4403/AB XXII. GP

Eingelangt am 21.08.2006
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0040-Pr 1/2006

 

An den

                                      Herrn Präsidenten des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

 

zur Zahl 4464/J-NR/2006

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Ing. Kurt Gartlehner, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „nicht nachvollziehbare Vorgangsweise bei Verhängung der Untersuchungshaft“ gerichtet.

Die Anfrage hat zwar einen allgemein gehaltenen Titel, bezieht sich aber ausschließlich auf jene Strafverfahren, die der strafrechtlichen Aufarbeitung der „BAWAG-Krise“ im weitesten Sinne dienen. Diese Verfahren befinden sich derzeit durchwegs im Stadium der Voruntersuchung oder der Vorerhebungen. Die Stellungnahme zu einzelnen Verdachtsmomenten und die Bewertung der im Verfahren bisher gewonnenen Beweisergebnisse würde zum jetzigen Zeitpunkt die weitere Aufklärung der Sachverhalte und die strafrechtliche Verfolgung der Verdächtigen in hohem Ausmaß gefährden. Davon direkt betroffen ist die Frage der Intensität des Tatverdachtes gegen einzelne Verdächtige als eine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft. Eine öffentliche Darlegung der bisherigen Beweisergebnisse und der daraus sich ergebenden Verdachtslage würde das gebotene kriminaltaktische Vorgehen in weiten Bereichen vereiteln.

Unter diesem Aspekt beantworte ich die gestellten Fragen wie folgt:

Zu 1:

Die Untersuchungshaft wird durch einen Beschluss des Untersuchungsrichters verhängt; es handelt sich dabei somit um einen Akt der unabhängigen Rechtsprechung, auf den das Bundesministerium für Justiz im Hinblick auf den im Verfassungsrang stehenden Grundsatz der Gewaltenteilung keinen Einfluss nehmen kann.

Soweit die Frage eine darauf gerichtete Antragstellung der Staatsanwaltschaft anspricht, verweise ich darauf, dass in Bezug auf einen der Hauptverdächtigen die Erlassung eines internationalen Haftbefehls seitens der Staatsanwaltschaft Wien beantragt, dieser Antrag jedoch von der zuständigen Untersuchungsrichterin inzwischen zwei Mal abgewiesen wurde.

Weil sich der betroffene Verdächtige im bisherigen Verfahren kooperativ zeigte und Ladungen zu Vernehmungen regelmäßig Folge leistete, sieht die Staatsanwaltschaft derzeit keine Veranlassung für einen neuerlichen auf die Verhängung der Untersuchungshaft abzielenden Antrag.

In Bezug auf einen weiteren Verdächtigen wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen, der bislang nicht vollzogen werden konnte.

Zu 2 und 3:

Nein.

Zu 4:

Ob es in der Zukunft zu Haftanträgen der Staatsanwaltschaft kommen wird, hängt ausschließlich von kriminaltaktischen und strafprozessualen Erfordernissen ab. Die Interessen von Medien und Politik sind dabei unmaßgeblich.

Zu 5 und 6:

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft sind in jedem Strafverfahren dieselben. In formaler Hinsicht sind dies eine anhängige Voruntersuchung und ein entsprechender Antrag des Staatsanwaltes. In materieller Hinsicht setzt sie einen dringenden Tatverdacht, das Vorliegen zumindest eines Haftgrundes, die Verhältnismäßigkeit und die Nichtsubstituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel voraus. An Haftgründen kommen Flucht-, Verdunkelungs-, Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr in Frage, wobei die in der Frage 6. angesprochene Verabredungsgefahr keinen eigenständigen, gesetzlichen Haftgrund bildet, sondern vom Haftgrund der Verdunkelungsgefahr erfasst ist.

Ein Haftgrund liegt nach der ständigen Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn die abstrakte Möglichkeit etwa einer Flucht oder einer Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung besteht, sondern erst dann, wenn dies auf Grund konkreter Hinweise oder bereits gesetzter, darauf gerichteter Handlungen der Verdächtigen zu besorgen ist.

Insbesondere der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr wird ganz allgemein eher am Anfang eines Verfahrens und im zeitlichen Naheverhältnis zum Tatgeschehen vorliegen. In einem Stadium, in dem der Tatverdächtige längst Gelegenheit für Verabredungen und Verschleierungshandlungen hatte und bereits eine Vielzahl von Verfolgungshandlungen wie Hausdurchsuchungen, Kontenöffnungen und Vernehmungen von Verdächtigen und Zeugen gesetzt wurden, kommt dieser Haftgrund faktisch nicht mehr zum Tragen.

Zur Frage der Fluchtgefahr verweise ich auf die Antwort zur Frage 1. Auslandsaufenthalte eines Tatverdächtigen sind so lange kein Indiz für ein Fluchtverhalten, als er sich jederzeit bereit findet, sich den Vernehmungen zu stellen. Bislang war eine Tendenz, sich dem Verfahren zu entziehen, bei keinem Tatverdächtigen festzustellen.

Zu 7:

Verzögerungen in der Sicherung beweiserheblicher Papiere, Gegenstände oder Aussagen sind nicht ersichtlich. In manchen Fällen ergeben sich Hinweise auf neue Beweismittel erst auf Grund bereits gesetzter Verfolgungsmaßnahmen. Hausdurchsuchungen etwa dürfen nur dann angeordnet und durchgeführt werden, wenn die Strafverfolgungsbehörden zumindest einen Verdacht haben, nach welchen beweiserheblichen Gegenständen gesucht werden soll (§ 139 Abs. 1 StPO).

Zu 8:

Es erübrigt sich eine Beantwortung, weil bislang in den angesprochenen Verfahren keine Untersuchungshaft verhängt wurde.

Zu 9:

Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft stellt sich nur im jeweiligen Strafverfahren anhand der Bedeutung der Sache oder der zu erwartenden Strafe. Ein Vergleich der „Verhältnismäßigkeit“ zwischen zwei verschiedenen Verfahren ist auf Grund der Besonderheiten jedes Einzelfalles nicht möglich und wäre auch kein von der Rechtsprechung anerkanntes, tragfähiges Kriterium für die Verhängung oder Aufrechthaltung der Untersuchungshaft.

 

. August 2006

 

(Maga. Karin Gastinger)