diese Parteistellung in den Grenzen der erhobenen Einwendung (vgl. zu dieser „Umkehrung“ des Konzepts des AVG Baumgartner, Parteistellung und UVP‑G nach der Nov 2004, ecolex 2005, 275f).
Dennoch gilt auch für die UO als Verfahrenspartei der allgemeine Grundsatz, dass ihre Prozesslegitimation nicht weiter reicht als die durch die erhobene Einwendung inhaltlich und rechtlich abgegrenzte Interessenssphäre; zur Verdeutlichung ein Beispiel: Wenn eine UO das Thema „Wildökologie“ in ihrer Einwendung nicht vorgebracht hat, fehlt ihr insoweit die Parteistellung. Es wäre daher für die UO nicht zulässig, dieses Thema im weiteren Verfahren vorzubringen, da dies keine Deckung in der erhobenen Einwendung fände.
Gleichermaßen verhält es sich mit der Wahrnehmung von Interessen Dritter, also auch von Interessen der BI durch die UO. Nach ständiger Rechtssprechung des VwGH reicht die Prozesslegitimation einer einschreitenden Partei nicht so weit, subjektive öffentliche Interessen Dritter wahrnehmen zu dürfen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, § 8 E 74 angeführte Judikatur). Soweit sich das Vorbringen der UO auch auf solche Belange erstreckt, ist es von der Behörde als unzulässig einzustufen und zurückzuweisen, da die UO diesbezüglich kein Mitspracherecht im Verfahren hat. Soweit kam es aber wie eingangs gesagt gar nicht; das wurde von der UO nicht einmal versucht.
Die spezielle Stellung einer UO hinsichtlich der Wahrnehmung des objektiven Umweltrechts wird vom ho. Ressort sehr wohl erkannt. Dennoch kann eine UO in einer mündlichen Verhandlung nicht für eine andere Person oder Institution das Wort führen, ohne eine Vollmacht dafür zu haben (eine solche wurde nicht erteilt). Sie hat sich vielmehr im Rahmen der von ihr selbst erhobenen Einwendung zu äußern.
Von meinem Haus wird auch nicht verkannt, dass sich die von einer BI und einer UO vorgebrachten Argumente inhaltlich decken können – dies war zum Teil sogar im vorliegenden Verfahren der Fall. Die UO hätte sich daher auch ohne Berufung auf die BI zu Themen äußern können, die auch die BI in ihrer Stellungnahme vorbrachte bzw. diese betreffen. Das tat sie aber nicht: Die Aussage der UO in der mündlichen Verhandlung erschöpfte sich wie erwähnt darin, die Gesetzeslage zu kritisieren und danach die schriftlich eingebrachte Einwendung zu wiederholen, d.h. vorzulesen, ohne inhaltlich ergänzende Ausführung zu bringen oder auf die in der zusammenfassenden Bewertung wiedergegebene fachliche Stellungnahme, die speziell ihre Einwendung behandelt, einzugehen. Dabei ist zu erwähnen, dass der UO die zusammenfassende Bewertung zugleich mit der Ladung zur Verhandlung im Rahmen des Parteiengehörs übermittelt wurde.
Frage 4:
Werden Sie dafür Sorge tragen, dass in zukünftigen vereinfachten UVP-Verfahren Ihres Ressorts die beteiligten BI in der mündlichen Verhandlung zum Straßenbauvorhaben und zu den Sachverhaltserhebungen gehört werden, somit ein Dialog mit der Behörde ermöglicht wird?
Antwort:
Es bleibt hier zu betonen, dass sich die Entscheidung der Verhandlungsleitung, der BI in der mündlichen Verhandlung zur ASt. Rannersdorf nicht das Wort zu erteilen, auf das konkrete Verfahren bezog. Ob und in welchem Ausmaß BI in Zukunft in mündlichen Verhandlungen im Rahmen von vereinfachten UVP-Verfahren angehört werden, ist eine Entscheidung, die im Einzelfall nach Maßgabe der zitierten Grundsätze der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Verfahrensökonomie zu treffen sein wird.
Durch diese Rechtslage wird weder die Öffentlichkeitsbeteiligung ausgeschaltet, noch ein Dialog unterbunden. Es findet in vereinfachten UVP-Verfahren nach wie vor ein öffentliches Anhörungsverfahren statt, in dessen Rahmen es jedermann frei steht, sich zum Vorhaben zu äußern; diese Äußerungen finden wie beschrieben Eingang in den Ermittlungs- und Entscheidungsprozess. Da ein Dialog definitionsgemäß nicht mündlich geführt werden muss, kann die behördliche Stellungnahme auch schriftlich, z.B. im Rahmen der zusammenfassenden Bewertung erfolgen.
Zu dem in der Anfrage angesprochenen Thema „Stückelung“ ist Folgendes zu sagen: Die ASt. Rannersdorf wurde nicht gleichzeitig mit der Haupttrasse der S 1 (ehemals B 301) beantragt und einer UVP unterzogen. Es besteht aber keine Rechtspflicht, eine Haupttrasse mit all ihren ASt. gleichzeitig einer UVP unterziehen zu müssen (was z.T. aus praktischen Gründen, insbesondere auf Grund der zeitlichen Abfolge, einleuchtend ist: Es könnte sonst einer bestehenden Autobahn trotz aufkommender Notwendigkeit keine ASt. hinzugefügt werden). Das UVP‑G 2000 sieht in seinem § 23a Abs. 2 Z. 1 (unter den dort genannten Voraussetzungen) die selbständige UVP‑Pflicht einer ASt. vor. Es steht im Ermessen der Projektwerberin, die Durchführung der UVP für eine ASt. getrennt von der Haupttrasse zu beantragen. Die Behörde hat weder Möglichkeit noch Veranlassung dem entgegen zu wirken; sie hat diesen eindeutigen gesetzlichen Tatbestand mit seinen Konsequenzen für den Rechtsschutz von Bürgerinitiativen („BI“) zur Kenntnis zu nehmen.
Mit freundlichen Grüßen